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und durch die tönenden Worte diesen Eindruck bei den ungeübten Lesern auch erzielen mochte. Goethe sammelte in einem kurzen Gedichte auf die 'originellen' Kuchen des Kuchenbäckers Händel eine Reihe solcher bei Clodius üblicher Worte und machte die Manier dadurch lächerlich. Er gieng noch weiter, indem er das Lustspiel 'Medon', das Clodius zum Verfasser hatte, durch einen Prolog parodierte (wie er es denn auch noch im Wilhelm Meister als Stück des Barons verspottete). Doch ergieng es ihm von anderer Seite auch nicht gerade tröstlich. Schon in Frankfurt hatte er eine Menge von Poesien verfaßt, von denen unter anderen ein ganzer Quartband geistlicher Gedichte genannt wird. Erhalten hat sich daraus nur das Gedicht auf die Höllenfahrt Chrifti. Unter den nach Leipzig mitgebrachten poetischen Arbeiten war auch eine begonnene Tragödie Belsazar, die nach dem Muster von Klopstocks Salomo in den damals noch wenig üblichen fünffüßigen Jamben geschrieben war und vermuthlich auch im Uebrigen sich an das Muster Klopstocks anschloß. Dergleichen Arbeiten mochte Goethe der Hofräthin Böhme mittheilen, zu der er oft eingeladen wurde und die sich gern mit ihm über seine Studien unterhielt, da sie, durch Kränklichkeit an das Haus gefesselt, meistens allein war und keinen besseren Zeitvertreib finden konnte, als den jugendlich strebsamen und empfänglichen Studenten in ihrem Sinne zu erziehen und zu bilden. Von ihr empfieng er zuerst einen Geschmack feineren Benehmens im Geiste der bekannten sächsischen Höflichkeit, zugleich aber ließ sich die gebildete und mit der Gabe der Rede wohl ausgestattete Frau in genauere Beurtheilung seiner Dichtungen ein, die dann eben so wenig Gnade vor ihr fanden wie die ganze Leipziger Boetenzunft, deren angelerntes falsches Wesen ihr keine sonderliche Theilnahme abgewinnen konnte. Indem sie dem jungen Freunde in dieser Weise das, was er hochschätzte, werthlos erscheinen ließ, gab sie ihm zwar klarere Anschauungen über den wahren Werth der Dichtung, flößte ihm aber gleichzeitig eine Verachtung des modernen Deutschen ein und daneben auch alles dessen was er selbst gethan, so daß er die eigene Poesie vernichtete und sich der gedruckten Poeten gern entledigte, indem er ganze Körbe voll gegen wenige classische Autoren vertauschte. Um so entschiedener suchte er, da der poetische Trieb ihn nicht losließ, einen neuen eigenthümlichen Charakter seiner Dichtung zu gewinnen. Aus seinen Reflexionen über Neigungen und die Wandelbarkeit menschlichen Wesens entwickelten sich, immer von bestimmten Anlässen ausgehend, zunächst kleine Lieder, deren Charakter er als sittliche Sinnlichkeit bezeichnet. Dazu mitwirken mochte sein Verkehr mit einigen Männern, die ihn enger anzogen, als es bisher bei seinen Bekannten der Fall gewesen. Goethe hatte bei Beginn seines akademischen Lebens nach der

damaligen Sitte, daß die Professoren für Studenten den Mittagstisch hielten, beim Professor Ludwig gegessen. Er gab den Tisch auf, als um Ostern 1766 J. G. Schlosser (sein nachheriger Schwager) nach Leipzig kam, der sein Mittagsessen im Hause des Weinhändlers Schönkopf einnahm. Der dort versammelten Tischgesellschaft schloß sich Goethe an. Wie er bei Ludwig vorzugsweise über medicinische Gegenstände hatte reden hören und zum erstenmale mit neugierigem Auge auf diese Gebiete des Wissens geblickt hatte, ohne sich schon jetzt tiefer auf dieselben einzulassen, fand er im Hause Schönkopfs eine Gesellschaft, die ihm mehr zusagte. Durch Schlosser wurde er