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welt apriorisch, und von der inneren Erfahrung keineswegs unabhängig. Vgl. Schleiermacher, Ethik, hrsg. von A. Twesten, § 46, S. 55 ff.

Der Annahme angeborner Begriffe, die als Begriffe, obschon unbewusst, von Anfang an in uns vorhanden seien, bedarf es nicht; dieselbe widerstreitet in jeder Fassung dem menschlichen Entwickelungsgange. Das berechtigte Interesse aber, welches zu dieser unpsychologischen Annahme verleitete, nämlich die anscheinend dadurch gesicherte objective Gültigkeit der Begriffe, wird durch dieselbe in der That nicht befriedigt, da sich gerade an die Voraussetzung des »apriorischen Charakters derselben der reine Subjectivismus knüpfen kann und in Kant's Kriticismus geknüpft hat; dass der Mensch auf die Erkenntniss der objectiven Realität »eingerichtet« sei, ist (wie auch J. Hoppe, die gesammte Logik, I, Paderborn 1868, § 54, S. 45 mit Recht bemerkt) die jener Doctrin zum Grunde liegende Wahrheit. · Vgl. unten § 140.

§ 58. Diejenigen Individuen, welche in den wesentlichen Eigenschaften übereinstimmen, bilden zusammen eine Classe oder Gattung im allgemeineren Sinne. Die Gattung in diesem Sinne ist demnach ebenso das reale Gegenbild zu dem Umfange, wie das Wesen zu dem Inhalte des Begriffs. Diese Beziehung findet ebensowohl bei abstracten, wie bei concreten Begriffen statt. Sofern aber die Wesentlichkeit verschiedene Grade hat, und demgemäss verschieden begrenzte Gruppen von Merkmalen zum Bestimmungsgrunde der Begriffsbildung dienen können, so lassen sich auch in entsprechender Weise mehrere einander umkreisende Classen oder Gattungen unterscheiden, welche in absteigender Folge durch die Ausdrücke: Reich (regnum), Kreis (orbis), Classe (classis), Ordnung (ordo), Familie (familia), Gattung (genus), Art (species) bezeichnet werden. Zwischen Reich und Kreis wird zuweilen noch die Gruppe (cohors), zwischen Familie und Gattung die Zunft oder das Geschlecht (tribus), zwischen Gattung und Art oder auch an anderen Stellen die Abtheilung (sectio), zwischen Art und Individuum die Abart (subspecies) und Spielart (varietas) eingeschoben. Der Begriff der Race, der nur in bestimmten Fällen, namentlich bei der allgemeinsten Eintheilung der Menschen in naturhistorischer Beziehung, zur Anwendung kommt, möchte sich auf den der Abart (subspecies) zurückführen lassen. Der Gegensatz von Gattung und Art wird häufig auch zur Bezeichnung des Verhältnisses

irgend welcher höheren Classe zu der niederen gebraucht, sofern ihr diese ohne angegebene Zwischenglieder unmittelbar untergeordnet wird. Objecte heissen generisch verschieden, wenn sie verschiedenen Gattungen, specifisch verschieden, wenn sie verschiedenen Arten der nämlichen Gattung angehören, graduell verschieden, wenn sie sich nur nach Quantität oder Intensität unterscheiden, numerisch verschieden endlich, sofern sie selbst bei aller etwaigen Wesensgleichheit doch nicht bloss ein einziges Object oder identisch, sondern mehrere Objecte sind.

