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stellten Behauptungen Schlüsse zu ziehen, um dadurch die Entscheidung über ihre Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit zu gewinnen, und zwar auf Grund wahrscheinlicher Sätze (evdo§a). Logisch nennt Aristoteles die Erörterung aus blossen allgemeinen Begriffen, loyous, im Gegensatze zu der physischen Betrachtung, welche die specifischen und individuellen Eigenthümlichkeiten berücksichtigt. Die in dem Organon dargestellte Wissenschaft wird von den Commentatoren des Aristoteles Logik genannt.

Die Aristotelische Umbildung der Platonischen Lehren darf nicht so aufgefasst werden, wie sie von Neueren nicht selten missverstanden worden ist, als wolle Aristoteles das Denken nur in seiner Beziehung auf sich selbst und nicht in seiner Beziehung auf die objective Realität betrachten. Der Standpunct der Aristotelischen Logik ist, wie schon Ritter (in seiner Geschichte der Philos. III, S. 117 ff. 1831) und besonders Trendelenburg (in seinen Logischen Untersuchungen I, S. 18-21, 1840; 2. u. 3. A., S. 30-33, 1862 u. 1870; cf. Elem. log. Arist. ed. II, 1842, ed. V, 1862, ed. VI, 1868, ad § 63) dargethan haben, denen auch Zeller (Philos. der Griechen, II, S. 373 ff., 1846; 2. A. II, 2, S. 131 ff, 1860), Bonitz (Commentar zur Arist. Metaph. S 187, 1849), Brandis (Gesch. der Gr.-R. Phil. II, 2 a, S. 371 ff.; 432 ff., 1853), wiewohl dieser zwischen der Aristotelischen und der modernen formalen Logik eine etwas grössere Verwandtschaft annimmt, und Prantl (Gesch. der Logik I, S. 87 ff.; S. 104 ff.; S. 135. 1855) sich anschliessen, keineswegs identisch mit dem der modernen subjectivistisch-formalen Logik. Die Norm der Wahrheit findet Aristoteles, gleich wie Plato, in der Uebereinstimmung des Gedankens mit der Wirklichkeit, welche das Maass der Wissenschaft ist. Metaph. IV, 7, § 2 ed. Schwegler; IX, 10, § 1; X, 6, § 18; cf. Categ. 12, 14 Β, 21: τῷ γὰρ εἶναι τὸ πρᾶγμα ἢ μὴ ἀλη θῆς ὁ λόγος ἢ ψευδής λέγεται. Der richtig gebildete Begriff entspricht nach Aristoteles dem Wesen der Dinge (οὐσία oder τὸ τί ἦν εἶναι, worüber unten, § 56, in der Lehre vom Begriff das Nähere); das Urtheil ist eine Aussage über ein Sein oder Nichtsein: die Bejahung und Verneinung entspricht der Verbindung und Trennung in den Dingen; die verschiedenen Formen der Begriffe in den Urtheilen (oder die Arten der Bezeichnung des Seienden, σχήματα τῆς κατηγορίας τῶν ὄντων) bestimmen sich nach Existenzformen; der Mittelbegriff in dem gut gebildeten Syllogismus entspricht der Ursache in dem Zusammenhange des realen Geschehens; die Principien der wissenschaftlichen Erkenntniss entsprechen dem, was auch der Natur nach in den Dingen das Erste ist. Aristoteles giebt der Gesammtheit seiner logischen Untersuchungen den Namen Analytik (rà avaλvtizá), d. h. Zergliederung des Denkens (aber nicht: Lehre von einem bloss zergliedernden Denken), und verlangt, dass man sich mit denselben schon vorher vertraut gemacht habe, ehe