angeregt, sich in fremden Sprachen dichterisch zu versuchen, besonders in der englischen und französischen. Proben davon sind erhalten und zeigen eine ungewöhnliche Fertigkeit in der Handhabung des fremden Idioms, doch konnte ihm diese Art der Gedankenmummerei nicht lange behagen. Größeren Einfluß als Schlosser gewann ein andrer Tischgenosse auf Goethe, Ernst Wolfgang Behrisch, der als Hofmeister eines jungen Grafen v. Lindenau zwar wohl nicht an dem Mittagstische selbst Theil genommen haben wird, aber in den abendlichen Zusammenkünften selten fehlte und hier mit Goethe bald vertraut wurde. Männer, die Behrisch gekannt haben, versichern, daß er viel bedeutender gewesen, als Goethe ihn geschildert. Mag er immerhin sich darin gefallen haben, das Nichtige mit komischem Ernst zu etwas Wichtigem zu machen und das Ernsthafte leicht zu nehmen, so zeigt schon der lange fortgesetzte enge Verkehr zwischen ihm und Goethe, daß dieser mehr als eine bloß negative Natur in ihm fand und ihn nicht lediglich wegen seiner Acußerlichkeiten schäßte. Behrisch war es, der Goethe vom voreiligen Druckenlassen seiner jugendlichen Dichtungen zurückhielt und ihn dafür durch zierliche Abschriften erfreute. Wahrscheinlich war dieser Freund es auch, der Goethe auf innere Erfahrungen hinwies und ihn zu der so wirksam gewordenen Selbstbildung durch die Verwandlung des Erlebten in ein Bild anleitete, so wie er den elf Jahre jüngeren Freund den Zwiespalt zwischen der äußeren Achtung und dem inneren Werthe kennen lehrte und ihm in dieser Beziehung über das so heiter und friedlich erscheinende Leben und Treiben der Welt um sie her die Augen öffnete. Jedenfalls war in diesem Verhältniß Behrisch nicht der gewinnende Theil, da, als er seines Hofmeisterdienstes vielleicht nicht ohne seine Schuld entlassen wurde, der Vater seines Zöglinges dem Nachfolger ausdrücklich zur Pflicht machte, mit Goethe nicht umzugehen, angeblich aus Entrüstung über das Gedicht gegen Clodius. Durch Gellerts Vermittlung kam Behrisch in die Dienste des trefflichen Fürsten Leopold Friedrich Franz von Dessau. Gellerts Theilnahme spricht ehrend für Behrisch, und die Oden, welche Goethe ihm nachsang, zeigen das damalige

Verhältniß zwischen beiden reiner, als die Schilderungen in Dichtung und Wahrheit, die fast nur die lächerliche Seite hervorheben. Die Briefe, die Goethe ihm seit seinem Abgange schrieb, kaufte er, als Behrisch am 21. Oktober 1809 in Dessau gestorben war, zurück.

Bon einigem, wenn gleich geringerem Einfluß war der Hofmeister eines jungen Freihern v. Friesen, Joh. Gottlieb Benjamin Pfeil aus Freiburg, Jurist, fiebenzehn Jahre älter als Goethe, durch schriftstellerische Versuche, die indeß ohne seinen Namen erschienen waren, schon einigermaßen berühmt. Goethe schreibt ihm auch den Roman 'Geschichte des Grafen P.' zu, gedenkt aber der sicher von ihm herrührenden 'Moralischen Erzählungen' (1757) nicht, von denen eine 'Der Wilde' von Mercier ins Französische übersetzt und als Uebersetzung bezeichnet wurde (1767), später aber ohne diese Bezeichnung in die übrigen moralischen Erzählungen Merciers Aufnahme fand und dann von fremder Hand ins Deutsche zurück übertragen wurde. Pfeil war ein feiner, beinahe etwas Diplomatisches an sich habender Mann, doch ohne Ziererei und von großer Gutmüthigkeit, der Goethe eine ernste Neigung bewies und sein Urtheil über manches zu leiten und zu bestimmen suchte. Ansprüche dieser Art machte der um zwanzig Jahr ältere Gottlob Friedrich Krebel durchaus nicht; ein wahrer Falstaff, immer heiter und guter Dinge, kam es