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Wort ritornera in der andern Arie ausnehme, als welches gar zu lang ausgedehnet worden. Von Liebhabern, die von der Musik nur ein Nebenwerk machen, muß ich hier nothwendig den Herrn Secret. Gråfen, dessen schon im Hauptftücke von den gedacht worden, seiner überaus angenehmen und natürlichen Composition halber, loben, die er in verfchiedenen Cantaten, und auch an meinem Orpheus erwiesen hat. Bey dem allen bedaure ich nur, daß unsere deutschen Componisten, sich so gern an italienische Terte halten. Wie? Ist es denn ihre eigene Muttersprache nicht werth, daß fie in eine schöne Musik geseht wird? Und soll denn das Vor. urtheil ewig dauren, daß man lieber unverständliche Sylben von Sängern, die insgemein fein italienisch können, vers stümmeln; als durch Worte, die Sånger und Zuhörer verstehen, die vollige Stärke des Componisten, im Ausdrucke der Gedanken, kenntlich machen will? Denn in der That ist es gewiß, daß eine schöne Melodie doppelt schöner wird, wenn der Zuhörer auch den Text versteht, und seine Ueber einstimmung mit der Melodie wahrnimmt.

9. S. Nachdem ich nun das Gute gelobet habe: so wird mir auch fren stehen, das Schlechte zu tadeln und zu ver werfen. Nichts ist mir lächerlicher, als wenn ich gewisse italienische Cantaten unter die Noten gesehet sehe, oder singen hore. Sind sie etwa verliebt, so wird der Sånger gewiß vor Liebe sterben wollen: und der Componist wird das liebe morir drenßig, vierzig Tacte durch, so zermartern und zer. stümmeln, daß einem übe! davon werden möchte. Ja, saget man, das ist eben schön. Der Tonkünstler drückt dadurch aus: wie sehr sich das arme verliebte Herz qualen muß, ehe es stirbt. Gut! es zeiget aber auch an, daß es demselben noch kein Ernst mit dem Sterben sey; wenn es sich mit so viel künstlichen musikalischen Schnörkeln bemüht, seine Worte auf die Folterbank zu spannen. Wie es in diesem Affecte geht, so geht es mit allen andern. Ja, bey so vielen andern Wörtern macht man eben solche unendliche Coloraturen und Laufwerke, daran sich oft die beste Castratenkehle müde singt.

3.E. in einer gewissen Cantate, die Heinichen geseht hat, und so anfångt: La, dove in grembo al Colle &c. wo von dem Fliegen der Vögel durch die Luft, eine Arie vorkömmt, da sind die Wörter Augelletti, volate, volo, und aria, fo künstlich mit steigenden und fallenden Tönen gefeßt, und so vielfältig verändert; daß der Sånger zum wenigsten sechsmal Athem holen muß, ehe er ein einziges Wort absingen kann. Das soll aber den Flug der Vögel in der Luft vorstellen, der nämlich auch bald steiget, bald fällt. Wie natürlich es aber herauskömmt, das lasse ich einen jeden selbst urtheilen, der es fingen höret, und den Text versteht. Mir kömmt es immer vor, daß man vor aller Kunst in den meisten italienischen Musiken den Tert gar verliert; weil das Ohr zwar ein ewiges ha, ha, ha, ho, ho, ho, hertrillern höret; der Verstand aber gar nichts zu denken bekömmt.

10. §. Ich will mit dem allen eine vernünftige Wiederholung gewisser nachdrücklicher Wörter, so wenig, als die Nachahmung ihrer Natur, durch die Töne verwerfen, dafern folches nur angeht. Beydes ist nicht nur erlaubt, sondern auch schön; wenn es nur so måßig geschieht, daß auch ein lebhafter Redner dergleichen Zeilen, oder kurze Säße wiederholen könnte, um sie dem Zuhörer desto besser einzuprågen. Wie aber dieser auch die nachdrücklichsten Worte über zwey, höchstens dreymal nicht wiederholen würde: also foll ten auch die Sänger einen nicht mit öftern Wiederholungen plagen. Man wiederhole also nur im Singen kein Wort, welches nicht der Poet auch im Texte ohne Uebelstand håtte wiederholen können. Das Singen ist doch weiter nichts, als ein angenehmes und nachdrückliches Lesen eines Verses, welches also der Natur und den Inhalte desselben gemäß seyn muß. Nun aber würde wohl kein Mensch, der mir einen Vers vorläse, gesezt, daß der größte Affect darinn steckte, denselben mehr als zwey-, höchstens dreymal wiederholen. Mehrmals muß er also auch nicht hinter einander gesungen werden, wenn er mich rühren, und also natürlich Herauskommen soll. Ein guter Leser eines Gedichtes wird

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freylich

freylich das Weinen kläglich, das lachen lustig, u. s. f. ein
jedes Wort nach seiner Bedeutung, mit einer guten Stimme
auszusprechen wissen; sich aber auch daben vor allem lächer-
lichen Zwange in acht nehmen. So muß es ein Musikus
auch machen, und sich vor allen Ausschweisungen húten, die
seinen Gesang dem natürlichen Ausdrucke der Gedanken,
der unter vernünftigen Leuten gewöhnlich ist, unähnlich machen
könnten. Wir leben aber iho gewiß zu einer Zeit, da die
Musikmeister außer ihren Noten und Künsteleyen wenig oder
nichts verstehen, und also nach der Poesie nichts fragen; ob
sie durch ihre Noten erhoben, oder verhunzet wird. Daher
kömmt es, daß das Natürliche im Singen, gegen das vorige
Jahrhundert zu rechnen, so sehr verlohren geht; da bloß das
Ohr, durch unendlich viel gebrochene Töne geküßelt, das
Herz aber gar nicht mehr gerühret wird. Daher sagt der
berühmte Herr Prof. Richey von der gar zu künstlichen
Dichtkunst einiger neuern Poetaster, mit Recht:

Sie machts, wie ihre liebe Schwester,
Die auf Natur fast wenig hält:
Das schickt sich für kein wälsch Orchester,
Was nicht ins Wunderbare fällt.
Gesang und Rührung gehn verlohren,

Vor Zauberey, mit Mund und Hand.
Man denkt nicht mehr an Herz und Ohren:
Denn was man körnet, ist Verstand.

