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der Reinheit der christlichen Lehre; wieder Andere, wie namentlich Augustin (354-430 n. Chr.), huldigen einer vermittelnden Richtung. Am engsten ist die theils befreundete, theils gegnerische Berührung mit dem Neuplatonismus. Auf die Wahrheit der Erkenntniss von dem innern Leben gründet Augustin die Wahrheit der Erkenntniss überhaupt (s. unten zu § 40). Die Ideen sind ihm principales formae quaedam vel rationes rerum stabiles atque incommutabiles, quae in divina intelligentia continentur (de div. qu. 46). Boëthius (470-525) übersetzte und commentirte mehrere Schriften des Aristotelischen Organons und erläuterte die durch den Rhetor Victorinus verfertigte Uebersetzung der Isagoge des Porphyrius. Marcianus Capella (um 430) und Cassiodorus (um 500) in ihren Lehrbüchern der septem artes liberales (Grammatik, Rhetorik, Dialektik; - Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) handeln unter anderem auch von der Dialektik oder Logik im Anschluss an Aristoteles. Auf ihnen fussen dann Isidorus Hispalensis (um 600), Beda (um 700) und Alcuin (736--804), Unter den arabischen Aristotelikern sind besonders Avicenna (Ibn Sina, um 1000 n. Chr.) und Averroes (Ibn Roschd, um 1175) berühmt; unter den jüdischen ist des Averroës Zeitgenosse Moses Maimonides (Moses Ben Maimun, 1135-1204), » dieses Licht unter den Juden des Mittelalters«, der bedeutendste.

§ 21. Im Mittelalter entwickelt sich unter dem Einflusse theils der Kirchenväter, theils logischer Schriften des Aristoteles und später (etwa seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts) auch der übrigen Aristotelischen Werke die scholastische Philosophie. Das Wesen der mittelalterlichen Scholastik ist die Uebung des ordnenden und schliessenden Verstandes an der formalen Aussenseite des Dogmas und der Wissenschaften bei traditionell gegebenem Inhalte. Für die Logik ist sie in zweifacher Beziehung von Bedeutung: a. durch ein subtiles Ausspinnen der Aristotelischen Syllogistik, b. durch den Kampf des Realismus und Nominalismus in der Frage nach der realen Existenz der Universalien. Der Realismus behauptet in der Zeit der Culmination der Scholastik eine fast unbeschränkte Herrschaft. Der Nominalismus, der durch seine Behauptung, dass das Allgemeine nicht etwas Reales sei, sondern nur im Wort oder auch etwa noch in der Vorstellung (Conceptualismus) existire, den Werth der scholastischen Kunst herabzusetzen droht, findet nur theils beim Beginne der Scholastik eine vereinzelte und vorübergehende, theils in der späteren Zeit eine allgemeinere und siegreiche Vertretung.

