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rerseits aber konnte Kant nicht umhin (im Gegensatze gegen die Skeptiker), die Apodikticität, die er in den positiven Wissenschaften vorfand, gleichsam als eine gegebene Thatsache, und die Frage, wie sie möglich sei, als ein Problem der Erkenntnisstheorie anzuerkennen. Von diesen beiden Voraussetzungen aus musste freilich wohl Kants eigene Erkenntnisslehre oder die »Kritik der reinen Vernunft«, die so manche von den traditionellen Illusionen zerstörte, doch selbst jenen in gewissem Sinne mystischen Charakter gewinnen (s. o. S. 381), den sie in der That an sich trägt: Kant sucht den Grund der wissenschaftlichen Gewissheit, den er nicht in den logischen Normen selbst zu finden weiss, jenseit derselben in den vermeintlich a priori vorhandenen Anschauungsformen, Kategorien und Ideen. Dem Ich, der reinen Apperception als einem ursprünglichen Actus der Spontaneität eines jeden Einzelnen, wird von Kant auch solches beigelegt, was doch in Wahrheit erst als historisches Resultat des Entwickelungsganges der Menschheit im Laufe der Jahrtausende aus dem geistigen Zusammenwirken der Individuen und der Nationen hervorgegangen ist, und nur auf bestimmten, historisch bedingten Culturstufen hervortreten konnte. (Vgl. J. G. Fichte, Werke, VII, S. 608: wir sind so vieles ohne unser Bewusstsein, das unserem bewussten Treiben als Prämisse zu Grunde liegt; dies sind wir durch die Zeit geworden und legen es dann auch, wie ein sich von selbst Verstehendes, so lange, bis wir es absondern und als ein historisches Zeitproduct an uns begreifen, aller Zeit zu Grunde«.) Was die formale Seite des Analogieschlusses betrifft, so lehrt Kant (Log. § 84), die Urtheilskraft schliesse darin von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art zusammenstimmen, auf die übrigen, sofern sie zu Einem Princip gehören, oder von particularer Aehnlichkeit auf totale, während bei der Induction von vielen auf alle Dinge Einer Art geschlossen werde nach dem Princip: was vielen Dingen Einer Gattung zukommt, das kommt auch den übrigen zu. Kant setzt demnach den Unterschied der Analogie von der Induction in diejenige Bestimmung, in welcher wir oben die Eigenthümlichkeit der zweiten Form der Analogie gefunden haben. Hierin sind ihm mehrere neuere Logiker gefolgt, z. B. Bachmann (Log. S. 338 ff.), Hamilton (Lect. on Log. II, S. 166), Mansel (Artis log. rudim. append. S. 226--228), während Fries (System der Log. S. 446) gegen Kant mit Recht bemerkt, dass der Rückschritt vom Allgemeinen auf das übrige Besondere das einzige Eigenthümliche der Analogie sei (S. 463 ff.) im Anschluss an Aristoteles den Schluss der Analogie auf die Combination eines Inductionsschlusses mit einem Syllogismus reducirt. Die Haupteintheilung der Schlüsse muss jedenfalls auf die wesentlichste aller Verschiedenheiten gegründet werden, ob nämlich vom Allgemeinen auf das Besondere, oder vom Besonderen auf das Allgemeine, oder (in einer Verflechtung jener beiden Formen) vom Besonderen auf ein nebengeordnetes Besonderes geschlossen wird; an die hierauf beruhenden Schlussgattungen aber knüpfen sich seit Aristoteles untrennbar die Namen: Syllogismus, Induction und Analogie. Alle anderen Unter

