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bene cum rebus mortalium agitur, vt meliora pluribus placeant. Argumentum peffimi, turba eft.

4. §. Unter den Griechen ist ohne Zweifel Aristoteles der beste Kriticus gewesen, was nåmlich die Redekunst und Poefie anlanget. Es ist ein Glück, daß seine Schriften von beyden Künsten nicht ganz verlohren gegangen; denn von der Dichtkunst haben wir freylich nur einen Theil übrig behalten. Indessen zeugen doch beyde Bücher, eben so wohl von dem durchdringenden Verstande dieses großen Weltweisen, als feine übrige Schriften. Er hat das innere Wesen der Bered famkeit und Poeterey aufs gründlichste eingesehen, und alle Regeln, die er vorschreibt, gründen sich auf die unveränderliche Natur der Menschen, und auf die gesunde Vernunft. Has ben gleich einige andere Kunstrichter und poetische Freygeister sein Joch abzuschütteln gesucht, und uns entweder von allen Regeln befreyen, oder ganz neue und willkührliche einführen wollen: so haben sie doch bey keinem Vernünftigen Beyfall gefunden. Nichts würde also für mich erwünschter seyn, als wenn dieser tiefsinnige Mann auch den ausführlichen Character eines wahren Poeten gemacht hätte: denn so dörfte man sich nur daran halten, und könnte so wohl sich selbst, als andre, nach Unleitung desselben, gehörig prüfen. Allein wir finden in seiner Poetik im I. II. und III. Capitel nur etwas weniges, das uns auf die rechte Spur helfen kann. Er lehret nämlich gleich im Anfange derselben, daß die ganze Poesie nichts anders, sen, als eine Nachahmung menschlicher Handlungen; und daß also der Unterscheid verschiedener Gedichte, bloß auf die mancherley Arten der Nachahmung ankomme. Man könne aber die Handlungen der Menschen in gute und böse eintheilen; und die Sitten der Welt wåren nur durch diese beyden Eigenschaften unterschieden. Wer also Menschen abbilden wolle, der könne sie sich entweder besser, oder schlechter vorstellen, als sie sind; oder dieselben ganz ähnlich schildern. Dieses erläutert er durch das Exempel der Maler, und zieht es hernach auf verschiedene Arten der Poefie. Crit. Dichtk.

Die

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Dieses giebt, meines Erachtens, Anleitung genug, wie man einen Poeten zu characterisiren habe.

5.§. Ich sage also erstlich: ein Poet sey ein geschickter Nachahmer aller natürlichen Dinge: und dieses hat er mit den Malern, Bildhauern, Musikverständigen u. a. m. ge= mein. Er ist aber zum andern, auch von ihnen unterschieden; und zwar durch die Urt seiner Nachahmung, und durch die Mittel, wodurch er sie vollzieht. Der Maler ahmet sie durch Pinsel und Farben nach;, der Bildschnißer durch Holz und Stein, oder auch durch den Guß in Gyps und allerhand Metallen; der Tanzmeister durch den Schritt und die Bewegungen des ganzen Leibes; der Tonkünstler durch den Tact und die Harmonie: der Poet aber thut es durch eine tactmåßig abgemessene, oder sonst wohl eingerichtete Rede; oder, welches gleich viel ist, durch eine harmonische und wohlklingende Schrift, die wir ein Gedicht nennen. Eben das hat uns Horaz oben zu verstehen gegeben, da er schrieb: Refpicere exemplar vitæ morumque, jubebo Doctum imitatorem, et veras hinc ducere voces.

Imgleichen:

Ficta voluptatis cauffa fint proxima veris. Oder auch:

Aut famam fequere, aut fibi convenientia finge.

