Page images
PDF
EPUB

[ocr errors]

er bezeichnet diesen Gebrauch des Wortes als den wahreren, und nennt in gleichem Sinne das an sich selbst Gewisse, jenes ixavóv des Phädon, τὸ ἀνυπόθετον, d. h. dasjenige, was nicht mehr in solcher Weise als Unterlage der Erhebung zu Allgemeinerem dienen kann, da es selbst das schlechthin Allgemeinste ist (τὸ δ' αὖ ἕτερον τὸ ἐπ' ἀρχὴν ἀνυπόθετον ἐξ ὑποθέσεως ἰοῦσα· τὰς ὑποθέσεις ποιούμενος οὐκ ἀρχὰς, ἀλλὰ τῷ ὄντι ὑποθέσεις οἷον ἐπιβάσεις τε καὶ ὁρμάς· — ἡ διαλεκτική μέθοδος μόνῃ ταύτῃ πορεύεται τὰς ὑποθέσεις ἀναιροῦσα ἐπ' αὐτὴν τὴν ἀρχήν). In diesem letzteren Sinne dient zwar das minder Allgemeine zum Erkenntnissgrunde des Allgemeineren, aber nicht als Prüfungsmittel der Wahrheit einer Hypothese, aus der es abzuleiten wäre, sondern vielmehr seinerseits als Fundament, ὑπόθεσις der Abstraction. (Vgl. auch Meno p. 86 E; Crat. p. 436 C sqq.) In dem Dialog Parmenides wird (p. 127 sq.; 134 sqq.) gefordert, dass zum Behuf der Prüfung einer Behauptung antinomisch nicht nur diese selbst, sondern auch die entgegengesetzte in ihre Consequenzen entwickelt werde (χρὴ δὲ μὴ μόνον εἰ ἔστιν ἕκαστον ὑποτιθέμενον σκοπεῖν τὰ συμβαίνοντα ἐκ τῆς ὑποθέσεως, ἀλλὰ καὶ εἰ μὴ ἔστι τὸ αὐτὸ τοῦτο ὑποτίθεσθαι, εἰ βούλει μᾶλλον γυμνασθῆναι), und der (unplatonische Satz aufgestellt, dieses dialektischer Verfahren sei zur Uebung oder subjectiven Vorbildung bestimmt, welche die wissenschaftliche Erkenntniss bedinge. Aristoteles unterscheidet das (direct) beweisende und das hypothetische Schliessen (Anal. pri. I, 23: ἢ δεικτικῶς ἢ ἐξ ὑποθέσεως). Der apodeiktische Syllogismus muss aus Nothwendigem und daher zu oberst aus Definitionen und aus Axiomen, d. h. aus wahren und einem jeden unmittelbar gewissen Principien schliessen, die ein natürliches Prius des zu Erweisenden und (wie Aristoteles mit Plato annimmt) an sich selbst gewisser als dieses sein müssen (Top. I, 1; Anal. post. I, 2 : ἀνάγκη μὴ μόνον προγινώσκειν τὰ πρῶτα ἢ πάντα ἢ ἔνια, ἀλλὰ καὶ μᾶλλον· — μᾶλλον γὰρ ἀνάγκη πιστεύειν ταῖς ἀρχαῖς ἢ πάσαις ἢ τισὶ τοῦ συμπεράσματος); die Hypothesis aber ist ein solcher Satz, worin eines der beiden Glieder des contradictorischen Gegensatzes als wahr angenommen wird, ohne dass doch die Wahrheit desselben, wie beim Axiom, unmittelbar einleuchtend wäre (Anal. post. I, 2: θέσεως δ' ἡ μὲν ὁποτερονοῦν τῶν μορίων τῆς ἀντιφάσεως λαμβάνουσα, οἷον λέγω τὸ εἶναί τι ἢ τὸ μὴ εἶναί τι, ὑπόθεσις). Aristoteles nennt dasjenige hypothetische Verfahren, welches in der Philosophie zuerst der Eleate Zeno geübt hat, also die Prüfung von Sätzen an ihren Consequenzen, dialektisch (Top. I, 1: διαλεκτικὸς δὲ συλλογισμὸς ὁ ἐξ ἐνδόξων συλλογιζόμενος, cf. Top. VIII, 11; 14), wie er denn auch in diesem Sinne Zeno den Urheber der Dialektik nennt (s. oben zu § 11, S. 20). Aristoteles gesteht der Dialektik nicht nur einen didaktischen Werth als Denkübung und Kunst der philosophischen Gesprächführung, sondern auch einen wissenschaftlichen zu, sofern sie ein Weg zur Erkenntniss und insbesondere zur kritischen Ermittelung der Principien sei (Anal. post. I, 2: ἔστι δὲ πρὸς τρία· πρὸς γυμνασίαν, πρὸς τὰς ἐντεύξεις, πρὸς τὰς κατὰ φιλοσοφίαν ἐπιστήμας· — ἐξεταστικὴ γὰρ οὖσα πρὸς τὰς ἁπασῶν τῶν μεθόδων ἀρχὰς