schiede, und so insbesondere auch der, ob von Einem oder von mehreren Exemplaren einer Gattung aus, und ob auf Grund einer Uebereinstimmung in Einem oder in mehreren Merkmalen geschlossen werde, sind vergleichungsweise von untergeordneter Bedeutung, und dürfen erst bei der ferneren Eintheilung jener Schlussgattungen in ihre Arten oder Formen maassgebend sein. Hegel (Log. II, S. 155 ff., 1834; Encycl. § 190) hält dafür, dass der Analogieschluss die zweite Aristotelische Figur (oder die dritte nach Hegels Zählung) in derselben Weise zu seinem abstracten Schema habe, wie die Induction die dritte Aristotelische (oder die zweite nach Hegel). Der Mittelbegriff des Analogieschlusses sei ein Einzelnes, aber im Sinne seiner wesentlichen Allgemeinheit, seiner Gattung oder wesentlichen Bestimmtheit. »Die Erde hat Bewohner; der Mond ist eine Erde (ein Weltkörper); also hat der Mond Bewohner«. Während also Aristoteles (s. o. S. 388) von den drei Prämissen: ▲ ist A, ▲ ist B, T ist B, zuerst die beiden ersten combinirt, um daraus durch einen Schluss vom Einzelnen auf das Allgemeine zunächst den Satz: B ist A, abzuleiten, der dann, mit der dritten verbunden, als Obersatz eines Syllogismus dient: so will offenbar Hegel zuerst die zweite und dritte Prämisse combiniren: 4 ist B, I ist B (oder im Beispiel: die Erde ist ein Weltkörper, der Mond ist ein Weltkörper), um daraus zunächst den Satz abzuleiten: Ã ist ▲ (der Mond ist eine Erde), der dann, mit der ersten Prämisse (4 ist 4, die Erde hat Bewohner), verbunden, als Untersatz eines Syllogismus dienen soll. Die Combination der Prämissen: 4 ist B, I ist B, folgt nun allerdings insofern dem Schema der zweiten Aristotelischen Syzygie, als darin der Mittelbegriff B beidemal Prädicat ist (wiewohl dieselbe sich nicht dem Gesetze der syllogistischen Modi jener Figur fügt, dass die eine Prämisse verneinend sei). Allein das ganze Verfahren hat doch nicht die gleiche Wahrheit, wie jene Aristotelische Reduction. Denn jene Subsumtion des I unter ist incorrect und gewinnt nur durch einen (von Hegel selbst Log. II, S. 157 nachgewiesenen) Doppelsinn des Begriffs (die Erde eine Erde) eine scheinbare Gültigkeit; die Aristotelische Reduction dagegen legt das Wesen des Analogieschlusses nach seiner gewissen und nach seiner zweifelhaften Seite mit logischer Strenge klar vor Augen. Abweichend von der Auffassung dieses Buches hat neuerdings Hoppe in s. Logik (1868) S. 653-717 und eingehender noch in der 1873 ersch. bes. Schrift: »Die Analogie, eine allgemein verständl. Darstellung aus dem Gebiete der Logika darzuthun gesucht, dass die Analogie eine wirre Denkoperation und deshalb aus der Logik ganz zu streichen sei.

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§ 132. Sofern bei dem Schlusse der unvollständigen Induction und der Analogie die Voraussetzung eines gesetzmässigen Zusammenhangs zwischen S und P unsicher ist, hat auch der Schlusssatz nur problematische Gültigkeit, und, falls die Gründe für denselben die etwaigen Gegengründe

