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schreitet Schulze, wie Locke (§. 8) und Andere, mit empirischen Begriffen die Empirie, und verfällt in den von Kant gerügten Fehler (§. 140). Es giebt, nach ihm, unmittelbare Erkenntnisse, sowohl äußere als innere, wenn es gleich vergebliche Mühe ist, die Eristenz der Dinge in der Natur, ihr Sein, das Verhältniß derselben zu Naum und Zeit, ihr Werden und dessen ursächliche Verknüpfung, erforschen zu wollen, um darüber mehr Licht zu erhalten, als das unmittelbare Bewußtsein schon gewährt. Aber der Mensch ist, gemäß seiner ursprünglichen Einrichtung, ob zwar nicht besser, der Erkenntniß der Wahrheit und der Entdeckung der Irrthümer fähig; was seiner Erkenntnißweise angemessen ist, muß er für wahr halten. Nun wohnt dem Menschen das Bestreben bei, die Ursachen des Entstandenen oder des der Eristenz nach Nothwendigen aufzusuchen; und sieht er sich genöthigt, Ursachen außer der Welt zu sehen, so muß er ihnen eine Wirksamkeit beilegen, die entweder der Wirksamkeit des Körperlichen, oder des Geistigen, wenn nicht vollkommen gleich, so doch analog ist. Dieß, sowie die Überzeugung, daß das Nichts keine Ursache von Etwas sein könne, gehört zu den Urwahrheiten im menschlichen Geiste. Vom Dasein des Menschen einen höchsten und unbedingten Grund anzunehmen, und wegen der Anlagen im Menschen diesen Grund für ein geistiges Wesen und eine Intelligenz zu halten, ist nothwendig: denn das Bewußt- und Vernunftlose läßt sich nicht als die Quelle des Bewußten und Vernünftigen anerkennen. Weil aber bei diesem Fortgange der Vernunft zu Gott auf die Kenntniß der menschlichen Natur soviel ankommt, und diese Kenntniß den Fortgang hauptsächlich bewirkt, so kann ihm der Name Anthropo-Theologie beigelegt werden 2). – Ob es wol möglich ist, die Anthropo- Theologie, die, wie sehr sie sich auch sublimire und verfeinere, dennoch ihren Charakter beibehält, gänzlich aufzugeben? Und ob die Quellen derselben bereits zur Genüge erforscht sind?

1) Herbart, Commentatio de realismo naturali, qualem proposuit Th. E. Schulzius. Jubiläumsprogramm der Georgia Augusta. 2) G. E. Schulze, Grundriß der philo, sophischen Wissenschaften, Psychische Anthropologie, und Ueber

die menschliche Erkenntniß. S. 173 fl. des letteren Werks von dem Verhältnisse Schulze's zu Jacobi.

Drittes Capitel.

Schleiermacher's Gefühls - Absolutismus.

§. 172. Der kräftigste Vertreter der Gefühlstheorie in der Religion ist Schleiermacher. Auch für die höchste Stärke des gegenständlichen Bewußtseins und des aus sich herausgehenden Handelns, lehrt dieser Philosoph und Theolog, giebt es ohne die Vollständigkeit des Gefühls auf dem Gebiete der Religion keine Sicherheit 1). Die Frömmigkeit, rein für sich betrachtet, ist weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins. - Sie ist kein Wissen: denn Niemand werde behaupten, daß das Maaß des religiösen Wissens in einem Menschen das Maaß seiner Frömmigkeit sei, vielmehr annehmen, daß mit gleicher Vollkommenheit jenes Wissens sehr verschiedene Grade der Frömmigkeit bestehen können, und mit gleich vollkommener Frömmigkeit sehr verschiedene Grade des Wissens; wolle man aber bei dem religiösen Wissen nicht sowohl den Inhalt dieses Wissens, sondern die inwohnende Gewißheit, Überzeugungstreue, oder, wie man es nennt, den Glauben verstanden sehen, so müsse es mit dieser Gewißheit hier ein anderes Bewandniß haben, als sonst auf den eigentlichen Gebieten des Wissens, wo die Überzeugung kein anderes Maaß hat, als die Klarheit und Vollständigkeit des Denkens selbst. Unzweifelhaft ist die religiöse Gewißheit eine Gefühlsbestimmtheit. Die Frömmigkeit ist kein Thun: denn einmal könne sie nicht durch den Inhalt des Thuns bestimmt sein, indem die Erfahrung lehrt, daß neben dem Vortrefflichsten auch das Scheußlichste, neben dem Gehaltreichsten auch das Leerste und Bedeutungsloseste als Fromm und aus Frömmigkeit gethan werde; dann aber auch nicht durch die Form, inwiefern diese mit dem innern Antrieb zum Thun und dem Erfolg zugleich gegeben ist, indem der mehr oder weniger