ódov exe). Doch ist die Frage, ob und inwiefern der vous mit unmittelbarer Gewissheit die Principien (als άueoα, avaлódexτα) erkenne, oder dazu der Induction und der Dialektik, also der Bildung und Prüfung von Hypothesen im Sinne der Neueren, bedürfe, bei Aristoteles überhaupt noch nicht zu einer reinen Lösung gelangt; sie konnte es nicht, da ihre unumgängliche Vorbedingung einerseits in der (Kantischen) Unterscheidung der analytisch und der synthetisch gebildeten Urtheile liegt, andererseits aber in der erst durch den thatsächlichen Entwickelungsgang der positiven Wissenschaften begründeten Einsicht in die volle Bedeutung der Deduction aus dem noch nicht Gewissen zum Behuf einer Anbahnung der gewissen Erkenntniss der Principien. (Vgl. Zeller, Philos. der Gr., II, 2, 2. A., S. 119.) Im Mittelalter konnte die Hypothese aus demselben Grunde, wie die Induction (s. oben zu § 127, S. 374), nicht in echt wissenschaftlicher Weise aufgefasst werden. Ehe die logische Theorie den vollen wissenschaftlichen Werth der Hypothese anerkennen konnte, musste die positive Naturwissenschaft mit der grossen That eines ernsten, in vielen Fällen jahrhundertelangen Kampfes wissenschaftlicher Hypothesen vorangegangen sein, und die endlich gewonnene sichere Entscheidung die Macht der treuen und beharrlichen Forschung bewährt haben. Schon Wolff (Log. disc. prael. § 127) fordert im Gegensatz gegen Verwerfungsurtheile mancher Früheren: » hypothesibus philosophicis in philosophia locus concedendus, quatenus ad veritatem liquidam inveniendam viam sternunt«, warnt aber auch vor dem Missbrauch, hypothesin venditandi pro veritate demonstrata. Mill bemerkt (Log. übers. von Schiel, 1. A., S. 240 f.): »ohne solche Voraussetzungen würde die Wissenschaft ihren jetzigen Stand nicht erreicht haben; sie sind nothwendige Schritte bei dem Suchen nach etwas Gewisserem, und beinahe alles, was jetzt Theorie ist, war einst Hypothese«. Sehr richtig sagt Trendelenburg (Log. Unters. II, S. 311, 2. A. II, S. 386 f. 3. A. II, S. 411 f.): >> Wer die Wahrheit wie einen fertigen und sicheren Besitz des Geistes ansieht, der geräth wohl, wenn er diesen durchgehenden Kampf gewahrt, in skeptische Bedenken. Aber der Geist kennt keine träge Erbschaft: er nennt nur sein, was er erworben hat und behauptet. Diese Arbeit ist sein Stolz und das Gemeingut des Geschlechts. Die Form der Hypothese ist die Weise jedes werdenden Begriffs. So wächst der Mensch heran, seine Vorstellungen an dem Erfolge und den Erscheinungen regelnd. Was ihm gewiss ist, steht ihm durch diese Uebereinstimmung fest. Die Wissenschaft verfährt nicht anders, wenn sie statt der blossen der Erscheinung zugekehrten Vorstellung den Begriff des Grundes sucht. Es wachsen dabei nur die Zwischenglieder, und es verkettet und verschlingt sich nur die synthetische That des Geistes".

§ 135. Der Beweis (demonstratio, argumentatio, probatio, anódağıç) ist die Ableitung der materialen Wahrheit eines Urtheils aus der materialen Wahrheit anderer Urtheile.