überwiegen, Wahrscheinlichkeit (probabilitas). Doch wird, wenn es sich um eine nähere Bestimmung der verschiedenen Mittelstufen zwischen der vollen Gewissheit des Schlusssatzes und der Gewissheit seines contradictorischen Gegentheils handelt, der Terminus Wahrscheinlichkeit auch in einem weiteren Sinne als gemeinsamer Name für diese sämmtlichen Stufen gebraucht. Der Grad der Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne lässt in gewissen Fällen eine arithmetische Bestimmung zu, welche ihrerseits nicht nur Wahrscheinlichkeit, sondern Gewissheit haben kann. Sofern nämlich verschiedene Analogien, von denen die einen für den Schlusssatz, die anderen aber für dessen contradictorisches Gegentheil sprechen, im Allgemeinen eine gleiche Anwendbarkeit haben, lässt sich der Grad der Wahrscheinlichkeit mathematisch als ein Bruch darstellen, dessen Nenner durch die Anzahl der überhaupt verglichenen Fälle, und dessen Zähler durch die Anzahl der günstigen gebildet wird. Der Wahrscheinlichkeitsgrad eines bestimmten Erfolges ist dann also das Verhältniss der Zahl der Fälle, die unter gleichen Umständen zu einem derartigen Erfolge geführt haben, zu der Zahl der verglichenen Fälle überhaupt. Diese letztere Zahl muss bei empirischer Statistik (z. B. in Betreff der Tödtlichkeit gewisser Verletzungen) eine beträchtliche Grösse haben, um zu einer Abschätzung des Wahrscheinlichkeitsgrades zu berechtigen; sie ist dagegen eine feste, wenn sich die überhaupt möglichen Arten des Erfolges (wie z. B. bei dem Würfelspiel) aus der Natur der Sache ableiten lassen, und führt dann zu den sichersten Schlüssen. Sofern aber die verschiedenen Analogien eine verschiedene Anwendbarkeit haben, ist eine mathematische Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrades in der Regel unmöglich, und es kann nur eine minder genaue Abschätzung des Wahrscheinlichkeitsgrades eintreten, die auch ihrerseits nicht auf Gewissheit, sondern nur auf Wahrscheinlichkeit Anspruch hat. Diese Art der Abschätzung des Wahrscheinlichkeitsgrades wird im Gegensatz zu der mathematischen gewöhnlich die philosophische, richtiger aber, sofern sie sich auf eine Abwägung der inneren Kraft der verschiedenen Gründe und Gegengründe stützt, die dynamische genannt.

Ungenau sind die Termini: mathematische und philosophische (dynamische) Wahrscheinlichkeit; denn nicht diese selbst, sondern die Art der Abschätzung ihres Grades, ist mathematisch (arithmetisch) oder dynamisch.

Der Grad 1n bezeichnet nach der obigen Bestimmung die volle Gewissheit, indem die Zahl der günstigen Fälle mit der Gesammtzahl aller Fälle die gleiche ist; der Grad 0 = on die Gewissheit des contradictorischen Gegentheils, da es unter allen Fällen überhaupt gar keine günstigen giebt; der Grad 1/2 das Gleichgewicht der Gründe und Gegengründe; die echten Brüche zwischen 11⁄2 und 1 die Wahrscheinlichkeit im engeren Sinne als das Uebergewicht der günstigen Fälle über die ungünstigen, und endlich die echten Brüche zwischen und O die Unwahrscheinlichkeit in ihren verschiedenen Abstufungen. Die nähere Darlegung der Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung (calculus probabilium) ist jedoch nicht Sache der Logik, sondern der Mathematik. Zu vergl. Poisson, recherches sur la probabilité des jugemens 1837 u. Fries, Vers. einer Kritik der Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung. 1842.

§ 133. Bei jedem formal richtigen und zugleich streng allgemeingültigen Schluss folgt aus der materialen Wahrheit der Prämissen die materiale Wahrheit des Schlusssatzes, aber nicht umgekehrt aus dieser jene, und aus der materialen Unwahrheit des Schlusssatzes die materiale Unwahrheit mindestens Einer Prämisse, aber wiederum nicht umgekehrt aus dieser jene. Von den Prämissen können einzelne oder auch alle falsch sein, und dennoch der Schlusssatz wahr; aber es kann nicht geschehen, dass die Prämissen alle wahr seien, und dennoch bei richtiger Ableitung der Schlusssatz falsch sei. Aus Wahrem kann nur Wahres folgen: aber aus Falschem sowohl Falsches als Wahres. Der Beweis für die materiale Wahrheit des aus wahren Prämissen richtig abgeleiteten Schlusssatzes liegt eben in der logischen Richtigkeit der Ableitung selbst; denn da die logischen Normen der Schlussbildung, wie die logischen Normen überhaupt, auf die Idee der Wahrheit gegründet sind (s. o. § 3; vgl. § 75 ff.; § 101), so würde eine Ableitung, die zu Unwahrem führte, sich eben hierdurch als den logischen Normen widerstreitend, folglich als unrichtig erweisen, gegen die Voraussetzung. Wird aber aus Falschem den logischen Normen gemäss weiter geschlossen, so liegt im Allgemeinen weder irgend eine Nothwendigkeit vor,

