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den man uns, nach Verbannung des marinischen, mit Gewalt aufdringen will, mich bisweilen, von der Sache selbst harter Redensarten bedienet: so bedenke man, daß der Eifer wider ein besorgliches Uebel, welches den bisherigen Glanz unserer Muttersprache und freyen Künste bald wieder verdunkeln könnte, uns leicht zuweilen ein, nehmen, und solche Ausdrückungen in den Mund legen kann, die man sonst ungern gebrauchen würde.

Endlich so ist das Wichtigste, und wodurch diese Ausgabe unfehlbar einen großen Vorzug vor allen voris gen erhalten wird, dieses: daß ich nicht nur im erfen Theile dieses Buches, mehr Exempel aus guten und schlechten Dichtern angeführet; sondern auch im andern Theile, bey allen Capiteln, wo vorhin Exempel von meiner eigenen Arbeit stunden, lauter Meisterstücke von uns fern besten Dichtern eingeschaltet habe.* Ich habe aber dieselben mit gutem Bedachte nicht eben aus den neues sten, die ohnedem in aller Hånden sind, und die auch ohne mein Zuthun gelesen werden; sondern aus den áltern, als Opitzen, Flemmingen, Dachen, Racheln, Neus kirchen u. d. m. die nicht ein jeder hat, oder liefet, hers genommen. Ich will aber dadurch, daß ich sie zu Mustern anführe, nicht ében alle kleine Fehler der Wortfü gung, des Sylbenmaaßes und der Reime billigen; die man noch hin und her, als Ueberbleibsel des vorigen Jahrhunderts anmerken wird. Nein, ich will nur den gefunden und männlichen Geschmack dieser Helden in unserer Sprache und Dichtkunst anpreisen, und bekann ter machen; um wo möglich, der neuen Sucht, gekünstelt, versteckt und unergründlich zu schreiben, die sich hin und her reget, zu steuren. Erlange ich dieses, so wird mich auch in diesem Stücke mein gefaßter Entschluß nies mals gereuen.

Geschrieben im Jänner, 1742.

* Dieses galt von der III. Auflage.

Gottsched.

XXV

Geneigter Leser,

iermit habe ich das Vergnügen, dir eine neue und durchachends verbesserte Auflage meiner

kritischen Dichtkunst zu liefern. Es sind nunmehr eben acht Jahre verflossen, da ich dieses Buch zum erstenmale ans Licht stellete, und in währender Zeit ist dasselbe gänzlich abgegangen: obgleich die Regeln der Poesie eben nicht so häufig, als die Anleitungen zu andern freyen Künsten und Wissenschaften gesuchet werden. Wenn ich mir schmäucheln darf, daß dadurch viele einen bessern Begriff von der wahren Dichtkunst bekommen haben, als man vorhin insgemein gehabt: so ist mir die darauf verwandte Mühe reichlich belohnet worden. Zun wenigsten habe ich das Vergnügen gehabt, von vielen Or ten her, schriftliche Versicherungen von unbekannten Pers sonen, zu erhalten, daß sie, aus meiner Dichtkunst allererst, das rechte Wesen der Poesie einsehen gelernet. Ja was noch mehr ist, ich habe es mit Luft wahrgenommen, wie seit der Zeit nicht nur in Leipzig, sondern an sehr vielen andern Örten, die Schriften angehender Poeten ein ganz anderes Ansehen gewonnen: daraus denn nicht une deutlich zu spüren gewesen, daß die in meiner Dichtkunst enthaltenen Regeln, ihnen zur Richtschnur gedienet hätten.

Doch indem ich dieses süßen Vergnügens, als einer natürlichen Belohnung meiner kritischpoetischen Bemü hungen, erwähne: so ist es keinesweges ein Stolz oder eine Ruhmredigkeit, die mir solches in den Mund leget. Ich weis es nur gar zu wohl, wie wenige, von denen gu ten Früchten, die meine Dichtkunst getragen, mir eigens thümlich zugehören. Diejenigen großen Leute, die alles, was sie schreiben, aus ihrem eigenen fruchtbaren Geiste hernehmen, und keinem Lehrmeister etwas zu verdanken haben, mögen auf ihre Schriften stol; werden. Sie has ben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht streitig machen br Fann.

kann. Sie sind so glücklich, dasjenige in sich selbst zu fin den, was Leute von meiner Gattung, nach Art åmsiger Bienen, erst auf fremden Fluren, mit vieler Mühe, zusam men suchen müssen! Ihr unerschöpflicher Wit vertritt bey ihnen die Stelle großer Büchersåle, und einer lange weiligen Belesenheit. Daher können sie ungescheut dies jenigen Opfer sich selbst anzünden, die wir andern, unsern Vorgängern und Lehrern zu bringen pflegen. Was ist billiger, als daß ein jeder diejenige Quelle krönet, daraus er geschöpfet hat! Und ich bin versichert, daß niemand von diesen großen Geistern mir das Bekenntniß misgönnen wird, das ich schon in der Vorrede der ersten Ausgabe ges than habe: daß ich nämlich alles, was etwa in meiner kritischen Dichtkunst Gutes enthalten seyn würde, nicht mir selbst, sondern den größten Kritikverständigen alter und neuer Zeiten zu verdanken hätte. Ich erzählte nåmlich daselbst gleichsam meinen poetischen Lebenslauf, und rühmte diejenigen, aus deren Einsicht ich meinen größten Vortheil gezogen, und durch deren Schriften und münd liche Unterredungen, mir gleichsam die Augen zuerst auf» gegangen wåren. Und durch das alles war ich bemüht, meinen Lesern zu zeigen, wie ich allmählich auf den Vors sah gebracht worden, eine kritische Dichtkunst zu schreiben.