6. §. So fremde vielen diese Beschreibung eines Dichters vorkömmt, so vollständig und fruchtbar ist sie in der That. Ein Poet wird dadurch nicht nur von den Meistern obgedach ter freyen Künste; sondern auch von den Liebhabern aller andern Theile der Gelehrsamkeit unterschieden. Ein Geschichtschreiber soll nicht nachahmen, was wir Menschen zu thun pflegen, oder wahrscheinlicher Weise gethan haben könnten, thun sollten, oder thun würden, wenn wir in solchen Umstånden befindlich wären: sondern man fodert von ihm, daß er getreulich dasjenige erzählen solle, was sich hier oder da, für Begebenheiten zugetragen haben. Ein Redner soll niche nachahmen, was andre Leute thun; sondern die Leute überre

den,

den, etwas für wahr oder falsch zu halten, und sie bewegen, etwas zu thun oder zu lassen. Ein Weltweiser ist gleichfalls von der Nachahmung entfernet, indem er uns die Gründe von der Möglichkeit aller Dinge untersuchen lehret. Wie die Rechtsgelehrsamkeit, Arzneykunst und andre Wissenschaften mehr, von der Poesie unterschieden sind, das wird ein jeder leicht abnehmen können. Der Dichter ganz allein, hat dieses zu einer Haupteigenschaft, daß er der Natur nachahmet, und sie in allen seinen Beschreibungen, Fabeln und Gedanken, sein einziges Muster seyn läßt.

7. §. Es ist wahr; man macht hier verschiedene Einwürfe. Der Geschichtschreiber, sagt man, schildert ja auch diejenigen Personen, Sachen und Oerter ab; von welchen er uns Erzählungen macht. Er führt seine Helden wohl gar redend ein, und läßt sie oft Dinge sagen, die sie zwar hätten sagen können, aber in der That niemals gesagt haben: wie wir in griechischen und lateinischen Scribenten häufige Erempel davon vor Augen haben. Dieser Zweifel ist es schon werth, daß er beantwortet werde. Ich sage also fürs erste: nicht alles, was ein Geschichtschreiber thut; das thut er als ein Geschichtschreiber. 3. E. Er schreibt ja auch nach den Regeln der Sprachkunst: wer glaubt aber deswegen, daß die richtige Schreibart zum Wesen der Historie gehöre, und nicht vielmehr der Grammatik eigen sey? Ein Geschichtschreiber kann freylich wohl auch moralisiren, und politische Anmerkungen in feine Erzählungen mischen, wie Tacitus und andre gethan haben: gehört das aber eigentlich zur Historie? Und ist dieses deswegen nicht für eines Sittenlehrers und Staatskündigen eigentliche Pflicht zu halten? Eben so gehts mit den vielen Bildern, Charactern und erdichteten Reden, die in Geschichtbüchern vorkommen. Sie sind poetische Kunststücke, die ein Geschichtschreiber nur entlehnet, um seine trockene Erzählungen dadurch ein wenig anmuthiger zu machen. Er ist gleichsam, wie ein Bildschnißer beschaffen, der die Gesichter und Kleidungen seiner Kunststücke, auch noch mit Pinsel und Farben übermalet: nicht, als wenn das Malen eigentlich sein G 2

Werk

Werk wåre; sondern weil er einer andern Kunst Hülfe 'brauchet, feine Arbeit zur Vollkommenheit zu bringen.

