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oder doch unter den entsprechenden äusseren Bedingungen entstehen würden. Unter der formalen Wahrheit pflegen Vertreter der subjectivistisch-formalen Logik die Widerspruchslosigkeit oder die Einstimmigkeit der Gedanken untereinander zu verstehen. Die materiale Wahrheit schliesst die formale im Sinne der Widerspruchslosigkeit in sich; diese dagegen kann ohne die materiale Wahrheit sein. Im volleren Sinne ist die formale Richtigkeit die Uebereinstimmung der Erkenntnissthätigkeit mit ihren (logischen) Gesetzen. Wenn allen logischen Anforderungen an die Form der Wahrnehmung sowohl als des Denkens zugleich genügt wird, so kann auch die (mindestens relative) materiale Wahrheit nicht fehlen und die formale Richtigkeit in dem vollen Sinne verbürgt daher allerdings auch diese; die Richtigkeit des Denkens allein aber bürgt nur dafür, dass der Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen und den Folgen so, wie er wirklich ist, also mit Wahrheit, erkannt werde und dass daher, falls die Voraussetzungen materiale Wahrheit haben, dieselbe auch dem daraus Abgeleiteten zukomme. In Hinsicht auf den Zweck des Erkennens ist demnach die Logik die wissenschaftliche Lösung der Frage nach den Kriterien der Wahrheit oder die Lehre von den normativen Gesetzen, auf deren Befolgung die Realisirung der Idee der Wahrheit in der theoretischen Vernunftthätigkeit des Menschen beruht.

Der Wahrheit in dem logischen Sinne: Uebereinstimmung des Gedankens mit seinem Objecte, steht die ethische Bedeutung: Uebereinstimmung des Objectes mit seiner Idee oder seiner inneren Bestimmung, ergänzend gegenüber. Hinter dem vollen logischen Sinne bleibt zurück die Erklärung der sogenannten »formalen Wahrheit« als »Zusammenstimmung der Erkenntniss mit sich selbst bei gänzlicher Abstraction von allen Objecten insgesammt und von allem Unterschiede derselben« (Kant, Logik, hrsg. v. Jäsche, S. 66); über denselben geht hinaus die Erklärung der sogenannten transscendentalen Wahrheit als der Ordnung der realen Objecte: »veritas, quae transscendentalis appellatur et rebus ipsis inesse intelligitur, est ordo eorum, quae enti conveniunt (Christian Wolff, Ontolog. § 495).

Uebereinstimmen heisst: gleich sein in gewissen Beziehungen. Sofern die Logik untersucht, ob und in wie weit Uebereinstimmung des Erkenntnissinhaltes mit der objectiven Realität erreichbar sei, ist sie Erkenntnisskritik; soweit sie lehrt, durch welches Verfahren das

erreichbare Maass der Uebereinstimmung wirklich erreicht werde, ist sie Logik im engeren Sinne. Beide Fragen sind in jedem Abschnitt der Logik in Verbindung mit einander zu beantworten; doch wird in der Lehre von der Wahrnehmung die erste, in der Lehre vom Denken die andere prävaliren; soweit normative Gesetze für die Wahrnehmung aufzustellen sind, kann dies nur im Anschluss an die Lehre von den Denkgesetzen geschehen (s. unten einerseits §§ 36 ff., andererseits §§ 27 ff. und 140).

Gegen die Möglichkeit, die materiale Wahrheit zu erreichen und derselben gewiss zu werden, erhebt der Skepticismus und der Kriticismus gewichtige Bedenken. Um der Wahrheit im absoluten Sinne uns zu vergewissern, müssten wir unsere Vorstellung mit dem Objecte vergleichen können; wir haben aber (behauptet der Kriticismus) das Object nicht anders, als in unserer Vorstellung, niemals rein an sich selbst; wir werden also in der That nur unsere Vorstellung mit unserer Vorstellung vergleichen, nicht mit der Sache an sich. Die materiale Wahrheit im relativen Sinné unterliegt der Schwierigkeit, welche die alten Skeptiker durch die Frage bezeichneten: τίς κρινεῖ τὸν ὑγιει νόν; oder: τίς ὁ κρίνων τὸν ὑγιαίνοντα καὶ ὅλως τὸν περὶ ἕκαστα κριvouvτa ỏodās; (Arist. Metaph. IV, 5, § 11; 6, § 1.) Die formale Wahrheit oder Richtigkeit endlich im Sinne der Widerspruchslosigkeit führt uns nicht über das hinaus, was wir mindestens implicite schon besitzen; wie aber gewinnen wir die erste Erkenntniss, und wie einen Fortschritt im Erkennen? Zu diesen allgemeinen Schwierigkeiten treten besondere hinsichtlich der einzelnen Erkenntnissformen hinzu, welche später erwähnt werden müssen. Die Lösung ist die Aufgabe des gesammten Systems der Logik und kann eben darum an dieser Stelle noch nicht gegeben werden (vgl. insbesondere § 31 und die daselbst citirte Abhandlung über den Idealismus etc., ferner §§ 37, 40, 41—44).

