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vatwillen das allgemeine Wollen, so erscheinen sie als frei, und ebenmäßig alle als unter sich gleich, indem das allgemeine Wollen keinen Unterschied zwischen ihnen sehen, vielmehr jede Beschränkung oder Hervorhebung des Einen vor dem Anderen nur von der Privatwillkühr, welche durch das allgemeine Wollen beseitigt wird, herrühren könne. Sonderungen der Staatsgewalten find dann nichts weiter, als besondere, näher bestimmte Formen der allgemeinen Freiheit und Gleichheit. So einfach und logisch klar diese Begriffe find, indem sie alle dem logischen Begriffsverhältniß des Allgemeinen und Besonderen nachgehen; so hätten doch die daraus entnommenen praktischen Anwendungen nicht einmal den Schein einer Wahrheit erlangen, vielweniger mit Hartnäckigkeit können vertheidigt werden, wenn ihnen nicht sittliche Weisungen versteckt und mißverstanden zu Grunde lägen.

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§. 512. Ontologischer oder substantieller Begriff des Staats. Die Sache des Staats erhält ein ganz anderes Ansehen, sobald die Art und Weise zur Untersuchung kommt, wie sich das Gesammtwollen bilde. Dasselbe ist soweit entfernt, ein Product der Willen Einzelner oder Aller zu sein, daß es vielmehr über alle einzelne und besondere Willen, also auch über den stärksten einzelnen Willen, der jederzeit an den Willen Anderer sein Maaß findet, hinausliegt und etwas Unwillkührliches ist. Der Staat ist ein Naturproduct, und gleicht jenem Wunderbaum, der Jahr aus, Jahr ein, und ohne Unterschied der Jahreszeiten, zumal Blätter, Blumen und Früchte treibt, sodaß die Einen fallen, während Andere wachsen, blühen oder reifen, ohne Unterlaß wechselnd, immer in neuen Gestalten und unter abgeänderten Formen erscheinend, im Einzelnen und im Ganzen. Als Naturproduct zeigt der Staat alle die Höcker und Unebenheiten, welche das Vergrößerungsglas auch an dem kleinsten natürlichen Dinge dem Naturforscher offenbart, und die man als den Eigenwillen der Creatur oder gar als das Unvernünftige in dem Vernunftsystem der Welt bezeichnet hat (§§. 33. 271 fl.). Wo eine größere Menge wirklicher lebendigen Kräfte in eine Einheit zusammengeht, da kann es nicht anders geschehen, als daß dieselben, ohne Ab

ficht und Willen, sich miteinander im umgekehrten Verhältniß ihrer Stärke in's Gleichgewicht seßen und darnach verschmelzen (§. 421 fl.). Sind diese Kräfte, wie in der Gesellschaft, Willen; so erzeugt sich vermöge der Verschmelzung ein allgemeines Wollen als substantielle Grundlage des gesellschaftlichen Lebens, welche Grundlage kein Einzelner geschaffen hat, noch sie willkührlich abändern kann; dieselbe will, wie sie sich vorfindet, genommen sein. Überaus viele Zufälligkeiten, Complicationen und Verwebungen von der mannigfaltigsten Art, jedoch niemals ohne einen vernünftigen Grund, wirken dabei mit, sodaß das ganze System der Kräfte sich aus kleineren und kleinsten Systemen und deren Bestimmungen zusammenordnet, dadurch aber Ein Ganzes ausmacht, das dem inwohnenden Impulse folgt, sich bewegt und niemals durchaus stillesteht. Die mathematische Psychologie allein besigt den eigentlichen theoretischen oder substan= tiellen Begriff vom Staat (§. 478). Immer hat es Hohe und Niedrige, Mächtige und Dürftige gegeben; immer auch solche Andere, welche die Gesellschaft in den verschiedensten Richtungen durchranken und den gesellschaftlichen Druck mildern; und in alle Welt, wie sehr dieselbe auch ihre äußere Formen ändern möge, wird es also bleiben. Daß moralische Begriffe bei der Constituirung der Gesellschaft mitwirken, wie wäre das anders möglich, da sie kraft des absoluten Beifalls, der ihnen gebührt, oder des absoluten Mißfallens, welches sie ausdrücken, sich als formgebend erweisen? (S. 487, VI). In solcher Art fich verwirklichend, wird das Sittliche substantiell: folgt daraus, daß die Ideen ursprünglich substantieller Natur seien, oder es auch nur sein dürfen, ohne Einbuße ihrer absoluten Heiligkeit und ewig vorbildlichen Reinheit ?

