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zu dem ersten bedarf, sondern sofort aus diesem selbst das abgeleitete Urtheil sich ergiebt); es besteht nicht eine Unmittelbarkeit in dem volleren Sinne, dass es, um das abgeleitete Urtheil zu gewinnen, nicht einer Denkthätigkeit bedürfte. Da aber doch der jetzt traditionelle Terminus im relativen Sinne gültig ist, so möchte eine Verwerfung desselben nicht rathsam sein. Ist eine Acnderung der Terminologie nicht unbedingt erforderlich, so ist sie vom Uebel, da sie das gegenseitige Verständniss erschwert und zu Irrungen Anlass giebt.

Bei Plato findet sich συλλογίζεσθαι und συλλογισμός noch nicht im Sinne der späteren logischen Terminologie, sondern nur in der weiteren und unbestimmteren Bedeutung: aus mehreren Daten gleichsam zusammenrechnend das Resultat ziehen, und zwar vorwiegend: aus dem Besondern das Allgemeine ermitteln (Theaet. 186 D; cf. Phileb. 41 C). Aristoteles definirt (Anal. pri. I, 1, p. 24 B, 18): ovldoγισμὸς δέ ἐστι λόγος, ἐν ᾧ τεθέντων τινῶν ἕτερόν τι τῶν κειμένων ἐξ ἀνάγκης συμβαίνει τῷ ταῦτα εἶναι. Diese Definition wird von Aristoteles nicht auf den unmittelbaren Schluss mitbezogen, umfasst aber die beiden Arten, in welche der mittelbare Schluss zerfällt, nämlich den Schluss aus dem Allgemeinen auf das Besondere und den Schluss vom Besondern auf das Allgemeine. In diesem Sinne wird von Aristoteles unterschieden: ὁ διὰ τοῦ μέσου συλλογισμός und ὁ διὰ τῆς ἐπαγωγῆς oder ὁ ἐξ ἐπαywyns ovλloyiouós (Anal. pri. II, 23). Der Syllogismus in engeren Sinne aber ist der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere: in diesem Sinne sagt Aristoteles (an derselben St.): τρόπον τινὰ ἀντίκειται ἡ ἐπαγωγὴ τῷ συλλογισμῷ. – ἅπαντα πιστεύομεν ἢ διὰ συλλογισμοῦ ἢ ἐξ naуwyns. Im Anschluss an Aristoteles und gleich wie dieser nur auf den mittelbaren Schluss Bezug nehmend, definirt Wolff (Log. § 50; § 332): est ratiocinatio operatio mentis, qua ex duabus propositionibus terminum communem habentibus formatur tertia, combinando terminos in utraque diversos; syllogismus est oratio, qua ratiocinium (seu discursus) distincte proponitur. Kant (Kritik der r. Vern. S. 360; Log. § 41 ff.) definirt den Schluss als die Ableitung eines Urtheils aus dem anderen. Dieselbe geschieht entweder ohne ein vermittelndes Urtheil (iudicium intermedium) oder mit Hülfe eines solchen; hierauf gründet sich der Unterschied des unmittelbaren und des mittelbaren Schlusses; jenen nennt Kant auch Verstandesschluss, diesen Vernunftschluss. Hegel (Log. II, S. 118 ff.; Encycl. § 181) sieht in dem Schluss die Wiederherstellung des Begriffs im Urtheil, die Einheit und Wahrheit des Begriffs und des Urtheils, die einfache Identität, in welche die Formunterschiede des Urtheils zurückgegangen sind, das Ziel, zu welchem das Urtheil in seien verschiedenen Arten sich stufenweise fortbestimmt, das Allgemeine, das durch die Besonderheit mit der Einzelnheit zusammengeschlossen ist. Der Schluss gilt ihm als der wesentliche Grund alles Wahren, als das Vernünftige und alles Vernünftige, als der Kreislauf der Vermittelung der Begriffsmomente des Wirklichen. Hegel identificirt demnach auch hier wiederum das logische und das metaphysische Verhältniss oder die Form der Erkenntniss und Existenz.

Schleiermacher (Dial. S. 268) bestimmt den Schluss als die Herleitung eines Urtheils aus einem anderen vermittelst eines Mittelsatzes. Er erkennt den Schluss nicht als eine selbständige dritte Form neben Begriff und Urtheil an und gesteht ihm nicht ein eigenthümliches reales Correlat zu; er glaubt demgemäss auch, derselbe habe keinen wissenschaftlichen Werth für die Erzeugung neuer Erkenntniss, sondern nur didaktischen für die Ueberlieferung der schon bestehenden Erkenntniss. Wir halten diese Ansicht für irrig und werden unten (§ 101) das reale Correlat des Schlusses und seine Bedeutung als Erkenntnissform nachzuweisen suchen.

