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matik etc. versteht, nämlich von der Anwendung der allgemeinen Regeln auf die einzelnen Gebiete, für welche sie gelten, und der Betrachtung der Modificationen, unter welchen sie auf ein jedes derselben Anwendung finden. In diesem Sinne aber fällt der Begriff der angewandten Logik mit dem der besondern Logik zusammen, und demgemäss ist auch auf der andern Seite die reine Logik mit der allgemeinen Logik zu identificiren. Die Eintheilung der reinen Logik in Elementarlehre und Methodenlehre [vergl. Hamilton das. I, 64] vermischt das wissenschaftliche Interesse mit dem didaktischen. Im wissenschaftlichen Sinne sind nicht bloss Begriff, Urtheil und Schluss Elemente der Methode, sondern ist auch schon der Begriff ein Element des Urtheils und dieses ein Element des Schlusses, der Begriff der Elementarlehre also zu relativ, als dass er den Gegensatz gegen das Methodologische bezeichnen könnte.

§ 9. Die Geschichte der Logik hat in zweifacher Beziehung Werth und Bedeutung: a. an sich selbst, indem sie das fortschreitende Streben des menschlichen Geistes zur Anschauung bringt, sich das Verständniss seiner Denk- und Erkenntnissgesetze zu erarbeiten, b. als Mittel zum Verständniss der heutigen Gestalt der Logik, indem sie die Genesis sowohl der wissenschaftlich gesicherten Partien, als auch der in der Gegenwart herrschenden Gegensätze nachweist.

Unter den Werken, die über die allgemeine Geschichte der Logik handeln, ist das ausführlichste und gründlichste die »Geschichte der Logik im Abendlande« von C. Prantl, 1. Band (die Entwickelung der Logik im Alterthum enthaltend) Leipzig 1855, 2. Band (auf die erste Hälfte des Mittelalters bezüglich) ebend. 1861, 3. Band (auf die spätere mittelalterliche Zeit bezüglich) ebend. 1867, 4. Band (auf die Zeit von der Mitte des 14. bis ins erste Drittel des 16. Jahrh. bezüglich) ebend. 1870. § 10. Die Begründung der Logik als Wissenschaft ist ein Werk des griechischen Geistes, welcher, gleich fern von der Rohheit des Nordens und von der Verweichlichung der Orientalen, Kraft und Empfänglichkeit harmonisch in sich vereinigt.

Vgl. zur allgemeinen Charakteristik Plat. de republ. IV, p. 435 E (ed. Steph.) und Arist. Polit. VII, 7. Es fehlt der empfänglichen Phantasie der Orientalen das Maass und die Haltung des strengen Gedankens; es mangelt die geistige Kraft zu echter Wissenschaftlichkeit; in ihrem Philosophiren herrscht nicht die Tendenz zur strengen Beweisführung und zur Darstellung in systematischer Form; wo aber die Kunst des streng wissenschaftlichen Denkens fehlt, da kann sich die Theorie noch weniger entwickeln. Doch lassen sich einige wahre und tiefe Grundgedanken nachweisen, die sich wohl geeignet hätten, einem Sy

