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fast einerley Anzahl der Sylben hatten. Doch gieng es damit so genau nicht zu. Es kam ihnen darauf nicht an, ob die eine Zeile etliche Sylben mehr oder weniger hatte, als die andre. Die Geschwindigkeit des Singens verkürzte die langen, und die langsamkeit der Aussprache verlängerte die furzen; so, daß sie sich so ziemlich zur Melodie schicketen. Wir können uns dieses noch heute zu Tage an alten geistlichen Gefången, imgleichen an den Liedern der Bergleute vorstellen; die es auch so genau nicht nehmen; und die Zeilen ihrer Verse gleichsam nur mit einem Hölzchen abzumessen pflegen. Und wenn sie sich von der ungebundenen Rede noch in sonst was unterschieden haben; so muß es bloß in den erhabenen Gedanken, und dem edlen Ausdrucke derselben, in prächtigen Figuren, Fabeln, Gleichnissen und schönenRedensarten gesuchet werden: wie solches aus der morgenländischen Poesie zu ersehen ist.

9. §. Solche Lieder nun wird man gesungen haben, als Jubal allerley musikalische Instrumente erfunden; und als Laban dem Jakob sagte: daß er ihn mit Freuden, mit Singen, mit Pauten und Harfen hatte begleiten wollen. Dergleichen Lieder haben Mirjam, Moses, und nachmals Debora gesungen. Dergleichen Lieder haben auch David, Afsaph, Salomo, Jeremias und viele andere gedichtet: ja die ganze hebräische Poesie weis von keinen andern: so daß es lächerlich ist, wenn Josephus schreibt, das Buch iobs sey in Herametern geschrieben. In solchen Versen haben auch ohne Zweifel Linus, Musaus, Orpheus und Amphion in Griechen= land noch gesungen, die doch so großen Ruhm mit ihrer Dichtkunst erlanget haben. Solcher Art find endlich auch die alten salischen Lieder bey den Römern gewesen, die Numa eingeführet, und die sescenninischen Verse, die nachmals in Italien im Schwange gegangen. Kurz, so sind die Poesien der alleråltesten Völker in der ganzen Welt beschaffen gewesen. Ein Poet aber und ein Musikus, das war damals einerley: weil viele Sånger sich ihre Lieder selbst macheten, und die Dichter die ihrigen selbst sungen. Daher kam denn nachmals die Gewohnheit, daß die Poeten ihre Leyern, Cithern, Seyten, Fld.

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then und Schalmeyen immer anredeten, wenn sie gleich nicht felber spielen konnten. Weil nämlich die Alten beydes zugleich gekonnt hatten: so blieben auch die Neuern noch bey der Sprache ihrer Vorgänger, und entschuldigten sich gemeiniglich mit einer tropischen Redensart; die uns erlaubet, das Nebending an statt der Hauptsache zu sehen.

10. §. Mit der Zeit fieng man an, die Sylben in poetischen Zeilen etwas genauer abzuzählen, damit sie sich desto besser zu den Melodeyen schicken möchten. Die Griechen mōgen wohl die ersten gewesen seyn, die solches gethan haben: obwohl noch allezeit einige Lieder bey ihnen im Schwange blieben, darinn sich die Poeten viel Freyheiten heraus nahmen. Man lese nur nach, was Scaliger in seiner Poetik, von dithyrambischen und påanischen Gesängen geschrieben. Ja dieses wißige Volk ließ es auch dabey nicht bewenden. Denn wie es ein sehr zartes Gehör hatte, und also zur Musik sehr geschickt und geneigt war: also bemerkte es bald, daß es auch mit der bloßen Sylbenzahl in einem Liede nicht ausgerichtet wåre. Die eine Zeile hatte immer einen bessern Wohlklang, als die andre, und schickte sich besser zur Musik, wenn sie gleich bende auf einerley Art gesungen wurden: und bey genauer Aufmerksamkeit fand man, daß die Ursache in der Abwechselung langer und kurzer Sylben zu suchen wåre. Man bes merkte derowegen, welche Art der Vermischung sich zu dieser oder jener Gesangweise am besten schickte: und daher entstunden sehr viel verschiedene Gattungen der Verse, die in so großer Menge bey den Griechen und Lateinern vorkommen, daß man sie fast nicht zählen kann. Man sehe hierbey nach, was J. Voffius in seinem Tractate de Poematuin cantu, et viribus Rhythmi geschrieben hat.

11. §. Die nordlichen Völker, Thracier, Gothen, Celten und Gallier liebten zwar auch das Singen, hatten aber kein so zärtliches Gehör; und verfielen also auch auf dieses künstliche Sylbenmaaß der Griechen und Römer nicht. An dessen statt geriethen sie auf den Gleichlaut der leßten Sylben in zwoen Zeilen ihrer Lieder, und fanden ein besonderes Be

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lieben

lieben an einem übereinstimmenden Klange, den sie den Reim nenneten. Sie gewöhnten auch ihre Ohren dergestalt daran, daß sie diesen Reim endlich für das wesentlichste Stück der Poesie hielten; ja die, Verse und alle Gedichte überhaupt, nicht anders, als Reime nennten. Diesen Reim nun zu haben, spareten sie weder Kunst noch Mühe; ja sie verwehrten sich daben auch keine Freyheit. Zum wenigsten wußten sie eine Uchnlichkeit der leßten Wörter herauszubringen, wenn gleich keine völlige Gleichheit zu erhalten möglich war. 3. E. Orrfrieds Vorrede zu seinem Evangelio hebt so an: Hludouuig ther snello

Thes Uluisduames follo

'r Oftarrichi rihtet al

fo Frankono Kuning scal u. s. w.