Die allgemeine Tendenz der Scholastik bezeichnet der Wahlspruch des Anselmus von Canterbury (1033-1109): Credo, ut intelligam». Doch richtet sich, wie es in der Natur der Sache liegt, das Streben nach wissenschaftlicher Vernunfteinsicht zunächst vorwiegend auf die äussere, formale Verarbeitung des gegebenen Inhaltes der Glaubenslehre und der weltlichen Wissenschaften. Die Kenntniss der logischen Werke des Aristoteles war bis zur Zeit Abälards (der von 1079-1142 lebte) auf die Uebersetzungen der Categ. und der Schrift de Interpr. beschränkt wozu die Isagoge des Porphyrius und von Boëthius verfasste Lehrbücher (nebst den Augustinischen Principia dialect. und der pseudo-Augustinischen Schrift über die zehn Kategorien) kamen (nach dem Zeugniss des Abälard bei Cousin, oeuvres inéd. p. 228, s. Prantl, Gesch. der Logik II, S. 100; Abälard kannte ausserdem vielleicht mittelbar einzelne Sätze, die Aristoteles in den übrigen logischen Schriften aufstellt). Bald nachher, um die Mitte und schon vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts, verbreitete sich allmählich mehr und mehr die Kenntniss der beiden Analytiken und der Topik nebst Soph. El. theils in der Boëthianischen, theils in anderen, neuen und wörtlicheren Uebersetzungen. Johann von Salisbury (gest. 1180 als Bischof von Chartres) kannte das ganze Organon. Theils vielleicht schon im Laufe des zwölften, theils und besonders im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts gewann die Logik eine neue Ausbildung, deren wesentlicher Charakter in der Mitaufnahme grammatischlogischer Begriffe und Lehren liegt; diese neue Form verbreitete sich zumeist durch das Compendium des (als Papst Johann XXI im Jahre 1277 gestorbenen) Petrus Hispanus: »Summulae logicales « (worin u. a. auch die voces memoriales für die Formen der Schlüsse sich finden). Die logischen Lehren des Aristoteles wurden hier in sechs Abschnitten (tractatus) vorgetragen, wovon der erste den Inhalt des Buches de interpr. wiedergab, der zweite die quinque voces des Porphyrius (genus, species, differentia, proprium und accidens) behandelte, der dritte die Kategorien, der vierte die Syllogistik, der fünfte die Topik, der sechste die Soph. Elench.; dazu trat dann ein siebenter Abschnitt, worin » de terminorum proprietatibus«: über den Gebrauch der Substantiva, namentlich über deren »Suppositio«, d. h. die Vertretung des specielleren durch ein allgemeineres, des Eigennamens durch einen Gemeinnamen, ferner der Adjectiva und Verba und der »Syncategoremata«, d. h. der Gesammtheit der übrigen Redetheile, gehandelt wurde. Dieser siebente Abschnitt wurde auch »parva logicalia« genannt, und unter diesem Titel häufig eigens gedruckt. Der altbekannte Theil der Aristotelischen Logik hiess vetus logica, der um 1140 bekannt gewordene Theil derselben nova logica; die Vertreter der durch die Lehre de prop. term. erweiterten Logik aber hiessen moderni, und die betreffenden Abschnitte der gesammten Logik tractatus modernorum. Durch Occam, den Erneuerer des Nominalismus (um 1320), wurden die Sätze und Termini dieser Abschnitte (nach Prantl, Sitzungsber. der Münchener Akad. 1864, II, 1, S. 65; vgl. den Abschnitt über Occam in Prantl's Gesch. der Logik) in die ganze Lehre von den Universalien verwoben«. Dass diese

» moderne‹ Logik auf einem byzantinischen Einfluss beruhe, ist wohl nicht (mit Prantl) anzunehmen; ein griechisches Compendium, welches dieselbe in ganz gleicher Weise, wie die Summulae des Petrus Hispanus enthält, wird von Einigen dem Michael Psellus (der im 11. Jahrh. lebte) zugeschrieben, aus dem dann Petrus Hispanus und andere lateinische Logiker geschöpft haben müssten, gilt aber Andern mit Recht als eine Uebersetzung des Lehrbuchs des Petrus Hispanus. Die metaphysischen und physischen Schriften des Aristoteles wurden (wie A. Jourdain, recherches crit. sur l'âge et l'origine des trad. lat. d'Aristote, Par. 1819. 2. Aufl. 1843, u. A. nachgewiesen haben) seit dem Ende des zwölften und Anfange des dreizehnten Jahrhunderts dem Abendlande bekannt, hauptsächlich dadurch, dass arabische und hebräische Uebersetzungen derselben in's Lateinische übertragen wurden; doch wurden bald auch griechische Texte aus Constantinopel geholt, zumal seit die Einnahme dieser Stadt durch die Kreuzfahrer (1204) diesen Weg erschlossen hatte. Dem Realismus huldigten namentlich Anselm, Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Duns Scotus; dem Nominalismus Roscellin, und auch (unter Annäherung an den Conceptualismus) Abälard, und später, seit dem 14. Jahrhundert, Wilhelm von Occam, Buridan, Peter von Ailly, Biel und Andere. Auch Melanchthon war Nominalist. Selbst die Häupter der Scholastik, wie namentlich Albertus Magnus (1193--1280), Thomas von Aquino (1225-1274) und Duns Scotus (gest. 1308) verschmähten es nicht, über logische Werke des Aristoteles Commentare zu schreiben. Ueber die phantastische »ars magna et ultima« des Raymundus Lullius (1234-1315), eine Art combinatorischer Topik, urtheilt Des Cartes mit Recht (Disc. de methodo, II), sie diene nur ad copiose et sine iudicio de iis, quae nescimus, garriendum«.

