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baren Empfindung unwillkührlich vorgezogen, das Unange= nehme eben so unwillkührlich verworfen. Wohlgerüche, füße Speisen, eine gelinde Wärme find angenehm; körperliche Schmerzen, bittere Arzeneien, übles Wetter find unange= nehm; gleichviel, ob man ein Gewicht darauf lege und sich etwas daraus mache, oder nicht. Dieß unwillkührlich, unmittelbare Vorziehen und Verwerfen, das mit dem Ent= schluß, wie man es mit dem Angenehmen und Unangeneh= men halten wolle, nichts zu schaffen hat, kündigt sich als ein Prädicat an, dem jedoch das Subject, welchem es beigelegt würde, fehlt. Denn nicht jene Gegenstände, durch welche solche Gefühle erregt werden, find das Angenehme und Unangenehme, sondern Angenehmes und Unangenehmes liegen in der Empfindung, mittelst deren das eine vorgezogen, das andere verworfen wird; und die Empfindung ist ein Zustand des Empfindenden selbst. Wo nun ein Prädicat fich merklich zeigt, da giebt es nicht eine einfache Vorstellung; sondern man hat es mit einem Mannigfaltigen und Zusammengeseßten zu thun. Roth ist Roth und nichts weiter; es ist prädicatlos, eine sich selbst gleiche Identität: ein einfacher Ton ist er selbst und nicht mehr. Erst eine Zusammenfass= sung von Tönen oder Farben bekommt ein Prädicat, und. wenn die Zusammenfassung ästhetischer Art ist, ein Prädicat des Beifalls oder des Tadels. Deshalb muß vorausgeseht werden, daß auch den Prädicaten des Angenehmen und Unangenehmen eine Vielheit von einfachen Empfindungen zu Grunde liege, die sich indessen nicht sondern und einzeln hervorheben lassen, damit sie als gleichgiltige, in ihrer Einfachheit nur sich selbst gebende Subjecte erscheinen. Das Angenehme und Unangenehme hat dann seinen psychologischen Grund, wie die ästhetischen Urtheile, in der Verschmelzung. vor der Hemmung (S. 464). Freilich leuchtet hierbei auch der große Unterschied und das Gewicht der ästhetischen, Urtheile vor den Empfindungen des Angenehmen und Unange= nehmen ein. Für die Ästhetik lassen sich die einfachen Vorstellungen der Farben, Töne, Raumpuncte und dergl. sondern; sie können nach ihrer Gleichartigkeit und ihrem Gegensaß erwogen, und von den Prädicaten, welche Beifall und

Mißfallen aussprechen, unterschieden werden. Nicht so bei den Gefühlen des Angenehmen und des Unangenehmen. Dennoch find die leztern, obgleich auf andere Weise, ebenfalls von durchgreifender Bedeutung. Der Mensch wurzelt mit den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen, weil fie großentheils das Leben selbst bedingen, tief in der Natur. Es giebt Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten, über welche man sich nicht so leicht hinfortzusehen vermag,' wie über Wohlgerüche und füße Speisen einerseits, oder Migräne und elektrische Schläge anderseits.

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§. 467. Die Form, unter welcher Begierden erscheinen, ist folgende. Es sei eine Vorstellung ß im Bewußtsein gegenwärtig; zugleich erhebe sich eine dem Bentgegengesezte Vorstellung a, welcher es durch ihre Verbindung mit einer dritten Vorstellung a möglich wird, sich gegen den Druck von S emporzuarbeiten (§. 431): so erlangt a die Befriedigung eines, soweit es die Bewegungs- und Gleichgewichtsgeseße zulassen, ungehemmten Zustandes. Ist die Befriedigung vollständig, dann wird ß aus dem Bewußtsein gänzlich verdrängt; es sinkt unter die statische Schwelle: ist sie's nicht, so wird die Lage dieser Vorstellungen der Sig eines beklemmenden Gefühls (§. 462), welches fich als Sehnsucht oder Begierde nach dem durch & vorgestellten Object äußert, indem dieses, durch B zurückgestoßen und durch a hervorgetrieben, in einer mißlichen Schwebe bleibt (§. 430). Schon eine einfache Complerion a+a, in ihrem Gegensatz gegen ß, reicht hin, das Streben des Begehrens zu verursachen. Aber kann in weitgreifenden Verbindungen mit anderen Vorstellungen stehen: sein mitverbundenes a kann eine rückwärtslaufende Reihe a', a", a' .... hinter sich haben; eben so mag mit ɑ eine zweite Reihe b, b', b′′....., oder eine dritte e, c', c"..... zusammenhangen; desgleichen mögen von jedem Gliede jeder Reihe viele Seitenreihen auslaufen, und auf die mannigfaltigste Weise untereinander complicirt und verschmolzen sein. Alsdann geräth, wenn dem a ein Hinderniß begegnet, diese ganze Vorstellungsmasse in Bewegung, und schwillt gleich einem Strom vor einem Damme an, um mit der gesammel