Als naturhistorisches Kennzeichen der Art (species) gilt vielen besonders unter den ältern Naturforschern die dauernd fruchtbare Zeugung; die neuere Forschung relativirt dieses Kriterium. Bei verschiedenen Arten einer und derselben zoologischen Gattung ist in der Regel höchstens nur eine Zeugung unfruchtbarer Bastarde möglich. Doch ist dieses Merkmal, sofern es gilt, nur als ein consecutiv wesentliches, nicht als ein constitutiv wesentliches anzusehen; denn die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer dauernd fruchtbaren Zeugung muss durch den Gesammtcharakter der Organisation bedingt sein. Das wahrhaft charakteristische Merkmal der Art (Species) ist demnach nicht die Zeugung, sondern der Typus; nur darf unter dem Typus weder die blosse äussere Form und Gestalt, noch auch die Eigenthümlichkeit irgend eines angenommenen Musterexemplares verstanden werden, sondern der Gesammtcharakter der Organisation, die Platonische Idee nach ihrem zwar vielleicht nicht historischen, aber wissenschaftlich wahren Sinne, die Aristotelische Form, das Kantische » Urbild der Erzeugungen « (Kritik der Urtheilskraft) oder (nach Spring, über Gattung, Art und Abart, 1838) »das Bild, welchem nachgezeugt wird. Die Möglichkeit der Fortpflanzung soll nur als ein Mittel dienen, die Uebereinstimmung im Typus zu erkennen. Gebilde gehören zu einer Art, wenn sie, sofern jedesmal die gleichen Entwickelungsstufen derselben miteinander verglichen werden, Uebereinstimmung in allen wesentlichen Merkmalen zeigen. Die Vergleichung ist dabei freilich nur die Function des erkennenden Subjectes; die Wesentlichkeit der verglichenen Merkmale aber ist das objective Moment, welches dem Artbegriff eine reale Bedeutung verleiht. Individuen, welche mit Recht von uns zu Einer Art (und Classe überhaupt) gerechnet werden, stimmen nicht nur in denjenigen Merkmalen miteinander überein, auf welche die Zusammenstellung selbst basirt worden ist, sondern auch in vielen anfänglich grossentheils noch verborgenen Beziehungen, und eben hierdurch bekundet sich, dass der Artbegriff (und überhaupt jeder auf das Wesentliche gegründete Classenbegriff) in der objectiven Wirklichkeit selbst begründet ist. George Henry Lewes sagt (Arist., ein Abschnitt aus einer Gesch. der Wissenschaften, nebst Analysen der naturwiss. Schrif

ten des Arist., deutsch von Jul. Vict. Carus, Leipzig 1865, S. 282):

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> Was ist das Ziel einer (zoologischen) Classification? Die Thiere in einer solchen Weise zu gruppiren, dass jede Classe und Gattung den Grad der von deren Organisation erreichten Complexität angiebt, so dass die äussere Form die innere Structur andeutet«. Doch ist die Complexität der Organisation nur Bedingung und Kriterium der Stufe in der Reihe der Wesen überhaupt. Vgl. unten § 63.

