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Freude der Kinder thätigen Natur dieses trefflichen, leider immer aus vorgefaßten Meinungen geschilderten Mannes, dem der Sohn selbst nicht die gebührende Anerkennung gezollt zu haben scheint. Als er gestorben, riefen ihm Goethes Freunde in unbilliger Weise nach, er sei ‘abgestrichen', es sei der vernünftigste Streich, den er gemacht habe. Mit um so größerer Liebe und Bewunderung wurde von allen Seiten der Mutter Goethes begegnet, jener Katharina Elisabeth Textor, die als Frau Aja einen unvergänglichen Namen gewonnen hat und eine der herrlichsten Frauengestalten ihrer Zeit ist. Sie war siebenzehen und ein halbes Jahr alt, als sie dem mehr als zwanzig Jahr älteren Manne vermählt wurde. Das Kind entwickelte sich an der Hand des ernsten Mannes zur trefflichen und tüchtigen Hausfrau und Mutter; ihre frische, naiv-sinnliche Natur füllte das Haus mit Leben und Behagen; in der Sorge für den Gatten war sie musterhaft und jede damit verbundene Pflicht wurde ihr leicht; alles gieng ihr munter von der Hand; in alles, was über ihr Wesen hinaus zu liegen schien, wußte sie sich rasch und gut zu finden; die heitere Frankfurterin warf kräftige, kernige Worte in die Unterhaltung, mit denen man sich schon trug, bevor der Ruhm ihres Sohnes auf sie zurückstrahlte. Diesem glich sie in Augen, Geberden, Wohllaut der tönenden Stimme. Ordnung und Ruhe, so schildert sie sich selbst, waren die Hauptzüge ihres Charakters, daher that sie alles gleich frisch von der Hand weg, das Unangenehmste immer zuerst und verschluckte den Teufel, nach dem weisen Rath des Gevatters Wieland, ohne ihn erst lange zu beguden; lag dann alles wieder in den alten Falten, war alles Unebene wieder gleich, dann bot sie dem Troß, der sie in gutem Humor hätte übertreffen wollen. Sie rühmte sich der Gnade von Gott, daß noch keine Menschenseele mißvergnügt von ihr weggegangen, weß Standes, Alters oder Geschlechts sie auch gewesen sei. Ich habe die Menschen sehr lieb, sagte sie, und das fehlt Alt und Jung; gehe ohne Prätension durch die Welt, und dies behagt allen Erdensöhnen und Töchtern, bemoralisire niemand, suche immer die gute Seite auszuspähen, überlasse die schlimme dem, der die Menschen schuf und der es am besten versteht, die Ecken abzuschleifen, und bei dieser Methode befinde ich mich wohl, glücklich und vergnügt. - Die Ehe war mit vier Kindern gesegnet; außer dem Erstgebornen, dem Dichter, mit einer Tochter, Cornelie Friederike Christiane (geb. 7. December 1750, verheirathet am 1. November 1773 mit J. G. Schlosser, gest. 8. Juni 1777), und zwei Söhnen, von denen der ältere, Hermann Jacob, (geb. 1752), im siebenten Jahre 1759, der jüngste, Georg Adolph (geb. 1760) schon im Jahre nach seiner Geburt starb.