Dieses alles nun zu erwähnen, hatte ich dazumal die größte Ursache: indem ich als ein angehender Scribent noch in dem Ansehen nicht stund, welches meinen Regeln ein Gewicht geben, und meinem Buche, durch mich selbst, eine gute Aufnahme håtte versprechen können. Wie no thig aber dieses bey allen sey, die sich zu öffentlichen Leh rern aufwerfen wollen, das sah ich nicht nur damals ein; sondern ich erkenne es noch diese Stunde. Wem ist es unbekannt, wie wenige Leser in diesem Falle unparteyisch sind, und bloß auf die Gründe, die jemand anführet, zu sehen pflegen? Und wenn ich gleich iso die weitläuftige Erzahlung weglaffe, dadurch ich dazumal meinen kritis schen Regeln einigen Glauben zu erwerben suchte: so ges schieht es keinesweges aus der Ursache, als ob ich mein eis

genes

genes Ansehen iso schon für zulänglich hielte, meine Vors schriften und Urtheile zu bestätigen. Nein, ich erkenne es gar zu wohl, wie viel mir daran fehlet: und wenn bey vies len die von mir angegebenen Gründe nicht zulangen solls ten, die vorgetragenen Lehren zu rechtfertigen; so muß ich von neuem, zu denen fliehen, die meine Vorgänger und Lehrmeister in der kritischen Dichtkunst gewesen. Ich tras ge also auch bey dieser neuen Auflage kein Bedenken, zu gestehen, daß ich alle meine kritischen Regeln und Beurs theilungen, alter und neuer Gedichte, nicht aus meinem Gehirne ersonnen; sondern von den größten Meistern und Kennern der Dichtkunst erlernet habe. Aristoteles, Los raz, Longin, Scaliger, Boileau, Bossů, Dacier, Pers rault, Bouhours, Fenelon, St. Loremond, Fontes nelle, la Morte, Corneille, Racine, Des Callieres und Füretiere; ja endlich noch Shaftesbury, Addison, Steele, Castelvetro, Muralt und Voltaire, diese alle, sage ich, waren diejenigen Kunstrichter, die mich unters wiesen, und mich einigermaßen fähig gemacht hatten, cin solches Werk zu unternehmen.

Daß dieses mein Geständniß aufrichtig gewesen sen, das haben alle Blätter meines Buches sattsam darthun können: und ich habe darinnen auch selbst das Urtheil der Widriggesinnten für mich anzuführen, die mir gar einen Vorwurf daraus gemacht haben. Sie haben mich bes schuldiget: ich hatte nur die Franzosen ausgeschrieben: und wåre nicht einmal über die rechten gekommen. Ich danke zuförderst diesen gelehrten Scribenten, für ein solch öffentliches Zeugniß: ob sie es wohl ohne große Scharfs finnigkeit haben ablegen können; nachdem ich selbst alle obige Schriftsteller alter und neuer Zeiten namhaft ges macht, und alles, was in meinem Buche gut war, ihnen zugeeignet hatte. Ich habe es schon oben erwähnet, daß ich so glücklich nicht bin, als gewisse große Geister, die ohs ne ihre Vorgänger in Künsten und Wissenschaften geles sen zu haben, dennoch ihrem Vaterlande lauter Meisters Stücke vorlegen können. Und in dieser Empfindung meis

ner

ner eigenen Schwäche beneide ich an Ihnen, alle die neuen Einfälle und Entdeckungen, womit sie die Kritik schon bereichert haben.

Was aber das verhaßte Wort, ausschreiben, anlangt, dessen sich diese scharfsinnige Kunstrichter, nach der ihnen zukommenden dictatorischen Macht auf dem Parnasse, zu bedienen beliebet: so übertasse ich es zwar der Beurtheilung meiner Leser. Diese mögen es entscheiden, ob es nicht ein wenig zu hart sey; zumal von Leuten, die selbst noch nichts, als etliche zusammengeraffte Noten, und ein halb Schock Uebersehungen gewisser Stellen haben drucken lassen. Doch gesetzt, sie behielten Necht; so würde ich doch vor ihrem Machtspruche so wenig erschrecken, daß ich ihnen vielmehr mit dem berühmten Rollin, aus seiner Vorrede zur alten Historie, antworten würde: Pour embellir & enrichir mon Livre, je declare, que je ne me faits point un fcrupule, ni une honte, de piller par tout, souvent même fans citer les Auteurs que je copie: parce que quelquefois je me donne la liberté d'y faire quelques changemens. Je profite, autant que je puis, des folides Reflexions, que l'on trouve dans Je tire auffi de grands fecours de -. Il en fera ainfi de tout ce qui me tombera fous la main, dont je ferai tout l'ufage, qui pourra convenir à la compofition de mon livre, & contribuer à fa perfection.

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Wollen sie wissen, wie ich diese meine Freyheit vers antworten wolle: so werde ich ihnen, mit folgenden Worten eben dieses großen Mannes, die Erklärung geben: Je fens bien, qu'il-ya-moins de gloire à profiter ainfi du travail d'autrui, & que c'eft en quelque forte renoncer à la qualité d'Auteur: mais je n'en fuis pas fort jaloux & ferois fort content, & me tiendrois très-heureux, fi je pouvois être un bon Compilateur, & fournir un livre paffable à mes Lecteurs, qui ne fe mettront pas beaucoup en peine, s'il vient de mon fonds ou non, pourvû qu'il leur plaife. Und bey dieser Verantwortung werde ich so kühn, daß ich auch das Herz fasse, noch mehrere alte und neue Scri benten anzuführen, die ich bey dieser neuen Auflage ge=

brau

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