man zu der Beschäftigung mit der ersten Philosophie (oder Metaphysik) übergehe (Metaph. IV, 3, § 7; VII, 12, § 1). Was die einzelnen logischen Schriften betrift, so handelt das Buch de Categoriis, περὶ κατηγοριών (dessen Echtheit nicht ganz ausser Zweifel steht; vielleicht sind jedoch nur Cap. 10-15 von fremder Hand hinzugefügt worden) von den Formen der Begriffe und den entsprechenden Existenzformen, das Buch de Interpretatione, gì équŋvɛías (dessen Echtheit Andronikus von Rhodus anzweifelte) vom Satz und Urtheil, die zwei Bücher Analytica priora, åvakvirzà ngótega, vom Schluss, die zwei Bücher Analytica posteriora, ávalutizà votega, vom Beweis, von den Definitionen und Eintheilungen und von der Erkenntniss der Principien, die acht Bücher Topica, 7071zá, von den dialektischen oder Wahrscheinlichkeitsschlüssen, endlich das Buch de Elenchis sophisticis, περὶ σοφιστικῶν ἐλέγχων, von den Trugschlüssen der Sophisten und ihrer Auflösung. Die beste neuere Gesammtausgabe dieser Schriften ist folgende: Aristotelis Organon ed. Theod. Waitz, Lips. 1844– 46. Ein vortreffliches Hülfsmittel zum Studium der Hauptlehren des Aristotelischen Organons bieten Trendelenburg's Elementa logices Aristoteleae, Berol. 1836, 6. Aufl. 1868; zu einem weiter eindringenden Studium mag ausser dem schon oben genannten Geschichtswerke von Prantl besonders auch die Darstellung der Aristotelischen Philosophie von Brandis in seinem Handbuche der Gesch. der Griech.-Röm. Philos. II, 2 a, 1853 anleiten; auch Biese (die Philosophie des Aristoteles, 1, Bd.: Logik und Metaph., 1835) mag verglichen werden; ebenso C. Prantl, über die Entwicklung der Aristot. Logik aus der Platon. Philos. in d. Abhdl. der Bayer. Akad. der WissI. Cl. VII. Bd., 1. Abth.; auch Trendelenburg, Gesch. der Kategorienlehre, Berlin 1846, und R. Eucken, die Methode der Aristot. Forschung in ihrem Zusammenh. mit den philos. Grundprincipien des Arist., Berlin 1872. Ueber die Bedeutung der Ausdrücke: Analytik und Dialektik bei Aristoteles handeln u. A. Trendelenburg, Elem., annot. init. u. zu § 33, und Charles Thurot, Etudes sur Aristote, Paris 1860, S. 118 ff., und über die Bedeutung von λoyizós Waitz ad Organon Arist. 82 b, 35; Schwegler ad. Arist. Metaph. VII, 4, § 5; XI, 10, § 11; Prantl, Gesch. der Log. I, S. 535 f. Aristoteles schreibt das λογικῶς ζητεῖν (im Gegensatz gegen die vozǹ σzés) besonders Plato und den Platonikern zu (Metaph. XII, 1, § 5 u. öfter) theils mit Anerkennung der Vorzüge der Forschung in Begriffen (Metaph. XIII, 5, § 11), theils und vorwiegend mit Tadel, weil die bloss logische Betrachtung, je mehr sie auf das Allgemeine gehe, um so ferner von dem Eigenthümlichen sei. Arist. de generat. animal. II, 8, p. 747, Β, 28; λέγω δὲ λογικὴν τὴν ἀπόδειξιν) διὰ τοῦτο, ὅτι ὅσῳ καθόλου μᾶλλον, ποῤῥωτέρω τῶν οἰκείων ἐστὶν ἀρχῶν. Zur Zeit Cicero's war der Name λoyızý für die Lehre von der Erkenntniss und Darstellung (besonders wohl unter dem Einfluss der Stoiker) schon ganz üblich geworden. So sagt z. B. Cic. de fin. 1, 7: in altera philosophiae parte, quae est quaerendi ac disserendi, quae loyixń dicitur. Bei Alexander von Aphrodisias, dem Exegeten des Aristoteles, findet sich häufig der Ausdruck: loyızǹ лqaɣμarɛía. Boëthius sagt: logicen

Peripatetici veteres appellaverunt. Seneca und Quintilian gebrauchen den Ausdruck rationalis philosophia oder rationalis pars philosophiae. Den Sinn dieser Bezeichnung erläutert sehr gut Thomas von Aquino in seinem Commentar zu Arist. Anal. post. dahin: Ratio dé suo actu ratiocinari potest et haec est ars logica, i. e. rationalis scientia, quae non solum rationalis ex hoc, quod est secundum rationem, quod est omnibus artibus commune, sed etiam in hoc, quod est circa ipsam artem rationis sicut circa propriam materiam. Vgl. Kant, Log. hrsg. von Jäsche, S. 7: »dass sie (die Logik) eine Vernunft wissenschaft sei nicht der blossen Form, sondern der Materie nach, da ihre Regeln nicht aus der Erfahrung hergenommen sind, und da sie zugleich die Vernunft zu ihrem Objecte hat.<

§ 17. Die älteren Peripatetiker, überwiegend empirischer Forschung zugewandt, bilden die Logik des Aristoteles nur in wenigen Einzelheiten weiter fort. Die späteren beschränken sich darauf, durch Commentare das Studium der Aristotelischen Werke zu fördern.