Goethe wurde am 28. August 1749 geboren und schon am folgenden

Tage, nach seinem Großvater Textor, Johann Wolfgang getauft. Ueber seine früheste Jugend hat er in Dichtung und Wahrheit so ausführlich und so anmuthig erzählt, daß hier nur darauf verwiesen werden kann. Die Eltern wohnten, bei aller Unabhängigkeit, im Hause der alten Goethe, deren hagre immer weiß und reinlich gekleidete Gestalt, deren sanftes, freundliches, wohlwollendes Wesen dem Dichter im Gedächtniß blieb. Er verlor die gute, mit der Schwiegertochter im Mährchenerzählen wetteifernde Großmutter schon am 26. März 1754, in seinem fünften Jahre. Nach ihrem Tode begann Goethes Vater den längst beabsichtigten, aber in Rücksicht auf die Mutter verschobenen Umbau des Hauses am Hirschgraben, das er zu einem stattlichen, im Innern trefflich eingerichteten Gebäude zu machen verstand. Er konnte sich nun mit seinen Büchern, Mineralien, Gemälden, Kupferstichen und sonstigen Kunstsammlungen gemächlich ausbreiten und machte den besten Gebrauch von dieser Freiheit. In den Zimmern hiengen seine Andenken von der italienischen Reise und seine Bilder wurden durch neue, die er bei wackern Künstlern bestellte, mannigfach vermehrt. Diese Liebhabereien, die immerhin kostspielig waren, machten ihn im Uebrigen sparsam, so daß er den Vorwurf der Knauserei hat erfahren müssen. Doch hat es in seinem Hause zu keiner Zeit an gastfreundlicher Zuvorkommenheit gefehlt, da es sein Stolz war, als Privatmann es den angesehenen Verwandten in dem kleinen Freistaate, wenn auch nicht mit großen Gastereien und dergleichen leeren Bergnügungen, in gewisser Weise zuvor zu thun. Er nahm sich mehr einen Senckenberg und Loen zum Muster, als die prunkliebenden Weltleute, an denen es im reichen Frankfurt nicht fehlte. Er hatte neben seinen Kunstliebhabereien auch Sinn für die Poesie und besonders Neigung zu den reimenden Dichtern. Canit, Hagedorn, Haller, Gellert, Drollinger, Creuz und andere standen in schönen Franzbänden in seiner Bibliothek. Dagegen war er ein abgesagter Feind der deutschen Hexameter, so daß Klopstocks Messiade, die seit 1749 in einzelnen Abtheilungen erschien, ausgeschlossen blieb, aber durch den Rath Schneider, einen Hausfreund, der Sonntags bei dem Freunde aß, an die Mutter und von ihr an die Kinder gelangte, die sich unsäglich daran erfreuten und die auffallendsten Stellen, sowohl die zarten als die heftigen ge= schwind auswendig lernten, besonders Portias Traum und das wilde Gespräch von Satan und Adramelech im rothen Meere, das Wolfgang und Cornelia wechselweis declamierten, womit sie eines Tages den Barbier des Vaters so erschreckten, daß er das Seifenbecken über den Herrn Rath ausschüttete, worauf dann die Meffiade abermals vom Hause verbannt wurde. Dies war nicht die schwerste Störung, der die Ruhe des Vaters unterlag; der siebenjährige Krieg brachte schlimmere mit sich. Die