dass daraus wiederum Falsches, noch auch, dass daraus Wahres folge; sondern hierüber entscheiden die jedesmaligen Verhältnisse in den besonderen Fällen.

So ist insbesondere bei dem Syllogismus die materiale Wahrheit des Schlusssatzes bei formal richtiger Ableitung aus material wahren Prämissen nothwendig; dieselbe kann aber zufälligerweise auch mit der Unwahrheit sowohl einer einzelnen, als auch beider Prāmissen zusammenbestehen. Die Analogie zwischen Schliessen und Rechnen darf nicht zu der Meinung verleiten, als könne nur dann, wenn mehrere materiale Fehler in den Voraussetzungen einander compensiren, der Schlusssatz materiale Wahrheit haben. Die Unrichtigkeit einer Prämisse, z. B. eines Obersatzes in dem syllogistischen Modus Barbara, kann in einer falschen Verallgemeinerung liegen, während das entsprechende particulare Urtheil wahr sein würde, und der material wahre Untersatz gerade solches herausheben, dem das Prädicat des Obersatzes wirklich zukommt, z. B. alle Parallelogramme lassen sich einem Kreise einschreiben; alle Rectangel sind Parallelogramme; also lassen sich alle Rectangel einem Kreise einschreiben. Ebenso kann der Untersatz falsch sein, indem er das S unter M, statt unter M' subsumirt, und dennoch der Schlusssatz wahr, indem das P sowohl dem M, als dem M' zukommt, z. B. in Klübers Enthymema (Völkerrecht, zu § 143): die Heiligkeit der Verträge hat keine religiöse Beziehung; also ist sie unabhängig von dem kirchlichen Lehrbegriff und von der Religionsverschiedenheit der Völker«. (Nicht nur was überhaupt keine, sondern auch, was zwar eine allgemeine, aber nicht nothwendig eine specielle religiöse Beziehung hat, ist von der Religionsverschiedenheit der Völker unabhängig.) Diese Möglichkeit aber, von Falschem au zufälligerweise durch formal richtige Ableitung auf Wahres zu stossen, darf keineswegs (mit Vorländer, Erkenntnisslehre, S. 160) als ein Beweis einer Mangelhaftigkeit des Syllogismus angesehen werden; denn der logische Werth desselben ist dadurch vollkommen gesichert, dass er aus Wahrem mit Nothwendigkeit zu Wahrem und nur zu solchem hinführt.

Schon Aristoteles lehrt mit Recht (Anal. pri. II, 2): ¿§ ààŋdāv μὲν οὐκ ἔστι ψεῦδος συλλογίσασθαι· ἐκ ψευδῶν δ' ἔστιν ἀληθές, πλὴν où dióti, 22' ör, und erörtert das letztere Verhältniss ausführlich (c. 2-4) in Bezug auf die einzelnen syllogistischen Figuren.

§ 134. Die Hypothese (hypothesis) ist die vorläufige Annahme einer ungewissen Prämisse, die auf eine dafür gehaltene Ursache geht, zum Zweck ihrer Prüfung an ihren Consequenzen. Jede einzelne mit formaler Richtigkeit abgeleitete Folge, welche ohne materiale Wahrheit ist, beweist die Unwahrheit der Hypothese. Jede Folge dagegen, welche

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