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in diesen Zusammenhang (§. 15). Freilich kennt man bei Kant weder Säure noch Base der Erkenntniß ihrer wahren Natur nach, also auch nicht eigentlich deren chemisches Product, die Erscheinungswelt. Es fehlt dafür der ontologische Begriff bei Kant (SS. 17. 125 fl.), wie bei Des - Cartes (S. 79 fl.).

1) Kr. d. r. V. S. 214.

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S. 143. Kant ist ein Mann, der das ganze Gewicht der Erfahrung auf seiner Seite hat. Wo ein solcher auftritt, ausgerüstet mit Verstand und Umficht und von recht= licher Gesinnung, sei er Philosoph, oder habe er es sonst mit einer Wissenschaft und Kunst zu thun, gehöre er den Geschäften des bürgerlichen Verkehrs, oder der Kirche, dem Staatsdienst und der Politik an, überall ist er willkommen und seine Wirksamkeit des Erfolges und Beifalls gewiß. Aber die That geht mit den Männern des Ruhms dahin; die Wissenschaft sucht das Bleibende und Schlechthin – Wahre. Kant's Erfahrungsbegriff wankt und schwankt in allen seinen Theilen (§. 17 fl.). Obgleich den Vorhof für die Speculation bildend (§. 140), vermag Erfahrung nicht auf sich selbst zu ruhen: scheinbar fest in den niederen Sphären des Bewußtseins, erbebt fie, bei einigem Fortschritt der Cultur und einer stärkeren Aufregung des Lebens, in ihren Tiefen, und gefährdet dadurch alles Wissen und Thun, alle Sittlichkeit und Religion, bis in die geringsten Kreise hinab. Denn Erfahrung ist voll von Widersprüchen (S. 18 fl.). Die Lösung und Zurückdrängung derselben sichert der Menschheit allein einen weiteren Fortschritt und gewisse Bewahrung der bereits erworbenen Befigthümer. Das Vernünftige ist das Widerspruchslose. Darum konnte die Philosophie bei Kant nicht stehen bleiben. Alle Nothwendigkeit und Algemeingiltigkeit der Erkenntniß gründet sich nach Kant auf gewisse Begriffe a priori. Aber die Kant'schen Nothwendigkeiten sind nichts Besseres, als Thatsachen. Kant steht durchweg auf dem Standpunct psychologischer Nothwendigkeiten: psychologisch nothwendige Thatsachen dienen seinen Kritiken zu Befestigungspuncten. Es giebt

eine Empirie a priori, wie es eine a posteriori giebt. Beide find gleich ungenügend: die Wissenschaft verlangt eine Be= gründung des Nothwendigen durch sich selber. Woher die psychologischen Nothwendigkeiten und deren Wahrheit? Woher ihre Mannigfaltigkeit, der zufolge fie eine Einheit find und nicht find? Nur in der strengen Einheit liegt Nothwendigkeit (§. 92). Deshalb forschte Fichte, getrieben durch die Anforderungen des Zeitalters, nach dieser Einheit (A = A) (§. 34), und nun führte die Wissenschaft geradenwegs und unaufhaltbar in den absoluten Idealismus (S. 21 fl.).

S. 144. Rant erkennt selbst die Unvermeidlichkeit der Metaphyfit an. Daß der Geist des Menschen, sagt er, metaphyfische Untersuchungen einmal gänzlich aufgeben werde, ist eben so wenig zu erwarten, als daß wir, um nicht immer unreine Luft zu schöpfen, das Athemholen einmal lieber ganz und gar einstellen werden. Es wird also in der Welt jederzeit, und was noch mehr, bei jedem, vornehmlich dem nachdenkenden Menschen, Metaphysik sein, die, in Ermangelung eines öffentlichen Nichtmaaßes, jeder sich nach seiner Art zuschneiden wird. Nun kann das, was bisdaher Metaphyfit geheißen hat, keinem prüfenden Kopfe ein Genüge thun, ihr aber gänzlich zu entsagen ist doch auch unmöglich 1). — Anderwärts sagt Kant, man werde zur Metaphyfit, wie zu einer ungetreuen Geliebten, immer wieder zurückkehren, weil man ihrer, um wesentlicher Zwecke willen, nicht entrathen könne 2).- Allerdings, das Leben wendet sich hin zur Liebe, wie zu den Objecten seines Anschauens und seiner Thätigkeit, und in wissenschaftlicher Weise zur Erforschung des Trugs und des Unbestands dieser Liebe.