ihm nur auf einen Spaß an; er war immer bereit, mit Maßen zu necken und anzuregen. Den vollen Gegensatz bildete ein anderer Tischgenoß, Chriftian Gottfried Hermann, Sohn des Oberhofpredigers zu Dresden, etwas über sechs Jahre älter als Goethe, der schon Ostern 1763 auf die Universität gekommen war, sich durch sanften Ernst, ruhigen Fleiß, Talent für Musik und Zeichnen, durch lehrreiche Unterhaltung und großes Wohlwollen gegen Goethe dessen Achtung und Zuneigung erwarb. Von geringer Bedeutung scheinen unter den Tischgenoffen die Livländer gewesen zu sein, zwei Brüder v. Olderogge, wenn auch der ältere, Joh. Georg, in dem wenigen, was er sagte, Geist, große Gesinnung und gebildetes Urtheil verrathen haben soll; der jüngere, Heinrich Wilhelm, kleiner, aber von schöner Gesichtsbildung, sprach dafür desto mehr, aber auch Unpassendes und Unbesonnenes. Beide besuchten Goethe später in Frankfurt. Ein andrer Ostseeprovinzler, Magnus Giesebrecht v. Reutern, studierte seit Ostern 1767 in Leipzig und wird von Herder ein weiches Mädchenherz ohne Charakter genannt. Er setzte in der Folge einer Homburger empfindsamen Hofdame, Fräulein von Ziegler (Lila), Liebesgrillen in den Kopf und bekümmerte sich dann nicht weiter um das arme Geschöpf. Der stillste unter diesen verschiedengearteten Tischgenoffen war Fr. Ludwig Zachariä, und doch kein unwirksamer, da er die Veranlassung wurde, daß sein älterer Bruder, der Dichter des Renommisten,

bei einem Besuche in Leipzig sich an Schönkopfs Tische einfand und es fich einige Zeit dort ganz wohl sein ließ. Der große, wohlgestaltete, behagliche Mann, der zwar seine Neigung für eine gute Tafel nicht verhehlte, im Uebrigen jedoch lebhaft und unterhaltend genug war, um Aufmerksamkeit zu erregen, gewährte Goethen vielleicht zum erstenmale den Anblick eines Dichters, bei dem Persönlichkeit und Leistung im Einklange stehen und der auch unabhängig von seinen poetischen Werken etwas zu bedeuten Anspruch machen darf. Der große Eindruck, den Zachariä auf den jungen Dichter machte, läßt sich in der etwas überschwänglichen Ode erkennen, die dem Heimgekehrten nachgesungen wurde. Ein späterer Freund Zachariäs, Joh. Joach. Eschenburg aus Hamburg, der seit 1764 in Leipzig studierte, ein schöner junger Mann, doch um etwa sechs Jahre älter als Goethe, zeichnete sich unter den Studierenden vortheilhaft aus, scheint jedoch in kein näheres Verhältniß zu dem Kreise getreten zu sein; er verließ schon 1767 die Universität, um eine Stelle am Carolinum in Braunschweig anzutreten. Unter den Männern, die sich in Leipzig aufhielten oder daselbst auf kurze Zeit verweilten, nennt Goethe den Kreissteuereinnehmer Weiße, heiter, freundlich, zuvorkommend und von den jungen Leuten geliebt und geschäßt, von dessen Theaterstücken sie sich hinreißen ließen, obwohl sie dieselben nicht für mustergültig halten mochten. Weiße brachte eine Art von Abbild Shakespeares auf das Theater und gefiel besonders durch seine 'Poeten nach der Mode' so wie durch seine von Hiller componierten Opern. Von Goethe scheint er wenig Notiz genommen zu haben, da er ihn noch einige Jahre nachher nicht anders als nach der Leipziger Aussprache unter dem Namen Gede kennt. Ein Nachahmer Weißes im Singspiel war Daniel Schiebeler, 1741 in Hamburg geboren, der 1765 von Göttingen nach Leipzig kam und sich, mit Hülfe der Hillerschen Compofitionen, durch seine Romanzen und seine Operette Lisuart und Dariolette einen schnell vorübergehenden Namen erwarb; er starb, nachdem er 1768 promoviert hatte, schon 1771 in Hamburg. Näher wurde die