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Aristoteles erklärt den Beweis (anódu§ıç) für eine Art des syllogistischen Verfahrens, und findet die specifische Differenz desselben in der materialen Wahrheit und Nothwendigkeit der Prämissen. Top. I, 1: ἀπόδειξις μὲν οὖν ἐστιν, ὅταν ἐξ ἀληθῶν καὶ πρώτων ὁ συλλογισμὸς ᾖ, ἢ ἐκ τοιούτων, ἃ διά τινων πρώτων καὶ ἀληθῶν τῆς περὶ αὐτὰ γνώσεως τὴν ἀρχὴν εἴληφεν· διαλεκτικὸς δὲ συλλογισμὸς ὁ ἐξ ἐνδόξων συλλογιζόμενος. Anal. post. I, 2: ἀνάγκη τὴν ἀποδεικτικὴν ἐπιστήμην ἐξ ἀληθῶν τ' εἶναι καὶ πρώτων καὶ ἀμέσων καὶ γνωριμωτέρων καὶ προτέρων καὶ αἰτίων τοῦ συμπεράσματος. Aristoteles unterscheidet den directen und den apagogischen Beweis. Anal. pri. I, 23: άváyeŋ Sǹ nãoar ἀπόδειξιν καὶ πάντα συλλογισμὸν δεικνύναι ἢ δεικτικῶς ἢ ἐξ ὑποθέσεως· τοῦ δ' ἐξ ὑποθέσεως μέρος τὸ διὰ τοῦ ἀδυνάτου. πάντες γὰρ οἱ διὰ τοῦ ἀδυνάτου περαίνοντες τὸ μὲν ψεῦδος συλλογίζονται, τὸ δ' ἐξ ἀρχῆς (das ursprünglich zu Erweisende) ἐξ ὑποθέσεως δεικνύουσιν, ὅταν ἀδύνατόν τι συμβαίνει τῆς ἀντιφάσεως τεθείσης. Er giebt dem directen Beweise vor dem apagogischen den Vorzug, sofern der directe aus dem Erkennbareren und Früheren oder aus dem mehr Principiellen (¿z YvWQIUWTέQWv zaì пooτéоwv) schliesse (Anal. post. I, 23). Die obersten Beweisprincipien sind ihrerseits unbeweisbar und werden als unmittelbar gewisse Sätze (usoα) durch den vous erkannt; sie müssen an sich selbst erkennbarer und einleuchtender sein, als dasjenige, was daraus abgeleitet werden soll (Anal. post. I, 2 sq.). Vgl. hierüber die historische Ausführung zu § 134. Wolff (Log. § 498) fordert von dem Beweis (demonstratio), um die Definition desselben mit der Terminologie der positiven Wissenschaften in Einklang zu setzen, nur die Wahrheit der sämmtlichen Prämissen, und lässt daher (nach dem Vorgange Melanchthons Erotem. Dial. I, IV, p. 239) ausser den Definitionen, Axiomen und hieraus bewiesenen Lehrsätzen auch solche Prämissen zu, die sich auf zweifellose Erfahrungen gründen. - Kant (Krit. d. r.

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V. S. 817 ff.) erörtert die Gefahren des indirecten Beweises, und will denselben, hierin jedoch zu weit gehend, von der reinen Philosophie ausschliessen. Die Bedeutung des indirecten Beweises für die Erkenntniss der Principien hat besonders Trendelenburg (Log. Unters. II, S. 320 ff.; 337 ff.; 2. A. S. 396 ff., 425 ff.; 3. A. S. 461 ff.) hervorgehoben.