ten Kraft aller Tropfen, hier jeder einzelnen Vorstellung, entgegenzuwirken. In jeder Vorstellungsreihe, und so auch in größeren Verwebungen, liegt ein eigener Rhythmus, nach welchem fie fich entwickeln (S. 443); jede steigende Vorstellung bringt ihre Vorhergehenden und Nachfolgenden auf eine geseßmäßig bestimmte Weise in's Bewußtsein (§. 446); jede hat ihre Geschwindigkeit, mit welcher sie vorrückt, sodaß auch die schwächern zu den stärkern stoßen und mit diesen zu einer gemeinsamen Wirksamkeit gelangen (§. 439). Reichen die bedeutenderen Kräfte nicht aus, so dienen die geringeren nicht zur Begünstigung, sondern kommen mit in Rechnung (§. 442). Endlich bricht jede Vorstellung, wo sie kann, gemäß den correspondirenden Zuständen des Leibes, in ein äußeres Handeln aus, wodurch neue Wahrnehmungen und veränderte Gefühle entstehen, die, ihrerseits mit den herrschenden Vorstellungen verschmelzend, diese verstärken, oder andere wecken, um das Getriebe des Wollens und Handelns weiter fortzusehen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Im Bewußtsein sei das unangenehme Gefühl des Durstes vorhanden: mit ihm zugleich steht in demselben, obgleich großentheils gehemmt, das Vorstellen des entgegengeseßten angenehmen Gefühls der Stillung des Durstes; aber mit dem lehtern ist das Vorstellen eines Getränks, etwa des Wassers, complicirt, von welchem dann andere Vorstellungen rückwärts auslaufen, nach der Weise, wie man jenes zu fodern oder sich selber zu verschaffen habe; dieß Vorstellen, das dem Durstenden seine Umgebung vorbildet, geht sogleich in ein entsprechendes Handeln über, und es würde sich immer tiefer verwickeln, falls ihm nicht leicht Genüge geschähe. Hier zeigt fich offenbar, wie das Verlangen und dessen Befriedigung ganz und gar eine Sache des Vorstellens ist: das genoffene Getränk dringt sicher nicht in's Bewußtsein, vielmehr bewirkt es nur, auf Veranlassung des veränderten körperlichen Zustandes, ein anderes Lagenverhältniß der betreffenden Vorstellungen. - Weil alles Wollen, das höchste, wie das geringste, nach dem obigen Schema erfolgt, ohne daß es dabei auf das Objective der Vorstellungen, sondern allein auf das Drängen derselben gegen eine hemmende Schranke an

kommt; so ist es begreiflich, wie die Psychologen auf die Annahme eines eigenen Begehrungsvermögens gerathen konnten. Dennoch gilt der Saz: Ignoti nulla cupido, das heißt, es giebt kein Begehren, wenn nicht bestimmte Vorstellungen gegeneinander in Wirksamkeit treten. An Erregung der mannigfaltigsten sogenannten reingeistigen Gefühle wird es überdieß beim Begehren nicht leicht fehlen: das Hauptgefühl ist das Gefühl der Befriedigung, welches aus dem Gegensatz des Resultats des Wollens mit dem reproducirten Beginn des leßtern hervorgeht. Das Eigenthümliche des Begehrens und Wollens ist indessen immer das Aufstreben gewisser Vorstellungen zu einem ungehemmten Zustande (§. 436). Fichte bezeichnete das Wollen als die reelle Seite der Intelligenz, aus keinem andern Grunde, als weil jenes nicht umhin kann, handelnd in die Wirklichkeit einzugreifen.

