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leben; die Antipoden müssten dies; also giebt es keine Antipoden (wo die erste Prämisse nur für ein vom Standpuncte der betreffenden Individuen aus verstandenes Oben und Unten, die zweite nur für ein von dem Standpuncte des Redenden aus verstandenes Oben und Unten gilt). Eine quaternio terminorum liegt in Calov's Schluss, Aenderungen auch nur der Vocale im hebräischen Bibeltext seien unzulässig und frevelhaft, weil der irrsame Mensch Gottes Wort nicht antasten dürfe (wo unter >> Gottes Wort einmal realistisch der überlieferte Bibeltext, dann idealistisch die göttliche Wahrheit verstanden wird). Wenn die Stoiker als Beispiel einer Unmöglichkeit anzuführen pflegten: ʼn yй intatαı, mit dem Fliegen im eigentlichen Sinne aber zugleich auch die Bewegung überhaupt von der Erde ausschlossen, so lässt sich in der verführerischen Bildlichkeit des Ausdrucks intαova ein implicite vorhandener Fehlschluss erkennen, welcher explicite lauten würde: Was sich im freien Raume (ununterstützt) fortbewegt, fliegt; das Flügellose (und insbesondere die Erde) fliegt nicht; also bewegt sich das Flügellose (die Erde) nicht im freien Raume fort. Die logische Analysis lässt sofort den auf dem Doppelsinn des Ausdrucks » Fliegen « beruhenden Fehler in dieser Gedankenverbindung erkennen, welcher sich bei dem enthymematischen Gebrauche des bildlichen Ausdrucks verbirgt. Vgl. oben zu § 61, S. 139 f. die Bemerkung über synthetische Definitionen und unten § 137 über die Beweisfehler.

Aristoteles hat in seiner Schrift περὶ τῶν σοφιστικῶν ἐλέγχων sich überall durch die specielle Rücksicht auf die damals vielbesprochenen Sophismen leiten lassen. Er definirt (Top. VIII, 11) das oóqioμa als συλλογισμὸς ἐριστικός und theilt die Sophismen in zwei Hauptclassen ein: παρὰ τὴν λέξιν und ἔξω τῆς λέξεως. Zu der ersten Hauptclasse rechnet er (de soph. elench. c. 4) sechs Arten: ouwvvuía (aequivocatio), ἀμφιβολία (ambiguitas), σύνθεσις (fallacia a sensu diviso ad sensum compositum), dicíoɛois (fallacia a sensu composito ad sensum divisum), προσωδία (accentus), σχῆμα τῆς λέξεως (figura dictionis), wovon jedoch die dritte und die vierte (die Verwechselung des distributiven und des collectiven Sinnes oder dessen, was von allen Einzelnen oder in jeder einzelnen Beziehung besonders, und dessen, was nur von der Gesammtheit als solcher gilt), sofern sie überhaupt den fallaciis secundum dictionem zugehören, sich unter den Begriff der Amphibolie in dem oben angegebenen Sinne subsumiren lassen. (Unter den σχήματα τῆς λέξεως versteht Aristoteles hier die grammatischen Formen der Nomina und Verba, und Poët. c. 19 speciell die in der verschiedenartigen Beziehung des Prädicates auf das Subject begründeten Satzformen, zu deren Ausdruck zum Theil die verbalen Modi dienen: Befehl, Bitte, Drohung, Aussage, Frage und Antwort.) Zu der zweiten Hauptclasse, den Sophismen w tйs λésɛws, rechnet Aristoteles (c. 5) folgende sieben Arten: παρὰ τὸ συμβεβηκός (fallacia ratiocinationis ex accidente), τὸ ἁπλῶς ἢ μὴ ἁπλῶς (a dicto simpliciter ad dictum secundum quid), ἡ τοῦ ἐλέγχου ἄγνοια (ignoratio elenchi), παρὰ τὸ ἑπόμενον (fallacia ratiocinationis ex consequente ad antecedens), τὸ ἐν ἀρχῇ λαμβάνειν, αἰτεῖσθαι

