Page images
PDF
EPUB

faget. Allein aus dem obigen wird man leicht schließen fönnen, was ich davon halte. Wenn nicht die Regeln der ganzen Poesie übern Haufen fallen sollen, so muß ich mit dem St. Evremond sagen: Die Oper sen das unges reimteste Werk, das der menschliche Verstand jemals erfunden hat. Ein jeder kann aus der Beschreibung ei nes Gedichtes überhaupt den Beweis machen. Ein Ge dich, oder eine Fabel muß eine Nachahmung einer menschlichen Handlung seyn, dadurch eine gewisse moralische Lehre bestätiget wird. Eine Nachahmung aber, die der Natur nicht ähnlich ist, tauget nichts: denn ihr ganzer Werth entsteht von der Aehnlichkeit. Aus dieser aber find alle die Regeln geflossen, die wir oben von der Schaubühne, sowohl für die Tragödie, als Komödie, gegeben haben. Diese Regeln sind aus der Natur selbst genommen, durch den Beyfall der größten Meister und Kenner von Schauspielen bestärket, und bey den gescheidesten Völkern gut geheißen worden. Was also davon abweicht, das ist unmöglich recht, und wohl nachgeahmet. Wer sieht aber nicht, daß die Oper alle Fehler der oben beschriebenen Schauspiele zu ihren größten Schönheiten angenommen hat; und daß sie ganz und gar wegfallen, oder doch ihre vornehmste Unmuth verlieren würde, wenn man sie davon befreyen wollte?

10. §. Einmal ist es gewiß, daß die Handlungen und dazu gehörigen Fabeln, mit den alten Ritterbüchern und schlechten Romanen mehr Aehnlichkeit haben; als mit der Natur, so, wie wir sie vor Augen haben. Wenn wir eine Oper in ihrem Zusammenhange ansehen, so müssen wir uns einbilden, wir wären in einer andern Welt: so gar unnatürlich ist alles. Die Leute denken, reden und handeln ganz anders, als man im gemeinen Leben thut: und man würde für närrisch angesehen werden, wenn man im geringsten Stücke so lebete, als es uns die Opern vorstellen. Sie fe hen daher einer Zauberey viel ähnlicher, als der Wahrheit; welche Ordnung und einen zulänglichen Grund in allen Stucken erfodert. Wo sieht man im gemeinen Leben Leute, die Aaa 2 einan

einander als Götter anbethen; Liebhaber, die auf den Knieen vor ihren Gebietherinnen liegen, und sich das Leben nehmen wollen; Prinzen, die in Gestalt der Sklaven in weitentlegene Länder ziehen, weil sie sich in den bloßen Ruf von einer Schönheit verliebet haben; Könige, die ihre Kronen, um eines schönen Weibes halber, verlassen, und was dergleichen Phantasien mehr sind? Wo höret man die gewöhnliche Opersprache, von Sternen und Sonnen, von Felsenbrüsten und åtnagleichen Herzen, von verfluchten Geburtsstunden, um eines scheelen Blickes wegen, und von grausamen Donnerkeilen des unerbittlichen Verhängnisses, welches eine verliebte Seele nur zu lauter Marter erkohren hat? Alle diese Dinge sind uns so fremde, daß wir sie in keiner Reisebeschreibung von Liliput für erträglich halten wurden: und gleichwohl sollen sie in der Oper schön seyn. Ich schweige noch der seltsamen Vereinbarung der Musik, mit allen Worten der Redenden. Sie sprechen nicht mehr, wie es die Natur ihrer Kehle, die Gewohnheit des Landes, die Art der Gemüthsbewegungen und der Sachen, davon ge= handelt wird, erfordert: sondern sie dehnen, erheben, und vertiefen ihre Töne nach den Phantasien eines andern. Sie lachen und weinen, husten und schnupfen nach Noten. Sie schelten und klagen nach dem Tacte; und wenn sie sich aus Verzweifelung das Leben nehmen, so verschieben sie ihre heldenmäßige That so lange, bis sie ihre Triller ausgeschlagen haben. Wo ist doch das Vorbild dieser Nachahmungen? Wo ist doch die Natur, mit der diese Fabeln eine Aehnlichkeit haben?

