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cher Wichtigkeit, billig empfunden habe. Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erste gewesen, der unserer Nation eine kritische Dichtkunst zu liefern das Herz, oder die Verwegenheit gehabt. Hätte ich nun darinn, nach dem Urtheile der Kenner, eine unnöthige Mühe übernommen; und wären andere aufgestanden, welche die Poesie von dem Joche der Beurtheilungskunst zu befreven unters nommen hatten: so wäre dieses unstreitig eine Kränkung für mich gewesen; zumal, wenn diese gar einen größern Beyfall bekommen, und das Andenken aller Kritik gleichfam verhaßt und ehrlos gemachet hatten. Allein dieses harte Schicksal hat mich, zu allem Glücke, nicht betrof fen. Die gelehrtesten Månner in Zürich bestärken durch ihren Beyfall mein Urtheil, daß es nöthig sen, eine Dichtkunst kritisch einzurichten: ja, was das meiste ist, fie folgen selber meinem Exempel nach, und führen etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitläuftiger aus, was ich mit so gutem Grunde und Beyfalle angefangen hatte.

Bey dieser Vorstellung nun rühren mich die vorigen Einwürfe gar nicht. Der Gebrauch der Wörter ist ja von der Art derjenigen Dinge, die in dem Rechte der Natur, nach Art der Luft, des Sonnenlichtes und des Wassers großer Flüsse, bey allem Gebrauche derselben, unerschöpflich sind, und also allen gemein bleiben müssen. Warum sollte also nicht ein Schriftsteller das Recht haben, sein Kind zu taufen, wie er will; wenn gleich ein anderer dem Seinigen eben den Namen gegeben hat? Warum sollte dasjenige in Zürch niemanden freystehen, was mir in Leipzig freygestanden hat? Oder, warum sollte ich böse werden, daß ein anderer meine Erfindung, auf die kraftigste Art, die nur erdacht werden kann, gebilliget hat?

Der andere Einwurf scheint noch gefährlicher zu seyn, ist es aber in der That nicht; wenn man nur die Sache in genauere Betrachtung zieht. Es kömmt bey den Bus chern nicht nur auf ihren Titel, sondern auch auf den Inhalt an. So gleichlautend oft jener auf zweyen b 2

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Werken ist, so ungleich kann doch dieser lettere seyn; und ich darf mich, ohne stolz zu thun, nur auf die zur cher, und leipziger kritische Dichtkunst beruffen. Der Inhalt unserer Bücher ist in den allermeisten Stücken und Capiteln soweit von einander unterschieden, daß man sie schwerlich für einerley Buch halten wird, wenn man sie nur ein wenig betrachten will. Z. E. Da ich in meiner Dichtkunst, nach der allgemeinen Abhandlung des Zubehörs zur Poesie, von allen üblichen Arten der Gedichte gehandelt, und einer jeden ihre eigenen Regeln vorgeschrieben habe; dadurch Anfänger in den Stand geseht werden, sie auf untadeliche Art zu verfertigen; Liebhaber hingegen, dieselben richtig zu beurtheilen: so hält die zürcherische Dichtkunst nichts von dem allen in sich. Man wird daraus weder eine Ode, noch eine Cantate; weder ein Schäfergedicht, noch eine Elegie; wes der ein poetisches Schreiben, noch eine Satire; weder ein Sinngedicht, noch ein Lobgedicht; weder eine Epopee, noch ein Trauerspiel; weder eine Komödie, noch eine Oper, machen lernen. Alles dieses, sage ich, steht in der zürcher Dichtkunst nicht: es sey nun, weil etwa in allen diesen Stücken die Kritik nichts zu sagen hat; oder weil man ein Poet seyn kann, ohne eins von allen dies sen Stücken zu verfertigen. Wer also dieselbe in der Absicht kaufen wollte, diese Arten der Gedichte daraus abfassen zu lernen, der würde sich sehr betrügen, und sein Geld hernach zu spát bereuen.

Ich weis gewiß, daß viele hier voller Verwunde rung fragen werden: was denn nun endlich in einer Dichtkunst von zween starken Octavbänden stehen könne, wenn es an den wesentlichsten Theilen eines solchen Buches fehlet? Allein diese Frage wird mir gewiß nie mand machen, als der sich nicht besinnet : daß der Urhes ber derselben einer von den bekannten zürcher Malern sen, welche vor zwanzig Jahren, in ihren sogenannten Discursen, die Sitten ihrer Stadt abgeschildert haben.

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Hat nun Herr von Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann die Welt mit solchen Augen ansehe, die sich zu seinen Absichten schicken; der Held z. E. für einen schönen Platz, Menschen zu erwürgen; der Gärtner für einen bequemen Raum, Gårten zu pflanzen; der Verliebte, für eine gute Gegend zu buhlerischen Abentheuern u.f.w. was war wohl von unserm Maler anders zu'vermuthen, als daß er die ganze Dichtkunst in eine Runst zu malen, verwandeln, und von lauter poetischen Mas lereyen, und denen dazu nöthigen Farben handeln würde? Fållt nun dabey jemanden die nügliche Regel ein, die obgedachten zürcher Malern, von einem Kunstverständigen aus Hamburg, in einem schönen Sinngedichte gegeben worden, das im III B. der Poesie der Niedersachsen, auf der 250 Seite steht; und verlangt er von mir zu wissen, ob sie in diesem Buche besser beobach tet worden, als in jenen sittlichen Malereyen? so muß ich ihm aus Höflichkeit die Antwort so lange schuldig bleiben, bis wir in Leipzig die zürcherische Bergsprache besser werden gelernet haben.