Wie es eine Inconsequenz ist, die reale Existenz des Individuums (vgl. oben § 46) anzuerkennen und dennoch die Realität der Species zu leugnen: ebenso würde es eine Inconsequenz sein, die Realität der Artunterschiede in der Natur anzuerkennen und dennoch zugleich den umfassenderen Gliederungen des Naturorganismus die Wirklichkeit abzusprechen. Denn die Realität der Art weist auf die Realität der Wesentlichkeit zurück, so dass gewisse Elemente nicht nur als vorzüglich brauchbar zu subjectiven Anhaltspuncten bei unseren Begriffsbestimmungen, sondern als vorzüglich wichtig und entscheidend für das Bestehen und die Bedeutung der realen Objecte selbst anerkannt werden müssen; ist aber dies einmal zugestanden, so lässt sich auch die Anerkennung von Abstufungen in der Wesentlichkeit und damit zugleich die Anerkennung der Realität der umfassenderen Gliederungen nicht mehr abweisen. Mit Recht sagt Braun (Verjüngung in der Natur, S. 343): »wie das Individuum als Glied der Species, so erscheint die Species als Glied der Gattung, die Gattung als Glied der Familie, der Ordnung, der Classe, des Reichs; die Anerkennung des Naturorganismus und seiner Gliederungen als objectiver, von der Natur selbst ausgesprochener Thatsachen ist für die höhere einheitliche Gestaltung der Naturgeschichte ein wesentliches Bedürfniss.« (Vgl. auch Rosenkranz, Logik II, S. 48 ff.) So sind auch bereits von Aristoteles, wie die Individuen als ovate im vollsten Sinne, so die Arten und Gattungen als devrɛga ovoía (Categ. 5) und somit als real anerkannt worden; er findet in den natürlichen Classen eine Stufenreihe aufsteigender Vollkommenheit. Mit Recht sieht Linné in den Classen und Ordnungen des künstlichen Systems nur einen Nothbehelf, bis die natürlichen erkannt seien, betrachtet aber die wahren Arten und Gattungen entschieden als objective Werke der Natur (Philos. botan. § 161 sqq.). Die Erkenntniss der natürlichen Gattungen, Familien und Ordnungen ist allerdings unsicherer als die der Species. Uebrigens schliesst die Annahme einer objectiven Gültigkeit der natürlichen Eintheilung nicht die Anerkennung einer gewissen Relativität des Artbegriffes aus, so wenig, wie die objective Existenz der Individuen die partielle Unbestimmtheit der Grenzen des Individuums ausschliesst. Auch bei einer Naturansicht, die (wie die Darwin'sche, deren Grundgedanken u. A. auch bereits Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft hypothetisch ausgesprochen hat) sich auf die Voraussetzung einer allmählichen Entstehung und partiellen Veränderlichkeit der Arten gründet, kann die Objectivität des Artbegriffs für die Welt, wie sie jetzt besteht, angenommen werden, sofern eine realisirte Tendenz der Natur zur Bildung

bestimmter Formen anerkannt und Objectivität nicht mit absoluter Stabilität verwechselt wird. Gerade auf Grund der Darwin'schen Theorie kann der Species, sofern der Begriff derselben jedesmal auf die zu irgend einer gegebenen Zeit gleichzeitig bestehenden Gebilde bezogen wird, im vollen Sinne eine objective Gültigkeit vindicirt werden; die Systematik, als vollendet gedacht, würde den Stammbaum der Organismen darstellen und so mit dem teleologischen Gesichtspunct der Stufenfolge den genetischen des gemeinsamen Ursprungs verbinden. Vgl. in logischem Betracht Trendelenburg, log. Unt. II, S. 157 ff., 2. Aufl. S. 225 ff., 3. Aufl. S. 239 ff. und über das naturwissenschaftliche Problem Carl Nägeli, Entstehung und Begriff der naturhist. Art, 2. Aufl., München 1865, wo S. 34 das Bild des Pflanzen- und Thierreichs, wie es sich bei der Annahme der Veränderlichkeit der Arten gestalte, folgendermaassen bezeichnet wird: »Der Schwerpunct der naturgeschichtlichen Betrachtung liegt nicht mehr in der Species, sondern darin, dass jede systematische Kategorie als eine natürliche Einheit gefasst wird, welche den Durchgangspunct einer grossen entwicklungsgeschichtlichen Bewegung darstellt. Die Gattung und die höheren Begriffe sind (ebenso, wie die Species) keine Abstractionen, sondern concrete Dinge, Complexe von zusammengehörigen Formen, die einen gemeinsamen Ursprung haben«. Doch vgl. andererseits Herm. Hoffmann, Untersuch. zur Best. des Werthes von Species und Varietät, Giessen 1869. Vergl. auch Carl Moebius, die Bildung u. Bedeutung der Artbegriffe in d. Naturgesch. in Bd. 1 der Schriften des >>naturw. Vereins f. Schleswig-Holstein«, Kiel 1873, u. bes. Alb. Wigand, der Darwinismus u. d. Naturforsch. Newtons u. Cuviers. Beiträge z. Methodik der Naturforsch. u. z. Speciesfrage. Bd. 1. Braunschweig 1874. Ebenso wie auf dem naturhistorischen Gebiete, ist auf dem ethischen das Wesentliche aufzusuchen und der Gruppirung der betreffenden Verhältnisse, mithin auch der Begriffsbildung zum Grunde zu legen, welche auch hier nicht der subjectiven Willkür anheimgegeben, sondern an objective Normen gebunden ist. Auch hier beruht der Unterschied weiterer und engerer Sphären auf den Abstufungen der Wesentlichkeit.