Verbindung mit Joh. Jac. Engel aus Parchim, der schon in Rostock studiert und promoviert hatte und seit 1765 das Studium der Philosophie und der Sprachen in Leipzig fortsette. Ein Freund Weißes und Garves, schwankte er zwischen den Richtungen beider, bildete aber seine Philosophie hauptsächlich für das Theater. Mit Goethe und Corona Schröter betheiligte er sich bei dilettantischen Theaterdarstellungen und spielte in Lessings Minna den Tellheim und in Diderots Hausvater den Comthur nicht ohne Verständniß und Erfolg. Zu Vorstellungen dieser Art fand sich im Schönkopfischen Hause selbst Gelegenheit. Dort wurde die Minna von Barnhelm gespielt und auch das beliebte, überall gespielte

und gelesene kleine Stück von Krüger 'Herzog Michel', das man jezt kaum noch aus Leffings Dramaturgie (St. 83) kennt, gelangte dort zur Aufführung. Goethe spielte darin die Titelrolle, den Knecht, der sich, wie Gleims Milchfran, mit dem wuchernden Ertrage einer gefangenen Nachtigall in seinen Gedanken bereichert, zum Besitz eines Herzogthums gelangt und dann, als er in seiner lustigen Ausgelassenheit die Nachtigall entfliegen läßt, wieder der arme Knecht Michel ist. Bei den Aufführungen dieser Art, deren Leitung Schönkopf übernommen hatte, verkümmerte man sich den Genuß am Komödienspiel nicht sehr durch ängstliche Sorgen um Decoration und Requisite; die Nachtigall bestand in einem zusammengeknüpften Taschentuch und die Coulissen entsprachen dieser uranfänglichen Symbolik. Viel mehr Aufwand ließ man es sich schwerlich auch im Hause des Buchhändlers Joh. Gottlob Immanuel Breitkopf kosten, mit dessen Kindern, zwei Söhnen und zwei Töchtern, Goethe sehr lebhaften Umgang hatte. Es wurden im Breitkopfischen Hause öfter dramatisirte Sprichwörter aufgeführt, wobei Goethe fich auszeichnete und auf lange hinaus im Hause ein Gedächtniß stiftete. Die beiden Söhne des Hauses, Bernhard Theodor und Christian Gottlob, standen mit Goethe in gleichem Alter und waren mit ihm zu gleicher Zeit immatriculiert; der ältere hatte künstlerische Anlagen und interessierte sich besonders für Musik, die durch ihn im Hause heimisch wurde; der jüngere war ein heitrer Lebemann und immer guter Dinge. Die beiden Töchter hatten das Gefällige des damaligen Leipziger Wesens und ließen sich nicht ungern die Galanterien ihrer wechselnden Anbeter gefallen; die ältere, Theodore Sophie Constanze, war damals Dame des Herzens für Goethes Freund Horn; sie wurde mit ihrer jüngeren Schwester, Luise Marie Wilhelmine, an demselben Tage, 24. Januar 1774, getraut und zwar mit einem Dr. Dehme, der sich in der Folge von ihr scheiden ließ; fie starb 1819; die jüngere wurde mit dem Diakonus Netto aus Eisleben verheirathet, verlor ihren Mann, verheirathete sich wieder und starb 1790. Die lebenslustige Jugend des wohlhabenden Hauses zog Goethen in ihre zerstreuungsvollen Kreise, der sich dann zum Scherz und Ernst gern bereit finden ließ die geselligen Freuden zu mehren und mannigfaltig zu machen. Hier lernte er auch den im Hause wohnenden Arzt Reichel kennen, der ihm bald hülfreich werden sollte. Auch in einem andern Buchhändlerhause fand Goethe wohlwollendes Entgegenkommen. Phil. Erasmus Reich, der die Weidmannische Buchhandlung kräftig emporgearbeitet hatte und sich als alleiniger Inhaber derselben eines ansehnlichen Vermögens und allseitiger Achtung erfreute, sah allwöchentlich an einem bestimmten Abend die Gelehrten, Schöngeister und Künstler Leipzigs bei sich. Goethe besuchte diese Gesellschaften und blieb

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