befriedigende Erfolg kein Zeichen der Frömmigkeit ist, der Antrieb aber, für sich genommen, wieder an einer Vestimmt= heit des Selbstbewußtseins oder einem Gefühlszustand haftet.— Auch werde Niemand leugnen, daß es Gefühlsbestimmungen gebe, welche wir, wie Reue, Zerknirschung, Zuversicht und Freudigkeit zu Gott, an und für sich fromm nennen, ohne Rücksicht auf ein daraus hervorgehendes Wissen und Thun. Gleichwol gehören Wissen und Thun gar sehr zur Frömmigkeit, aber keines von beiden mache das Wesen derselben aus, sondern nur insofern, als das erregte Gefühl theils in einem Denken, wodurch es firirt wird, zur Ruhe kommt, theils in ein Handeln, sich darstellend, sich ergießt: dort wird es Gegenstand der Betrachtung, þier tritt es wirksam aus sich heraus 2).

1) Der Chriftliche Glaube u. f. w. Th. I. S. 35. 2) ib. S. 7 fl.

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§. 173. Das Gefühl wird durch das Bewußtsein einer schlechthinigen Abhängigkeit zu einem frommen. Denn das Gemeinsame, lehrt Schleiermacher, aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit, wodurch diese sich zugleich von allen anderen Gefühlen unterscheiden, also das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit, ist dieses, daß wir uns unser selbst als schlechthin abhängig, oder, was daffelbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind. Nämlich in jedem Selbstbewußtsein find zwei Elemente, ein Sichselbstschen und ein Irgendwiegewordensein, vorhanden; jenes ist das Bestimmende, oder Selbstthätigkeit mit einem Freiheitsgefühl verbunden, dieses ist Bestimmtheit, oder Empfänglichkeit und Quell eines Abhängigkeitsgefühls. Nun ist unser Selbstbewußtsein, als Bewußtsein unseres Seins in der Welt oder unseres Zusammenseins mit der Welt, eine Reihe von getheiltem Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl; schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl aber, das heißt, ohne ein auf dasselbe Mitbestimmende bezügliches Freiheitsgefühl, oder schlechthiniges Freiheitsgefühl, das heißt, ohne ein auf dasselbe Mitbestimmende bezügliches Abhängigkeitsgefühl, giebt es in diesem ganzen

Gebiete nicht; auch bei der strengsten Abhängigkeit übt der Einzelne, ohne das Verhältniß zu lösen, Gegenwirkung aus, wie anderseits in der absolutesten Alleinherrschaft dem Gebieter ein leises Abhängigkeitsgefühl nicht fehlt. Schlechthiniges Freiheitsgefühl kann es überhaupt nicht geben, weil unser ganzes Dasein uns nicht als aus unserer Selbstthätigkeit hervorgegangen zum Bewußtsein kommt. Mit dem schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl dagegen ist es anders bestellt: denn eben das unsere gesammte Selbstthätigkeit, also auch, weil diese niemals Null ist, unser ganzes Dasein und mit ihm alle Freiheit, verneinende Selbstbewußtsein, welches uns begleitet, ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthiniger Abhängigkeit; denn es ist das Bewußtsein, daß. unsere ganze Selbstthätigkeit eben so von anderwärtsher ist, wie dasjenige ganz von uns her sein müßte, in Bezug worauf wir ein schlechthiniges Freiheitsgefühl haben dürften. Dieses Anderwärtsher oder Woher, welches in unserem Selbstbewußtsein mitgesezt ist, wird mit dem Ausdruck Gott bezeichnet. Sich schlechthin abhängig fühlen und sich seiner selbst als in Beziehung auf Gott bewußt sein ist einerlei: die Vorstellung Gott ist nur die unmittelbarste Reflerion über das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl, welches erst dadurch, daß diese Vorstellung wird, ein klares Selbstbewußtsein ist 1). 1) Der Chr. Gl. S. 16 fl.