S. 463. Auch den Verabscheuungen liegt ein Begehren zu Grunde, nämlich nach einer Entfernung des verabscheuten Gegenstandes, dessen Vorstellung im Bewußtsein sinken soll. Der Unterschied zwischen Begierde und Abschen besteht darinn, daß bei jener die Vorstellung des begehrten Objects die vorherrschende, durch ihre Verbindungen unterstüßte und getragene, und deshalb in der Regel mächtigere ist, beim Abscheu dagegen der Gegenstand desselben hervorragt, wider welchen fich viele andere Partialvorstellungen emporarbeiten, ohne daß fie, wegen mangelnder Concentration in Einer Hauptvorstellung, zu einer entscheidenden Wirksamkeit gelangen. Im Abscheu herrscht nur ein Allgemeingefühl der Beklemmung, bis dadurch etwa ein bestimmtes Wissen und Wollen geweckt wird, welches sich wirksam erweist. So äußert sich häufig Unzufriedenheit mit anerkannten Mißbräuchen und Fehlern, obgleich es an Kraft gebricht, ihnen gehörig zu begegnen.

S. 469. Affecten find vorübergehende Abweichungen der Vorstellungen von dem Zustand des Gleichgewichts. Die Abweichung kann nach zwei entgegengeseßten Seiten geschehen: entweder so, daß eine größere Menge von Vorstellungen in's Bewußtsein tritt, als darinn den Gleichgewichts

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gesehen zufolge bestehen kann, wie bei der Freude und dem Zorn; oder so, daß mehrere Vorstellungen aus dem Bewußtsein verdrängt werden, als das wahre Verhältniß derselben dauernd erträgt, wie bei der Furcht und dem Schred. Dort ist die Hemmungssumme zu groß; diejeni gen Vorstellungen, welche den ruhigen Menschen beherrschten, werden dadurch meistens auf die statische Schwelle geworfen; der Mensch kann sich selbst vergessen: hier ist die Hemmungssumme zu klein; die sonst herrschenden Vorstellungsmassen finken unter ihren statischen Punct und gelangen großentheils zur mechanischen Schwelle; der Mensch fühlt sich in einem höchlich gepreßten Zustande. Dort entwickeln sich kraft einer ungewöhnlichen Verschmelzungshilfe (bei der Freude), oder auf Veranlassung einer unerwarteten Hemmung (beim Zorn), durch ein stark ausgebildetes Selbst entbundene Vorstellungen (§. 459, III) nach ihrem inwohnenden Nhythmus und treiben den Menschen zu einem vielfach unbeherrschten Handeln, dem ein eben so rascher und ungeordneter Wechsel von Gefühlen entspricht: hier drückt ein gewaltsam beschränktes Vorstellen mächtig auf die augenblickliche Hemmung zurück, und das verhaltene Gefühl folgt der nämlichen Richtung. Dort, wie hier, kann der Zustand und seine Gefühle nur vorübergehend sein. Die Affecte beweisen augenfällig, daß das Gefühl nichts Selbstständiges, sondern von den Verhältnissen unter den Vorstellungen Abhängiges sei, woher nichts unrichtiger ist, als mit der Erfahrungsseelenlehre die Affecten für vorzüglich gesteigerte oder deprimirte Gefühle zu erklären. Das Gesteigerte oder Unterdrückte ist das Vorstellen selbst, und zwar allemal bestimmte Vorstellungen: die Gefühle find davon nichts. weiter, als begleitende Folgen, Ausdrücke des Lagenverhältnisses der Vorstellungen untereinander. Aber eben so sehr zeigt sich der Einfluß des Körperlichen an den Affecten: die Mitleidenschaft, in welche der Körper durch sie verscht wird, und dann rückwärts durch seine Erregung auf den Fluß der Vorstellungen einwirkt (§. 460), rührt her von dem starken Wechsel der Bewegungsgeseße, die hier sämmtlich in Betracht kommen. (§. 434 fl.). Darum ist auch die habituelle Stim

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