§ 75. Principien des Schliessens sind die Grundsätze der Identität und Einstimmigkeit, der contradictorischen Disjunction (oder des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten) und des zureichenden Grundes. Auf dem ersten beruht die Ableitung eines Urtheils aus einem Begriff, auf dem ersten und zweiten die Ableitung eines Urtheils aus einem Urtheil, auf dem ersten, zweiten und dritten die Ableitung eines Urtheils aus mehreren Urtheilen.

Die Logik betrachtet diese Principien als Normen unseres (erkennenden) Denkens. Inwiefern aber dieselben so einfach und in ihrer Anwendung einleuchtend seien, dass sie bei klarem Denken gar nicht verletzt werden können und in diesem Sinne etwa auch die Eigenschaft von Naturgesetzen für unser Denken gewinnen, oder inwiefern nicht dies ist nicht mehr eine logische, sondern eine psychologische Frage.

Aristoteles stellt jene Sätze nicht an die Spitze der Logik, sondern trägt dieselben, soweit er sie überhaupt in wissenschaftlicher Form aufstellt, theils nur gelegentlich als Normen der Schlussbildung, theils und besonders in der Metaphys. (IV, 3) vor, wo ihm der Satz des Widerspruchs als лaσ ßeßatátη άozý gilt. Leibnitz (Monadol. § 31) hält dieselben für die Principien unserer Schlüsse (raisonnemens). Wolff verfährt wie Aristoteles. Daries und Reimarus sind die Ersten, welche in einzelnen von jenen Sätzen das Princip der Logik finden. Reimarus setzt (Vernunftlehre, § 15) das Wesen der Vernunft in die Kraft, nach den beiden Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs über die vorgestellten Dinge zu reflectiren, hält aber dafür, dass durch den richtigen Gebrauch der Vernunft die Erkenntniss der Wahrheit zu gewinnen sei. Er definirt die »Vernunftlehre als eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauche der Vernunft in der Erkenntniss der Wahrheit (a. a. O. § 3), die » Wahrheit im Denken« aber als die Uebereinstimmung unserer Gedanken mit den Dingen, woran wir gedenken (a. a. O. § 17), und sucht den Satz zu beweisen: »wenn wir nach den Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs denken, so müssen auch unsere Gedanken mit den Dingen selbst übereinstimmen

oder wahr gedacht sein; eben diese Regeln sind zureichend, alle Wahrheit und Richtigkeit aller unserer Gedanken auszumachen‹ (a. a. 0. § 17 ff.). Kant dagegen reducirt die formale Logik auf die Lehre von den Gesetzen, die aus dem Princip der Identität und des Widerspruchs herfliessen, in dem Sinne, dass durch die Befolgung derselben die Uebereinstimmung des Denkens mit sich selbst oder die Widerspruchslosigkeit erzielt werden soll, unter Verzicht auf die von ihm für unmöglich gehaltene Uebereinstimmung des Erkenntnissinhalts mit dem wirklichen Sein oder den »Dingen an sich«. Mit Recht bemerkt Fries (System der Logik, § 41), dass jene Grundsätze nicht an die Spitze der ganzen Logik gesetzt werden dürfen, da sie erst dann in ihrer wahren Bedeutung verstanden werden können, wenn man die Form der Begriffe und das Verhältniss von Subject und Prädicat im Urtheil schon kennen gelernt habe. In der That sind dieselben, da sie das Verhältniss mehrerer Urtheile zu einander betreffen, erst bei der Schlusslehre von bestimmendem Einfluss. An die Spitze der gesammten Logik stellt Delboeuf (Log. S. 91 sqq., 104 sqq., 113 sqq., 130 sqq.) drei Sätze, die bei ihm die obigen zum Theil vertreten. Diese Sätze sind: 1. On peut conclure de la représentation des phénomènes aux phénomènes euxmêmes; 2. on peut poser comme identiques les résultats de l'abstraction des différences; 3. l'enchaînement logique des idées correspond à l'enchaînement réel des choses. Er leitet dieselben aus dem »postulat primitif de la raison ab: »que la certitude est possible«, und zwar durch folgende Argumentation: Soll es Gewissheit geben, so muss es Wahrheit geben; soll es Wahrheit geben, so müssen unsere Vorstellungen wahr sein können; sollen diese wahr sein können, so muss: 1. der Geist im Stande sein, sich die Erscheinungen so, wie sie sind, vorzustellen, 2. müssen die Ursachen, welche die Erscheinungen bewirken, mit sich selbst identisch bleiben in den verschiedenen Verbindungen, in welche sie eingehen, 3. muss die logische Kraft der Deduction auch der Wirklichkeit entsprechen, die geistige Analyse ein treues (obschon umgekehrtes) Abbild der reellen Synthese sein. Vermöge des ersten Princips gehen wir, sagt Delboeuf, von der Vorstellung zur Wirklichkeit, vermöge des zweiten von der vorgestellten Identität zur wirklichen Identität, vermöge des dritten von der vorgestellten Verknüpfung (connexion) zu der wirklichen. Verknüpfung. Die Bürgschaft für die Uebereinstimmung eines Gedankens mit der Wirklichkeit findet Delboeuf in der durchgängigen logischen Harmonie bei den Operationen: observation, conjecture, vérification (S. 85). In diesem Sinne verstanden, coincidirt das erste jener drei Principien mit dem Princip des vorliegenden Systems der Logik und einer jeden Logik, die eine Erkenntnisslehre sein will, dass nämlich die Uebereinstimmung der Gedanken mit der objectiven Wirklichkeit dem Menschen durch Befolgung der Gesammtheit der logischen Normen erreichbar und gesichert sei (s. oben § 3). Das zweite Princip geht insbesondere auf den Process der Abstraction (s. oben § 51). Von dem dritten Princip erkennt Delboeuf an, dass es den Schlüssen (raisonnements) zum Grunde liege (vgl. unten § 81). — Del