§ 136. Die Widerlegung (refutatio, heyzos, avaoxεvý) ist der Beweis der Unrichtigkeit einer Behauptung oder eines Beweises. Die Widerlegung einer Behauptung ist identisch mit dem Gegenbeweise, d. h. mit dem (directen oder indirecten) Beweise des contradictorischen Gegentheils. Die Widerlegung eines Beweises geschieht entweder durch Entkräftung der Beweisgründe, d. h. durch den Nachweis, dass denselben die Beweiskraft mangele, d. h. dass das, was bewiesen werden soll, nicht nothwendig aus ihm

folge, oder durch den Nachweis ihrer materialen Unwahrheit. Auf der Abwägung der Gründe für und gegen eine Behauptung beruht die Untersuchung und die Disputation, Zur gründlichen Bestreitung einer gegnerischen Behauptung muss die Widerlegung des Beweises mit dem Gegenbeweise vereinigt werden. Die Widerlegung ist dann am vollkommensten, wenn sie auch den Grund des Irrthums nachweist und so den trügerischen Schein zerstört. Die durch eine wissenschaftliche Untersuchung zu ermittelnde Erkenntniss ist das Problem.

Die treue Auffassung der gegnerischen Ansicht, das volle Sichhineinversetzen und gleichsam Hineinleben in den Gedankenkreis des Anderen, ist eine unerlässliche, aber nur zu selten erfüllte Bedingung der echten, wissenschaftlichen Polemik. Die Kraft zur Erfüllung dieser Anforderung stammt nur aus der uninteressirten Liebe zur Wahrheit. Nichts ist bei schwierigen Problemen gewöhnlicher, als eine halbe und schiefe Auffassung des fremden Gedankens, Vermengung mit einem Theile der eigenen Ansicht, und Kampf gegen dieses Wahngebilde; die bestrittene Ansicht wird dann unter irgend eine abstracte Kategorie subsumirt, an welcher nach dem gemeinen Urtheil oder Vorurtheil irgend ein Tadel haftet, oder es wird wohl gar eine verketzernde Einleitung der verstümmelten Darlegung vorausgeschickt, um durch Trübung der reinen Empfänglichkeit dem Eindruck vorzubeugen, den der Gedanke selbst noch in dieser Form üben möchte; der Kampf wird auf ein fremdartiges Gebiet hinübergespielt, und in verdächtigender Consequenzmacherei die Polemik, die der gemeinsamen Erforschung der Wahrheit dienen sollte, zum Angriff auf die Persönlichkeit herabgewürdigt. Die Erfahrung aller Zeiten zeigt, dass nicht erst ein besonders stumpfes und beschränktes Denken und ein besonders schwacher und entarteter Wille in diese Verkehrtheiten fällt, sondern vielmehr nur eine seltene Kraft und Bildung des Denkens und der Gesinnung sich ganz davon frei zu halten vermag. Es ist dem Menschen nur zu natürlich, sich selbst, noch vielmehr aber die Gemeinschaft, welcher er angehört, von vorn herein im vollen Rechte zu glauben, mithin den Gegner als einen Feind der Wahrheit anzusehen, in dessen verwerfliche Ansichten sich tiefer hineinzudenken, als eine unnöthige Mühe, wo nicht gar als ein Verrath an der Wahrheit und an der Treue gegen die eigene Gemeinschaft gilt, oder im günstigeren Falle als einen Kranken und Irrenden oder doch auf einem bereits überwundenen « Standpuncte Zurückgebliebenen, gegen den, sofern er nur nicht halsstarrig auf seinem Sinne bestehen wolle, eine gewisse Humanität in der Form einer grossmüthigen Schonung und Nachsicht zu üben sei. Die Ueberwindung dieser Selbstbeschränktheit, das reine Eingehen in den Ge

dankenkreis des Anderen und in die Motive seiner Lehre

sehr ver

setzt

schieden von der mattherzigen Toleranz des Indifferentismus eine Höhe der intellectuellen und sittlichen Bildung voraus, welche weder dem Einzelnen, noch dem Menschengeschlechte von Natur eigen ist, sondern erst in langem und ernstem Entwicklungskampfe errungen wird. Und doch führt nur dieser Weg den Menschen zur Wahrheit. Sein Urtheil (sagt treffend Karl Lachmann in der Vorrede zur zweiten Ausg. des Iwein, vgl. Hertz, Biogr. S. 179) befreit nur, wer sich willig ergeben hat.