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(petitio principii), τὸ μὴ αἴτιον ὡς αἴτιον τιθέναι (fallacia de non causa ut causa), τὸ τὰ πλείω ἐρωτήματα ἓν ποιεῖν (fallacia plurium interrogationum). Doch sind diese Fehler zum Theil mehr Beweisfehler (s. u. § 137) oder auch Fehler in den einzelnen Urtheilen, als eigentliche Schlussfehler. Zu den von Aristoteles bezeichneten Fehlern bringt er selbst Beispiele in seiner Schrift περὶ σοφιστικῶν ἐλέγχων bei; auch mag Plato's (oder eines Platonikers) Dialog Euthydemus verglichen werden. Alte und moderne Beispiele, doch meist gemachte, giebt Fries (System der Logik, § 109). Eine ausführliche und genaue Erörterung von Schlussfehlern findet sich bei Mill, Log., übers. von Schiel, 2. (u. 3.) Aufl., II, S. 398-432. Im Hinblick auf den nebulosen und verschwommenen Charakter so mancher neueren Speculationen und auf die zahllosen Schlussfehler, mittelst deren oft für die unlösbare Aufgabe einer Ableitung des Vollen aus dem Leeren der Anschein einer Lösung erzielt worden ist, sagt Trendelenburg (Erl. zu den Elem. der Arist. Log. 1842, S. 69) mit Recht: »Es würde an der Zeit sein, Aristoteles Schrift von den sophistischen Ueberführungen ins Moderne zu übersetzen. Diese Aufgabe ist durch den Antibarbarus logicus von Cajus, 1851; 2. Aufl., 1. Heft, 1853 (s. o. zu § 29, S. 48) doch nur in einseitiger Weise gelöst worden, wiewohl der Verfasser nicht ohne Geschick gewisse policeiliche Functionen auf dem Gebiete des philosophischen Denkens zu üben weiss.

§ 127. Die Induction (inductio, naywyn) ist der Schluss vom Einzelnen oder Besonderen auf das Allgemeine. Die Form derselben ist folgende:

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Dieser Schluss geht von dem Einzelnen oder Besonderen (M), welches sich durch successive Erweiterung dem Allgemeinen (S) nähert, auf das Allgemeine (S). Der Inductionsschluss ist seiner äusseren Form nach mit einem conjunctiven Syllogismus der dritten Figur verwandt, unterscheidet sich aber von demselben wesentlich durch die erstrebte Allgemeinheit des Schlusssatzes.

Der Ausdruck Induction wird im eigentlichsten und strengsten Sinne dann gebraucht, wenn von dem Einzelnen, das sich durch Beobachtung feststellen lässt, auf das Allgemeine geschlossen wird; doch ist die logische Form auch dann die gleiche, wenn von kleineren Gruppen auf das dieselben umfassende Allgemeine geschlossen wird, wesshalb auch dieser Schluss als ein inductiver anerkannt werden muss.

Nicht nur das Subject, sondern auch das Prädicat des Unter

satzes kann bei dem Inductionsschlusse ein mehrfaches sein. Wäre bloss das Prädicat ein mehrfaches, so würde sich die Form ergeben: M ist P.

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Alles, was sowohl 01, als 2, als σ3 ist, ist P.

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Z. B. die Erde hat jetzt Bewohner; die Erde ist ein Planet von mittlerer Grösse, mittlerer Entfernung von der Sonne, umgeben von einer Atmosphäre mit regelmässig wiederkehrenden meteorologischen Processen; jeder Planet gleicher Art hat wohl auch jetzt Bewohner.

Dieser Schluss würde von dem Einzelnen oder Besonderen (M) auf ein Allgemeines (o) gehen, welches sich durch successive Beschränkung ihm (dem M) annähert. Aber den eigentlich inductiven Charakter trägt diese Form doch nicht, sofern das » Alles, was sowohl 1, als σ1⁄2 ... ist«, nicht einen wahrhaft einheitlichen allgemeinen Begriff ergiebt, und das Gleiche würde bei der combinirten Form gelten:

D

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Alle diese Formen können auch bei hypothetischen Schlüssen vorkommen.

Als Beispiel zu der Induction mag hier der Schluss dienen: der Planet Mars bewegt sich (wie Kepler nachgewiesen hat) in einer elliptischen Bahn um die Sonne. Der Planet Jupiter desgleichen, etc. Also ist anzunehmen, dass sich die Planeten überhaupt in elliptischer Bahn um die Sonne bewegen. Andere Beispiele werden die nächsten Paragraphen enthalten.