II. §. Ich weis es wohl, daß es hier und da große Liebhaber und Bewunderer der Opern giebt, die sie für das Meisterstück der menschlichen Erfindungskraft; für einen Zusammenfluß aller poetischen und musikalischen Schönheiten; für einen Sammelplaß aller ersinnlichen Ergeßlichkeiten ansehen. Allein ich weis auch, daß alle diese Leute, die im übrigen gar vernünftige und rechtschaffene Männer seyn kön

nen,

nen, die wahren theatralischen Regeln sich niemals bekannt gemachet; oder dieselben doch nicht aus ihren Gründen hergeleitet gesehen. Sie halten derowegen in Sachen, die auf die Lust ankommen, alles für willkührlich, und meynen, man müsse es damit nicht so genau nehmen. Was nur den Augen und Ohren gefiele, das wäre schon gut: und man müßte die Vernunft hier schweigen heißen, wenn sie uns dieses Vergnügens durch ihre kritische Anmerkungen berauben wollte. Alle diese Vorstellungen aber heben meine obige Gründe nicht auf: und ich kann mich nicht entschließen, die Oper für was natürliches, für eine geschickte Nachahmung menschlicher Handlungen, oder überhaupt für was schönes zu erklären. Die Musik an sich selbst ist zwar eine edle Ga be des Himmels: ich gebe es auch zu, daß die Componisten viel Kunst in ihren Opern anzubringen pflegen; wiewohl sie auch oft übel angebracht wird. Aber was die Poeten daran thun, und überhaupt, die ganze Verbindung so verschiedener Sachen taugt gar nichts. Ich sehe überdas die Opera so an, wie sie ist; nămlich als eine Beförderung der Wollust, und Verderberinn guter Sitten. Die zärtlichsten Tône, die geilesten Poesien, und die unzüchtigsten Bewegungen der Opernhel. den und ihrer verliebten Göttinnen bezaubern die unvorsichti. gen Gemüther, und flößen ihnen ein Gift ein, welches ohnedem von sich selbst schon Reizungen genug hat. Denn wie wenige giebt es doch, die allen folchen Versuchungen, die sie auf einmal bestürmen, zugleich widerstehen können? So wird die Weichlichkeit von Jugend auf in die Gemüther der Leute gepflanzet, und wir werden den weibischen Italienern åhnlich, ehe wir es inne geworden, daß wir månniiche Deut sche seyn sollten. Eben dieser Meynung ist von Neuern der Abt Gedoyn, der im VI. B. der Gesch. der parif. Akad. der schön. Wiss. nach der deutsch. Ausg. im XV. Art. a. d. 188. u. f. S. also davon schreibt: Andern Theils, mußman gestehen, daß unsere Oper, sie sey so bezaubernd als sie wolle, ein Schauspiel ist, welches offenbar wider die Wahrscheinlichkeit verstößt, die doch unter allen Regeln gerade diejenige Aaa 3

ist

ist, so am meisten in Ehren gehalten werden soll. Man läßt darinnen Sachen singen, die gerade am mindesten zum Singen gemacht sind; alles, was den Verdruß, den Zorn, die Wuth, die Verzweifelung einflößt, ja sogar die Empfindung eines nahen Todes: und dieß ist ein so plumper Misbrauch, daß nichts, als eine lange Gewohnheit uns denselben erträglich machen kann. Die Liebe, diese gefährliche und tyrannische Leidenschaft, die einzige Liebe ist die Seele der Oper, und ihr ewiger Gegenstand. Man trägt darinnen die verderbtesten Regeln ungestraft vor, die nicht nur der Religion, sondern auch der gefunden Staatskunst schnurstracks zuwider laufen. Nach der Absicht eines wahren Dichters, muß eine jede dramatische Poesie sich vorseßen, die Menschen in irgend einem Stücke zu bessern, und den Unterricht mit allen Annehmlichkeiten des Vergnügens vorzutragen. In der Oper aber ist das Vergnůs gen der einzige Zweck, den man sich vorseßet; sie bringt auch keine andere Wirkung zuwege, als daß sie die Sinné bezaubert, die Seele weichlich macht, die Sitten verderbt, und ein ganzes Volk auf nichtige Dinge lenket. Man könnte noch hinzusehen, daß die lange Weile, bey diesem ewigen Singen und bey den beständigen Symphonien, unvermeidlich ist, die das Wesen unferer Opern ausmachen. Denn das Auge wird zwar nicht des Sehens überdrüßig: aber das Ohr wird wohl des Hörens fatt, insonderheit wenn dieselben Töne oft wiederkommen.,,