1) Prolegomena S. 192. — 2) Kr. d. r. V. S. 647.

§. 145. Kant's Gegenwirkung auf dem Gebiete der Philosophie traf die Wolf'sche Schule und nicht Leibnizen. Dieß bewährt sich schon durch die geschichtliche Stellung des Kant'schen Kriticismus, und nicht weniger durch die Art der Erklärungen Kant's gegen die Schulmetaphysik. Kant konnte wol sagen, daß sich seine Kritik zur gewöhnlichen Metaphyfik

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gerade so verhalte, wie Chemie zur Alchymie, oder, wie Astronomie zur wahrsagenden Astrologie, und daß er dafür stehe, daß Niemand, der die Grundsäge der Kritik auch nur in den Prolegomenen durchdacht und gefaßt habe, jemals wieder zu jener alten und sophistischen Scheinwissenschaft zurückkehren werde 1). Und diese Worte Kant's find eben= sowohl gegen die Scholastik, den Spinozismus und absoluten Idealismus, als gegen den Wolfianismus gerichtet. Denn jede Philosophie, die von den allgemeinsten Begriffen ausgehend, und dann mehr und mehr concrete Bestimmungen hinzufügend, diese Begriffe an und für sich selbst, unabhängig von der gegebenen Erfahrung, behandelt, hinterher aber in einer tumultuarischen Anwendung selbige auf das Gegebene überträgt, ist Wolfianismus, und umgekehrt. Allgemeinbegriffe find Abstractionen des Empirisch – Gegebenen und als solche unvollständig. In der Verallgemeinerung erfahrungsmäßig gegebener Begriffe stimmen die realistische Scholasti (S. 66), der Spinozismus (§. 88), der Wolfianismus (§.132 fl.), und der absolute Idealismus (§. 21 fl.) überein. Der Unterschied ist nur der einer geringeren oder größeren speculativen Kraft und Consequenz, mit welcher die Verallgemeinerung durchgeführt wird. Die Scholastik und Wolf halten ihre Allgemeinbegriffe logisch auseinander, und suchen dadurch Widersprüche zu vermeiden: Spinoza und der absolute Idealismus geben den logischen Begriffsverhältnissen ontologische Bedeutung im strengen Sinne, daher die Widersprüche. Nichtsdestoweniger ist es geschichtliche Thatfache, welche als solche verdient hervorgehoben zu werden, daß der Wolfianismus sich mit der Religion und Theologie besser vertrug, als der Spinozismus und absolute Idealismus, ja selbst mehr als die Kant'sche Philosophie, ein Vorzug, den der Wolfianismus nicht aus eigenen Mitteln sich geschaffen, sondern ihn von Leibniz überkommen hatte (§. 127). Was der erstere hinzuthat, erwies fich nur als ein mattes und unfruchtbares Treiben im Sittlichen und Religiösen; am wenigsten aber ergab es eigentliche Wissenschaft, deren die Religion gleich wenig, als andere Gegenstände menschlichen Interesses, fich überheben kann. Es bedurfte eines Durch

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gangs durch die Kant'sche Kritik, bevor von etwas Befferem die Rede sein mochte.

1) Prolegomena S. 190.

Fünftes Capitel.

Kant's Kritik der Beweise für das Dasein Gottes und Hegel's Metakritik zur Kant'schen Kritik.