Der directe Beweis (demonstratio directa sive ostensiva, ἡ δεικτικὴ ἀπόδειξις oder ἡ ἀπόδειξις im engeren Sinne, οἱ Sεıntınoi ovhhoyoμoi) leitet (geradezu) die Wahrheit des Schlusssatzes aus Prämissen ab, deren Wahrheit im Voraus feststeht. Er ist genetisch (demonstratio genetica), wenn der Beweisgrund mit dem Realgrunde zusammenfällt. Der indirecte oder apagogische Beweis (demonstratio indirecta, ἡ εἰς τὸ ἀδύνατον ἄγουσα oder απάγουσα ἀπόδειξις, ἡ εἰς τὸ ἀδύνατον ἀπαγωγή, ὁ διά τοῦ ἀδυνάτου συλλογισμός) zeigt zunächst die materiale Unwahrheit einer Prämisse, welche als die allein ungewisse mit einer oder mehreren gewissen combinirt war, aus der materialen Unwahrheit einer der Consequenzen, eben dadurch aber die materiale Wahrheit des contradictorischen Gegentheils jener Prämisse. Vermöge eines disjunctiven Obersatzes, welcher die sämmtlichen in der betreffenden Sphäre vorhandenen Möglichkeiten erschöpft, kann der indirecte Beweis durch successive Ausschliessung aller anderen die eine, die allein noch übrig bleibt, zur vollen Gewissheit erheben. Der indirecte Beweis ist ganz eben so beweiskräftig, d. h. er erzwingt mit gleicher Strenge die Anerkennung der Wahrheit, wie der directe, steht demselben aber dennoch, sofern ein affirmativer Satz zu erweisen ist, aus dem Grunde nach, weil dann in ihm nicht, wie in jenem, der Erkenntnissgrund mit dem Realgrunde coincidiren kann. Dagegen ist der indirecte Beweis eine vollberechtigte Erkenntnissform der apodiktischen Wahrheit negativer Sätze. Auch ist die positive Erkenntniss der Wahrheit der Principien nicht ohne ihn zu gewinnen. Der zu beweisende Satz heisst

Lehrsatz (theorema).

Ein Schluss kann formale Richtigkeit haben bei materialer Unwahrheit der in ihm enthaltenen Urtheile, und hört darum doch nicht auf, ein Schluss zu sein und als Schluss Gültigkeit zu haben; ein vorgeblicher Beweis aber, dessen Grundlagen der materialen Wahrheit entbehrten, wäre gar nicht mehr ein gültiger Beweis. Die sogenannte argumentatio ad hominem (zar' äveọwлov) im Gegensatze zu der argumentatio ad rei veritatem (xar' ¿lýɛav) ist keine logische Form.

In der Mathematik giebt die Euklidische Methode das Beispiel der höchsten Strenge der Beweisführung. In dieser Bezie

hung ist das Werk des alexandrinischen Geometers unübertroffen. Aber dennoch kann eine unbefangene Würdigung nicht unbedingt das Urtheil Kästners gutheissen (Anfangsgr. der Geom. 4. Ausg. S. 428; vgl. Trendelenburg, Log. Unters. II, S. 289, 2. A. II, S. 365, 3. A. II, S. 399): » von dem eigenen Werthe der Geometrie, Deutlichkeit und Gewissheit, besitzt jedes geometrische Lehrbuch desto weniger, je weiter es sich von Euklids Elementen entfernt«; sondern muss vielmehr dem Urtheil der Cartesianer beitreten (Log. ou l'art de penser, IV, 9), es sei ein Fehler der Euklidischen Geometrie: »avoir plus de soin de la certitude que de l'évidence, et de convaincre l'esprit que de l'éclairer«; zu wenig zu geben: »des raisons prises de la nature de la chose même pourquoi cela est vrai«, und: »n'avoir aucun soin du vrai ordre de la nature. Euklid hat jenem Einen Vorzug der strengen Gewissheit (allerdings dem wesentlichsten) andere zum Opfer gebracht, die doch mit demselben vereinbar sind. Auch Tschirnhausen verlangte bereits neben der möglichsten Verallgemeinerung die Herleitung eines jeden Satzes aus derjenigen Doctrin, von welcher sie auf natürliche Weise abhängig sei (s. Chasles, Geschichte der Geometrie, aus dem Franz. übers. von L. A. Sohncke, Halle 1839, S. 112), und in wesentlich gleichem Sinne fordert Schopenhauer, dass die Geometrie ihre Sätze auf den Seinsgrund basire und nicht »Mausfallenbeweise aufstelle. Die Beweise sollen nicht nur streng, sondern auch nach Möglichkeit genetisch sein, oder der Erkenntnissgrund der Wahrheit des Satzes mit dem Realgrunde zusammentreffen, und dieser Forderung kann und soll die neuere Wissenschaft mit ihren Mitteln in höherem Grade nachkommen, als einst Euklid es vermochte. Insbesondere aber ist es die analytische Geometrie und die Infinitesimalrechnung, wodurch ein mehr genetisches Beweisverfahren möglich wird. Denn die analytische Geometrie sondert die wesentlichen und allgemeinen Grössenverhältnisse, die sich in der Formel darstellen lassen, von ihren zufälligen Erscheinungsformen in den einzelnen Figuren, und führt so über die mancherlei verschiedenartigen Betrachtungen, zufälligen Ansichten und im Einzelnen glücklich aufgefundenen Hülfsmittel, worauf meist die constructiven Beweise beruhen, hinaus zur sicheren und gleichmässigen Erkenntniss des Besonderen aus seinen gemeinsamen Gründen. Die Differential- und Integralrechnung aber führt bis zu den letzten Elementen zurück, um aus denselben die Genesis der mathematischen Gebilde und so ihr Wesen und ihre Beziehungen zu begreifen und hieraus die Lehrsätze über dieselben zu erweisen; daher ist hier die höchste Einfachheit der Beweise gepaart mit der vollsten Befriedigung für den denkenden Geist.

