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Sammlungen geistlicher Kirchenstücke, von Neumeistern, u. a. m. Auch an Passionsstücken, die hieher gehören, fehlet es nicht: worunter aber Brocksens und Pierschens Aus arbeitungen viel zu schwülftig in der Schreibart sind, als daß sie sich recht zum Singen schicken sollten.

14. §. Als Erempel von Cantaten, hätte ich gern aus unsern alten Dichtern, welche hergesehet. Allein, in dem vorigen Jahrhunderte, hat man von dieser Art beynahe nichts gewußt; weil Dichter und Sänger sich an Oden begnüget haben. In dem izigen Jahrhunderte, hat man zwar Cantaten genug gemacht, und gedrucket; aber fast immer auf besondere Per fonen und Gelegenheiten, die unsern Componisten zu nichts gedienet haben. Wie es nun bey diesem Mangel an deutschen, moralischen und verliebten Cantaten zu wünschen ist : daß Dichter, die eine natürliche, fließende und bewegliche Schreibart in ihrer Gewelt haben, sich der Musik zu gut, auf diese Art der Gedichte mehr als bisher legen mögen: also sehe ich mich genöthiget, meine Leser zu der menantischen galanten Poesie zu verweisen, darinn verschiedene gute Stücke von dieser Art vorkommen; die es auch wohl werth wären, daß sie von guten Componisten gesetzt, und von guten Stim men, in Concerten und andern Gesellschaften abgesungen würden. Dieses würde uns wenigstens von dem unverständigen Geheule, italienischer Texte befreyen: die von den meisten deutschen Sängern, eben weil sie kein Wålsch können, so zermartert werden, daß auch diejenigen Zuhörer, die Italienisch können, keine Sylbe davon verstehen. Es würde auch bey deutschen Texten eine affectuösere Art zu singen bey uns aufkommen, wenn der Sånger selbst wußte, was er finget. Denn wie will er den Worten mit der gehörigen Art ihr Recht thun, wenn er wie ein Papagen, oder wie eine Schwalbe, lauter unverstandene Sylben hergurgelt, oder abzwitschert?

15. §. Von französischen Cantaten findet man nicht nur in Fontenellens Schriften, und im Rousseau verschie dene; sondern es hat auch Clerambault, ein großer Ton

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künstler

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künstler dieses Jahrhunderts, dergleichen in Noten gescht herausgegeben; die sehr gut gerathen sind. Dieses versteht sich aber nach französischer Art, deren Geschmack in der Musik von dem Wälschen ganz unterschieden ist; und insgemein von den Liebhabern der italienischen Künste sehr verachtet wird. Von Wälschen ist mir Netastasio bekannt, der in seinen Werken viel geistliche und weltliche Cantaten gemachet hat. Die Engländer machen nicht eigentliche Cantaten in ihrer Sprache, sondern behelfen sich mit sogenann= ten Oden, die aber ganz dithyrambisch, in allerley kurzen und langen Versen, und in ungleichen Strophen, durch einander Laufen: dergleichen ich von dem königl. Hofpoeten Cibber auf des Königes Geburthstag verschiedene gesehen habe. Wie sich nun ihre Tonkünstler bey der Composition verhal ten mögen, weis ich nicht: vermuthlich aber, werden sie einige Stellen davon wie Arien, andere schlechtweg, wie Recitative seßen, und absingen lassen: wie es unsere Musikmeister machen, wenn sie bey akademischen Gelegenheiten lateinische Oden in Noten sehen. Wenn nun gleich Horaz sehr darüber lachen würde, wenn er dergleichen Gesinge, ohne Beobachtung der lateinischen Quantitäten, hören sollte: so denken wir doch Wunder, wie schön solches klingt. Doch habe ich auch einmal ein englisches Singstück in Arien und Recitativen von åndels Composition gesehen: welches aber für die Schaubühne, als ein possirliches Intermezzo ge macht war; und also zum folgenden Hauptstücke

gehörte.

Des

Des II. Abschnitts IV. Hauptstück. Von Opern oder Singspielen, Operetten und Zwischenspielen.

1. S.

ch hätte mit dem vorigen Hauptstücke die singende Diche kunst beschließen können; wenn nicht die neuern Zeiten eine besondere Art der Schauspiele erdacht hätten, die man eine Opera nennet. Ihr erster Erfinder, soll, nach einiger Meynung, ein italianischer Musikus, Cesti, am favonschen Hofe gewesen seyn; der des Guarini treuen Schẳfer in die Musik geseßt, und wo nicht ganz, doch zum wenigsten größtentheils fingend aufgeführet. Allein ich habe ben weiterer Untersuchung dieser Sache befunden, daß diese Erfindung noch etwas ålter seyn muß. Dryden, ein englischer Poet, der selbst etliche Opern gemacht hat, hålt dafür, die Italiener müßten den ersten Anlaß zur Erfindung der Opern, in den barbarischen Zeiten, als die Mauren noch in Spanien waren, bekommen haben. Denn diese pflegten solche Feste mit Singen und Tanzen und andern Luftbarkei ten zu feyren. So verkleinerlich diese Meynung den Opern ist, so übel gefällt sie dem Verfasser eines englischen Buches, The Tafte of the Town, or a Guide to all publick Diverfions, der uns in der ersten Abtheilung seines Werkes auch von der Oper in London einen Begriff beybringen will. Er will uns nåmlich bereden, die Oper habe aus dem Chore der alten griechischen und römischen Trauerspiele ihren Urfprung genommen. Denn so wie man darinn eine große Anzahl Sänger auf die Schaubühne stellte, die zwischen den Aufzügen der Tragödien gewisse Oden singen mußten, die fich zu dem Vorhergehenden schickten: also wäre diefes die Veranlassung gewesen, ganze Stücke absingen zu lassen.