Aristoteles führt auf Sokrates den ersten methodischen Gebrauch der Induction zurück (s. o. § 12). Bemerkenswerth ist der Gebrauch des Ausdrucks navάyav bei Xenophon Memorab. IV, 6, 13 und 14, wo von Sokrates gesagt wird, falls ihm jemand ohne Anführung von Gründen widersprochen habe, so sei er jedesmal auf die Voraussetzungen zurückgegangen, wie z. B. wenn in Frage kam, welcher Bürger der bessere sei, so habe Sokrates zuerst untersucht, was das Werk des guten Bürgers in der Staatsverwaltung, im Kriege, bei Gesandtschaften etc. sei, ἐπὶ τὴν ὑπόθεσιν ἐπανῆγεν ἂν πάντα τὸν λόγον·

οὕτω τῶν λόγων ἐπαναγομένων καὶ τοῖς ἀντιλέγουσιν αὐτοῖς φανερὸν ¿yíyveto tákndés. Es ist dies ein Zurückgehen auf das Allgemeine, aber nicht, um es selbst, sondern um aus ihm Anderes zu erschliessen. In ähnlicher Art lässt Plato im Dialog Phaedo p. 101 E den Sokrates das Zurückgehen von einem streitigen Satze auf allgemeinere und sicherere Voraussetzungen fordern. Die Sokratische »>Induction<< im Aristotelischen Sinne liegt nicht in diesem Verfahren, sondern in der Zusammenfassung einzelner gleichartiger Thatsachen zu einem allgemeinen Satze, der durch jene gewiss wird, z. B.: der sachverständige Steuermann ist der tüchtigste, der sachverständige Arzt ist der tüchtigste etc.; also wird überhaupt auf allen Gebieten der Sachverständige

der Tüchtigste sein. Plato stellt, wie Sokrates, das Zusammenfassen des Einzelnen zum Allgemeinen in den Dienst der Begriffsbestimmung. Phaedr. 265 D: εἰς μίαν τε ἰδέαν συνορῶντα ἄγειν τὰ πολλαχῇ διεσπαρ μένα, ἵνα ἕκαστον ὁριζόμενος δῆλον ποιῇ περὶ οὗ ἂν ἀεὶ διδάσκειν ἐθέλῃ. Dies sei die eine Verfahrungsweise (sidos) des philosophischen Denkens, welche die naturgemässe Voraussetzung der entgegengesetzten, nämlich des Herabsteigens vom Allgemeinen zum Besonderen bilde. Der Weg der Abstraction, die zum allgemeinen Begriffe, und der Induction, die zum allgemeinen Satze führt, erscheint hier noch in ungesonderter Einheit. Aristoteles nennt die Abstraction άpaigeois (Anal. post. I, 18 u. öfter), die Induction aber naywyn, und definirt die letztere (Top. 1, 12): ἐπαγωγὴ ἡ ἀπὸ τῶν καθ' ἕκαστον ἐπὶ τὰ καθόλου ἔφοδος. Cf. Anal. post. I, 18: ἡ δ' ἐπαγωγὴ ἐκ τῶν κατὰ μέρος. Die Induction im strengeren Sinne ist bei Aristoteles der Abstraction coordinirt, indem sie zu dem allgemeinen Urtheil oder Satz, die Abstraction dagegen zu dem allgemeinen Begriff führt; doch gebraucht Aristoteles nicht ganz selten (so namentlich auch in der oben, § 12, S. 20 angeführten Aussage Metaph. XIII, 4, dass Sokrates das inductive und das definitorische Verfahren begründet habe) naуwyn in einem weiteren Sinne, in welchem er die Abstraction mit darunter subsumirt. Der Name Eлαywy'n geht auf das successive Aufzählen der einzelnen Glieder (rationes inferre). Aristoteles lehrt (Anal. post. I, 18): aðúvatov dè tà załólov θεωρῆσαι μὴ δι' ἐπαγωγῆς, ἐπεὶ καὶ τὰ ἐξ ἀφαιρέσεως λεγόμενα (d. h. insbesondere das Mathematische) ἔσται δι' ἐπαγωγῆς γνώριμα ποιεῖν. Doch hält er die Induction nur für eine mehr populäre, als streng wissenschaftliche Erkenntnissweise (Anal. pri. II, 23): qúou μèv oùr πρότερος καὶ γνωριμώτερος ὁ διὰ τοῦ μέσου συλλογισμός, ἡμῖν δ' ἐναρ γέστερος ὁ διὰ τῆς ἐπαγωγῆς. Wohl um dieser Ansicht willen hat Aristoteles die Theorie der Induction weit weniger eingehend dargestellt, als die des Syllogismus. Als wissenschaftliche Induction gilt ihm nur die vollständige (vgl. unten § 128). Analyt. pri. II, 23: Sɛì Sẻ νοεῖν τὸ Γ τὸ ἐξ ἁπάντων τῶν καθ ̓ ἕκαστον συγκείμενον· ἡ γὰρ ἐπαγωγὴ διὰ πάντων, Ueber das Verfahren bei unvollständiger Induction lehrt Aristoteles in seinen logischen Schriften nur, dass die Verallgemeinerung vieler gleichartigen Erfahrungen dann zulässig sei, wenn kein Gegenfall vorliege. Top. VII, 8: πρὸς δὲ τὸ καθόλου πειρατέον ἔνστασιν φέρειν· τὸ γὰρ ἄνευ ἐνστάσεως, ἢ οὔσης ἢ δοκούσης, κωλύειν τὸν λόγον δυσχεραίνειν ἐστίν· εἰ οὖν ἐπὶ πολλῶν φαινομένων μὴ δίδωσι τὸ καθόλου μὴ ἔχων ἔνστασιν, φανερὸν ὅτι δυσκολαίνει. Der Gedanke, dass der Causalzusammenhang zur Verallgemeinerung berechtige, tritt bei Aristoteles zwar bei der Bildung bestimmter Inductionen hervor (de part. anim. IV, 2, p. 667 A. 37: Langlebigkeit der Thiere, welche wenig Galle haben), gewinnt aber nicht in der logischen Theorie des Aristoteles eine fundamentale Bedeutung. Im Anschluss an Aristoteles definirt Boëthius (de differentiis topicis, oper. ed. Basil. 1546, p. 864: » inductio est oratio, per quam fit a particularibus ad universalia progressio (wogegen der Syllogismus ab universalibus in particularia her