Theophrast und Eudemus begründen die Theorie der hypothetischen und disjunctiven Schlüsse und erweitern die Theorie der kategorischen Schlüsse, indem sie zu den vierzehn Aristotelischen Schlussmodis fünf neue hinzufügen, und zwar als Modi der ersten Figur; es sind dies aber die nämlichen, aus welchen später die sogenannte vierte Schlussfigur gebildet worden ist. Siehe unten bei der Lehre vom Schluss (zu § 103) das Nähere. Unter den Späteren verdienen besonders Andronikus von Rhodus, der Ordner der Aristotelischen Werke, Alexander von Aphrodisias, der Exeget, und der Eklektiker Galenus genannt zu werden. An ihre Bemühungen schliessen sich die der Neuplatoniker an. Siehe Brandis über die griechischen Ausleger des Aristotelischen Organons, in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissensch. 1833.

§ 18. Epikur (341-270 v. Chr.) setzt den Werth der Logik (die er als „Kanonik" bezeichnet) herab, indem er sie ausschliesslich in den Dienst seiner hedonischen Ethik stellt, übergeht die schwierigeren Lehren und weist der sinnlichen Wahrnehmung und den aus dieser hervorgehenden Vorstellungen die endgültige Entscheidung über die Wahrheit zu. Die Stoiker, deren Richtung durch Zeno aus Cittium (um 300 v. Chr.) begründet und besonders durch Chrysippus, der von 282-209 v. Chr. lebte, ausgebildet wurde, ergänzen nicht nur die Aristotelische Denklehre in einzelnen Partien, namentlich durch Bearbeitung der Lehre von den hypothetischen und disjunctiven Schlüssen, sondern fügen auch die ersten Anfänge

einer Theorie der Wahrnehmung und ihres Werthes für die Erkenntniss hinzu. Durch ihre Untersuchungen über das Kriterium der Wahrheit erhält ihre Logik noch entschiedener, als die Aristotelische, den Charakter einer Erkenntnisslehre. Sie sprechen schon der Sinneswahrnehmung, in höherem Maasse aber dem Denken die Fähigkeit zu, ein treues Abbild der Wirklichkeit zu erzeugen. Unter dem Namen Logik fasst ein Theil der Stoiker die dialektischen (d. h. die Theorie des Denkens und Erkennens betreffenden) und die grammatischrhetorischen Lehren zusammen. Die Skeptiker bekämpfen den Dogmatismus überhaupt, insbesondere aber den der Stoiker. Die Hauptvertreter des Skepticismus sind die Anhänger des Pyrrho aus Elis (um 320 v. Chr.) und die Philosophen der mittleren Akademie.

Ueber Epikur siehe Diog. L. Χ, 31: ἐν τοίνυν τῷ Κανόνι λέγει ὁ Ἐπίκουρος, κριτήρια τῆς ἀληθείας εἶναι τὰς αἰσθήσεις καὶ προλήψεις καὶ và áo. Cic. de Fin. I, 7: tollit definitiones, nihil de dividendo ac partiendo docet; non quo modo efficiatur concludaturque ratio tradit; non qua via captiosa solvantur, ambigua distinguantur ostendit; iudicia rerum in sensibus ponit; cf. ib. II, 6. Ueber das Schliessen aus Zeichen (σημεία, σημειοῦσθαι) haben im Anschluss an Epikur einige spätere Epikureer, namentlich Zeno um 100 v. Chr.) und dessen Schüler Philodemus eingehender gehandelt. Ueber die Stoische Eintheilung der Logik siehe Diog. L. VII, 41: τὸ δὲ λογικὸν μέρος φασὶν ἔνιοι εἰς δύο διαιρεῖσθαι ἐπιστήμας, εἰς ῥητορικὴν καὶ εἰς διαλεκτικήν, cf. Senec. Ep. 89; über die qavraoía xatalŋrtizń als Kriterium und die daraus erwachsende ngóλmpus Diog. L. VII, 46; Cic. Acad. post. J, 11: visis non omnibus adiungebant fidem, scd iis solum, quae propriam quandam haberent declarationem earum rerum, quae viderentur unde postea notiones rerum in animis imprimerentur. Stob. Eclog. eth.