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steme der Logik zum Fundamente zu dienen, wenn sie consequent durchgeführt worden wären. So sagt der Chinese Meng-tse, ein Schüler des Kon-fu-tse: »Der menschliche Geist hat in sich die Möglichkeit, alle Dinge zu erkennen; er muss daher auf seine eigene Natur und sein Wesen achten, sonst irrt er. Nur der Tugendhafte kann sein eigenes Wesen ergründen; wer seine eigene Natur ergründet, kann auch die der anderen Menschen erkennen, er kann das Wesen der Dinge ergründen.< Die allgemeine vernünftige Urkraft beweist sich im Menschen als das Gesetz der Tugend (s. Wuttke, das Heidenthum II, Breslau 1853, S. 102). Bei den Indern finden wir namentlich in der Sânkhja und Njâja-Philosophie eine Aufzählung von Arten und von Gegenständen der Erkenntniss; die Sânkhja-Lehre nennt Wahrnehmung, Folgerung (von der Ursache auf die Wirkung und umgekehrt und nach Analogie) und Tradition (nach menschlichem Zeugniss und göttlicher Offenbarung), die Njâja ausserdem noch die Vergleichung als Erkenntnissweisen; die Njâja, die sich vielleicht erst unter griechischem Einfluss ausgebildet hat, kennt auch bereits den Syllogismus, Njâja, nach welchem das System selbst benannt ist, in der Form von fünf Sätzen, die jedoch nur durch Wiederholung des Unter- und Schlusssatzes aus den drei Urtheilen hervorgehen, nach folgendem Schema. Thesis: der Hügel ist feurig. Grund: denn er raucht. Beweis: was raucht, ist feurig. Anwendung: der Hügel raucht. Schlusssatz: also ist er feurig. [Vergl. Colebrooke's Misc. Essays I. 8 S. 292 und Aphorisms of the Nyâya Philosophy by Gautama, Allahabad 1850.] Ob die Aegypter logische Theorien gebildet haben, ist mindestens sehr zweifelhaft. Plato rühmt wohl das Alter ihrer Erfahrung, aber keineswegs die Höhe ihrer philosophischen Bildung. Die griechischen Denker mussten, wiewohl sie mit der ägyptischen Weisheit bekannt geworden waren, doch die Grundlehren der Logik ebensowohl, wie die Beweise zu den Elementarsätzen der Geometrie erst selbst auffinden. Die Griechen haben ohne Zweifel in materieller Beziehung von den Aegyptern und von den Orientalen überhaupt nicht Weniges gelernt; der griechische Geist mag zu seiner Entwickelung der Anregung von Aussen bedurft haben; aber das Wesentlichere, die wissenschaftliche und künstlerische Form, verdankt er nicht der Fremde, mit wie reger Empfänglichkeit er auch ihre Schätze sich angeeignet haben mag, sondern der ihm eingebornen selbständigen Kraft. Vgl. Hegel, Philos. der Geschichte, 1837, S. 246: »aus dem natürlich Empfangenen haben die Griechen das Geistige bereitet«, und die hiermit zusammenstimmende Aussage von Lepsius (die Chronologie der Aegypter, Bd. I, S. 55): dass die Griechen in dieser wichtigen Periode (des Thales, Pythagoras etc.) die Gelehrsamkeit der Barbaren aller Orten wie reifes Korn in den Scheunen sammelten zu neuer Aussaat auf ihrem eigenen triebkräftigen Boden«.

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§ 11. Die Speculation der ältesten Ionischen Naturphilosophen (im 6. Jahrh. vor Chr.) namentlich des Thales, Anaximander, Anaximenes, richtete sich nur unmittel

bar auf die Dinge, nicht auf die menschliche Erkenntniss der Dinge. Jüngere Naturphilosophen (im 5. Jahrh.) namentlich Heraklit, Anaxagoras, Leucippus und Demokritus, erklären die Sinnes wahrnehmung als solche für unzuverlässig; erst die mit ihr vereinigte und sie durchdringende Vernunft entscheide über die Wahrheit. Empedokles lehrt, dass die Dinge und der Mensch aus den gleichen materiellen und ideellen Elementen bestehen und dass das Gleiche durch das Gleiche erkannt werde. Die Pythagoreer halten dafür, dass die Elemente der Zahlen, Grenze und Unbegrenztheit, die Elemente aller Objecte seien; sie suchen demgemäss durch mathematische Forschung und durch Zahlenspeculation alle Erkenntniss zu gewinnen. Xenophanes aus Kolophon, der Begründer der Ele atischen Philosophie, unterscheidet aus Anlass seiner theologischen Speculation das sichere Wissen von der zufällig richtigen Meinung. Sein Nachfolger Parmenides, der bedeutendste unter den Eleatischen Philosophen, gewinnt in der Polemik gegen die Heraklitische Lehre von dem allgemeinen Flusse der Dinge und von der Identität der Gegensätze zuerst das theoretische Bewusstsein von dem Grundsatze der Identität und des Widerspruchs, wiewohl noch in unvollkommener Form. Zugleich lehrt Parmenides die Identität des Denkens mit dem Seienden, welches gedacht werde. Er setzt die durch das Denken zu gewinnende überzeugungskräftige Erkenntniss des Einen, das wahrhaft sei, zu der auf Sinnentrug beruhenden Meinung von der Vielheit und dem Wechsel des Seienden in strengen Gegensatz. Sein jüngerer Genosse, der Eleate Zeno, übte zuerst in strengerer Form die Kunst der philosophischen Gesprächführung, insbesondere die Kunst des indirecten Beweises, wesshalb ihn Aristoteles den Erfinder der Dialektik nennt.