Jeder indirecte Beweis wird mittelst einer Hypothese (s. o. § 134) geführt, die aber nicht in der Erwartung aufgestellt wird, ob sie sich vielleicht durch die Wahrheit ihrer logischen Folgen bestätigt finden möge, sondern von vorn herein nur in der Absicht, um sie durch den Nachweis der Unwahrheit einer ihrer Consequenzen zu stürzen und so durch Ausschluss der unhaltbaren Voraussetzungen die

richtige zu ermitteln. Dieses Verfahren dient namentlich zur wissenschaftlichen Begründung der Principien, weil diese, sofern sie selbst ein Oberstes und Allgemeinstes sind, nicht eine Ableitung aus Höherem zulassen, und die blosse Induction für sich allein nicht zureicht. So lässt sich z. B. die wahre Natur der unendlich kleinen Grösse oder des Differentials als einer Grösse von wechselndem Werth vermittelst des folgenden indirecten Beweises feststellen. Das Differential ist entweder eine Grösse von festem oder von wechselndem Werth. Wäre es das Erste, so müsste es entweder der Null gleich, oder seinem absoluten Werthe nach grösser als Null sein. Der Null gleich kann es nicht sein, weil es zu anderen Differentialen bestimmte Verhältnisse hat, wogegen das Verhältniss von Null zu Null völlig unbestimmt ist. (So darf z. B. 2. dx niemals dx gesetzt werden, wogegen 2. 0 0 ist. Ebenso behält auch der unendlich kleine Kreis noch sein bestimmtes Verhältniss zu seiner Hälfte, die Peripherie ihr Verhältniss zum Radius und ihren Unterschied von diesem und vom Mittelpuncte etc., wogegen bei dem blossen Puncte, dessen Ausdehnung O ist, alle diese Verhältnisse verschwinden.) Eine von der Null verschiedene feste Grösse kann aber das Differential auch nicht sein, weil es dann nicht neben dem Endlichen schlechthin verschwinden, und also in vielen Fällen das gewonnene Resultat nicht mit absoluter Genauigkeit gelten, sondern nur approximativ richtig sein würde, während doch die absolute Genauigkeit desselben anderweitig (z. B. vermöge eines ohne Hülfe der Differentialrechnung auf rein elementarem Wege geführten Beweises) apodiktisch gewiss ist. Also ist das Differential nicht als feste Grösse, sondern als eine Grösse von wechselndem Werth zu denken; d. h. diejenige Grösse ist unendlich klein, welche eine Reihe zu durchlaufen bestimmt ist, deren Glieder Null zum Grenzwerth haben, d. h. eine Reihe, welche die folgenden beiden Eigenschaften hat: 1. dass auf jedes Glied derselben ein mit dem nämlichen Vorzeichen versehenes und seinem absoluten Werthe nach kleineres folgt; 2. dass, welche feste Grösse auch gegeben sein möge, immer, wie klein diese Grösse auch sei, ein Glied der Reihe gefunden werden kann, welches seinem absoluten Werthe nach noch kleiner ist. Ebenso ist eine teleologische Argumentation für das Dasein Gottes indirect zu führen, indem etwa die Kantische Disjunction: die Welt ist entweder durch Zufall, oder durch blinde Nothwendigkeit, oder durch eine freie Ursache geworden, zum Grunde gelegt, und gezeigt wird, dass weder die erste, noch die zweite Voraussetzung, sondern nur die dritte dem gegebenen Charakter des Weltalls entspreche. Der harmonische Bau der Organismen ist nur verständlich aus dem Gedanken, »vor welchem uranfänglich alle Probleme der Physik gelöst sind«, und der endliche Geist nur aus dem ewigen Gottesgeiste. Doch kann die Logik, sofern sie Erkenntnisslehre sein will, dieses Problem nur als Beispiel zur Methode berühren, nicht als integrirenden Theil ihrer eigenen Aufgabe. Ueber das Problem selbst und die Methode seiner Lösung vgl. Trendelenburg, Log. Unters. II, S. 331; S. 337 ff.; 2. A. II, S. 406 f.; S. 426 ff.; 3. A. II, S. 461 ff.

« PreviousContinue »