§. 513. Praktischer Begriff des Staats. Abermals andere und viel höhere Bestimmungen gewinnt der Staatsbegriff in Folge der Ansprüche, welche die praktischen Ideen an ihn machen. Wenn es dem Einzelnen schwer und beinahe unmöglich wird, den einfachen Ideen Genüge zu leisten (§. 508 fl.); so lehrt schon ein oberflächlicher Blick auf Tie gesellschaftlichen Ideen (§. 503 fl.), mit welchen unge

Heuern Schwierigkeiten es der Staat zu thun habe, um im Bereich seiner Wirklichkeit auch nur ein einigermaaßen erträgliches Abbild den Ideen gegenüberzustellen. Und doch! Wer darf leugnen, daß die Menschheit von Jeher in ihren größeren und kleineren Gesellungen dem Vortrefflichsten nachgestrebt? Wer möchte bezweifeln, daß mehr und weniger gelungene Schritte, um demselben nahe zu kommen, wirklich geschehen? Und wer wagt, wer vermag es, die Sprache der Ideen auf die Länge ganz zu überhören? Was die gesellschaftlichen Ideen besagen, tönt laut und dauernd in die Welt hinaus. Sie gestatten mancherlei Ungleichheiten des Rangs und des Einflusses, weil theils nicht alle Mitglieder der Gesellschaft gleich wichtige Beiträge zur allgemeinen Befeelung, für die Verwaltung und das Cultursystem, aufbringen, theils vorhandene Übergewichte sich durch das Rechtsund Lohnsystem festgestellt haben. Souverän find allein die Ideen und unverleßlich Alles, was unter ihrem Schuß steht. Der sogenannte Gesellschaftsvertrag liegt in den Ordnungen und Geschen der Gesellschaft. Jene Freiheit, mit welcher Alle ihre Willkühr in der Festschung des allgemeinen Wollens üben möchten, ist ganz und gar ausgeschlossen und verpönt von den gesellschaftlichen Ideen. Die Sonderung der Gewalten, sofern sie für Gut befunden, ist nichts weiter als eine Articulation der beseelten Gesellschaft (§. 507), unbeschadet der gesellschaftlichen Einheit und dieser untergeordnet. Rechts- und Lohnsystem, Verwaltung und Cultursystem, müssen sich so durchdringen und gegenseitig bestimmen, daß fie die Gesellschaft als von Einer Seele begeister darstellen. -Kann die Gesellschaft dieß Ideal nimmer aufgeben; wird fie bei dem fortwährenden Schwanken ihrer Lebenspulse nur durch dasselbe gehalten und vor gefährlichen Abwegen bewahrt; trägt keine vorhandene Vortrefflichkeit, und sei fie noch so groß und wahr, eine Bürgschaft ihres Fortbestandes in sich, indem weder die Wirklichkeit der Erscheinungen jemals der absoluten Festigkeit und Unwandelbarkeit der Ideen theilhaftig werden kann, noch eine eintretende Verwirrung und Schlechtigkeit vermöge eines giltigen Tadels und kraft des Befehls auf der Stelle verschwindet; ergeht vielmehr an

die Gesellschaft noch nachdrücklicher, wo möglich, als an den Einzelnen, die Mahnung: Wachet und beret, daß Ihr nicht › in Anfechtung fallet; dann ist es einleuchtend, wie der Begriff des Staats nicht durch Einen, sondern durch Zwei Begriffe, jenen theoretischen (§. 512) und diesen praktischen müsse gedacht werden. Ohne die Absolutheit der Ideen find Stabilität, Fortschritt, richtige Mitte und dergl. gleich verwerfliche Dinge. Dennoch vermischen sich die Ideen niemals mit der Wirklichkeit, und kein geschichtlich gegebener Staat hat es in ihrem Sinne irgend mit sich abgeschlossen, sodaß der Begriff eines absoluten Staats, gemäß dem zweideutigen Ausspruch: Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig, eben so verderblich, als