Heraklit bei Sext. Empir. adv. Math. VII, 126: Kazoì μágrvoɛs ἀνθρώποισιν ὀφθαλμοὶ καὶ ὦτα βορβόρου ψυχὰς ἔχοντος (nach der Conjectur von Jac. Bernays; gew.: ßaoßágovs wuyàs ¿zóvtov). Derselbe bei Diog. Laërt. IX, 1: Πολυμαθίη νόον οὐ διδάσκει . . . ἓν τὸ σοφόν· ἐπίστασθαι γνώμην, ἥτε ολακίζει (nach der Conjectur von Bernays; gew.: ἦτε οἱ ἐγκυβερνήσει, Schleierm.: ἥτε οἴη κυβερνήσει) πάντα διὰ πάντων. Doch ist das Denken, wodurch die Weisheit gewonnen wird, nach Heraklits Anschauung nicht sowohl eine von der Sinneswahrnehmung

trennbare und derselben entgegengesetzte Geistesthätigkeit, als vielmehr nur das volle Offensein der Sinne für die allgemeine allherrschende Vernunft, die Isolirung aber begründet den Irrthum, s. Sext. Emp. adv. Math. VII, 129. Anaxagoras bei Sext. Emp. adv. Math. VII, 90: ὑπὸ ἀφαυρότητος αὐτῶν τῶν αἰσθήσεων) οὐ δυνατοί ἐσμεν κρίνειν τἀληθές. Nach Anaxag. bei Simplic. in Arist. phys. fol. 33 sq. erkennt die göttliche Vernunft alle Dinge, die menschliche aber ist ihr gleichartig: πάντα ἔγνω νόος· — νόος δὲ πᾶς ὁμοῖος ἔστι καὶ ὁ μέζων καὶ ὁ ἐλάσσων. Von Demokrit berichtet Sext. Emp. adv. Math. 138, er theile die Erkenntniss ein in die, welche durch die Sinneswahrnehmung und die, welche durch den Verstand gewonnen werde; jene nenne er die dunkle (σκοτίη), diese die echte (γνησίη); ebendaselbst 140, das Werk der evvora sei die ¿ýtŋois, die Erforschung des Unbekannten auf Grund der sinnlichen Erscheinungen. Doch gewährt dieses Denken nur relativ eine höhere Gewissheit; der Mensch hat überhaupt kein Wissen im strengen Sinne des Wortes. Demokrit bei Diog. Laërt. IX, 72: ἐτεῇ δὲ οὐδὲν ἴδμεν· ἐν βυθῷ γὰρ ἡ ἀλήθεια Empedokles bei Aristot. de anima I, 2:

γαίῃ μὲν γὰρ γαῖαν ἐπώπαμεν, ὕδατι δ' ὕδωρ,
αιθέρι δ' αιθέρα δῖον. ἀτὰρ πυρὶ πῦρ ἀΐδηλον,

στοργῇ δὲ στοργήν, νεῖκος δέ τε νείκεϊ λυγρῷ.

Die Lehren der alten Pythagoreer sind uns nicht mehr in der eigenen Darstellung jener Philosophen zugänglich, da selbst die dem Philolaus zugeschriebene Schrift, aus der uns noch manche (durch Boeckh Berl. 1819 herausgegebene und erläuterte) Fragmente erhalten sind, nach Schaarschmidts Untersuchungen (die angebliche Schriftstellerei des Philolaus und die Bruchstücke der ihm zugeschriebenen Bücher, Bonn 1864) für unecht gehalten werden muss. Wir können uns mit Zuversicht bloss an die Angaben des Aristoteles halten (Metaph. I, 5 u. ö.). Nur als Zeugnisse für die Richtung des späteren Pythagoreismus dürfen Stellen wie folgende gelten: Pseudo-Philolaus bei Stob. Eclog. I, 1, 3 (s. Boeckh Philol. S. 141): οὐ γὰρ ἦς δῆλον αὐθενὶ οὐθὲν τῶν πραγμάτων, οὔτε αὐτῶν ποθ' (πρὸς) αὑτὰ οὔτε ἄλλω ποτ' ἄλλο, εἰ μὴ ῆς ἀριθμὸς καὶ ὁ τούτω ἐσσία. Νῦν δὲ οὗτος και τὴν ψυχὴν ἁρμόζων αἰσθήσει πάντα γνωστὰ καὶ ποτάγορα (d. h. προςήγορα, einander entsprechend und befreundet) αλλάλοις ἀπεργάζεται. Bei Sext. Emp. adv. Math. VII, 92 (s. Boeckh Philol. S. 191–92): ὑπὸ τοῦ ὁμοίου τὸ ὅμοιον καταλαμβάνεσθαι πέφυκεν. – Xenophanes bei Sext. Emp. adv. Math. VII, 49; 110; VIII, 326:

καὶ τὸ μὲν οὖν σαφὲς οὔτις ἀνὴρ ἴδεν οὐδέ τις ἔσται
εἰδὼς, ἀμφὶ θεῶν τε καὶ ἅσσα λέγω περὶ πάντων·
εἰ γὰρ καὶ τὰ μάλιστα τύχοι τετελεσμένον εἰπών,
αὐτὸς ὅμως οὐκ οἶδε, δόκος δ ̓ ἐπὶ πᾶσι τέτυκται.

