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dern auch einen habspurgischen Orrobert, die geraubte Proserpina, den sächsischen Wittekind und König Friedrichen von Dannemark. Sind diese noch nicht so gut als Homer, Virgil und Tafso; so sind sie doch nicht schlechter, als das, ́ was Marino, Ariost, Chapelain, St. Amand und Milton in diesem Stücke geliefert haben. Des Herrn Barons von Schöneich Hermann, verdient der Henriade an die Seite gefehet zu werden. Man muß sich nur über die sklavische Hochachtung alles dessen, was ausländisch ist, erheben, die uns Deutschen bisher mehr geschadet, als genußet hat. Pietschens Sieg Carls des VI. zeigt uns, daß der Verfasser Fähigkeit genug gehabt, ein Heldengedichte zu machen; wenn ihm die Regeln desselben bekannt gewesen wären: aber selbst verdient es noch nicht, in diese Classe zu kommen. Neukirchs Telemach aber, ist nur eine Uebersetzung, und kann uns also zu keiner Ehre gereichen. In Trauerspielen, haben wir den Ausländern nicht nur den Gryphius und Lobenstein, Hallmann und Bressand, sondern sehr viele andere neuere Dichter entgegen zu sehen, die sich seit zwey und zwanzig Jahren, da diese Dichtkunst zum erstenmal erschienen (ich schreibe dieß 1751.) hervorgethan haben. In dem Neuesten der anmuthigen Gelehrsamkeit steht ein Verzeichniß von etlichen 50 Trauerspielen, die seit dem Cato und der Iphigenia ans Licht getreten. Thun es diese einem Corneille und Racine noch nicht in allem gleich, so haben sie auch viele Fehler dieser beyden Franzosen nicht an sich; und können es doch, theils mit den neuern Franzosen, theils sowohl mit den Wälschen als Engländern aufnehmen, deren Schaubühne in sehr großer Verwirrung ist. In der Komödie haben wir nicht nur Gryphii, Riemers, und Weisens, sondern eine große Menge andrer Stücke in Händen, die feit 200 Jahren bey uns gedruckt worden. Und sind diese gleichfalls mit des Moliere, und Des Douches Lustspielen nicht zu vergleichen, so dörfen wir doch weder den Wälschen noch Engländern, das allergeringste nachgeben; es wäre denn in der Liebe unfers Vaterlandes: darinnen es uns jene unstreitig $ 4

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zuvor thun. Doch haben sich auch hier schon einige muntre Köpfe gewiesen, die durch glückliche Proben uns Hoffnung machen, daß wir auch den Franzosen nicht lange mehr werden den Vorzug lassen dörfen. Man sehe das Verzeichniß unsrer Schauspiele vor meiner deutschen Schaubühne.

26. §. Ich komme endlich auf die Absichten, so die Erfinder und Fortpflanzer der Poesie vor Augen gehabt, deren Kenntniß uns in Untersuchung des wahren Wesens der Poesie, nicht ein geringes Licht geben wird. Man hat ja die alten Dichter allezeit für weise Männer gehalten, und läßt ihnen noch heute zu Tage diesen Ruhm unangetastet. Folglich wird mans ihnen wohl nicht streitig machen, daß sie auch Absichten bey ihren Arbeiten gehabt haben. So mannigfaltig nun dieselben gewesen seyn mögen, so leicht sind sie doch zu errathen. Ihre Gedichte sind ja die Mittel, wodurch sie dieselben zu erlangen gesucht, und wirklich erlanget haben: wozu also dieselben geschickt gewesen sind, das ist für einen Endzweck ihrer Verfasser anzusehen.