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§ 22. Das wiederaufblühende Studium der altclassischen Litteratur und der grosse Kampf um die Reformation der Kirche verdrängten die scholastischen Streitfragen aus dem Interesse der Zeit. Doch liegt in dem allgemeinen Bruch mit dem Traditionalismus auch der Keim zu einer neuen selbständigen Fortbildung der Logik, wie der Philosophie überhaupt. Zunächst erhält sich das Studium der Aristotelischen Logik und wird auch von den Reformatoren gefördert. Melanchthons auf Grund der Aristotelischen Werke verfasste Lehrbücher dienen in den protestantischen Schulen lange als Grundlage des logischen Unterrichts. Als Gegner nicht nur der scholastischen, sondern selbst der Aristotelischen Logik tritt Petrus Ramus auf.

Unter den classisch gebildeten Männern jener Zeit machten sich besonders Laurentius Valla (1415-65), Agricola (1442-85) und Lud. Vives (1492-1540) um die Logik durch Reinigung von scholastischen

Subtilitäten verdient. Melanchthon (1497-1560) in seinen Schriften: Dialectica 1520 u. ö., Erotemata dialectices 1547 u. ö., stellt die didaktische Seite in den Vordergrund, indem er die Dialektik als ars et via docendi erklärt. Sein Beispiel und sein Ausspruch: »carere monumentis Aristotelis non possumus « stützen innerhalb des Protestantismus wiederum die Autorität des Aristoteles, die Luthers anfängliche Angriffe zu erschüttern gedroht hatten. Vgl. A. Richter, Melanchthons Verdienste um d. philos. Unterricht, Leipzig 1870. - Petrus Ramus (Pierre de la Ramée, 1515–72) in seinen Dialecticae portiones 1543, Institutiones dialect. 1547, Scholae dialect. 1548, hat durch seine Bekämpfung des Aristoteles mehr anregend als positiv fortbildend gewirkt. Das Gleiche gilt von den tumultuarischen Bestrebungen der gleichzeitigen italienischen Naturphilosophen, eines Telesius, Campanella, Bruno und Vanini, ebenso auch des naturphilosophischen Arztes Paracelsus und Anderer, die jedoch bei aller Phantastik sich insoweit ein bleibendes Verdienst erworben haben, als sie ihre Naturlehre und Weltanschauung auf Beobachtung und Mathematik begründeten. Durch die Forderung: »cominciare dall' esperienza e per mezzo di questa scoprirne la ragione« ist Leonardo da Vinci (1452-1519) ein Vorläufer Baco's geworden.

§ 23. Ein wesentlich neues Element führt als ein Vorkämpfer der antischolastischen, auf Naturforschung ausgehenden Richtung seiner Zeit Baco von Verulam (1561-1626) durch seine Theorie der inductiven Erkenntniss in die Logik ein. Er verlangt, dass die Induction von dem Einzelnen der Erfahrung aus erst zu Begriffen und Sätzen von mittlerer Allgemeinheit und danach stufenweise zu Erkenntnissen von höherer Allgemeinheit aufsteige. Den Syllogismus lässt Baco nicht als ein Mittel wissenschaftlicher Forschung gelten, weil derselbe zu den Principien nicht führe, in der Ableitung aus den Principien aber der Feinheit der Natur nicht gewachsen sei und nur für die populären Wissenschaften passe. Baco verkennt jedoch den Werth der Deduction des Besonderen aus dem Allgemeinen und die Bedeutung, welche der Syllogismus für die deductive und mittelbar auch für die inductive Erkenntniss hat.