Wie also, damit ich wieder auf meinen Zweck komme, die Ilias Homers, durch die neuere Ilias desjenis gen Dichters nicht um ihren Werth gebracht worden; der sich vorgenommen hatte, den ganzen trojanischen Krieg zu besingen, und tausend schöne Sachen nachzu holen, die sein Vorgänger übergangen hatte; indem viel mehr diese vermeynte größere Ilias, vom Aristoreles, in Ansehung der homerischen, die kleine Ilias genennet worden: also könnte es leicht kommen (doch ohne mich auf einige Weise mit dem Homer zu vergleichen, als mit dessen Werke mein Buch gar keine Aehnlichkeit hat), daß auch die zürcherische Dichtkunst, so stark sie ihrer Größe und Absicht nach ist, dennoch bey dem Mangel so vieler nöthigen Hauptstücke, von allen üblichen Arten der Gedichte, gegen die meinige zu rechnen, bey der Nachwelt, nur eine kleine Dichtkunst genennet würde.

Ich habe mich bisher mit Fleiß nur immer auf Zürich, und nicht auf die ganze Schweiz bezogen; ganz anders, als bisher von vielen unserer misvergnügten Schriftstel ler geschehen; die insgemein die Schuld von ein Paar Kunstrichtern, der ganzen löblichen Eidgenossenschaft auf den Hals gewälzet haben. Und gefeht, ich wäre selbst bisher, auch wohl in dieser neuen Auflage meiner Dicht kunst, in dieses Versehen gefallen: so will ich doch hiermit selbiges allen andern Einwohnern dieses ansehnlichen Landes abgebethen haben; seitdem ich von etlichen wa cfern und gelehrten Månnern, aus benachbarten Cantons, belehret und versichert worden: daß die ganze Schweiz den zürcherischen Kunstrichtern in ihren Lehrsätzen und Urtheilen eben nicht beypflichte, viels weniger dieselben dazu bevollmächtiger habe, allem deutschen Wige Hohn zu sprechen. Ich will doch, weil man mir in Zürich das Erempel dazu gegeben hat, einmal auch als ein Marhanasius thun, und Stellen aus ein Paar Briefen anführen, die ich deswegen, nur vor kurzem, und in währendem Drucke dieses Buches, erhalten habe.

Der erste vom 1 des Wintermonats hat folgendes :

Wir haben hier mit Freuden und Vergnügen gesehen, daß Bodmer und Breitinger hin und her in Deutschland hergenommen werden. Der Hochmuth und die Einbildung dieser Leute ist unerträglich. Es ist sich aber nicht zu verwundern: die Herren von Zürich haben große Einbildung,weilen sie in dem ersten Canton der Schweiz gebohren sind. Es ist unglaublich, wie groß die Einbildung der Herren von Zürich wegen diesem Vorsiß ist, der doch nichts zu bedeuten hat. Ich versichere sie aber, daß Zürich von allen vernünftigen Schweizern als das helvetische Sis berien, in welchem große Wörter- und Sprachmänner entstanden, da aber Wiß und Verstand wenig Plaß finden, angesehen wird. Die Sitten, die Sprache, die Lebensart, die Kleidung der Züricher ist von der unsern so unterschieden, daß man glauben sollte, sie waren mehr denn hundert Meilen von uns entfernet. Das ist gewiß, daß sie arbeitsame Leute, aber in geist- u. vernünfrigen Sitten werden sie noch lange Zeit grobe Schweizer bleiben.

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Das andere Schreiben ist vom 3 desselben Monats, und darinn drücket man sich so aus:

Wir nehmen an dem Kriege, den unsere Landesleute von Zürich wider die ganze deutsche Nation vorgenommen haben, kein Theil. Fertiget man sie ferner ab, wie es in einem periodischen Werke zu Leipzig erst vor kurzem geschehen ist, so wird ihnen die Lust vergehen. Wir wünschen unsern Landsleuten mehrere Liebe zum Frieden und zum Natürlichen; so werden sie von Deutschland ablassen, und mit Miltons Liebhabern anbinden.

Nach solchen feyerlichen und einstimmigen Erkläruns gen ziveener berühmten schweizerischen Gelehrten, habe ich meinem Gewissen nach, nicht anders gekonnt, als daß ich, anstatt der allgemeinen Benennung, die beson dere erwählet; werde es auch künftig allemal so halten, wenn man mich nöthigen sollte, wider meine Neigung, meine Feder zu kritischen Streitschriften zu ergreifen.

Kürzlich noch etwas von den Vorzügen dieser neuen Ausgabe zu erinnern, muß ich dem geneigten Leser fol gendes melden. Zuförderft habe ich in diesem Buche vom Anfange bis zum Ende, die Schreibart nochmals mit der größten Sorgfalt und Aufmerksamkeit ausgebessert; als worinn man immer, nach Verfließung einis ger Zeit, kleine Unachtsamkeiten entdecket, die man gleich Anfangs nicht wahrgenommen. Zweytens habe ich auch in den Regeln und Vorschriften, zu mehrerer Er läuterung und Bestärkung derselben, noch manches beygefügt, das in den vorigen Ausgaben nicht gestanden; auch hin und wieder manchen Scribenten angeführet, worinn dasjenige mit mehrerm nachgelesen werden kann, was ich nur kurz hatte anführen können. Drittens has be ich auch an verschiedenen Orten, denen Einwürfen bes gegnen müssen, die man in öffentlichen kritischen Schriften, zumal aus Zürich her, dagegen gemacht: doch habe ich mich sowohl der Namen meiner Gegner, als aller Anzüglichkeiten, billig enthalten; als welche nichts zur Sa che thun, und vielmehr einen Uebelstand machen würden. Habe ich aber, was den miltonischen Geschmack betrifft,

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