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Einleitung.

Begriff, Eintheilung und allgemeine Geschichte der Logik.

§ 1. Die Logik ist die Wissenschaft von den normativen Gesetzen der menschlichen Erkenntniss. Das Erkennen ist die Thätigkeit des Geistes, vermöge deren er mit Bewusstsein die Wirklichkeit in sich reproducirt. Es ist theils unmittelbares Erkennen oder äussere und innere Wahrnehmung, theils mittelbares oder denkendes Erkennen. Die auf mittelbares Erkennen abzielende Geistesthätigkeit ist das Denken. Die normativen Gesetze (Gebote, Vorschriften) sind diejenigen allgemeinen Bestimmungen, denen die Erkenntnissthätigkeit sich um der Erreichung des Erkenntnisszweckes willen unterwerfen muss.

Die Logik als Erkenntnis slehre hält die Mitte zwischen der gewöhnlich sogenannten formalen, oder bestimmter: subjectivistisch-formalen Logik, welche das Denken mit Abstraction von seiner Beziehung auf das zu erkennende (objective) Sein betrachtet, und der mit der Metaphysik identificirten Logik, welche mit den Gesetzen des Erkennens zugleich den allgemeinsten (metaphysischen oder ontologischen) Inhalt aller Erkenntniss darstellen will. Das Nähere hierüber und namentlich die Rechtfertigung dieser Mittelstellung s. unten bei §§ 3 und 6 und in dem Ueberblick über die allgemeine Geschichte der Logik besonders §§ 28-35. Die Erkenntniss in dem weiteren Sinne, in welchem wir hier das Wort gebrauchen, umfasst sowohl die Kenntniss, welche auf der Wahrnehmung (und dem die fremde Wahrnehmung überliefernden Zeugniss) beruht, als die Erkenntniss im engeren Sinne, die durch das Denken gewonnen wird. Das menschliche Erkennen als Nachbildung des Wesens der Dinge im menschlichen Bewusstsein ist zugleich ein Nachdenken der Gedanken, welche das schöpferische göttliche Denken in die Dinge hineingebildet hat. Im Handeln soll der vorausgehende Gedanke die Wirklichkeit bestimmen, im Erkennen aber die an sich vernunftgemässe Wirklichkeit den menschlichen Gedanken. Das hier in der

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Einleitung Gesagte soll nur als Anticipation der später (von § 37 an) durch eine davon unabhängige Untersuchung zu gewinnenden Resultate gelten; es soll hier nur zur vorläufigen Orientirung dienen. Die hier aufgestellten Definitionen sind zunächst nur Nominalerklärungen (s. u. § 61), deren Gültigkeit (gerade so, wie in Euklid's Geometrie die der an die Spitze gestellten Definitionen) so lange dahin gestellt bleibt, bis die nachfolgende Untersuchung dieselbe darthut.