Gegen die Identificirung der Logik mit der Lehre von den normativen Gesetzen der Erkenntniss hat man eingewandt, dass doch die logischen Grundgesetze feststehen würden, auch wenn es keine Dinge und keine Erkenntniss gäbe, und dass eine Denkart, z. B. ein Schluss, logisch (formell) richtig sein könne, auch wenn er materiell (schon in seinen Prämissen) falsch sei (Ulrici; vgl. Drobisch, Log. 2. A. § 7, 3. A. § 6 und Vorr. S. XVIII, wonach von der Erkenntnisslehre nur so viel in die Einleitung zur Logik aufgenommen werden soll, als nöthig sei, um für die eigentliche Aufgabe derselben die Data zu gewinnen). Dieser Einwand aber läuft in seinem ersten Theile auf eine petitio principii hinaus. Allerdings giebt es gewisse logische Gesetze, bei welchen von der Beziehung des Denkens auf die Dinge abstrahirt werden kann. Dies gilt namentlich von dem Gesetze der Identität und des Widerspruchs, welches die Uebereinstimmung der Gedanken untereinander fordert (die eine Bedingung der Uebereinstimmung mit dem Sein ist), sowie von allen nur hieraus abgeleiteten Gesetzen. Wer nun die Logik auf diese Partien beschränkt, der wird freilich behaupten müssen, dass die logischen Gesetze auch ohne Beziehung zur objectiven Realität gelten

würden; wer aber der Logik eine umfassendere Aufgabe zuweist, der wird jene Behauptung in ihrer Allgemeinheit nicht als richtig anerkennen. Wer dafür hält, dass die Logik hinter ihrer Aufgabe zurückbleibe, wenn sie nicht auch Normen für die richtige Bildung des Begriffs in seinem Unterschiede von der blossen allgemeinen Vorstellung, für die natürliche Eintheilung, für die wissenschaftliche Form der Deductionen, Inductionen und Analogien aufstelle; wer als Princip der Logik nicht die blosse Einstimmigkeit des denkenden Subjectes mit sich selbst, sondern die Wahrheit als Uebereinstimmung mit dem Sein anerkennt und daher nicht eine dem subjectiven Geiste schlechthin immanente Denknothwendigkeit, sondern vielmehr eine Correspondenz der logischen Kategorien mit metaphysischen Kategorien in Betracht zieht: der wird nicht zugestehen, dass die hierauf bezüglichen logischen Gesetze ganz ebenso auch dann noch gelten würden, wenn es keine Dinge und kein Erkennen gäbe. Was den zweiten Theil des obigen Einwandes anbelangt, so ist es wahr, dass das Denken einzelnen logischen Gesetzen und zwar auch einzelnen von den Gesetzen der Logik als Erkenntnisslehre angemessen sein kann, ohne materiale Wahrheit zu haben; aber die Uebereinstimmung der ganzen Erkenntnissthätigkeit mit allen diesen Gesetzen sichert auch die materiale Wahrheit. Wer bei einem Schlusse auch schon in der Bildung der Prämissen und in den vorbereitenden Operationen allen Gesetzen der Wahrnehmung und des erkennenden Denkens genügt hat, der gelangt auch durch den Schluss (sei es unmittelbar oder, wie beim indirecten Beweise, mittelbar) zur materialen Wahrheit. Der Roman geht nicht auf (historische) Erkenntniss aus und muss doch logischen Gesetzen folgen; aber er muss dieses Letztere nur in der Verknüpfung der Voraussetzungen mit den Folgen. Bildete der Dichter die Voraussetzungen selbst aus dem Wahrnehmungsinhalte ebenso nach logischen Normen, wie der Historiker oder der Richter, so würde er auch durchgängig zu materialer Wahrheit gelangen; befolgt er die logischen Gesetze in der Verknüpfung von Voraussetzungen und Folgen, so gewinnt er hierdurch für diese Verknüpfung mehr als blosse Uebereinstimmung in sich, nämlich auch Uebereinstimmung mit den Gesetzen der objectiven Realität. Die formale Richtigkeit der blossen Schlussbildung oder überhaupt irgend eines bestimmten Theiles der gesammten Erkenntnissthätigkeit sichert die materiale Wahrheit gerade insoweit, als sie selbst reicht, d. h. sie gewährt die Bürgschaft, dass wir, sofern wir (z. B. bei dem Schluss auf die Wiederkehr eines Kometen oder auf den Eintritt einer Sonnenfinsterniss) von materiell wahren Voraussetzungen ausgehen, auch in der materialen Wahrheit beharren und zu materiell wahren Resultaten gelangen. Und gerade dieses ist es, was nach der Ansicht, dass die logischen Normen auf dem Princip der materialen Wahrheit beruhen, erwartet werden muss, wogegen eben dasselbe mit der entgegengesetzten Ansicht nicht zusammenstimmt, welche die logischen Normen mit Abstraction, von der materialen Wahrheit verstehn will; denn nach der Consequenz dieser Ansicht könnte durch Befolgung der logischen

Normen weder partiell (z. B. von den Prämissen bis zu dem Schlusssatze hin) noch absolut die materiale Wahrheit gesichert werden; um das Beharren in der Wahrheit zu erklären, muss auf diesem Standpuncte angenommen werden, dass alle logischen Operationen uns nicht über den schon im Voraus vorhandenen Inhalt der Erkenntniss hinausführen, sondern diesen nur zu vollerer Klarheit und Deutlichkeit erheben, was aber der Thatsache der Erweiterung unserer Erkenntniss durch logische Combination, insbesondere durch (sowohl deductives, wie inductives) Schliessen widerstreitet. Die Normen, denen das Denken im praktischen Leben und in der wissenschaftlichen Forschung folgt, können nur dann begriffen und begründet werden, wenn über die Betrachtung der Beziehung des Denkens auf sich selbst hinaus und zu der Betrachtung seiner Beziehung auf die Objectivität fortgegangen wird.