Sofern das Problem auf einem Widerstreit von Gründen und Gegengründen beruht, trägt es einen antithetischen Charakter. Das Bedürfniss der Lösung des Widerspruchs ist der mächtigste Sporn wissenschaftlicher Forschung. Ein Beispiel einer noch ungelösten Antithesis liegt in dem Verhältniss der Kosmogonie zu dem Mangel aller Erfahrung von einer Urzeugung.

Die vollständige Prüfung einer Theorie muss eine zweifache sein. Man hat einerseits die Argumente zu prüfen, ob sie beweiskräftig seien, andererseits die Lehre selbst, den Inbegriff der auf jene Argumente gebauten Sätze, ob darin kein innerer Widerspruch und kein Verstoss gegen Thatsachen liege. Es ist klar, dass das wirklich streng Erwiesene widerspruchsfrei sein wird, ebenso andererseits, dass das, was einen Widerspruch involvirt, nicht wirklich streng erwiesen sein kann. würde ein affirmatives Resultat der ersten Prüfung die zweite, ein negatives Resultat der zweiten die erste überflüssig. machen. Unserer Irrthumsfähigkeit eingedenk, werden wir beiderlei Prüfung so vollziehen müssen, dass wir uns bei der einen durch das Ergebniss der andern nicht beeinflussen lassen.

Also

Aristoteles definirt Anal. pri. II, 20: ὁ γὰρ ἔλεγχος ἀντιφάσεως συλλογισμός. De soph. el. c. 1: ἔλεγχος δὲ συλλογισμὸς μετ' ἀντιφάσεως τοῦ συμπεράσματος. Die Forderung, die Weise aufzuzeigen, wie der Andere in den Irrthum verfallen sei, wird von Aristoteles Top. VIII, 10, p. 160 Α 37: ἀλλὰ καὶ διότι ψεῦδος ἀποδεικτέον, und Eth. Nic. VII, 15: οὐ μόνον δεῖ τἀληθὲς λέγειν, ἀλλὰ καὶ τὸ αἴτιον τοῦ ψεύδους κ. τ. λ. aufgestellt und nach ihm unter Anderen von Wolff (Log. § 1033), der dieses Verfahren als »praestantissimum refutandi modum « bezeichnet, wiewohl er (ib. § 1035) den Beweis der Wahrheit selbst jeder Art der blossen Widerlegung mit Recht vorzieht. Ganz besonders hat Kant (Log. Einl. VII B) die Forderung urgirt, dass man, um Irrthümer zu vermeiden, die Quelle derselben, den Schein, zu entdecken und zu erklären suche, und diese Forderung (Krit. der r. Vern., transsc. Dial.) in Bezug auf die von ihm sogenannten »dialektischen Vernunftschlüsse zu erfüllen gesucht; er stellt sich hier die Aufgabe, durch die eingehendste Untersuchung hinter die wahre Ursache des Scheins bei diesen »Sophisticationen nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst zu kommen, damit der Schein, obwohl er (gleich der optischen Täuschung) unaustilgbar bestehe, doch nicht länger den Einsichtigen

irre führen möge. Diese Kantische Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit der Untersuchung wird stets in formaler Beziehung ein der Bewunderung und Nacheiferung würdiges Vorbild auch für denjenigen bleiben, der dem materialen Gehalte der Kantischen Lehre seine Beistimmung versagen muss.

