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theidigen: es ist der Cherub mit dem flammenden Schwert, der sich vor die Pforten der Moral und Religion stellt, um Unwürdige und Ungeweihte abzuwehren, und nicht zuzugeben, daß das Heiligthum geschändet werde. Weiter nichts, als dieß, thut das Gefühl; aber gewiß thut es damit doch etwas Großes!

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§. 180. Fällt aus dem Ersten Schleiermacher'schen Haupsah (§. 172) der Begriff des Gefühls, als wissenschaftlich unbestimmt (§§. 176-178), hinweg, so bleibt noch der andere Ausdruck desselben übrig, daß nämlich Frömmigkeit oder Religion eine Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins ist. Darinn liegt indeffen eine Unbestimmtheit; denn es fragt sich: von welcher Art ist jene Bestimmtheit? Darum fügt Schleiermacher's Zweiter Hauptsag hinzu: Das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit ist dieses, daß wir uns unser selbst als schlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt find (§. 173). Wir unserseits leugnen die Identität des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls mit der Beziehung auf den theistischen Gottesbegriff (§. 175), um welchen es doch allein zu thun ist (§. 154), und erklären die Religion also: Religion ist ein durch den theistischen oder allgemeingeschichtlichen Gottesbegriff (§. 39 fl.) bc= stimmtes Selbstbewußtsein. Die Art der Bestimmt= heit beruht auf dem Glauben, so daß Religion Einheit des Menschen mit Gott, im Glauben und kraft des Glaubens, ist (§. 42). In der That, man seße an die Stelle des Schleiermacher'schen Gefühls den Begriff des Glaubens, so hat man das Rechte. Sofern das Gefühl, in religiöser Bedeutung, fich empfiehlt, geschicht dieß einzig dadurch, daß es die Stelle des Glaubens vertritt (§. 179). Aber im Glauben liegen alle Drei Elemente des Selbstbewußtseins, Wissen, Thun und Fühlen: einen lebendigen Glauben giebt es nicht, wo irgendeines der Drei als unwesentlich zurücktritt; das Gefühl, allein genommen, ist verdächtig. Der Glaube stellt das wahre Princip der Religion dar. Wäre der Glaube, an und für sich selber,

oder unmittelbar, wie er ist und sich macht, klar und deutlich, dann bedurfte es keiner Religionsphilosophie: daß er es nicht ist, beweisen die vielen wissenschaftlichen Bemühungen um ihn von allem Anfang her. Der angegebene Religionsbegriff ist also nur ein Erkenntnißprincip (§§. 37. 38), und als solches ein Problem für die Speculation. Ob demselben genügt worden, davon wird die Probe die sein, daß der Ursprung, die Bildung, die Berechtigung und Nothwendigkeit des theistischen Gottesbegriffs, sowie seine Wirksamkeit, oder die Art der Bestimmung des Selbstbewußtseins durch den religiösen Glauben, in ein volles Licht trete. Die Allgemeine Religionsphilosophie kennt keine andere Aufgabe, und hat derselben schlechthin Folge zu leisten (§§. 5. 42. 47).

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§. 181. Die religiöse Reflerion der Christlichen Welt ist Erzeugerinn einer speculativen Reflerion gewesen (§. 51. fl.). Diese war und ist noch jezt hauptsächlich eine logische (§. 55 fl. §. 130. §. 159 fl.). Das reinste, durch Kant außer allem Zweifel festgestellte Ergebniß derselben ist die Gewißheit der Subject-Objectivität aller Erkenntniß oder der Begriff der Welt als Erscheinung und Vorstellung (§. 14 fl.). Kant suchte einen wissenschaftlichen Erfahrungsbegriff (§. 140 fl.): aber die Wissenschaft duldet keinen willkührlichen Stillstand dieses Strebens, vielmehr schließt der erste Schritt zur Wissenschaft auch die Bedingung und Nothwendigkeit des leyten Schritts in sich (§. 8). Kant's transscendentaler Idealismus genügt sich selber nicht, sondern weiset über fich hinaus auf eine Ontologie, von welcher er gehalten und getragen sein will (§. 17). In Ermangelung fester ontologischer Grundlagen schweben Moral und Religion in Gefahr (SS. 29. 157). Nur bei Leibnis finden sich Anfänge einer

eigentlichen Ontologie (§. 90 fl.). Sollte der absolute Idealismus Fichte's, Schelling's und Hegel's, der nunmehr zur Untersuchung kommt, nicht besser begründet, als der Kantianismus, erscheinen; so hat die Speculation Leibnizens Spur zu verfolgen, und zwar um so zuverfichtlicher, wenn im absoluten Idealismus selbst nichts Anderes, denn ein unruhiges und sich mißverstehendes Suchen nach einer haltbaren Ontologie zu erkennen wäre.