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absteige). Die volle Bedeutung des inductiven Verfahrens in den Wissenschaften zu erkennen, blieb der neueren Zeit vorbehalten. Das Mittelalter wollte aus gegebenen Principien das Einzelne deduciren, und dazu diente ihm die syllogistische Form; die neuere Zeit aber suchte auch die Principien selbst auf wissenschaftliche Weise aufzufinden, und bedurfte zu diesem Zwecke der Induction: die neueren Naturforscher üben die inductive Methode neben der mathematischen Deduction, und Baco von Verulam entwirft die Grundzüge zur Theorie derselben. Er verlangt ein methodischeres Verfahren, als die blosse Aufzählung einzelner Fälle, denen doch stets andere widerstreiten können. Baco sagt (Nov. Org. I, 105): Inductio quae procedit per enumerationem ́simplicem, res puerilis est et precario concludit et periculo exponitur ab instantia contradictoria et plerumque secundum pauciora quam par est et ex iis tantummodo quae praesto sunt pronunciat. At inductio quae ad inventionem et demonstrationem scientiarum et artium erit utilis, naturam separare debet per reiectiones et exclusiones debitas ac deinde post negativas tot quot sufficiunt super affirmativas concludere quod adhuc factum non est nec tentatum certe nisi tantummodo a Platone, qui ad excutiendas definitiones et ideas hac certe forma inductionis aliquatenus utitur. Baco sucht dann (freilich in einer sehr unzulänglichen Weise) das richtige Verfahren näher zu bestimmen. Die dogmatistische Entwickelungsreihe der neueren Philosophie von Cartesius bis auf Leibnitz und Wolff verschmäht nicht die Induction, führt aber auch nicht die Theorie derselben bedeutend über die Aristotelischen Lehren hinaus; ihr Interesse ist vorwiegend der Deduction zugewandt. Doch weist Wolff (Log. § 706-8) mit Recht darauf hin, wie der Causalzusammenhang zur Bildung allgemeiner Urtheile von einzelnen Erfahrungen aus berechtige, wiewohl er diesem Verfahren den Namen der unvollständigen Induction (vgl. § 129), woran damals noch bei der äusserlichen Auffassung der inductiven Methode der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit haftete, nicht giebt, sondern es derselben als das Die von Locke angebahnte empiristische Richtung bevorzugt die Induction, vermag aber, weil sie von den metaphysischen Beziehungen allzusehr absieht, die Theorie dieser Methode nicht wesentlich zu bereichern und zu vertiefen. Die neuesten Versuche, das, was Baco in seinem Novum Organum beabsichtigte, mit den wissenschaftlichen Mitteln unserer Zeit und in einer dem heutigen Standpuncte der positiven Wissenschaften entsprechenden Weise auszuführen, sind meist von philosophisch angeregten Vertretern naturwissenschaftlicher Disciplinen ausgegangen. Ausser den oben (zu § 35) angeführten Werken von Whewell, J. Herschel, J. St. Mill und A. Comte ist hier besonders noch die auf den philosophischen Grundsätzen von Kant und Fries beruhende Schrift von Apelt zu erwähnen: die Theorie der Induction, 1854. Vieles Schätzbare giebt auch, zunächst in Beziehung auf sein specielles Gebiet, Oesterlen, Medicinische Logik, 1852. Vgl. auch Liebig, Induction und Deduction (Rede, gehalten in der öffentl. Sitzung der Münchener Akad. d. Wiss. am 28. März

bessere entgegensetzt.

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