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schen Länder ausgebreitet worden. Wer dieses von den Franzosen wissen will, der darf nur St. Loremonds Komodie, Les Opera genannt, nachschlagen, die auch in meiner deutschen Schaubühne wiewohl auf das Hamburgische Theater gedeutet, anzutreffen ist.

4. §. Nach vielem Forschen in unsern alten deutschen Dichtern habe ich gefunden, daß unsere Landsleute, auch in diesem Stücke die Ehre der ersten Erfindung behaupten können. Ich sage dieses nicht; als ob es etwas großes und vortreffliches wäre, die Singspiele erfunden zu haben. Nein, wer meine geringe Neigung gegen diese Art theatralischer Vorstellungen kennet, wird mirs nicht zutrauen, daß ich eine so gar große Ehre darinn suchete, daß eben unsere Nation fie erfunden hätte. Ich will dieses nur anführen, um den Stolz der Ausländer zu demüthigen, die sich mit ihrem Wige soviel wissen, daß sie auch in schlechten Erfindungen mit seiner Fruchtbarkeit pralen, und ihre Nachbarn als dumme Klößer und Erdschwämme verachten. Es sey also einmal, daß es eine Ehre sen, zuerst Singspiele gemachet und aufge= führet zu haben: so will ich zeigen, daß diese Ehre unsern deutschen Dichtern gebühre. Schon um Hans Sachsens Zeiten sind zu Nürnberg singende Fastnachtspiele aufgeführet worden. Ich sehe dieses aus Jacob Ayrern, der ihn in feinen lezten Jahren noch gekannt, und schon 1585. Frisch, lins Julius Cafar und Cicero redivivus, deutsch überFest herausgegeben. Dieser hat unter andern sehr vielen Schauspielen, auch beynahe ein Dußend singende Spiele, wie er sie nennet, abgefasset und hinterlassen. Sie stehen am Ende seines so betitelten Operis Theatrici, welches nach feinem Tode 1610 (wie die Jahrzahl am Ende ausweist) in fol. herausgekommen. Da dieß Werk nicht in jedermanns Hånden ist, so will ich die Ueberschriften davon aufs genauefte herseßen, um mir Glauben zu erwerben.

5. S. Das erste steht a. d. 137. S. und heißt: Ein schön fingers, Spiel, der verlarft Franciscus, mit der venedischen

dischen jungen Wittfrauen, mit vier Personen, in des Ro lands Thon. Ehrenfried geht ein und singt :

Heut früh da that ich schauen
Ein weil zum Fenster nauß,
Da sah ich ein Wittfrauen
Tretten aus ihrem Hauß,
Die hat viel junger Knaben,
Die all warten um sie,

Und sie wil keinen haben,

Stelt sich, ich weiß nicht wie. 2c.

Und auf eben die Art find alle andere Strophen eingerichtet: ob gleich nicht jede Person sie ganz, sondern bisweilen nur eine, zwo oder drey Zeilen singet. Das folgende heißt gleichfalls 2) ein schönes neues singets Spil, von einem ungerechten Juristen, der ein Münch worden, mit sechs Pers. Im Thon: Lieb haben steht einem jeden frer. Anthoni der Megler geht ein, und fingt 2c. 3) Ein singets Spiel, von dreyen bösen Weibern, denen weder Gott noch jre Männer recht können thun, mit sechs Perf. im Thon, wie man den englis schen Roland singt. 4) Ein schön fingets Spiel, der Forfter im Schmalzkübel, mit vier Perf. im Thon: Auß frischem freyem Muth, Tanz du mein edles Blut. 5) Ein schönes fingets Spiel, von dem Knörren Cünglin, im Thon: Venus, du vnd dein Kind, seynd alle beyde blind. 6) Der Münch im Keßkorb, im Thon, wie man den engl. Roland fingt. 7) Ein singets Spiel, der Wittenbergisch Magister in der Narrenkappen, mit siben Personen. Im Thon, wie man den Dillathey, oder Narr dummel dich, singt. 8) Von etlichen nårrischen Reden des Claus Narrn, im Thon, last vns ein Weil beneinander bleiben. 9) Von dem Eulenspigel, mit dem Kaufmann vnd Pfeifenmacher 2c. in des engl. Rolands Thon.

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6. §. Nun schließe ich so: Hat Ayrer dergleichen singende Spiele gemachet, so hat er sonder Zweifel dergleichen schon gesehen; die von Hans Sachsen, oder andern MeiFer Sängern in Nürnberg vor ihm gemachet, und gespielet

worden

'worden. Denn er meldet mit keinem Worte, daß er zuerst auf diese Erfindung gekommen sey; welches er wohl ge than haben würde, wenn er der erste Erfinder gewesen wåre. Allein gefeßt, er wäre es gewesen; so kann er wenigstens die Kunst von den Wälschen nicht gelernet haben: da das obige erste wälsche Singspiel erst 1597. ge machet worden. Deutschland hat also die Ehre, daß in Nürnberg zuerst die Kunst erfunden und ausgeübet worden, ganze musikalische Vorstellungen auf der Bühne zu fehen. Und ob sie gleich durchgehends nach einer Melodie gesungen worden, wie andere Lieder: so thut dieß nichts zur Sache. Denn wer weis, wie die erste wälsche Oper ausgesehen hat? Alle Dinge sind im Anfange schlecht, und einfach: allmählich geht man weiter. So ist z. E. des Harlekins singender Hochzeitschmaus, den wir einzeln viel mal gedrucket haben, und den ich noch selbst habe singend aufführen gesehen, schon etwas künstlicher, weil er aus zweyerley Strophen besteht, und nach zweyerley Melodien gesungen wird. Endlich hat man nach dem Muster der Wälschen, auch durchgehends neue Noten zu den Versen gesehet: und das ist, soviel mir bekannt, um Opizens Zeit, bey seiner Daphne zuerst geschehen, welche Heinr. Schüße bey einem fürstlichen Beylager 1627. musikalisch auf den Schauplah gebracht. Er gesteht es in der Vorrede selbst, daß er dieses Drama mehrentheils aus dem Italienischen genommen. Nächst diesem weis ich keine ältere gedruckte Oper, als DavidSchirmers triumphirenden Amor,in einem Singespiel zu Dresden vorgestellet 1652 ; den ich im II. Buche seiner Rautengepüsche finde. Nächst diesem habe ich Amelinde oder dy triumphirende Seele, wy fy nach vielerley Anfechs