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II, p. 128: εἶναι δὲ τὴν ἐπιστήμην κατάληψιν ἀσφαλῆ καὶ ἀμετάπτωτον ὑπὸ λόγου. Die Skeptiker finden weder in der Wahrnehmung noch im Begriff einen sicheren Entscheidungsgrund zwischen den entgegengesetzten Ansichten und beschränken sich daher darauf, die Erscheinungen als solche aufzufassen unter Enthaltung (лon) von jeglichem Urtheil über ihre objective Wahrheit. Diog. L. IX, 103 sqq. Zehn Zweifelsgründe, welche nach Aristocles ap. Euseb. praepar. evang. XIV, 18 von Aenesidemus zusammengestellt worden zu sein scheinen, werden angeführt von Sext. Emp. hypotyp. Pyrrhon. I, 36 sqq.; Diog. L. IX, 79 sqq. Sie stützen sich vorzüglich auf die, durch die Relativität der Vorstellungen bedingten, subjectiven Verschiedenheiten derselben. Eine sehr reichhaltige Zusammenstellung der sämmtlichen skeptischen Argumente des Alterthums gibt Sextus, ein Arzt der

empirischen Schule, in seinen beiden uns erhaltenen Werken: vỏówνείων ὑποτυπώσεων βιβλία τρία und Πρὸς μαθηματικοὺς βιβλία ἕνδεκα.

§ 19. Die Neuplatoniker (deren Richtung im dritten Jahrhundert nach Chr. aufkam), metaphysisch-theosophischen Speculationen zugewandt, stellen die ekstatische Anschauung des Göttlichen höher, als die wissenschaftlich vermittelte Erkenntniss. Sie wenden den logischen Untersuchungen des Plato und Aristoteles ein eifriges Studium zu, ohne dieselben in selbständiger Weise wesentlich fortzubilden.

Plotinus (204–269 n. Ch.) versucht die Aristotelische Kategorienlehre umzubilden; die späteren Neuplatoniker kehren jedoch zu derselben zurück. Porphyrius (232-304 n. Chr.), des Plotinus. Schüler, ist der Verfasser der besonders im Mittelalter vielgelesenen Isagoge in Aristotelis Organon, worin er von den logischen Begriffen: Gattung, Art, Differenz, Eigenthümliches und Ausserwesentliches handelt. Von den Studien der späteren Neuplatoniker zeugen ihre zahlreichen, zum Theil noch erhaltenen Commentare zu den Platonischen und Aristotelischen Schriften.

§ 20. Die Philosophie der Kirchenväter ist wesentlich Religionsphilosophie und wendet, mit den Schwierigkeiten ihrer nächsten Aufgabe ringend, den logischen Problemen nur ein secundäres Interesse zu. Die Platonische Ideenlehre behauptet ihr Ansehen, jedoch in einem Sinne, der von dem ursprünglichen wesentlich abweicht, indem namentlich Augustinus im Anschluss an Plotin die Ideen dem göttlichen Geiste immanent sein lässt. Die Hauptlehren des Aristotelischen Organons werden den Lehrbüchern der sogenannten sieben freien Künste einverleibt, und bilden so (seit dem 6. Jahrhundert) in den christlichen Schulen einen Gegenstand des Unterrichts. Auch bei arabischen und jüdischen Gelehrten findet das Organon, wie überhaupt die Aristotelischen Werke, ein fleissiges Studium.

Das Verhältniss der Kirchenväter zur griechischen Philosophie ist ein verschiedenes. Justin der Martyr spricht als seine Ueberzeugung aus: οἱ μετὰ Λόγου βιώσοντες Χριστιανοί εἰσι, κἂν ἄθεοι ἐνομίσθησαν, οἷον ἐν Ἕλλησι μὲν Σωκράτης καὶ Ἡράκλειτος καὶ οἱ ὅμοιοι αὐτοῖς (Iustin. Apolog. I, 46, p. 83 C.) Auch Clemens von Alexandrien, Origenes und Andere sind Freunde der griechischen Philosophie und stellen sie in den Dienst der christlichen Theologie. Andere dagegen, wie Irenäus und Tertullian (auch Arnobius und Lactantius), durch gnostischen Synkretismus geschreckt, fürchten von ihr eine Gefährdung

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