Ja,

Ja, diefer Scribent geht gar so weit, daß er uns bereden will, die Odea der Athenienser und Römer, barinn sich die Musikanten zu üben pflegten, wenn ein neues Schauspiel aufgeführt werden sollte, wären nicht viel was anders, als Opernbühnen gewesen: und also hätten schon Griechen und Lateiner Opern gehabt.

1.2. §. Allein diese Gedanken gehen wohl etwas zu weit, und der Verfolg wird lehren, daß diese Erfindung allerdings weit neuer sey. Niemand hat diese Untersuchung mit gròBerm Fleiße angestellet, als der berühmte Muratori, in der gelehrten Einleitung, zu dem von ihm zu Verona ans Licht gestellten Theatro Italiano, welches ohne Zweifel einem jeden ein Gnüge thun wird. Man kann auch den Verf. des kleinen Tractats dagegen halten, der ohne Benennung des Jahres, unter dem Titul, Le Glorie della Poefia et della Mufica, nell efatta Notitia de Theatri della Citta di Venetia &c. ein Verzeichniß aller venet. Bühnen, Singspiele und ihrer Verfasser herausgegeben; oder auch den Auszug davon im VIII.B. des neuen Büchers. der schön. Wiss. auf der 236.u.f. S. nachsehen. Mussato berichtet in der Vorrede des IX. Buchs de geftis Italorum, daß man auf den Schaubüh nen die Thaten der Könige und Fürsten (cantilenarum modulatione) mit Liedern vorgetragen habe. So viel ich daraus sehen kann, wird man den Königen und Fürsten zu Ehren Lieder gesungen haben, wie schon die ältesten Völker gethan: aber daß man ganze dramatische Vorstellungen fingend aufgeführet håtte, erhellet daraus noch im geringsten nicht. Sulpizio, der den Vitruv mit Noten herausgegeben, rühmet sich zwar, daß er in Rom 1480. zuerst gewiesen habe, wie man eine Tragödie fingen folle. Ob dieses aber von einem eigentlichen Gesange, oder nur von eis ner natürlichen guten Aussprache zu verstehen sey? das ist abermal schwer auszumachen, wie Crescimbeni sehr wohl angemerket hat. Tristano Calchi erzählet in seiner Historie, daß man dem Herzoge zu Mayland Galeazzo, zu Tortona eine theatralische Vorstellung in Musik aufgeführet habe.

habe. Allein so viel ist gewiß, daß man im sechzehnten Jahrhunderte bloß Chire der Tragödien musikalisch abgefungen habe; doch so, daß die rechten Unterredungen der spie lenden Personen nur gesprochen worden. Endlich ist allererst im 1597. Jahre von einem Modeneser, Oratio Vecchi, auf eine bis dahin unerhörte Art alles, was die Komödianten zu reden haben, musikalich aufgeführet worden: so daß weder Pantalon noch der Doctor, noch der spanische Capitain, noch die luftige Person davon ausgenommen worden.

3. S. Dieses Stück nun ist eigentlich für die erste wålsche Oper zu halten, und ist noch ißo, unter die Noten gesegt, in dem Vorrathe der Academia Filarmonica zu finden. In der Vorrede desselben bedienet sich der Verfasser der folgenden Worte: Non effendo quefto accopiamento di Comedie & di Mufica più ftato fatto, ch'io mi fappia da altri, e forfe non imaginato, farà facile 'aggiungere molte cofe per dargli perfezzione; ed io devrò effere, fe non lodato, almeno non biafinato dell' invenzione. Darauf find nun viele andere diesem Erempel haufenweise gefolget, darunter aber Ottavio Rinuccini, ein Florentiner, mit seiner Euridice der erste gewesen; worauf noch die Daphne und Ariane von demselben Poeten gefolget. Im Anfange ist das Singen dieser Opern noch nicht sehr von der ordent lichen Aussprache abgegangen. Es hat weder die Hand lungen noch die Worte unterbrochen, so daß man noch die ganze Schönheit der Ausdrückungen und Gedanken einsehen können, und die Poesie dabey nichts verlohrer. Allein wie alle Dinge durch das Künsteln verschlimmert werden, so 'ist es auch mit diesen Singspielen gegangen. Allmählich hat sich die Oper mehr und mehr verwandelt, und dadurch, nach und nach beyde Künste; Musik und Poesie, aufs seltsamste verderbet. So weit geht nun die Erzählung, aus der Ab handlung des Herrn Muratori; und wie dieselbe mit aller möglichen Wahrscheinlichkeit versehen ist: also sehe ich nicht, was man weiter dabey verlangen kann, als wie diese Kunst, Opern zu machen, aus Wälschland in die übrigen europȧi=

schen

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