Den Gedanken, dass durch das Sein das Erkennen bedingt sei, äussert Plato Rep. V, p. 477 ed. Steph. Zumeist in Beziehung auf das Urtheil entwickelt denselben Aristoteles. Arist. Cat. 12, p. 14, Β, 18: ἔστι δὲ ὁ μὲν ἀληθὴς λόγος οὐδαμῶς αἴτιος τοῦ εἶναι τὸ πρᾶγμα, τὸ μέντοι πρᾶγμα φαίνεται πως αἴτιον τοῦ εἶναι ἀληθῆ τὸν λόγον· τῷ γὰρ εἶναι τὸ πρᾶγμα ἢ μὴ ἀληθῆς ὁ λόγος ἢ ψευδής λέγεται. Arist. Metaph. IX, 10, § 2 ed. Schwegler, p. 1051 B, 3 ed. Bekker: ά2η9ɛɛi μὲν ὁ τὸ διῃρημένον οιόμενος διαιρεῖσθαι καὶ τὸ συγκείμενον συγκεῖσθαι, ἔψευσται δὲ ὁ ἐναντίως ἔχων ἢ τὰ πράγματα... οὐ γὰρ διὰ τὸ ἡμᾶς οἴεσθαι ἀληθῶς σε λευκὸν εἶναι εἰ σὺ λευκός, ἀλλὰ διὰ τὸ σὲ εἶναι λευκὸν ἡμεῖς οἱ φάντες τοῦτο ἀληθεύομεν. Arist. Metaph. Χ, 6, 18, p. 1057 Α, 11: τρόπον τινὰ ἡ ἐπιστήμη μετρεῖται τῷ ἐπιστητῷ. Schleiermacher, Dialektik, herausg. von Jonas, S. 487: »Zu dem Satz: das Denken soll dem Sein gleich sein, gehört ein zweiter: das Sein soll dem Denken gleich sein. Dieser Satz ist das Princip und Maass für alle Willensthätigkeiten, wie jener für alle Denkthätigkeiten «. Vgl. Schelling, System des transscendentalen Ide alismus, 1800, S. 13 ff.; Hegel, Encycl. § 225. Lotze's Bemerkung, der Geist sei besser als die Dinge und brauche im Erkennen nicht ihr Spiegel zu sein, hebt unser logisches Princip nicht auf, weil 1. die zu erkennende Objectivität nicht bloss aus Naturobjecten, sondern (in der Geschichte etc.) auch aus geistigem Inhalte besteht, 2. die Spiegelung im Bewusstsein, obschon Reproduction, doch auch das eigene, relativ selbständige Werk des Geistes ist, 3. nicht die ganze Thätigkeit des Geistes in die Erkenntniss aufgeht, sondern daneben die schöpferische, das Gegebene in der Vorstellung veredelnd fortbildende Wirksamkeit der Phantasie und das sittliche Handeln seine Aufgabe ist. – Vgl. die Note zu § 37.

§ 2. Das Erkennen ist, da der menschliche Geist mit Bewusstsein die Wirklichkeit reproduciren soll (§ 1), zweifach bedingt: a. subjectiv durch das Wesen und die Naturgesetze der menschlichen Seele, insbesondere der menschlichen Erkenntnisskräfte, b. objectiv durch die Natur dessen, was erkannt werden soll. Die Beschaffenheiten und Verhältnisse des zu Erkennenden, sofern dieselben verschiedene Weisen der Nachbildung im Erkennen bedingen, nennen wir die Ex istenzformen. Die Begriffe von den Existenzformen sind die metaphysischen Kategorien (z. B. Subsistenz und In

härenz). Die den Existenzformen entsprechenden Weisen, wie das Seiende im Erkennen aufgefasst und nachgebildet wird, sind die Erkenntnissformen; das Abbild selbst als das Resultat der Erkenntnissthätigkeit ist der Inhalt der Erkenntniss. Die Begriffe von den Erkenntnissformen sind die logischen Kategorien (z. B. das kategorische Urtheil). Da die Gesetze des Erkennens als solche nur die Weisen der Nachbildung oder die Formen der Erkenntniss, nicht den Inhalt derselben bestimmen, so kann die Logik auch näher als die Lehre von den Gesetzen der Erkenntnissformen erklärt werden. Die Logik ist somit eine formale Wissenschaft; aber die in ihr behandelten Formen sind, indem sie den Existenzformen entsprechen, durch die Objectivität bedingt. Auch stehen dieselben nicht nur im Allgemeinen zu dem Erkenntnissinhalte überhaupt, sondern auch in ihrer jedesmaligen besonderen Gestaltung zu der Besonderheit des Inhaltes in wesentlicher Beziehung.

Sofern die Logik sich auf die Gesetze des Seelenlebens gründet, hat sie eine anthropologische Seite, und sofern auf die allgemeinen Gesetze des Seienden überhaupt, eine metaphysische Seite. Diese beiden Elemente aber bilden nicht selbständige Theile der Logik, sondern dienen nur der Begründung der normativen Gesetze, und sind demzufolge auch nur in der Form von Hülfssätzen aus der Psychologie und Metaphysik bei der Behandlung der einzelnen Partien an den betreffenden Stellen aufzunehmen oder nur insoweit zu erörtern, als dies für den logischen Zweck erforderlich ist. Die Logik soll nicht eigens von dem Sein, dem Wesen, der Causalität, der bewegenden Ursache und der Zweckursache etc., noch auch von den psychischen Gesetzen handeln, so wenig wie die Diätetik von den chemischen und physiologischen Processen, wohl aber vorbereitend oder nachfolgend sich auf solche Untersuchungen beziehen. Keineswegs aber sind (wie Drobisch meint, Log. 3. Aufl. Vorr. S. XVII) hiermit zugleich auch Untersuchungen wie die über die Erkennbarkeit der Dinge, über die reale Gültigkeit der Begriffe Raum, Zeit, Causalität etc. von ihr auszuschliessen; denn diese Untersuchungen betreffen nicht die Existenzformen als solche, sondern unsere Erkenntniss.

