Page images
PDF
EPUB

feyn, womit man sich gegen andre Völker breit machen, und ihren Dichtern Troß biethen will. Indessen bleibt es doch in allen Gattungen der Gedichte bey Horazens Ausspruche:

Der wird vollkommen seyn, der theils ein lehrreich Wesen, Und theils was liebliches durch seinen Vers besingt; Zugleich dem Leser nüßt, zugleich Ergeßung bringt. Ein solch Gedicht geht ab, wird weit und breit verführet, Bis es dem Dichter gar Unsterblichkeit gebiehret. Dichtť. v. 495. 33. §. Bey dem allen ist es nicht zu leugnen, daß nicht, nach dem Urtheile des großen Aristotels, das Hauptwerk der Poesie in der geschickten Nachahmung bestehe. Die Fabel felbst, die von andern für die Seele eines Gedichtes gehalten wird, ist nichts anders, als eine Nachahmung der Natur. Dieß wird sie nun durch die Aehnlichkeit mit derselben: und wenn sie diese hat, so heißt sie wahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit ist also die Haupteigenschaft aller Fabeln; und wenn eine Fabel nicht wahrscheinlich ist, so taugt sie nichts. Wie kann sie aber wahrscheinlich seyn, wenn sie nicht die Natur zum Vorbilde nimmt, und ihr Fuß vor Fuß nachgeht? Horaz schreibt: Die Fabel laute so, daß sie der Wahrheit gleicht, Und fodre nicht von uns, daß man ihr alles glåube: Man reiße nicht das Kind den Heren aus dem Leibe, Wenn sie es schon verzehrt. Dichtk. v. 489.

34. §. Diese Nachahmung der Poeten, geschieht entweder vermittelst einer sehr lebhaften Beschreibung, oder durch eine epische und dramatische Erzählung, oder gar durch lebendige Vorstellung desjenigen, was sie nachahmen. Und dadurch unterscheidet sich der Dichter von einem Maler, der nur mit Farben, und einem Bildhauer, der in Stein oder Holz seine Nachahmung verrichtet. Will man sagen, daß auch in ungebundener Rede solche Nachahmungen zu geschehen pflegen, die wir der Poesie zueignen; als wann zum Erempel Aesopus prosaische Fabeln macht, oder Livius und andre Geschichtschreiber gewißen großen Månnern solche Reden andichten, die sie zwar nicht von Wort zu Wort gehalten, aber doch wahrscheinlicher Weise hätten halten können: so werde ich

antwor=

1

antworten, daß sowohl Aesopus, als solche dichtende Geschichtschreiber, in so weit sie dichten, unter die Poeten gehören. Die Verse machen das Wesen der Poesie nicht aus, vielweniger die Reime. Können doch ganze Heldengedichte in ungebundener Rede geschrieben werden. Denn wer wollte es leugnen, daß nicht die prosaische Ueberseßung, welche die Frau Dacier vom Homer gemacht, noch ein Heldengedicht ge= blieben wåre; oder daß Fenelons Telemach kein poetisches Werk wäre? Kinder und Unwissende bleiben am äußerlichen Fleben, und sehen auch eine scandirte und gereimte Profe für ein Gedicht, und jeglichen elenden Versmacher für einen Poeten an: Kenner aber halten es mit dem Horaz, der uns einen Poeten so beschreibt:

neque enim concludere verfum

Dixeris effe fatis; neque fi quis fcribat uti nos,
Sermoni propiora, putes hunc effe Poetam:
Ingenium cui fit, cui mens divinior, et os
Magna fonaturum, des nominis hujus honorem.
Lib. 1. Sat. 4.

Nun weis ich zwar, daß aus diesen Worten einige Neuere, ihre düstre åsthetische Schreibart, als das Wesentliche der Dichtkunst auf den Thron zu erheben gesuchet. Allein ein anders ist der Mann, ein anders der Rock den er trågt. Man kann auch dogmatische und historische Sachen in einer schwülstigen und finstern Art des Ausdruckes vortragen: wie Jakob Böhme, Pordåtsch, Erasmus Francisci, und andre Schwärmer mehr gethan haben. Allein solche wilde ästhetische Köpfe find darum keine Homere und Maronen. Die Nachahmung der Handlungen und Leidenschaften des Menschen, wird wohl allemal das Hauptwerk der Dichtkunst bleiben: weil Fabeln auch dann Gedichte sind, wenn sie wie die asopischen, in der einfältigsten und ungekünsteltsten Art des Ausdruckes erscheinen.

Day

Das II. Hauptstück.

Von dem Charactere eines
Poeten.

[ocr errors]

1. S.

Jachdem wir den Ursprung und das allmählige Wachsthum der Poesie kürzlich erwogen haben: so ist es nicht undienlich, von einem wahren Poeten einen Abriß zu machen, und ihn nach allen seinen Eigenschaften zu beschreiben. Man ist mit diesem Namen zu allen Zeiten gar zu freygebig gewesen; weil man nicht sattsam eingesehen, was für eine große Fähigkeit der Gemüthskräfte, wieviel Gelehrsamkeit, Erfahrung, Uebung und Fleiß zu einem rechtschaffenen Dichter gehören. Und das ist kein Wunder gewesen. Gemeiniglich haben fichs diejenigen angemaßet,den Titel eines Poeten auszutheilen, die einen viel zu seichten Verstand, und eine viel zu blöde Einsicht in das Wesen der wahren Dichtkunst gehabt. Der Pöbel hat sich allezeit ein Recht zueignen wollen, von poetischen Scribenten zu urtheilen: und dieses ist desto lächerlicher, da ihm die Beurtheilung profaischer Schriften niemals zugestanden worden. Kann er nun hierinnen keinen gültigen Ausspruch thun, und die Verfasser derselben, weder für gute Historienschreiber, noch für Redner, Philosophen, Arzneyverständige oder Rechtsgelehrte erklären: wie wird er vermögend feyn, von Gedichten zu urtheilen, deren Einrichtung und Ausarbeitung desto schwerer zu prüfen ist; je mehr sie unter so vielen äußerlichen Schönheiten und Zierrathen, dadurch auch kritische Augen zuweilen verblendet werden, verhüllet ist, ja tief verborgen liegt. Plinius schreibt an einem Orte; von Künstlern könne nur ein Künstler urtheilen. Man wird also mit der Poesie wohl nicht unbilliger umgehen wollen, als mit der Musik, Malerey, Baukunst und dem Bildschnißen. Wer be

