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Religionsphilosophie.

Bom

Standpunkt der Philosophie

Herbart's.

Von

Dr. G. F. Taute.

Erster Theil.

Allgemeine Religionsphilosophie,

Elbing.

Verlag von Fr. £. Levin.

1840.

Andover

Es ist nicht zu verkennen, daß von Jeher das religiöse Bedürfniß edler Menschen die Systeme mehr benut, als sich ihnen unterworfen hat.

101.2

Taute

Herbart.

Vorrede.

as religiöse Interesse der neueren Zeit gewährt Demjeni= gen, der heutzutage über Religion schreibt, das Bewußtsein, daß er keinen gleichgiltigen oder gar der Verachtung preisgegebenen Gegenstand behandle, wie vor jenen vierzig Jahren, wo Schleiermacher zum Erstenmal seine berühmte Reden über tie Religion herausgab und sie als An die Gebildeten unter ihren Verächtern gerichtet bezeichnete. Vielmehr, wie jede Zeit den Mitlebenden ihre Aufgaben zu stellen pflegt, so scheint die unsrige es vorzugsweise darauf abgesehen zu haben, mit sittlichen und religiösen Dingen, soviel möglich, in's Reine zu kommen.

Höher vielleicht als die Religion dürfte in den Augen mans cher Zeitgenossen das speculative Interesse erscheinen. Wenn die Religion ein reiches Wissen vor den Sterblichen entfaltet; wenn fie von der Beseligung ihrer Lehren und Verheißungen, von götte lichen Offenbarungen und Rathschlüssen redet; wenn sie eine sichere Zukunft vor sich hat, wie sie auf die Vergangenheit sich gründet, überhaupt Ewigkeit und absolute Gewißheit ihrer Wahrheiten ans fündigt: warum sollte und müßte es nicht von dem Allen cine begriffsmäßige, das heißt, eine philosophische Erkenntniß geben? Die Geschichte bezeugt, daß die Menschheit nicht erst neuertings, sondern vom Anfang her, schon seit der ersten Verbreitung Christlicher Weisheit, nach einem absoluten Wissen vom Göttlichen gerungen. Freilich warnte die Religion gleichzeitig durch das gewichtige Wort: Wir leben im Glauben, nicht im Schauen; jezt

erkenne ich es stückweise, dann aber werde ich es erkennen, gleich wie ich erkannt bin! Aber was wäre es, wenn die Wissenschaft dennoch ihren Sieg feierte, wie sie ihn, wenn nicht in der Zeitlichkeit, so doch in der Ewigkeit wirklich feiern muß? Was Wunder, daß die Vemühungen menschlichen Wissens bereits ihre volle Reife erlangt; daß die Wissenschaft in unumstößlichen, absolut zulänglichen Begriffen die Dunkelheiten der Vergangenheit an's Licht gebracht, die Gegenwart auf den richtigen Standpunct verseßt, und den Schleier der Zukunft gelüpfet hätte? Dann wäre der Glaube von dem Wissen überwunden und in eine Einheit mit dem leßtern zusammengefaßt; es gäbe ein offenbares Wissen der tiefsten Geheimnisse Gottes, ein absolutes Wissen schlechthin, und jenes religiöse Wort von der Mangelhaftigkeit menschlichen Wissens müßte verstummen.

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Nirgend auf dem Gebiete des Wissens wundert sich die Wissenschaft über sich selber. Liegen ihre Begriffe klar und sicher vor, so nimmt sie dieselben ruhig und absichtslos in Empfang. Überall kommt es ihr allein auf die Evidenz ihrer Wahrheiten an. Deshalb weiß sie aber auch von keiner den Begriffen selber fremden Auctorität, welche von ihr blindlings dürfte respectirt werden. Das äußere Leben mit seinen Anfoderungen, die Welt mit ihren Gewohnheiten, die Zeit mit ihrer aufgesammelten Menge von ÜberLieferungen, die sich in dem Gedankenkreise einer Generation festgesetzt haben, mögen auch Anfoderungen, Gewohnheiten, Überlieferungen von Gedanken und Begriffen, gleich einem wogenden Meer, ein impesantes Anschen annehmen, alles Dieß überschaut die Wissenschaft mit einem ruhigen Blick, vor welchem die stolzen Häupter der Bewegung, als wären sie nichts weiter, denn stumme und stille Schatten, sich neigen. Die Philosophie, als Wissenschaft, weiß es, daß, wie vor Zeiten, so besonders seit beinahe einem Jahrhundert, berühmte Männer für die Speculation die ganze Energie ihres Geistes aufgeboten; sie weiß, daß, in Folge solcher Wirksamkeit, die Begriffe des neueren Jahrhunderts eine bedeutende Umgestaltung erfahren; sie weiß, wie und auf welche Veranlassung, obgleich dem Alterthum, und der vorgängigen

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Zeit durchweg, der Sache nach nicht unbekannt, dennoch das Wort und der Begriff eines absoluten Wissens jüngst mit gewissen eigenthünlichen Bestimmungen in Aufnahme gekominen, kraft deren es, zumal unterstüßt von der geschichtlichen Entwickelung der Gegenwart, eine Art von Oberhoheit und Herrschaft in den Gemü thern erlangen mußte. Kant, Fichte, Schelling, Hegel braucht man nur zu nennen, um sie nicht bloß als Koryphäen der speculativen Philosophie begrüßt, sondern sogar, wenn es Gott ge fällt, als die Nepräsentanten und Führer der Zeitrichtungen, in geistiger Hinsicht, anerkannt zu sehen.

Ganz und gar der wissenschaftlichen Forschung hingegeben, ungestört und unberauscht von den Bewegungen seiner Zeit, hatte Kant, wie man es nennt, selbst eine Revolution im Reiche der Begriffe vollbracht. Worinn dieselbe bestehe, und was ihre Hauptergebnisse seien, ob das Ding an sich oder die Phänomene; ob die Vers standeserkenntnisse mit ihren Kategorien, dem synthetisch-apperceptiven Ich und den Grundsäßen, oder die Vernunftansicht mit den regu lativen Principien; ob die metaphysische oder die ethische Seite des Systems, die Begründung des Wissens oder des Glaubens; ob dieß Alles im Verein, so wenig es auch zu einander paßt; ob überhaupt nur eine tiefe Erregung des wissenschaftlichen, sittlichen und religiösen Geistes der Zeit, von welcher Aufregung die Wissenschaften und das praktische Leben soviel sich mögen zu Nuh machen, als sie davon begreifen und gebrauchen können, weiß man eigentlich nicht. Vielleicht soll auch der Begriff der Revolution, die bekanntlich niemals recht weiß, was sie will und schafft, darauf hindeuten. Gleich die ersten Verehrer und Beför derer der Kant'schen Philosophie wollten und verlangten Mehr, als was Kant ihnen zu bieten im Stande war. Fichte durchs drang mit universellem Geist das Kant'sche System und trieb von der Höhe seiner allgemeinen Begriffe herab, und vermöge der concentrirten Gewalt derselben, die unruhigen Kantianer zu PaaTen. Kant hatte lediglich ein relatives Wissen gegeben, worauf die Stärke, wie die Schwäche, der alle Erkenntniß von Grund aus erschütternden Kant'schen Kritiken zu beruhen schien: wurde

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das

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