Parteinahme für Friedrich II. oder für Oesterreich, das Russen und Franzosen nach Deutschland führte, spaltete die geselligen Kreise und die Familien. Der Rath Goethe, der sich entschieden für Preußen erklärte, bestimmte natürlich auch den Sohn zu gleicher Parteinahme, konnte aber doch nicht verhindern, daß sich, als in Folge eines Handstreiches Frankfurt von Franzosen besetzt wurde und nun die Einquartierung zum großen Berdruß die besten Zimmer des Hauses wegnahm, der Sohn auch für die Franzosen interessierte. Ueber den Königslieutenant, Grafen Thorane aus Grasse bei Antibes, der ins Goethesche Haus zog, der die Frankfurter und benachbarten Künstler beschäftigte, indem er Delgemälde für gewiffe Wandabtheilungen auf dem Schlosse seines Bruders anfertigen ließ, zu welchem Zwecke ein Atelier im Hause aufgeschlagen wurde, hat Goethe selbst ausführliche Mittheilungen gemacht und auch vom eigenen großen Antheil an dem Treiben der französischen Schauspieler zwischen und hinter den Coulissen und den neckischen Knabengeschichten mit dem kleinen Derones erzählt und fabuliert. Er las französische Theaterstücke und will auch in Nachahmungen sich versucht haben, was nicht gerade unglaublich ist, da seine lateinischen Exercitienbücher sein frühes dramatisches Talent zu bestätigen scheinen. Während auf dieser Seite die leichte französische Cultur auf ihn eindrang, wurde er mit allerlei ernsten Männern, zum Theil Sonderlingen bekannt, dem musikliebhabenden Schöffen v. Uffenbach, dem kunstliebenden hefsischen Edelmann v. Hackel, dem Dr. v. Orth, dem gelehrten Joh. Dan. v. Olenschlager, der mit Frl. v. Klettenberg verlobt gewesen war und sie für eine Tochter Haekels aufgegeben hatte, dem menschenfeindlichen Herrn v. Reineck und dem wunderlichen alten Hofrath Hüsgen, der 'auch in Gott Fehler entdeckte.' Der Einfluß dieser Männer, die zum Theil in den 'Bekenntnissen einer schönen Seele' wieder auftreten, war' nicht gering; der eine wollte ihn zum Hofmann, der andere zum Diplomaten, der dritte zum tüchtigen Rechtsgelehrten bestimmen, um das Seinige gegen das Lumpenpack von Menschen vertheidigen, Unterdrückten beistehen und Schelmen allenfalls etwas am Zeuge flicken zu können. Mit diesem Wunsche stimmte der des Vaters überein, der den Sohn freilich auch in seinen früh erwachenden poetischen Liebhabereien gewähren ließ und selbst Freude an seinen Nachahmungen der geistlichen reimenden Dichter hatte, aber ihn zu ehrenvoller Laufbahn in der Vaterstadt tüchtig zn machen bestrebt war und ihn, da er selbst sehr tüchtige juristische Kenntnisse besaß, schon frühe und vielleicht zu vorzeitig in die Elementarkenntnisse der Rechtsgelahrtheit einführte. Als er ihn durch eigne und fremde Hülfe für hinlänglich vorbereitet hielt, die Universität mit Nußen zu beziehen, bestimmte er ihn für diejenige, der er selbst seine juristische Bildung zu danken hatte,

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für Leipzig. Vor dem Abgange dahin wäre, wenn man Dichtung und Wahrheit folgen wollte, Goethes erster Neigung und seines Verhältnisses zu Gretchen zu gedenken, in der man eine Wirthstochter zu Offenbach hat erkennen wollen. Allein die kleine Idylle, die mit einem kleinen tragischen Denkzettel abläuft, scheint auf dichterischer Ausschmückung des jungen Lebens zu beruhen, obgleich die Biographen sie auf Treu und Glauben angenommen und Dichter fie behandelt haben. Jugendbriefe Goethes sprechen von anderen Verhältnissen, werfen einen verachtenden Blick auf die Bemühungen, durch die er die Gunstbezeugungen einer W. erkauft habe, und gedenken einer knabenhaften Liebe zu einer Freundin einer Schwester, zu Charitas Meixner (geb. 27. Juli 1750), der Tochter eines reichen Kaufmanns in Worms, die er im Hause des Raths Moritz, bei dem sie zum Besuch war, hatte kennen lernen. Er schwärmte noch in Leipzig sich in eine Leidenschaft für die schöne Charitas hinein, aber der Mittelmann, den er erwählt hatte, um seine Gefühle auszudrücken, ein gewisser Müller, lachte über seine Seufzer und ließ sie unbestellt, weshalb sich Goethe in Bers und Prosa an einen Oheim des Mädchens, einen gewissen Trapp, wandte, der sich gefälliger erwies. Die Sprache, in der diese Briefe und Verse abgefaßt find, erklärt die Leidenschaftlichkeit 'dieser stürmischen Gefühle,' 'dieser brennenden Liebe,' es sind französische Phrasen, die nur in so weit Beachtung verdienen, als fie Goethe auf diesem Gebiete kennen lehren und seine Neigung, sich im Alexandriner des Modevolks zu zeigen, bestätigen. Charitas aber wartete nicht ab, daß er den Gipfel des Glücks und der Wissenschaft erstieg, um fie heimzuführen. Sie wurde am 8. Februar 1773 die Frau des Kaufmanns G. F. Schuler in Worms und starb am letzten Tage des nächsten Jahres.