12. §. Nun haben zwar einige, als Huetius in dem Buche vom Ursprunge der Romane, den Ursprung der Reime den Arabern zuschreiben wollen, die sie im achten Jahrhunderte nach Spanien gebracht haben sollen; welchem auch Campas nella beypflichtet. Allein nichts ist leichter zu zeigen, als daß die Reime in Deutschland, Wälschland und Frankreich schon im fünften Jahrhunderte im Schwange gewesen, ehe noch die Araber aus Asien gegangen: vielmehr haben selbi ge diese Kunst in Spanien bey den Gothischen und Vandalis schen Völkern gefunden, die daselbst vor ihnen geherrschet hat. ten. Gyrald holet sie aus Sicilien her, und Claude Faucher aus der Provence in Frankreich; die aber ebenfalls ihre Reime von den Gothen und Franken gelernet, die daselbst vorher schon eingefallen waren. Andre wollen die Kunst gar den Rabbinen der Juden zueignen, die doch erst seit des David Kimchi Zeiten dergleichen zu machen angefangen; und es ohne Zweifel von den europäischen Christen gelernt haben. Noch andre haben gar die Reime schon bey den alten Lateinern und Griechen finden wollen. Ob es nun wohl nicht zu leugnen ist, daß man nicht hier und dar einige solche Verse finden sollte, da sich entweder zweene Zeilen am Ende, oder eine für sich,

in

*G. des neuen Büchersaals V. B. a. d. 118. u. f. S. imgl. meine deutsche Eprachkunst a. d. 554. u. f. S. der II. Aufl.

in der Mitte und am Ende reimet: so ist doch dieses nur von ohngefähr gekommen, und man hat wenigstens keine solche Schönheit darinn gesucht, als die alten Deutschen. Der einzige Kaiser Hadrian hat in seiner Animula vagula blandula, eine Reimsucht bewiesen, die er ohne Zweifel von den Deutschen gelernet, mit denen er viel zu thun gehabt. Die Verfus Leonini find auch in Italien allererst im fünften Jahrhunderte aufgekommen, und haben den Namen von einem ge wiffen Leonió, einem Canonico, der sich damit zuerst hervorgethan. Damals aber, wie bekannt ist, waren die deutschen Völker schon eingefallen, und hatten also ihre Reimart mit sich dahin gebracht. Die Gelehrten verliebten sich auch bey der einreißenden Barbarey und dem Verfalle des guten Geschmackes so sehr ins Reimen, daß sie sich nicht satt reimen konnten. Es war nicht genug, daß zwey Zeilen mit einander reimeten. 3. E.

Vt mens fe videat pofita caligine fumi;

Quis vetat appofito lumen de lumine fumi? Sondern es mußte sich auch wohl Mittel und Ende eines Verses reimen. 3. E.

Hic jacet Henricus femper pietatis amicus.

Oder wie die salernitanische Schule die Gesundheitsregeln abgefaffet. 3. E.

Cafeus et panis, funt optima fercula fanis.

Kaum war dieses erdacht, als man gar dreyfache Reime machte: 3. E.

Vos eftis, Deus eft teftis! teterrima peftis.

Und auch darüber fanden sich noch andere Künstler, die ihre Vorgänger in der Reimsucht übertreffen wollten; indem sie eine noch künstlichere Verschränkung der gereimten Zeilen erdachten, wie dieß Erempel zeigen wird:

Ianua mortis, paffio fortis, crimen eorum

Attulit orbi, femina morbi, totque malorum.

So wurden denn, bey so vielen Reimen, die Verse selbst unsichtbar: und die eingebildeten Poeten wurden nichts, als elende Reimschmiede, die sich an dem Klappen der Sylben,

wie Kinder an dem Klingen der Schällen belustigen; an die Sachen aber, entweder gar nicht dachten, oder, des großen Zwanges halber, nicht recht denken konnten.

13. §. Bey dem allen aber bleibt es wohl gewiß, daß die scythischen oder celtischen Völker, das ist, unsre Vorfahren, und die Barden derselben, als ihre Poeten, etwa um die Zeiten des Tacitus, auch wohl noch zeitiger, die Reime in ihren Liedern eingeführet haben mögen. Ihre Absicht dabey ist wohl nichts anders gewesen, als daß ihre Landesleute das Lob ihrer Helden desto leichter auswendig lernen, und es desto besser behalten möchten. Denn weil an Schreibern damals ein großer Mangel war, und das Gedächtniß des Volkes die Stelle der Chroniken vertreten mußte: so waren die gereimten Lieder sehr geschickt, das Auswendiglernen zu be fördern. Alle Sprüchwörter unsrer Alten zeigen davon. Diese hielten den Kern ihrer moralischen und politischen Klugheit in sich, und wurden der Jugend gleich mit der Muttermilch eingeflößet; aber zu desto größerer Erleichterung des Gedächtnisses in Reimen verfasset: 3.E.

Freunde in der Moth

Gehn hundert auf ein Loth.

Je kråmmer Holz, je besser Krück;
Je årger Schelm, je besser Glück.

*

Auf einen groben Aft

Gehört ein grober Quaft u.d.gl.

Doch die Sache ist so ausgemacht, daß sie keines fernern
Beweises vonnöthen hat.

14. §. Wie nun die Griechen in ihrem Sylbenmaaße die Lateiner zu Nachfolgern bekommen haben: so haben auch die alten Deutschen ganz Europa reimen gelehret. Italien, Spanien und Gallien nahmen die Art derjenigen Völker

die sich durch die Gewalt der Waffen ihrer bemäch.

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