Baco hat seine Ansichten in der Abhandlung de dignitate et augmentis scientiarum und in dem Novum Organum niedergelegt. Er sagt de augm. sc. I, 18: Scientia nihil aliud est, quam veritatis imago; nam veritas essendi et veritas cognoscendi idem sunt, nec plus a se invicem differunt, quam radius directus et radius reflexus. Novum Org. I, aphor. XIII: Syllogismus ad principia scientiarum non adhibetur, ad media axiomata frustra adhibetur, quum sit subtilitati naturae longe impar. Assensum igitur constringit, non res. Ib. XIV: Syllogismus ex

propositionibus constat, propositiones e verbis, verba notionum tesserae sunt. Itaque si notiones ipsae, id quod basis rei est, confusae sint et temere a rebus abstractae, nihil in iis quae superstruuntur est firmitudinis. Itaque spes una est in inductione vera. Nach N. O. I, 127 soll die inductive Logik nicht, wie die gewöhnliche, nur eine Norm für die in sich verharrende intellectuelle Thätigkeit, sondern eine Norm der Erkenntniss der Dinge sein: ita mentem regimus, ut ad rerum naturam se applicare possit. Diese Logik rühmt er als den Schlüssel der übrigen Wissenschaften, da sie den denkenden Geist in seinem Streben nach Erkenntniss zugleich leite und kräftige, de augm. sc. V, 1: Rationales scientiae reliquarum omnino claves sunt; atque quemadmodum manus instrumentum instrumentorum, anima forma formarum, ita et illae artes artium ponendae sunt. Neque solum dirigunt, sed et roborant, sicut sagittandi usus non tantum facit, ut melius quis collineet, sed ut arcum tendat fortiorem. Im N. O. I, 127 behauptet Baco auch die Anwendbarkeit seiner inductiven Methode auf die intellectuellen und moralischen Wissenschaften ohne jedoch auf diese Anwendung näher einzugehen; sie war ihm erst eine dunkle Ahnung aus der Ferne her« (Beneke). Baco hat selten im Einzelnen die richtigen Forschungsmethoden angegeben, viel weniger noch durch eigene Forschung wissenschaftlich gültige Resultate erhalten, nicht einmal das Beste von dem durch Andere zu seiner Zeit schon Erforschten zu würdigen und sich anzueignen gewusst (was alles besonders Lasson über Baco's v. Verulam wissensch. Principien 1860 und Liebig über Francis Baco v. Verulam und die Methode der Naturforsch. 1863, der früher viel verbreiteten Ueberschätzung Baco's entgegen tretend, hervorgehoben haben), aber doch bleibt ihm das Verdienst, die allgemeine methodische Forderung einer empirisch basirten, inductiven Forschung kräftiger, als irgend einer seiner Vorgänger, vertreten und die neue Richtung in ihrem methodischen Princip zum logischen Bewusstsein erhoben zu haben. Vgl. § 134 über Hypothese und »Experimentum crucis«; und K. Sigwart über Bacon in Preuss. Jahrb. Bd. XII u. XIII, H. Böhmer über Fr. Bacon v. V. u. die Verbindung der Philos. mit d. Naturw. 1864; A. Dorner de Baconis philosophia 1867.

§ 24. Hatte Baco fast ausschliesslich die sinnliche Erfahrung und äussere Natur berücksichtigt, so findet dagegen Cartesius (1596-1650) nur in der Selbstgewissheit des Denkens von seinem eigenen Sein den gegen jeden Zweifel gesicherten Ausgangspunct der philosophischen Erkenntniss. Er setzt das Kriterium der objectiven Wahrheit in die subjective Klarheit und Bestimmtheit der Erkenntniss, und findet eine Bürgschaft für die Gültigkeit dieses Kriteriums in der göttlichen Wahrhaftigkeit, die nicht zulasse, dass die klare und bestimmte Vorstellung dennoch eine täuschende sei. Diesem

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