boeuf stellt diesen drei Sätzen, die er als principes réels« bezeichnet, und deren beiden ersten er das Princip der Identität, deren letztem er das des zureichenden Grundes correspondiren lässt, noch als principes formelsa den Satz des Widerspruchs und den des ausgeschlossenen Dritten zur Seite (Log. S. 165 ff.).

§ 76. Der Grundsatz der Identität (principium identitatis) pflegt dahin ausgesprochen zu werden: A ist A, d. h. ein Jedes ist, was es ist, oder: omne subiectum est praedicatum sui; und der damit verwandte Grundsatz der Einstimmigkeit (principium convenientiae) dahin: A, welches B ist, ist B, d. h. ein jedes Merkmal, welches im Subjectsbegriffe liegt, kann demselben als Prädicat beigelegt werden. Der Grund der Wahrheit dieses Satzes liegt darin, dass das im Inhalte des Begriffs vorgestellte Merkmal dem durch eben diesen Begriff vorgestellten Gegenstande inhärirt, das Inhärenzverhältniss aber durch das prädicative repräsentirt wird. Der Satz: non-A ist non-A, ist nur eine Anwendung des Grundsatzes der Identität auf einen negativen Begriff, nicht ein neuer Grundsatz, und ebenso ist der Satz: A, welches non-B ist, ist non-B, nur eine Anwendung des Grundsatzes der Einstimmigkeit. Die letztere Formel begründet den Uebergang zu der Anwendung desselben Gedankens auf negative Urtheile in dem Satze der Negation (principium negationis): A, welches nicht B ist, ist nicht B. — In einem erweiterten Sinne kann der Satz der Identität auf die Uebereinstimmung aller Erkenntnisse untereinander als die (nothwendige, obschon nicht zureichende) Bedingung ihrer Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit bezogen werden.

Der Satz der Identität hat nicht, wie Einige meinen, irgend einen Scholastiker (wie etwa den von Polz und nach diesem auch von Bachmann u. A. angeführten Scotisten Antonius Andreä, der die Formel aufstellte: ens est ens), noch weniger aber erst einen modernen Logiker, sondern den Eleaten Parmenides zum Urheber. Dieser spricht denselben in der einfachsten Form dahin aus: čoti (Parm. fragm. ed. Mullach vs. 35; 58), ferner: χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ'· ἐὸν ἔμμεναι· oportet hoc dicere et cogitare: id quod sit, esse (vs. 43), und čorɩ yào ɛivai (vs. 43). Vgl. oben § 11. Den Gegensatz zwischen der Heraklitischen Ansicht, dass ein Jegliches zugleich sei und auch nicht sei und alles fliesse, und der Parmenideischen Ansicht, dass nur das Sein sei, das Nichtsein aber nicht sei und alles beharre, sucht Plato durch seine