§. 174. Überseßen wir diese Schleiermacher'sche Dialektik in eigentliche Ausdrücke, so besagt sie dieß. Das Selbstbewußtsein des Menschen, und mit ihm die Welt als Erscheinung, ist eine Subject-Objectivität (§. 14). Das Objective und Subjective stehen darinn in Wechselwirkung: die Einwirkung des Subjectiven auf das Objective ist Selbstthätigkeit, Freiheit und Freiheitsgefühl; die Einwirkung des Objectiven auf das Subjective ist Bestimmtheir, Abhängigkeit und Abhängigkeitsgefühl. Nun ist kein Subject ohne Object, und kein Object ohne Subject: wie sehr auch das Subject vergrößert oder verallgemeinert werde, immer steht ihm, solange es Subject bleibt, ein Object gegenüber, wenn auch nur als ein Kleinstes; absolute Subjectivität ist undenkbar 1). Also kann es kein schlechthiniges Freiheitsge

fühl, das die Vernichtung alles Objectiven vorausseßt, geben. Eben so wenig ist in diesem Sinne ein schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl möglich; denn, wie sehr auch das Objective durchgreife, solange es ein Objectives bleibt, widersteht ihm die Subjectivität, ohne ihm absolut zu unterliegen 2). Aber in einem anderen Sinne giebt es allerdings ein schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl: nämlich das ganze Selbstbewußtsein und Alles, was ihm angehört, also das gesammte Weltbewußtsein, oder die Welt als Erscheinung und SubjectObject, wie sie in das Selbstbewußtsein des Menschen fällt, kann durch Reflexion verneint werden; die Welt und unser Dasein mit ihr, sagt die Reflerion, ist ein Zufälliges und Nichtiges, das seine Nothwendigkeit anderwärtsher hat. Dieß Woher, auf welches sich das Selbstbewußtsein hingewiesen fühlt, und welches in ihm mitgesezt wird, ist Grund des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls und ergiebt die Vorstellung von Gott. Ohne alles Freiheitsgefühl, sagt Schleiermacher, wäre aber ein schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl nicht möglich 3), das heißt hier, ohne ein Wissen von der Welt und von uns selbst könnte auch nicht von Abhängigkeitsgefühl die Rede sein.

1) Der Chr. Gl. Th. I. S. 17.

3) ib. S. 22.

2) ib. S. 21.

§. 175. Offenbar ist Schleiermacher's schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl nichts Anderes, denn ein neuer Ausdruck für den wohlbekannten kosmologischen Beweis vom Dasein Gottes (§. 152). Schleiermacher fühlt, was Andere begreifen wollten. Vermöge jenes Beweises wird nach Verneinung der Welt der Erscheinungen im Wege der Reflerion auf ein Etwas als eine absolutnothwendige Einheit und Realität hingewiesen; nur läßt sich diese, was sie sei, begriffsmäßig nicht näher bestimmen. Darum lehrt auch Schleiermacher, die Vorstellung Gott sei nur die unmittelbarste Reflerion über das Abhängigkeitsgefühl, jeder anderweitige Inhalt dieser Vorstellung müsse erst aus dem Gefühlsgehalt entwickelt werden 1). Freilich ist es schlimm, daß das Abhängigkeitsgefühl kein sicherer Gewährsmann religiöser Wahrheit ist. Schleiermacher gesteht selbst, daß es auch eine unfromme

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