ruft

ruft sich aber in allen diesen Künften auf das Urtheil des großen Haufens? Das würden schlechte Meister darinnen werden, die ihren Ruhm in dem Beyfalle eines eigensinnigen Volkes suchen wollten, welches ohne Verstand und ohne Regeln von ihren Sachen urtheilet; und dessen Geschmack die unbeständigste Sache von der Welt ist.

2. §. Es trifft freylich zuweilen zu, daß ein ganzes land oder eine große Stadt sich an lauter regelmäßige Sachen gewöhnet, und so zu reden, eine zeitlang Geschmack daran findet. Aber dieser gute Geschmack kann nicht lange Zeit erhalten werden; wenn es nicht Kunstverständige darunter giebt, die dasjenige, was der gemeine Mann nach der sinnlichen Empfindung liebet, nach richtigen Grundregeln für gut und schön erkennen. Ohne solche Meister geht der gute Geschmack bald wieder verlohren, wie wir an den Beyspielen der Griechen und Römer, ja der neuern Wälschen und Franzosen gesehen haben. Die Leichtsinnigkeit der menschlichen Gemüther, sucht allezeit eine Veränderung: und wie leicht geschicht es da, daß Leute von keiner Einsicht, an statt der wahren Schönheiten, die aus wirklichen Vollkommenheiten entstehen, auf scheinbare verfallen; die oft die bloße Sinnlichkeit eben so sehr belustigen, als die ersten. Alsdann verfällt alles in Verachtung, was vorhin mit gutem Grunde war hochgeschäßet worden. Der allgemeine Beyfall einer Nation kann also nicht eher von der Geschicklichkeit eines Meisters in freyen Künsten, ein gültiges Urtheil fällen, als bis man vorher den guten Geschmack derselben erwiesen hat. Dieses aber geschieht nicht anders, als wenn man zeiget: daß derselbe mit den Regeln der Kunst übereinstimmet, die aus der Vernunft und Natur hergeleitet worden. Ich habe hiermit beyläufig meinen Begriff von dem guten Geschmacke entdecket; einer Sache, davon zu ißiger Zeit überall so viel Redens und Schreibens ist. Weiter unten wird mehr davon vorkommen; denn zu einem guten Poeten gehört auch ein guter Geschmack. Aus dem vorhergehenden aber schließe ich, daß wir die, zu einem wahren Dichter gehörigen

[ocr errors]

hörigen Eigenschaften von denen lernen müssen, die das innere Wesen der Poesie eingesehen; die Regeln der Vollkomm.enheit, daraus ihre Schönheiten entstehen, erforschet haben, und also von allem, was sie an einem Gedichte loben und schelten, den gehörigen Grund anzuzeigen_wissen.

3. §. Wenn man nun ein gründliches Erkenntniß aller Dinge Philosophie nennet: so sieht ein jeder, daß niemand den rechten Character von einem Poeten wird geben können, als ein Philosoph; aber ein solcher Philofoph, der von der Poesie philosophiren kann, welches sich nicht bey allen findet, die jenen Namen sonst gar wohl verdienen. Nicht ein jeder hat Zeit und Gelegenheit gehabt, sich mit seinen philosophischen Untersuchungen zu den freyen Künsten zu wenden, und da nachzugrübeln: woher es komme, daß dieses schön und jenes häßlich ist; dieses wohl, jenes aber übel gefällt? Wer dieses aber weis, der bekömmt einen besondern Namen, und - heißt ein Kriticus. Dadurch verstehe ich nämlich nichts anders, als einen Gelehrten, der von freyen Künsten philosophi.. ren, oder Grund anzeigen kann. Diesen Begriff hat niemand besser ins Licht gestellet, als der berühmte Graf Shafts, bury, in seinem gelehrten Werke: Characteristic's of Men, Manners and Times, im II. Theile des I. Bandes, Advice to an Author; welches Werk neulich von einer geschickten Feder ins Deutsche überseßt worden. Was uns nun dergleichen Kunstrichter, solche philosophische Poeten, oder poesieverständige Philosophen sagen werden, das wird wohl ohne Zweis fel weit gründlicher seyn,und einen richtigern Begriff von einem wahren Dichter ben uns erwecken; als was der große Haufe, nach einer betrüglichen Empfindung seines unbeständigen Geschmackes, zu loben oder zu tadeln pflegt. Denn ich bin hier gar nicht der Meynung des sonst so scharfsinnigen Cicerons zugethan, der in seinem andern Buche vom Redner schreibt: Omnes tacito quodam fenfu, fine ulla arte aut ratione, quae fint in artibus ac rationibus recta ac prava, dijudicant. Vielmehr halte ichs mit dem Seneca, der an einem Orte seiner Schriften das Gegentheil behauptet: Non tam

bene

« PreviousContinue »