Unterscheidung der unwandelbaren Welt des Seins oder der Ideen, deren jede ein stets mit sich selbst gleiches Wesen, tale, quale est, ảɛì xatà Tavτà ov (Tim. p. 27 u. ö.) sei, und der wandelbaren Welt des Werdens oder der sinnlichen Dinge zu lösen: das Wissen oder die wahre Erkenntniss geht auf das Sein und besteht darin, dass das Seiende als seiend erkannt wird. Rep. V, p. 477 Β: οὐκοῦν ἐπιστήμη μὲν ἐπὶ τῷ ὄντι πέφυκε γνῶναι ὡς ἔστι τὸ ὄν; p. 478 A: ἐπιστήμη μὲν γέ που ἐπὶ τῷ ὄντι (πέφυκε) τὸ ὂν γνῶναι ὡς ἔχει. Vgl. Cratyl. 385 Β: λόγος – ὃς ἂν ös τὰ ὄντα λέγῃ ὡς ἔστιν, ἀληθής, ὃς δ ̓ ἂν ὡς οὐκ ἔστι, ψευδής. Die Annahme, dass die blosse Uebereinstimmung der Vorstellungen unter einander ein Kriterium ihrer Wahrheit sei, wird von Plato (Cratyl. p. 436 C, D) ausdrücklich verworfen. Aristoteles definirt Metaph. IV, 7, § 2: Tò μὲν γὰρ λέγειν, τὸ ὂν μὴ εἶναι ἢ τὸ μὴ ὂν εἶναι, ψεῦδος· τὸ δὲ, τὸ ὂν εἶναι καὶ τὸ μὴ ὂν μὴ εἶναι, ἀληθές. Metaph. IX, 10, § 1: ἀληθεύει μὲν ὁ τὸ διῃρημένον οιόμενος διαιρεῖσθαι καὶ τὸ συγκείμενον συγκεῖσθαι· ἔψευσται δὲ ὁ ἐναντίως ἔχων ἢ τὰ πράγματα. Wenn Aristoteles (Anal. pri. I, 32; cf. Eth. Nicom. I, 8) von der Wahrheit auch durchgängige Uebereinstimmung mit sich selbst verlangt: δεῖ γὰρ πᾶν τὸ ἀληθὲς αὐτὸ ἑαυτῷ ὁμολογούμενον εἶναι πάντῃ· so geht dies doch nicht auf die blosse tautologische Einheit, welche der Grundsatz der Identität nach seinem engeren Sinne fordert, sondern auch auf die Uebereinstimmung der Folgen mit den Gründen; das als nothwendig Deducirte findet sich bei der Analyse des Gegebenen auch thatsächlich bestätigt. In den Erörterungen des Arist. de interpret. c. 11 über die Setzung von Inhaltsbestandtheilen des Begriffs als Prädicaten liegt der Satz der Identität in dem im Texte des Paragraphen bezeichneten Sinne. Leibnitz (Nouv. ess. IV, 2, § 1) stellt als erste affirmative Vernunftwahrheit oder als erste identische Wahrheit den Satz auf: chaque chose est ce qu'elle est, oder: A est A. In ähnlicher Art betrachtet Wolff (Log. § 270) als allgemeinstes identisches Urtheil den Grundsatz: idem ens est illud ipsum ens, quod est, seu omne A est A. Der Wolffianer Baumgarten (Metaph. 1739, § 11) gebraucht die Formel: omne possibile A est A, seu quidquid est, illud est, seu omne subiectum est praedicatum sui, und nennt diesen Grundsatz principium positionis seu identitatis«. Der Wolffianer Polz (Fasc. comm. metaph. 1757, p.21; 26; 28; 39) findet das absolut erste Princip in dem Satze: idem sibimet ipsi est idem. Der Satz galt in der Wolffischen Schule im Allgemeinen nicht als logisches, sondern vielmehr als metaphysisches Princip. Der Eklektiker Daries (Vernunftkunst, 1731, § 1) stellte zuerst den Satz des Widerspruchs, und Reimarus (Vernunftlehre, 1756, § 14) die Regel der Einstimmung (principium identitatis) unter der Formel: ein jedes Ding ist das, was es ist, oder ist mit sich selbst einerlei oder sich selbst ähnlich und gleich, zugleich mit der Regel des Widerspruchs « als oberstes Princip an die Spitze der Logik. Noch weiter ging in dieser Richtung die subjectivistischformale Logik, wie sie sich in Folge der Kantischen Verzweiflung an der Erkennbarkeit des wirklichen Seins gestaltete. Dieselbe betrachtet statt der Uebereinstimmung mit dem Sein (welche noch Wolff und

D

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