27. §. Die allerersten Sånger ungekünftelter Lieder, haben, nach der damaligen Einfalt ihrer Zeiten, wohl nichts anders im Sinne gehabt, als wie sie ihren Affect auf eine angenehme Art ausdrücken wollten, so daß derselbe auch in andern, eine gewisse Gemüthsbewegung erwecken möchte. Dahin zielten also ihre lustige und traurige, verliebte, lobende und spöttische Lieder ab und diesen Endzweck erlangten sie auch, so oft fie ihren eigenen Affect theils durch bequeme Terte, theils durch geschickte Melodenen, natürlich und lebhaft vorstelleten. Ein Saufbruder machte den andern lustig; ein Betrübter lockte dem andern Thränen heraus; ein Liebhaber gewann das Herz seiner Geliebten ; ein Lobfänger erweckte seinem Helden Beyfall und Bewunderung, und ein Spottvogel brachte durch seinen beißenden Scherz das Gelächter ganzer Gesellschaften zuwege. Die Sache ist leicht zu begreifen, weil sie in der Natur des Menschen ihren Grund hat, und noch täglich durch die Ers fahrung bestätiget wird.

28. §.

28. §. Eine so wunderbare Kunst, brachte nun den geschicktesten unter ihren Meistern sehr viel Hochachtung zuwege. Man hörte solche treffliche Sänger gern, man lobte sie sehr, und hielt gar dafür, daß sie etwas mehr als Menschen seyn; oder zum wenigsten einen göttlichen Beystand haben müßten. Dieses ließen sich auch die Poeten gefallen, ja sie bemühten sich, einen so vortheilhaften Gedanken von ihrer Kunst nicht nur zu unterhalten, sondern auch je mehr und mehr zu bestårken. In diesem Vorhaben ließen sie sichs angelegen seyn, allerley annehmliche und reizende Sachen in ihre Lieder zu brin gen, dadurch sie die Gemüther der Zuhörer noch destomehr an sich locken, und gleichsam fesseln könnten. Nichts war dazu bey der einfältigen Welt geschickter, als kleine Historien oder Fabeln, die etwas wunderbares und ungemeines in sich enthielten. Man sieht es ja an kleinen Kindern, wie begierig sie nach der Erzählung ihrer Wärterinnen sind; und diesen unerfahrnen und neugierigen Creaturen waren die ältesten Völker ganz gleich Das bezauberte nun gleichsam die sonst ungezogenen Gemüther. Die wildesten Leute verließen ihre Wälder, und liefen einem Amphion oder Orpheus nach, welche ihnen nicht nur auf ihren Leyern etwas vorspielten; sondern auch allerley Fabeln von Göttern und Helden vorfungen nicht viel besser, als etwan iso auf Messen und Jahrmärkten die Bånkelsänger mit ihren Liedern von Wundergeschichten, den Pöbel einzunehmen pflegen.

29. S. In dieser einmal erhaltenen Hochachtung, erhielten sich die nachfolgender Dichter, durch die Schönheit des Ausdruckes und durch die untermischten weisen Lehren und Sittensprüche. Die Poeten redeten nicht die gemeine Sprache der andern Leute, sondern ihre Redensarten waren edel und erhaben, ihre Worte ausgesucht, ihre Säße neu und wohlklingend: und ihr ganzer Vortrag ward bisweilen in einer verblumten, oder gar allegorischen Schreibart abgefasset. So viel Wig und lebhafte Einbildungskraft sie dadurch bewiesen: so viel Verstand und hohe Weisheit, zeigten sie durch die trefflichen Sittenlehren und Lebensregeln, die sie in ihren Liedern mit

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vorbrachten. Die alten Poeten waren nämlich die erften Weltweisen, Gottesgelehrten, Staatsmänner: oder umge= kehrt, die ältesten Weltweisen bedienten sich der Poesie, das rohe Volk dadurch zu zähmen. Horat. Dichtk. v. 567.

Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten,
Zu zeigen, was für gut und strafenswerth zu halten,
Was recht und schändlich war; der Unzucht feind zu seyn,
Den Beyschlaf abzuthun, den Ehstand einzuweihn,
Die Städte zu erbaun, Geseke vorzuschreiben:

So mußte Ruhm und Preis den Dichtern eigen bleiben. Dergestalt wurden nun die ältesten Poeten für Gottesgelehrte, Staatskündige, Rechtsverständige, und Weltweise zugleich gehalten. Sie waren auch in der That alles in allem, und wurden also für Lehrer des menschlichen Geschlechts, für außerordentliche, ja recht göttliche Männer angesehen; die noth wendig alles was sie fungen, aus einer höhern Eingebung, nämlich von dem Beystande der Musen und des Apollo, herhaben müßten.

