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Vorliegende Dissertation bildet nur einen Teil der einer hohen philosophischen Fakultät der Universität Basel eingereichten Arbeit. Die ganze Abhandlung wird binnen kurzer Frist im Verlage von Max Niemeyer in Halle a. d. S. erscheinen.

Ich möchte nicht unterlassen, auch an dieser Stelle meinen verehrten Lehrern Herren Prof. Dr. John Meier und Prof. Dr. Karl Joël für ihre jederzeit gerne gebotenen Ratschläge herzlichst zu danken.

A

Einleitung.

G3

I. Das Wesen der Dichtkunst.

1. Allgemeines.

a) Die autonome Stellung der Kunst.

Goethe schreibt am 20. Juni 1796 an Heinrich Meyer über Herders Behauptung im 8. Stück der Adrastea, die Künste müfsten das Sittengesetz anerkennen und sich ihm unterordnen: „Das erste haben sie immer getan und müssen es tun, weil ihre Gesetze so gut als das Sittengesetz aus der Vernunft entspringen; täten sie aber das zweite, so wären sie verloren und es wäre besser, dafs man ihnen gleich einen Mühlstein an den Hals hinge und sie ersäufte, als dafs man sie nach und nach ins Nützlich-Platte absterben liefse". Damit ist der leitende Gesichtspunkt für die Erfassung eines Kunstwerkes gegeben, denn die leidenschaftliche Ablehnung der Moral in der Kunst, eine Ablehnung, die gegebenenfalls nicht minder die Religion oder die Erkenntnis betroffen hätte, besagt mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dafs der Kunst im Kreise der Lebensäufserungen eine autonome Stellung zukomme.1) Sie ist ein selbständiges Vermögen, Leben und Welt zu schauen, die künstlerische Betrachtung ist der religiösen oder wissenschaftlichen gleichwertig, nicht ihr untergeordnet.

Kommt aber der Kunst ein selbständiger Eigenwert zu, so mufs sie sich auch spezifisch von den anderen Weltauffassungen unterscheiden. Goethes Wort kann uns zur Er

1) Schiller, Briefe über ästhetische Erziehung, Nr. 14. Selbständigkeit der Kunst auf Grund des Spieltriebs.

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mittlung dieser charakteristischen Wesensbestimmung als Wegleitung dienen. Er fürchtet, dafs die mit der Moral verquickte Kunst dem Nützlich-Platten verfalle, dafs sie also zu belehren und zu bessern suchen werde. Was Goethe scheut, sind Zweckbetrachtungen in der Kunst, die seiner Meinung nach den Wert ihrer Schöpfungen ungemein beeinträchtigen. Werden aber die Zwecke aus ihrem Gebiete ausgeschlossen, so hat sie nicht mehr aktiven, sondern nur noch passiven Charakter und das Wesen der Kunst unterscheidet sich dann darin von dem Wesen anderer Weltauffassungen, dafs sie nicht Aufgaben stellt, sondern nur die reine Existenz wiedergibt. Und damit haben wir in der Tat die Eigenart der Kunst festgestellt. Ihre Aufgabe ist nicht, auf das Leben und seine Gestaltung direkt einzuwirken, sondern vielmehr das Leben zu spiegeln, es „in allen seinen verschiedenartigen Gestaltungen zu ergreifen und darzustellen" 1), und während die anderen Weltauffassungen den Menschen zu bilden versuchen, setzt die Kunst diese Bildung schon voraus. Damit soll ihre veredelnde, erzieherische Wirkung keineswegs geleugnet werden, allein sie ist doch nur ein mittelbarer und wenigstens vom wahren Künstler nicht beabsichtigter Nebenerfolg.

b) Das Wesen der Kunst.

Allein die Wiedergabe des Seins ist also Aufgabe der Kunst. Damit ist aber weiter schon die spezifische Art ihrer Auffassung gegeben. Sie fafst die Welt als Gefühl, denn nur dieses gestattet ein ruhiges Beharren in sich selbst. Alle Objekte der Welt bedürfen der Auflösung ins Gefühl, wenn sie künstlerische Gestaltung erfahren sollen, das Gefühl ist das Medium, durch das der Künstler die Welt betrachtet. Es gilt im Verlaufe der Darstellung diesen Gesichtspunkt noch weiter auszuführen, hier genüge die kurze Feststellung.

Dieses Aufgehen im Gefühl hat aber für das Schaffen des Künstlers noch eine höhere Bedeutung. „Der Weg zum Dichter", schreibt Hebbel im Tagebuch, geht nur durch den Menschen",2) nur das, was der Künstler innerlich durchlebt,

1) Hebbel, Tagebuch ed. R. M. Werner Nr. 11.

2) Hebbel, Tagebuch Nr. 746.

ist für die Kunst von Wert. Und so ergibt sich für jede Kunst, für die Poesie aber vor allem, dafs das Erlebnis unumgängliche Voraussetzung jeglicher Gestaltung ist.

c) Bestimmung der Dichtkunst.

Wenden wir uns nach diesen einleitenden Betrachtungen zur Dichtkunst. Unterscheidendes Merkmal der einzelnen Künste ist das Mittel ihrer Gestaltung. Der Dichter bedient sich des Wortes, das er in dreifacher Weise als Sinn, Bild und Klang verwenden kann. Worin besteht nun der spezifische Charakter der Dichtkunst als einer Kunst des Wortes? Er erhellt am besten aus einer Vergleichung der Poesie mit den Schwesterkünsten Malerei und Musik, wobei hier nur kurze Andeutungen gegeben seien, da das Problem noch ausführlichere Erörterung verlangt.

Die Malerei gibt die reine Koexistenz, die Musik die reine Sukzession, die beiden Künste wirken somit vor allem extensiv. Die Poesie, deren Mittel, das Wort, als Ton und Bild mitten inne steht, sucht eine Synthese beider. Sie gibt Vorstellung, Bild wie die Malerei, aber sie gibt es nicht ruhend, sondern sukzessiv. Bewegte Bilder sind das eigentlichste Wesen der Dichtkunst, alle ihre Kunstmittel gehen darauf aus, das Ruhende zu beleben. Mit Recht eifert Lessing gegen die Beschreibung in der Poesie als eine ruhende Koexistenz: sie ist vielmehr bewegte Koexistenz, was späterhin noch näher ausgeführt sei.

Doch sind wir damit der Dichtkunst noch nicht völlig gerecht geworden. Ihr Mittel, das Wort, ist nicht nur Bild und Klang, sondern auch Sinn. Damit wendet sich die Poesie unmittelbar an den Menschen selbst und auf elementare Weise spricht sie die Empfindung direkt aus. So gesellt sich zur bewegten Koexistenz noch die Intensität, die der Extensität der andern Künste gegenüber steht. „Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphäre", betont Herder,1) dem wir hier teilweise folgen. „Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und

1) 1. Krit. Wäldchen, Kap. 16-18.

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