Zur Veranschaulichung des Verhältnisses der logischen Formen zu den metaphysischen diene vorläufig die Beziehung von Subject und Prädicat im kategorischen Urtheil auf die Existenzformen: Substantialität und Inhärenz, ferner die Beziehung der über- und untergeordneten Begriffe auf die Existenzweise der Dinge in Gattungen und Arten etc. Vgl. § 8.

Sehr mit Unrecht deuten Viele (z. B. Steinthal, Gramm., Log. und Psychol., Berlin 1855, S. 146) den Ausdruck: »formale Logik so, als ob derselbe nothwendigerweise die Abstraction von jeder Beziehung zur Wirklichkeit involvire. Die Logik bleibt formal, weil sie die Lehre von der richtigen Form oder Weise des Denkens ist, auch dann, wenn man eben diese Form durch den Zweck der Uebereinstimmung des Denkinhaltes mit der Wirklichkeit bedingt sein lässt. Jene nur auf die subjective Uebereinstimmung des Denkenden mit sich selbst gerichtete Logik ist subjectivistisch-formal.

Bei Kant und seiner Schule knüpft sich an die Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urtheilsbildung (s. u. § 83) die Unterscheidung der formalen Logik in dem Sinne, dass dieselbe nur die Normen der analytischen Erkenntniss aufstellen soll, und der Kritik der reinen Vernunft, welche nach der Möglichkeit einer allgemeingültigen synthetischen Erkenntniss fragt. Die Aristotelische Logik will eine analytische Theorie des Denkens sein, die analytisch-formale Logik im Kantischen Sinne aber eine Theorie des analytischen Denkens. Mit der Kantischen ist die Benekesche Unterscheidung des analytischen oder »logischen « Denkens und der synthetischen Grundlagen des Denkens verwandt, wie auch Ulrici's Eintheilung des Denkens in das producirende (synthetische) und das unterscheidende (analytische) Denken. Doch möchte nicht zu billigen sein, dass eine Unterscheidung, die allerdings in Betreff der Urtheilsbildung Werth und Wahrheit hat, zum Princip einer Zerlegung der gesammten Logik in zwei gesonderte Theile erhoben wird. Dieses Verfahren würde dem des Geometers gleichen, der etwa seine Wissenschaft aus dem Gesichtspuncte, welche Sätze ohne das elfte Euklidische Axiom bewiesen werden können, und welche dasselbe mit Nothwendigkeit voraussetzen, in zwei gesonderte Theile zerfällen wollte. Derartige Betrachtungen haben allerdings als Monographien über einzelne Axiome ihren vollen wissenschaftlichen Werth, dürfen aber nicht die gesammte Gliederung des Systems bestimmen, die auf umfassenderen Gesichtspuncten beruhen muss.

§ 3. Das Ziel der theoretischen Thätigkeit des Geistes ist die Wahrheit. Die zur Wahrheit gelangte Erkenntniss ist das Wissen. Man pflegt die materiale (oder reale) Wahrheit und die (formale) Richtigkeit zu unterscheiden. Die materiale Wahrheit im absoluten Sinne oder die Wahrheit schlechthin ist die Uebereinstimmung des Erkenntnissinhaltes mit der Wirklichkeit. Die materiale Wahrheit im relativen Sinne oder die phänomenale Wahrheit ist die Uebereinstimmung des mittelbar gewonnenen Gedankeninhaltes mit den unmittelbaren äusseren oder inneren Wahrnehmungen, welche bei ungestörter Gesundheit der Seele und der leiblichen Organe entstehen

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