30. §. Alle diese Kunstgriffe hat Homer in seinen beyden Heldengedichten, Jlias und Odyssee, auf eine geschickte Art zu verbinden gewußt. Er erzählt wahre Geschichte; er erdichtet Fabeln von Göttern und Helden; er erregt die Affecten; er schreibt edel und erhaben; er lehrt und belustiget endlich seine Leser, auf eine so künstliche Art und Weise, daß man sich lange vergebens bemühet hat, seine rechte Hauptabsicht zu errathen. Ohne Zweifel aber hat er mit Fleiß alle Schönheiten der Poesie in einem Meisterstücke verknüpfen, die gemeine Wohlfahrt seiner Griechen befördern, und sich selbst dadurch in besondre Hochachtung sehen wollen. Er hat auch seinen Endzweck damit völlig erreichet; denn es ist bekannt, wie hoch derselbe zwey bis drey tausend Jahre her, von allen, die ihn verstanden, geschäßet worden. Einige sind in dieser Hochachtung so weit gegangen, daß sie gar alle seine Fehler für schön ausgegeben, und alle seine Schnißer canonisiren wollen. Andre aber haben zwar die Mängel erkannt, aber sie, wie es billig war, mehr seinen Zeiten, als ihm selbst beygelegt; und

ihm dessen ungeachtet, doch das Lob eines recht großen, lebhaften und glücklichen Geistes, nicht abgesprochen. Man sehe des Herrn de la Morte Discours, über den Homer, den er vor seiner französischen Jlias drucken lassen, und Popens Leben Homers, wie es meine Freundinn in der Sammlung auserlesener Stücke 1749. deutsch herausgegeben hat. Mit dem Virgil hat es eben die Bewandniß.

31. §. Die Tragödien und Komödien anlangend, so ist die Absicht ihrer Verfasser gewiß eben dieselbe gewesen. Man findet was wahres, aber auch was erdichtetes darinnen. Man suchet durch Erempel der Tugenden und laster, die Zuschauer zu unterrichten. Die Erregung der Affecten ist hier noch weit lebhafter, als in jenem, weil die sichtbare Vorstellung der Personen weit empfindlicher rühret, als die beste Beschreibung. Dadurch aber suchet man die Leidenschaften der Zuschauer zu reinigen. Die Schreibart ist, sonderlich im Trauerspiele so edel und erhaben, wie die Sachen selber sind: und an lehrreichen Sprüchen hat es eher einen Ueberfluß als Mangel. Selbst die Komödie lehret und unterrichtet die Zuschauer, obwohl sie das Gelächter erweckt; und also haben freylich auch ein Sophokles, Euripides, Menander und Terenz Ehre genug durch ihre Poesien erlanget, und ihren Zweck, nämlich die Erbauung und Belustigung der Zuschauer, dergestalt vollkommen erhalten.

32. §. Was die kleinen Gattungen der Gedichte anlangt, so find dieselben freylich so vollkommen nicht. Einige erzählen nur; andere sind bloße Fabeln; noch andere klagen nur allein; und einige sind bloß zum Lehren gemacht. In einigen will man nur loben, und in andern schlechterdings spotten. Viele sind auch nur zum Scherze und zur Belustigung gemacht und also haben sich die Verfasser derselben gleichsam in die Vollkommenheiten der größern getheilet. Sie erhalten dergestalt auch nur ein geringes Lob, weil zu einer einzigen poetischen Absicht, auch ein sehr seichter Geist und mäßiger Wik schon zulänglich ist. Daher bringen auch solche poetische Kleinigkeiten einer Nation nicht viel Ehre. Es muß was größers

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