§ 59. In denjenigen Fällen, wo Individuen, die der nämlichen Species angehören, sich von einander durch wesentliche Eigenthümlichkeiten unterscheiden, lassen sich von denselben Individualbegriffe bilden. Der Individualbegriff ist diejenige Einzelvorstellung, deren Inhalt die Gesammtheit der wesentlichen allgemeinen und der wesentlichen eigenthümlichen Eigenschaften oder Merkmale eines Individuums in sich fasst. Auch dem Individualbegriff kommt jedoch insofern immer noch eine gewisse Allgemeinheit zu, als derselbe die verschiedenen Entwickelungsstufen des Individuums unter sich begreift. Die Vorstellung von einem in der Zeit lebenden In

dividuum ist nur dann rein individuell, wenn dasselbe in einem einzelnen Momente seines Daseins vorgestellt wird.

Die scholastische, durch den Gegensatz des Aristotelismus zum Platonismus (vgl. Arist. Metaph. I, 6) bedingte Frage nach dem »principium individuationis « ruht auf der Voraussetzung, dass das Allgemeine nicht nur ein begriffliches, sondern auch ein reales Prius des Individuellen sei; sie verliert ihre Bedeutung, sobald erkannt wird, dass das Herabsteigen vom Allgemeinen zum Besonderen nur von dem denkenden Subjecte vollzogen werden kann und dass in der objectiven Realität das Wesen nicht in irgend einem Sinne vor dem Individuellen existiren kann, so dass dieses erst aus jenem sich hervorbilden müsste. Dies haben die Nominalisten (die freilich andererseits zu weit gingen) richtig erkannt, indem sie das Seiende als solches für individuell erklärten, und im Anschluss an sie auch Leibnitz und Wolff, welche das allseitig Bestimmte als solches (res omnimodo determinata, oder ita determinata, ut ab aliis omnibus distingui possit) für das Individuelle erklären, das Allgemeine also als solches nur in der Abstraction existiren lassen. Nicht irgend eine Bestimmung (wie Materie, Raum, Zeit), sondern die Gesammtheit aller constituirt die Individuität. Dies schliesst nicht aus, dass der Unterschied des Wesentlichen und Unwesentlichen und der Grade der Wesentlichkeit der objectiven Realität selbst angehöre. Sofern solches, was diesem oder jenem Individuum eigenthümlich ist, wesentliche Bedeutung hat, giebt es Individualbegriffe. Aus § 46 folgt, dass Individualbegriffe vorzugsweise von den höchsten unter den persönlichen Wesen zu bilden sind.

§ 60. Die Definition oder Begriffsbestimmung (definitio, ¿quós) ist die vollständige und geordnete Angabe des Inhaltes (§ 50) eines Begriffs. In der Definition müssen alle wesentlichen Inhaltselemente des Begriffs oder alle wesentlichen Merkmale der Objecte des Begriffs (§ 49) angegeben werden; sie ist der Ausdruck des Wesens (der essentia«) der Objecte des Begriffs. Die wesentlichen Inhaltselemente sind theils solche, die der zu definirende Begriff mit den ihm nebengeordneten Begriffen theilt und die demgemäss auch den Inhalt des übergeordneten Begriffs ausmachen, theils solche, wodurch er sich von den nebengeordneten und von dem übergeordneten unterscheidet. Indem nun (nach § 58) der Gegensatz von Gattung (genus) und Art (species) auch zur allgemeinen Bezeichnung des Gegensatzes irgend einer höheren Classe zu einer niederen dient, sofern diese jener unmittelbar untergeordnet wird, so können hiernach die wesentlichen In

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