Goethe hatte so eben das sechzehnte Lebensjahr vollendet, als er um Michaelis 1765 in Begleitung des Buchhändlers Fleischer und dessen Frau, einer Tochter des medicinisch-poetischen Professors Triller in Wittenberg, die Reise von Frankfurt nach Leipzig antrat. Am Orte seiner Bestimmung nahm er seine Wohnung bei der Frau Straube im Hofe der großen Feuerkugel, demselben Gebäude, wo etwa zehn Jahre früher auch Lessing gewohnt hatte. Diese Wohnung behielt er die ganze Zeit seines Aufenthalts in Leipzig und nur während der Messen und vielleicht auch in den Sommermonaten bezog er ein Stübchen in dem nahen Dorfe Reudniß. Unter den Empfehlungsschreiben, die er mit brachte, war eins an den Hofrath und Professor Böhme gerichtet, einen weder durch wissenschaftliche Leistungen noch sonst auf eine Weise bedeutenden Mann, der Geschichte, deutsche Reichshistorie und allgemeines Recht des deutschen Reichs vortrug und schon deßhalb sehr überrascht Goethe, Werte. Auswahl. 1.

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sein mußte, als Goethe ihm eröffnete, daß er sich anstatt den Rechten, den schönen Wissenschaften oder wenn man will der Philologie zu widmen beabsichtigte. Schon in Frankfurt hatte Goethe sich in diesem, vor dem Vater sorgfältig geheim gehaltenen Gedanken gefallen und noch an seinem letzten Geburtstage sich als 'Liebhaber der Teutschen Wissenschaften' in das Stammbuch eines Freundes eingezeichnet. In diesem Sinne dachte er seine Leipziger Studien einzurichten. Böhme widerrieth dies Vorhaben auf das Entschiedenste und wurde darin von seiner Frau, einer gebornen Görz, wacker unterstützt. Beide hielten es für durchaus erforderlich, eine Wissenschaft, die sich praktisch anwenden lasse, mit allem Ernst zu ergreifen, und vermochten wenigstens so viel über den jugendlichen Studenten, daß er, nachdem er am 19. October, als zur bayerischen Nation gehörig, immatriculiert war, sich zum Besuch der Vorlesungen über die Institutionen und zu Böhmes Collegien entschloß. In der Folge hatte es dann mit dem juristischen Studium gute Wege. Er hörte lieber philosophisch - mathematische und physikalische Vorträge bei Winkler, ein Colleg bei Ernesti über Ciceros Gespräche vom Redner und besonders die deutsche Literaturgeschichte bei Gellert, so wie er auch dessen Practicum besuchte. Er hatte sich dem berühmten Manne mit Vertrauen genähert, fand sich aber sehr bald enttäuscht, da er keiner eingehenden Theilnahme begegnete und seine schriftlichen Auffäße Gellerts Billigung nur in geringem Grade erhielten. Schlimmer ergieng es ihm noch bei einem andern Dichter und Professor, Christian August Clodius, der, etwa ein Jahrzehent älter als Goethe, sich eines gewissen Rufes als Dichter erfreute und in dem Goethe, schon im zweiten Semester, einen fördernden Berather zu finden meinte. Clodius aber verhielt sich den ihm vorgelegten Arbeiten gegenüber nur negativ; er corrigierte reichlich mit rother Dinte und machte die Fehler, wenigstens solche, die es in seinen Augen waren, bemerklich, ohne die Wege anzugeben, auf denen man zu dem Besseren gelangen könne. In einem Gelegenheitsgedichte, das Goethe zur Hochzeit seines Oheims Textor (17. Februar 1766), verfertigt und in dem er sehr reichlichen Gebrauch von der alten Mythologie gemacht hatte, tadelte Clodius die Einführung dieser alten Götternamen und Göttergestalten als eine müßige und kalte Spielerei, die schon veraltet und auf die Leser ohne bewegende Wirkung sei. So richtig diese Bemerkungen waren, so wenig behagten sie dem jungen Poeten, der nun seinerseits die Gedichte seines Lehrers mit um so schärferer Aufmerksamkeit betrachtete und bald entdeckte, daß Clodius sich für den mythologischen Apparat in der unmäßigen Einführung von Fremdwörtern und Umschreibungen abstracter Begriffe einen Ersatz geschaffen, der seinem alltäglichen Gedankengange einen Anstrich von Erhabenheit geben sollte

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