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Zweites Buch.

Der absolute Idealismus als Quell und Gegenstand der Religion. Oder die Theosophie.

S. 182. 18 man auf dem Übergang von Kant's transscendentalem Idealismus zu dem absoluten Idealismus Fichte's denn, was Schelling und Hegel bieten, find Gaben aus zweiter und dritter Hand, — darnach fragte, was wol das Kant’sche Ding an sich für eine Bedeutung habe, wenn es weder irgendwo noch irgendwann ist, wenn es weder Substantialität besigt, noch ein Accidens sein kann, keine Größe hat, auch in keiner Art pofitis oder negativ sich denken läßt, nichts thut, nichts leidet, nichts Wesenhaftes noch Scheinbares ausdrückt, weder möglich noch unmöglich, nicht wirklich oder unwirklich, nicht nothwendig, nicht zufällig ist, weil solche Bestimmungen, dem Kant'schen Standpunct zufolge, auf subjectiven nur für die Erscheinungswelt giltigen Begriffen beruhen (§. 13 fl.): so war es der Begriff einer, nach Kant's Principien, völlig unvollziehbaren Sehung, welchen man vermißte. Als sich ferner die Frage erhob nach der Einheit der von Kant aufgestellten Formen des Erkennens und Denkens, welche nicht bloß gegeneinander relativ – verschieden, sondern die einen, wie die anderen, abermals in sich in ein Relativ – Mannigfaltiges zerfallen; oder als man nach dem sich selbst gleichen Wesen der Vernunft forschte, die, theils theoretisch, theils praktisch, dennoch Ein und dieselbe Vernunft ist: - so war es der

Begriff der reinen Seßung, der gefodert wurde. Warum wollte man die Kant'sche Sprechweise vom Ding an sich nicht dulden? Warum suchte man so ämsig nach einer Einheit alles Wissens? (§. 26 fl.). Das Erste, weil es ein Widerspruch ist, von einem Etwas zu reden, das nichtsdesto, weniger ein Nichts ist, von einem Nichts, welches für ein Etwas gelten will, in welchen Widerspruch des SeinNichts die gesammte Erscheinungswelt mit hinabgezogen wird. (§. 19): das Zweite, weil ein Relativ-Mannigfaltiges, welches, als solches, keine Schung erträgt (§.56), dennoch, als ein gegebenes Nicht-Nichts, was es ist, auf Segung Anspruch macht; kann diese keine relative, so muß fie eine reine Sehung sein, kraft deren fich die reale Einþeit des Mannigfaltigen begriffsmäßig herausstellt (§. 37). Beide Fragen, sowohl die nach der Natur des Dings an sich, als die andere nach der Einheit alles Wissens, waren also durch den gegebenen Widerspruch des Sein - Nichts der Erscheinungen geweckt worden, ein Princip, welches, obgleich unerkannt, allem Forschen von Jeher Triebkraft und Schwung verlichen hat (§. 123 fl. §. 149 A.).

§. 183. Fichte schien der Mann zu sein, der berufen war, Licht zu schaffen. Gleichwol arbeitete Fichte nicht ohne Vorgänger und Theilnehmer. Reinhold's höchster Grundsah als umfassendes Princip alles Vorstellens, Beck's Hinausweisung des Dings an sich aus der Wissenschaft, Maimon's Verlangen nach einer besseren Deduction der Kategorien, als jene, die sich im Kreise umherdrehe, des Änefidemus (G. E. Schulze) Ablehnung eines unbegründeten, in sich widersprechenden Idealismus, führten auf den Weg. Überhaupt arbeiteten die Streitigkeiten auf dem Gebiet der Kant'schen Philosophie, Freunde und Feinde, der Wissenschaftslehre in die Hände. Fichte erkennt seine Vorgänger an 1); und wäre das nicht, so ist es Aufgabe der Geschichte, Thatsachen festzustellen.

"

1) Begriff der W. L. Vorrede zur ersten Ausgabe. Philosophisches Journal von Fichte und Niethammer, bei Gelegenheit der Einleitung in die W. L. Und in der W. L. selbst.

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