Parmenides spricht den Satz der Identität im metaphysischen Sinne mit den Worten aus: ἔστιν, oder: ἔστι γὰρ εἶναι, und den Satz des Widerspruchs mit den Worten: οὐκ ἔστι μὴ εἶναι oder μηδὲν δ ̓ ἐστὶν) οὐκ εἶναι. Er erklärt für falsch die Meinung der irrenden, zweihäup

tigen (Sizgaro) Sterblichen, der unkritischen Schaaren (zora qula), welche Sein und Nichtsein für identisch und zugleich auch für nicht identisch halten und ein Jegliches in sein Gegentheil umschlagen lassen: οἷς τὸ πέλειν τε καὶ οὐκ εἶναι τωὐτὸν νενόμισται

κοὐ τωὐτὸν, πάντων τε παλίντροπός ἐστι κέλευθος.

(Parm. fragm. ed. Mullach vs. 35; 43-44; 45-51.) Parmenides nimmt in den zuletzt angeführten Versen höchst wahrscheinlich Bezug auf Heraklit (worauf auch Steinhart in der Hall. allg. Litteraturz. 1845 S. 892 f. und Bernays im Rhein. Museum VII, S. 114 f. aufmerksam gemacht haben), denn Heraklit ist es, der eben diese Lehre aufstellt: ταυτό τ' ἔνι (leg. ταὐτόν ἐστι ζῶν καὶ τεθνηκὸς κ. τ. λ., πάντα εἶναι καὶ un sira (Plut. consol. c. 10; Arist. Metaph. IV, 7. cf IV. 3*), nahívτονος (παλίντροπος) ἁρμονία κόσμου, ὅκωςπερ λύρης καὶ τόξου (Plutarch. de Is. et Os. c. 45; de an. procr. 27, 2); aber nicht auf Heraklit als vereinzelten Denker, sondern als Choregen der »kritiklosen Menge«, die den Sinnen trauend, in eben jener widerspruchsvollen Ansicht befangen sei, welche Heraklit in philosophischer Form vorträgt. (So sagt ja auch Aristoteles de an. I, 2: ἐν κινήσει δ' εἶναι τὰ ὄντα κἀκεῖνος geτo zai oi пolλοí, vgl. Plat. Theaet. p. 179, und in ganz analoger Weise wirft Herbart Hegel »Empirismus« vor.) Indem Heraklit die synthetische Einheit der Gegensätze als Identität, ihr Vereinigtsein als Einssein bezeichnete, reizte er den strengen Denker Parmenides zum Widerspruch und zur Ergreifung des entgegengesetzten Extrems: Parmenides verneint von dem wahrhaft Seienden alle Vielheit und allen Wechsel. (Es ist der nämliche Gegensatz philosophischer Grundansichten, der sich in dem Hegel'schen und dem Herbart'schen Systeme wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede, dass Heraklits unmittelbare Anschauung sich bei Hegel zur dialektischen Methode vertieft hat, und dass Herbart nur die Vielheit der Eigenschaften Eines Dinges und die Veränderung für widersprechend hält, aber nicht die Vielheit einfacher realer Wesen aufhebt, und den von Parmenides nicht gewagten Versuch unternimmt, den Schein der Veränderung aus dem Sein des Unveränderlichen philosophisch abzuleiten.) Das Denken, lehrt Parmenides ferner, gehört dem Einen wahrhaft Seienden, welches gedacht wird an und ist identisch mit ihm, das Seiende selbst ist das Denkende, der rous. Parmen. fragm. vrs. 94-97:

τωὐτὸν δ' ἐστὶ νοεῖν τε καὶ οὕνεκέν ἐστι νόημα

οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ Σάντος, ἐν ᾧ πεφατισμένον ἐστίν,
εὑρήσεις τὸ νοεῖν· οὐ δ' ἦν γὰρ ἢ ἔστιν ἢ ἔσται
ἄλλο παρὲκ τοῦ ἐόντος.

*) Metaph. IV, 3, § 14 ist vielleicht zadáneo Très olovrai Hoάκλειτον zu lesen und dem Sinne nach υπολαμβάνειν, nicht λέγειν, κα ergänzen; denn gesagt hat Heraklit wirklich, dass das Nämliche sei und auch nicht sei (vgl. euer zaì ovz eiuer bei Heraklides, Alleg. Hom. c. 24), aber annehmen, denken konnte er es nicht, weil dies überhaupt nicht möglich ist.

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