8. §. Fürs andre habens auch die Kunstrichter an einigen Geschichtschreibern vorlängst gemisbilliget, daß sie die Regeln der historischen Schreibart gar zu sehr aus den Augen gesehet. Man lese nur nach, was einige von dem Florus, und le Clerc vom Curtius, wegen seiner gekünstelten Beschreibungen geurtheilet haben. Man hat kein Bedenken getragen, diesen Scribenten eine poetische Schreibart zuzueignen: welches sattsam zeiget, daß die lebhaften Beschreibungen eigentlich in der Dichtkunst zu Hause gehören; sonderlich, wenn sie, wie des Curtius seine, nur aus dem bloßen Wiße des Scribenten herkommen. Und was soll ich von den Reden eines Thucydides, Xenophons, Livius, Sallustius, u. a. m. sagen? Man hat es långst erkannt, daß sie Proben von der dichtenden Einbildungskraft dieser Scribenten wåren; dazu sie, als Geschichtschreiber, nicht wären verbunden gewesen. Sie haben aber hierinn lieber dem Homer, dessen Schriften einen allge meinen Beyfall hatten, nachahmen, als ihre eigne Pflichten in Betrachtung ziehen wollen. Und man hat sie deswegen mit Recht getadelt; weil es einem aufrichtigen Verfasser historischer Nachrichten nicht zusteht; das geringste in den wahren Begebenheiten zu ändern, auszulassen oder hinzu zu sehen. Wie haben aber gedachte Scribenten diese Pflicht in solchen Reden beobachten können, die sie berühmten Leuten viele Jahrhunderte nach ihrem Tode gedichtet? Zum wenigsten hat Curtius dem scythischen Gesandten eine Anrede an Alexandern in den Mund geleget; die derselbe, allem Ansehen nach, unmöglich so schön und künstlich hätte halten können. Was ich hier von der Historie zur Antwort gegeben habe, das läßt sich mit leichter Mühe, auf alle übrige Einwürfe, die man von andern Wissenschaften hernimmt, deuten, und gehöriger maßen anwenden.

9. S. Aristoteles hat es schon ausgeführt, wie natürlich es dem Menschen sen, alles was er sieht und höret, nachzuahmen. In unsrer zärtesten Jugend geht dieses schon an. Man sagt,

die Kinder sind wie Affen; weit sie alles nachmachen, was die
Erwachsenen thun. Man möchte aber mit besserm Rechte
sprechen, die Affen sind wie Kinder: denn diesen gebührt
fonder Zweifel im Nachahmen der Vorzug. Alles, was wir
lernen und fassen, das fassen und lernen wir durch die Nach-
ahmung. Das Gehen und Stehen, Reden und Singen,
das Essen und Trinken, ja lesen und Schreiben, entsteht bey
uns aus feiner andern Quelle.

Von andern Thieren zwar, kennt jedes seine Kraft,
Und weis auch von Natur von seiner Eigenschaft;
Der Mensch allein, ihr Haupt, der Herr so vieler Sachent,
Muß alles, was er thut, von andern lernen machen:

Und daß er ißt und trinkt, redt, siht, steht, geht und liegt,
Kommt nur durch Unterricht, schläft auch nicht ungewiegt.
Opitz im II. Buch der Trofiged.

Daraus leitet nun der tiefsinnige Weltweise den Ursprung der
Poesie her. So viel ist gewiß, daß diejenigen Knaben, welche
die größte Geschicklichkeit zum Nachahmen an sich blicken
lassen, auch die größte Fähigkeit zur Poesie besigen. Zeiget
sich aber jene sonderlich im Schreiben, in der Malerey und
Musik, imgleichen im Tanzen u. s. f.: so sieht man wohl,
daß Kinder, die zu dergleichen Uebungen viel Naturell und
Lust haven, auch zur Dichtkunst selbst, eine treffliche Ge=
schicklichkeit erlangen können; wenn nur auch die Aufers
ziehung sonst darnach eingerichtet ist.

10. §. Weil nun diese natürliche Geschicklichkeit im Nachahmen bey verschiedenen Leuten auch sehr verschieden ist; so daß einige fast ohn alle Mühe eine große Fertigkeit darinnen erlangen, andre hergegen bey vieler Quaal und Arbeit den= noch hinten bleiben: so hat man angefangen zu sagen, daß die Poeten nicht gemacht; sondern gebohren würden, daß sie den heimlichen Einfluß des Himmels fühlen, und durch ein Gestirn in der Geburt zu Poeten gemacht seyn müßten: das heißt in ungebundener Schreibart nichts anders, als ein gu tes und zum Nachahmen geschicktes Naturell bekommen haben. Opitz schreibt:

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