Man lese hier nach, was der kritische Musikus, in der
neuen Ausgabe, für vernünftige Regeln davon vorgeschrie-
ben hat.

II. §. Eine Cantare muß sich ordentlicher Weise mit einer Arie anheben und schließen, damit sie theils im Anfange mit einer guten Art ins Gehör falle, theils auch zuletzt noch einen guten Eindruck mache: doch findet inan im Italienischen vie le, die gleich von Anfange ein Recitativ haben. Die fürzesten darunter, haben nur ein einzig Recitativ in der Mitte; und bestehen also nur aus dreyen Theilen. Gemeiniglich aber hat eine Cantate drey Arien, und zwey Recitative, und die · lång

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långsten sollen nicht mehr, als vier oder fünf Arien haben. Diese können nun jambisch, trochäisch, oder daktylisch seyn; nachdem es der Poet für gut befindet: das Recitativ aber anders als jambisch zu machen, das ist nicht gewöhnlich. Mur merke sich der Poet, daß er bey der Versart, womit er eine Arie anfängt, bis ans Ende bleibe; auch nicht kurze und lange Zeilen durch einander menge, wenn er dem Componisten gefallen will. Selbst die Zeilen, im Recitative an Länge sehr ungleich, d. i. etliche von zwey, etliche von zwölf Sylben zu machen, das ist so wenig angenehm, als im Ma drigale. Die Reime gar zu weit von einander zu werfen, das heißt eben so viel, als gar keine zu machen: und man thate, nach dem Muster der Wälschen, besser, fie gar nicht zu reimen; aber desto besser zu scandiren, welches die Italiener fast gar nicht thun. Weibliche mit weiblichen, und månnliche mit männlichen Reimen zu vermischen, das klingt auch · nicht gut; ob es gleich viele nach dem Muster der Wälschen thun; es wäre denn, daß man was Deutsches auf die Composition wålscher Arien machen müßte. Die Länge eines Recitativs kann man zwar nicht bestimmen: aber je kürzer es fällt, und je kürzer die Perioden darinnen sind, desto besser ist es; weil es insgemein so schlecht gesezt wird, daß man es bald überdrüßig werden muß.

12. §. Wenn eine Cantate des Abends, öffentlich oder in frener Luft aufgeführet wird: so nennet man sie eine Sere nata, von dem wålschen Worte Serena, welches einen schö nen Abend bedeutet. Insgemein aber fällt sie dann etwas långer, und hat verschiedene Stimmen, die sie absingen. Redet ein Paar mit einander, so nennen es die Musici ein Duetto; kommen drey Perfonen in der Poesie, und folglich im Gesange dren Stimmen vor, so nennet man es ein Trio. Redeten aber noch mehrere mit einander, so, daß es auch deßt, långer würde, so müßte es ein Drama heißen, und könnte zu fürstlichen Tafel- und Abendmusiken, imgleichen ben großen musikalischen Concerten gebraucht weroen. Denn auch hier muß man merken, daß es epische

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und

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und dramatische Cantaten, Serenaten, oder wie mans nen. - nen will, geben könne. Wenn der Poet selbst darinn redet : so ist es episch verfasset, obgleich hier und da auch andere Personen redend eingeführet werden. Mein Orpheus kann hier zum Erempel dienen. Läßt aber der Poet durchgehends andere Personen reden und handeln, so, daß er selbst nichts darzwischen sagt, sondern so zu reden, unsichtbar ist: so entsteht ein kleines theatralisches Stück daraus, welches von dem griechischen der, handeln, thun, ein Drama genennt wird, dergleichen man in meinen Gedichten verschiedene finden wird.

13. §. Die Kirchenstücke, welche man insgemein Oratorien, das ist Bethstücke nennet, pflegen auch den Cantaten darinn ähnlich zu seyn, daß sie Arien und Recitative enthalten. Sie führen auch insgemein verschiedene Personen redend ein, damit die Ubwechselung verschiedener Singstimmen statt haben möge. Hier muß nun der Dichter, entweder biblische Personen, aus den Evangelien, oder andern Texten, ja Jesum, und Gott selbst; oder doch allegorische Personen, die sich auf die Religion grunden; als Glaube, Liebe, Hoffnung, die christliche Kirche, geistliche Braut, Sulamith, die Tochter Zion, oder die gläubige Seele, u. d. m. redend einführen: damit alles der Absicht und dem Orte gemäß herauskomme. Doch ist noch einerley daben zu beobachten. Die Poeten haben sich daben auch der biblischen Sprüche zuweilen, anstatt der Recitative, bedie net: und die Componisten pflegen sie auch wohl zuweilen Arioso zu sehen; wenn sie etwas rührendes in sich halten. Endlich ist es bey uns Evangelischen sehr erbaulich und beweglich, zuweilen einen oder etliche Verse aus unsern geist. lichen Liedern, einzuschalten, die von der ganzen Gemeine mitgesungen, oder doch von allerley Instrumenten choralisch begleitet werden. Dadurch nun werden solche Oratorien viel erbaulicher, als bey den katholischen: wo ohnedieß alles entweder lateinisch, oder wälsch abgefasset ist, das der ge meine Mann nicht versteht. Wir haben viele gedruckte

Samm

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