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§. 514. Schon in der eigenthümlichen Fortbewegung der Systeme für Recht und Billigkeit, für Verwaltung und Gultur liegen Keime der Alteration und des Verfalls in das Schlechtere verborgen, die, wo fie unbeachtet bleiben, nicht ermangeln, fich wirksam zu äußern. Zwar das Rechts- und das Lohnsystem gewinnen immer mehr Bestand und Zuneigung, je sorgfältiger fie gepflegt und streng gehandhabt werden: verändert sich indessen der Gleichgewichtspunct des gesellschaftlichen Wollens (§. 457), dann laufen auch fie Gefahr, harte Stöße zu empfangen, die rückwärts auf jenes Wollen einfließen, und dasselbe in mißliche Schwankungen verseßen. Davon weiß die Geschichte Viel zu erzählen! Geist der Verwaltung fördert das allgemeine Wohlsein: aber die Befriedigung des Begehrens entfesselt den Ungestüm vieler anderen Begierden, die weit entfernt find, vorgezeichnete Bahnen zu verfolgen; Genußsucht ist der faule Fleck der Gesellschaft. Überdieß verstößt die Verwaltung so leicht gegen Recht und Billigkeit: also wirkt sie überhaupt wider ihre Abficht (S. 505). Handelt sie wol gar mehr mit nachgiebigem Wohlwollen gegen das Ganze, als aus dem Mittelpunct des gesellschaftlichen Gewissens, heraus, dann täuscht sie sich selbst, und erfährt keinen Dank. Das Cultursystem weckt Kräfte und spannt deren Wetteifer: gleichwol droht es durch Zertheilung der Strebungen und Concen

tration der Virtuositäten auf gesonderte Puncte in fich selber zu zerfallen; Mittheilung und Verständigung werden schwieriger; das Gefnchte tritt an die Stelle des Natürlichen, Wahren und Classisch - Schönen; das fittliche Bewußtsein geräth in Verwirrung, indem die einfachen Elemente desselben geringschäßig behandelt und durch falschen dialektischen Schmuck entstellt werden; die verschiedensten Sinnesarten machen sich gelten, und die gemeinsame Beseelung geht verloren. Durch dieß Alles wird der Charakter der Gesellschaft in seinen innersten Tiefen verderbt. Dazu kommt, daß auch die ursprüngliche Energie der Wollenden seht verschieden ausfällt, und die Gefittung deshalb nicht auf Alle gleichmäßig zählen und sich stüßen kann; daß die rechtskräftige Gütervertheilung dem persönlichen Willen des Einzelnen einen Coefficienten giebt, durch welchen das Quantum des wirklichen Wollens bestimmt wird, die größeren Befungen aber nicht durchweg Eigenthum der größeren Energie.. find; daß das Product der Größe der Güter in die Stärke des Willens keinesweges bleibend ist, sondern fich wandelbar zeigt, indem theils die Besizer wechseln, theils Umstände das Quantum des Besizes abändern; daß, während einerseits wirksame Mächte aus dem Zusammenhange des gesellschaftlichen Ganzen verschwinden, anderseits fortgehend neue und ganz andere Kräfte entweder frisch auftreten, oder durch nähere Verbindungen sich bilden, wodurch Wandlungen der Bewegungsgesehe in die Gesellschaft kommen (§. 434 fl.); daß häufig, in Folge von herkömmlichen Vorrechten, Convenienzen und geschichtlichen Erinnerungen, künstliche Persönlichkeiten und fingirte Kräfte den Plag der natürlichen und wahren Willen einnehmen, gleichwol nur wirkliche Mächtigkeiten den gesellschaftlichen Druck zu ertragen, und diejenige Thätigkeit zu entwickeln vermögen, die bei der jeweiligen gesellschaftlichen Bewegung sich als nachhaltig erweist. Also kann die Gesellschaft auf nichts mit unzweifelhafter Sicherheit fußen, sondern muß, ohne gehörige Beachtung ihrer inneren Zustände, des Verfalls in das Schlechtere stets gewärtig sein. Vorhandene Formen erhalten, bei einer fortstrebenden Bewegung der Gesellschaft, gleichviel ob zum Bes

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