§. 146. Kant's Kritik der Beweise für das Dasein Gottes unterscheidet fich, wie alle Arbeiten Kant's vor früheren Denkern, von den Kritiken Gaunilo's (§. 69), Gassendi's (§. 85) und ähnlichen durch ihre strengwissenschaftliche Gründlichkeit. An den vorangegangenen Gestaltungen des ontologischen Beweises (SS. 55. 68. 80. 81. 114. 115.138) zeigt es sich, daß diesem Beweis nur ein allgemeiner Reflerionsbegriff von Gott zu Grunde liegt. Daher zeichnet auch Kant den Gottesbegriff zunächst als einen a priori durchgängig bestimmten Allgemeinbegriff unter dem Namen eines transscendentalen Ideals der Vernunft. Nämlich jedes in der Erscheinung gegebene Wesen ist seinen Qualitäten oder Realitäten, das heißt, dem Empfindbaren oder der Materie des Gegebenen (§. 17) nach, vollständig bestimmt : jedem Dinge kommt eine gewiffe Summe von Qualitäten zu, durch welche es das ist, was es in der Erscheinung ist, ein Einzelnes. Aber es kann als ein solches nur im Gegensat und in der Vergleichung mit anderen Dingen, ja, insofern es durchgängig bestimmt sein soll, nur im Vergleich mit allen möglichen Prädicaten der Weltwesen aufgefaßt werden, indem gesagt sein muß, welche Prädicate ihm von der gesammten Möglichkeit derselben zustehen, und welche nicht. Denn die durchgängige Bestimmung betrifft den Inhalt eines Begriffs: dieser wird aus der ganzen Möglichkeit von Prädicaten herausgehoben, ein Theil wird ihm zugesprochen, ein anderer wird von ihm verneint. Dem Begriff der durchgängigen Bestimmung eines empirischen Wesens liegt also die Vorstellung von einem Inbegriff aller möglichen empirischen Qualitäten, Realitäten, Prädicaten, oder wie man das

Taute's Religionsphilos.

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Empfindbare nennen wolle, zu Grunde. Nun ist nichts leichter, als daß dieser zunächst empirische Begriff eines Inbegriffs oder Aus von Qualitäten, indem dasselbe keinesweges gegeben oder wahrnehmbar ist, in einen Allgemeinbe= griff überhaupt verwandelt wird, in welchem das Merkmal zurückbleibt, daß er lauter positiven Gehalt, lauter Nealität, befasse. Dadurch ist der Begriff des Alls der Realität selbst durchgängig a priori bestimmt: denn alle eigentliche Negationen, die den Inhalt betreffen, find von ihm ausgeschlossen; er ist Realität schlechthin, und als solche ein transscendentales Ideal der Vernunft, ein, wie jeder Allgemeinbegriff, sofern er das ist, in sich einiger und einfacher Begriff. Wird dieses All der Realität als ein wirkliches gedacht; so find die Dinge der Erscheinungswelt seine Folge, und unterscheiden sich von ihm nur durch die ihnen anhaftenden Negationen: denn, während es selbst Alles und ein Unendliches ist, können die endlichen Dinge, wegen der unvermeidlichen Schranken, bloß theilbare und veränderliche Realität zulassen 1).

1) Kr. d. r. V. S. 444 fl.

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§. 147. Kant sagt, daß das Gedichtete an diesem allbefassenden Realitätsbegriff zu sehr einleuchte, als daß die Vernunft ein solches Selbstgeschöpf ihres Denkens ohne Weiteres für ein wirkliches Wesen nehmen sollte. Aber die mannigfaltig bestimmte und veränderliche Erscheinungswelt fodert einen Stillstand und Ruhepunct für's Denken. Der Boden der Erfahrung finkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des Absolut - Nothwendigen ruht, und dieser selber schwebt ohne Stüße, wenn noch außer und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst Alles erfüllet und dadurch keinen Raum zum Warum mehr übrigläßt, das heißt, der Realität nach unendlich ist. Nur ist es schlimm, bemerkt Kant, daß man von Jeher von einem Absolut-Nothwendigen gesprochen und sich nicht sowohl Mühe gegeben, zu verstehen, eb und wie man sich ein Wesen von dieser Art auch nur denken könne, als vielmehr dessen Dasein zu beweisen (§. 133). Eine Namenerklärung von diesem Begriff sei zwar leicht, daß es nämlich Eo-Etwas ist, dessen Nichtsein unmöglich sei:

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