§ 137. Die möglichen Beweisfehler liegen entweder, in der Art der Ableitung des Schlusssatzes aus den Prämissen, oder in den Prämissen an sich, oder im Schlusssatze. Die Fehler der ersten Art sind die schon oben (§ 126, S. 367 ff.) erörterten Paralogismen und Sophismen, und bei inductiven Beweisen die Inductionsfehler (§ 130, S. 382 f.). Die Fehler der zweiten Art betreffen entweder die materiale Wahrheit der Prämissen selbst, oder die Berechtigung in dem vorliegenden Falle ihre Wahrheit vorauszusetzen. Der Beweisversuch aus falschen Prämissen wird, sofern die Unrichtigkeit in der Verknüpfung des Mittelbegriffs mit den anderen Begriffen liegt, fallacia falsi medii genannt. Bei dem indirecten Beweise ist unter den Unrichtigkeiten in den Prämissen die häufigste und nachtheiligste die unvollständige, aber fälschlich für vollständig gehaltene Disjunction im Obersatze. Eine unrichtige Prämisse, auf welche eine Reihe verschiedener Folgerungen gegründet wird, heisst Grundirrthum (error principalis, fundamentalis, TOOTOV Yεvdog). Ein Satz, der vielleicht materiale Wahrheit haben mag, darf doch in dem Falle nicht als wahr vorausgesetzt werden und also nicht als Prämisse dienen, wenn er entweder mit dem zu erweisenden Satze der Sache nach identisch ist, oder doch seine Wahrheit mit der Wahrheit des zu erweisenden Satzes zugleich in Frage steht. Dieses ist der logische Sinn der Forderung der Voraussetzungslosigkeit; die Verletzung derselben ist der Fehler der Voraussetzung dessen, was in Frage steht (rò ¿§ ágyñs sive τὸ ἐν ἀρχῇ [scil. προκείμενον] αἰτεῖσθαι, petere id quod demonstrandum in principio propositum est, petitio principii, argumentari ex non concessis tamquam concessis). Mit diesem Fehler hängt zusammen der Cirkelbeweis (circulus sive orbis in demonstrando), wo A durch B und B doch wiederum durch A, oder A durch B, B durch C, C durch D...

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und D oder überhaupt irgend einer der folgenden Beweisgründe durch A bewiesen wird. Die Fehler der dritten Art liegen in der Abweichung des aus den Prämissen Erschlossenen von dem, was zu beweisen war, und der Unterschiebung des letzteren statt des ersteren (heterozetesis, Etego[ýtnots). Die Abweichung ist entweder eine qualitative (uɛráßaσis els alho yévos) oder eine quantitative, wie bei dem Zuwenigbeweisen und Zuvielbeweisen; sie wird bei einer beabsichtigten Widerlegung zur (unbewussten) Unkunde oder (bewussten) Veränderung des Streitpunctes (ignoratio elenchi, mutatio elenchi, ✈ tov ἐλέγχου ἄγνοια, μεταβολή), wozu namentlich auch die Ver wechselung der Widerlegung eines Beweisversuches mit der Widerlegung der Sache gehört. Wird zu wenig bewiesen, so wird der Zweck des Beweises nicht erreicht; doch ist darum das wirklich Erwiesene nicht schlechthin zu verwerfen, sondern kann seinen eigenthümlichen Werth behaupten und vielleicht als Vorstufe der volleren Erkenntniss dienen. Das Zuvielbeweisen ist, falls das gesammte Resultat richtig ist, unschädlich, da sich in der Regel leicht dasjenige, was zu beweisen war, durch Subalternation oder durch Partition aus jenem umfassenderen Resultate entnehmen lässt; enthält es aber materiell falsche Elemente, so wird es zum Anzeichen irgend eines anderweitigen, materialen oder formalen Fehlers im Beweise. In diesem Sinne gilt der Satz »qui nimium probat, nihil probat«. Erschleichung (subreptio) ist ein gemeinsamer Name für verstecktere Beweisfehler jeder Art, sofern der Hinblick auf das gewünschte Resultat zu denselben verleitet hat, insbesondere aber für die verschiedenen Formen der Heterozetesis.

Aus falschen Prämissen kann sowohl Falsches, als auch Wahres erschlossen werden (s. oben § 133, S. 393 f.), wie z. B. aus den Weltsystemen des Ptolemäus und des Tycho de Brahe das Wesen und die Zeit des Eintretens der Mondfinsternisse, die Dauer des Monats und des Jahres etc. bis zu einem gewissen Grade richtig deducirt werden kann; in Fällen dieser Art kann die Unwahrheit der Argumente mit der Wahrheit des Satzes, der dadurch erwiesen werden soll, zusammenbestehen. Der indirecte Beweis setzt, wenn dadurch eine positive Behauptung vermittelst der Ausschliessung aller übrigen denk

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