§ 4. Die Möglichkeit der bewussten Auffassung und systematischen Darstellung der logischen Gesetze beruht auf der vorangegangenen unbewussten Wirksamkeit derselben und somit die Logik als Wissenschaft auf vorangegangener Uebung der Erkenntnissthätigkeit. Andererseits macht die Wissenschaft der Logik eine bewusste Anwendung der logischen Gesetze und somit eine bewusste logische Denkthätigkeit möglich.

Auf diesen Verhältnissen beruht die seit den Scholastikern übliche Unterscheidung der Logica naturalis (connata et acquisita), der Logica scholastica docens und der Logica scholastica utens. Doch kommt strenggenommen der Name Logik nur der Logica scholastica docens zu, und wird daher auch von den neueren Logikern mit Recht meist nur in diesem Sinne gebraucht.

Der Gebrauch der logischen Formen und die Ausübung der logischen Gesetze darf und muss der Theorie derselben vorangehen, da ja die Theorie selbst nur durch solchen Gebrauch möglich wird; aber durch die Theorie wird dann der Gebrauch ein geordneterer und strengerer. Geschichtlich haben sich an das Denken zuerst einzelne Sätze über das Denken geknüpft, und nicht ohne Anwendung dieser Sätze ist dann eine logisch geordnete Darstellung der Wissenschaften und auch der Logik selbst in stufenweisem Fortschritt erfolgt.

§ 5. Die Logik hat theils einen absoluten Werth als wissenschaftlicher Selbstzweck, theils einen relativen vermöge der fördernden Beziehung, in welcher sie als Theorie der Kunst des Denkens und des Erkennens zu der Uebung der Erkenntnissthätigkeit steht. Die Theorie des Denkens übt einen Einfluss auf das Denken: Kunstlehre ist die Logik a. wesentlich schon durch die Aufstellung der normativen

Gesetze selbst, indem das wissenschaftliche Bewusstsein von denselben die Treue in ihrer praktischen Beobachtung fördert; sie kann es ausserdem noch b. durch Rathschläge über das zweckmässigste Verfahren werden, wie unter den subjectiven Schranken und Hindernissen die Forderungen der logischen Gesetze zu erfüllen seien. In technischer Beziehung ist die Logik, falls sie nur als Lehre von der Uebereinstimmung des Denkens mit sich selbst behandelt wird, ein blosser Kanon und ein Kathartikon des Denkens, falls sie aber auch die Kriterien der materialen Wahrheit aufstellt, zugleich ein Kanon und ein Organon der Erkenntniss, wiewohl nur mittelbar in der Anwendung ihrer Gesetze auf einen gegebenen Erkenntnissstoff.

Es ist gleich falsch, die Logik nur als Organon oder Kanon, also nur als Mittel, und sie nur als Selbstzweck gelten zu lassen. Mit Recht bemerkt Hegel, so entschieden er sich (Wiss. der Logik, Ausg. von 1833-34, I. S. 13-17) gegen die erste Einseitigkeit erklärt, doch auch der zweiten gegenüber (Encycl. § 19), dass das an sich Werthvollste, das Vortrefflichste, Freieste und Selbständigste, auch das Nützlichste sei und auch das Logische so gefasst werden könne.

§ 6. Die Logik ist ein integrirender Theil des Systems der Philosophie. Die Philosophie lässt sich definiren als die Wissenschaft des Universums, nicht nach seinen Einzelheiten, sondern nach den alles Einzelne bedingenden Principien oder als die Wissenschaft der Principien des durch die Special-Wissenschaften Erkennbaren. Die Principien sind die im absoluten oder relativen Sinne ersten Elemente, von denen Reihen anderer Elemente abhängig sind. Im Systeme der Philosophie bildet die Metaphysik mit Einschluss der allgemeinen rationalen Theologie (лqúty qikooogia, Aristot.) als die Wissenschaft von den Principien im Allgemeinen, sofern sie allem Seienden gemeinsam sind, den ersten Haupttheil; den zweiten und dritten bilden die Philosophie der Natur und die Philosophie des Geistes als die Wissenschaften von den besonderen Principien der beiden Hauptsphären des Seienden, die sich durch den Gegensatz der Unpersönlichkeit oder (relativen) Selbstlosigkeit und der Persönlichkeit oder der Fähigkeit zur denkenden Erkenntniss der Wirklichkeit und zur sittlichen Selbstbestimmung und Ver

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