12. §. Es ist ohnedieß das Vorurtheil bey uns eingerissen, daß so gar die italienische Sprache in dem Halfe eines Castras ten viel besser klingt, als die deutsche. Daher machen die meisten Opern auch einen Mischmasch in der Mundart. Die Arien sind oft wålsch, und die Recitative bleiben deutsch. Eine und dieselbe Person singet zuweilen bald deutsch, bald italie nisch; und ihre Zuschauer lassen sichs weis machen, das klinge überaus schön, was sie doch nicht verstehen. Das ist aber nichts neues. Auch den deutschen Text versteht man, vor so vielen Trillern und künstlichen Veränderungen der Tone, in einer mäßigen Entfernung von der Schaubühne, schon nicht mehr; woman nicht ein Buch hat, und fich durch das Lesen einhilft.

einhilft. Wenn man aber ins Buch sehen muß, so verliert man ja das Vergnügen der Augen an der guten Vorstellung. So ist denn die Oper ein bloßes Sinnenwerk: der Verstand und das Herz bekommen nichts davon. Nur die Augen werden geblendet; nur das Gehör wird geküßelt und betäubet: die Vernunft aber muß man zu Hause lassen, wenn man in die Oper geht, damit sie nicht etwa durch ein gar zu küßliches Urtheil, die ganze lust unterbreche. Man will gemeiniglich eine Oper eine musikalische Tragödie oder Komödie nennen. Allein umsonst. Sie könnte vieleicht so heißen; wenn sie nach den obigen Regeln der Alten eingerichtet wåre: aber man zeige mir doch solche Opern! Wollte aber ja jemand eine von der Art verfertigen: so würden auch die rechten Kenner derselben sie gewiß für ein schlechtes Stück in der Art erklären, und gegen alle andere verachten. Man sehe hier was der kritische Musikus hin und wieder, auf eine sehr gründliche Art von dieser Sache geschrieben hat.

13. §. Bisher habe ich meine Gedanken von Opern mit Gründen bestärket: nunmehr will ich mich wider diejenigen auch mit Zeugnissen verwahren, die sich dadurch mehr, als durch gute Beweisthümer einnehmen lassen. Denn ich bin zu allem Glücke weder der erste, noch der einzige, der dieser Meynung von Opern beypflichtet. Mein erster Wehrmann sey also St. Loremond, der einen eigenen Discurs über die Opern ge macht, und darinn seine Gedanken davon ausführlich entdeckt hat. Er seht gleich anfangs diese Beschreibung der Oper zum Grunde: Sie sen ein ungereimter Mischmach von Poesie und Musik, wo der Dichter und Componist sich sehr viel Mühe machen, und einander die größte Gewalt anthun, ein sehr elendes Werk zu Stande zu bringen. Nun kann man sich leicht einbilden, was auf diesen Eingang für eine Abhandlung folgen werde. Es ist werth, daß ein jeder den ganzen Discurs lefe, weil er das stärkste ist, was ich wider die Opern gefunden habe. Man kann ihn in den Schriften der deutschen Gesellschaft auch überseßt antreffen. Er ist aber damit nicht zufrieden, daß er eine Kritik darüber geschrieben; Aaa 4

[ocr errors]
« PreviousContinue »