tungen überwindet zc. dem Herz. August zu Braunschweig an seinem 79ften Geburtstage 1657. zu Wulfens Bürtel vorgestellet.

7. §. Ich würde ein großes Register machen müssen, wenn ich alle nachfolgende Operndichter in Deutschland erzählen wollte. In der ofterwähnten Geschichte der theatra

lischen

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lischen Dichtkunst, wird dieses ausführlich vorkommen. Hier will ich nur anmerken, daß Dedekind um die Jahre 60 und 70 des vorigen Jahrhunderts, viel geistliche, Postel, aber Feind, Hunold, (sonst Menantes) und König viel weltliche Singspiele gemachet: unzählicher andern unbekannten Opernmacher zu geschweigen, die sich entweder gar nicht genennet, oder doch nicht so berühmt geworden. In Lus beck sind, seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, jährlich geistliche Singspiele in der Hauptkirche abgefungen, aber nicht dramatisch vorgestellet worden, die ich fast alle besïze; und darunter verschiedene von den neuern, von sehr guten Federn sind: z. E. von Herrn M. langen, dem gelehrten Conrector des dasizen Gymnasti. Sonderlich find an dem Hofe des Magdeb. Postul. Administratoris Herz. Augusts zu Halle, imgleichen dem braunschweigischen, dresdnischen, weißenfelsischen, barcuthischen und andern kleinen Höfen im Reiche eine Menge folder Opern, mit entseßlichen Kosten aufgeführet worden. In Wien hat man unter Leopolden, Josephen, und Karl dem VI. jährlich eine sogenannte kaiserliche Oper mit erstaunlichem Aufwande gespielet: zu ge= schweigen, was in Leipzig auf den drey Messen, und in Hamburg für eine unglaubliche Menge derselben vorgestellet worden: so lange die Bezauberung gewähret, in welche diese Neuigkeit die Gemüther gefehet hatte. Ich besihe von allen diesen gedruckten Stücken fast vollkommene Sammlungen, und könnte viel ungereimte Dinge daraus anführen, wenn es Zeit und Raum erlaubete. In Frankreich hat man im vorigen Jahrhunderte aus des Quinaurs Opern sehr viel gemachet, doch haben auch la Morte und Fontenelle viel folche Stücke geliefert. Die Wälschen haben unter den Neuern niemanden zu nennen, der es dem Abte Metaftafio, kaiserl. Hofpoeten zuvorthåte: zumal derselbe die alten Unordnungen seiner Vorgänger, so viel möglich, abzustellen suchet.

8. §. Die Verse der Opern werden nach Art der Cantaten gemacht, und bestehen also aus Recitativen und Arien. Crit. Dichtk.

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Der

Der Tonkünstler sehet dieselben nach seiner Phantasie; die Sånger lernen Tert und Musik auswendig; die Schaubühne wird prächtig ausgezieret; und die ganze Vorstellung mit vielen Veränderungen und Maschinen abgewechselt. Der Vorhang öffnet sich mit einem Concerte der allerschönften Instrumenten, die von den größten Meistern gespielet werden; und das ganze Singspiel wird mit einer beständigen Begleitung einiger schwächern Instrumenten erfüllet. Diese Kunst ist indessen in Frankreich noch unvollkommen gewesen, bis der berühmte Lulli die Musik auf einen ganz andern Fuß gefehet hat. Dieser bemächtigte sich ihrer Opernbühne ganz und gar, und richtete alles nach seinem Kopfe ein. Die Poeten mußten nach seiner Pfeife tanzen, und solche Stücke ersinnen, darinnen fein viel buntes und feltsa= mes ausgeführet werden konnte. Die Schaubühne mußte fich zum wenigsten in jeder Handlung ändern, bald einen güldenen Pallast, bald eine wilde See, bald Felsen und wüste Klippen, bald einen Garten, bald sonst eine bezauberte Gegend vorstellen. Es mußten viel Götter in allerhand Maschinen erscheinen: und sonderlich mußten die Urien dem Musikmeister viel Gelegenheit geben, seine Künste anzubringen. Dabey hub man fast alle Regeln der guten Trauer- und Lustspiele gänzlich auf. Es wurde nicht mehr auf die Erregung des Schreckens und Mitleidens, auch nicht auf die Verlachung menschlicher Therheiten gesehen: sondern die phantastische Romanliebe behielt fast allein Plah. Die Einigkeit der Zeit und des Ortes wurde aus den Augen gesehet; die Schreibart wurde hochtrabend und ausschweifend; die Charactere waren theils übel formiret, theils immer einerley, nåmlich lauter untreue Seelen, seufzende Buhler, unerbittliche Schönen, verzweifelnde Liebhaber u. d. gl. Mit einem Worte, die Opera wurde ein ganz nagelneues Stück in der Poesie, davon sich bey den Alten wohl niemand hätte träumen lassen.

4

9. §. Ich habe bisher nur eine kurze Erzählung von der Oper gemachet; und meine Gedanken davon noch nicht ge.

sagt.

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