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Des II. Abschnitts III. Hauptstück. Von Cantaten, Serenaten, und Kirchenstücken, oder Oratorien. I. §.

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ie Cantaten find eine neue Erfindung der Italiener, davon die Alten nichts gewußt haben; es hat aber allem Ansehen nach die Musik Gelegenheit dazu ge geben, und sie sind an statt der Oden eingeführet worden. Crescimbeni sagt, sie wåren erst im XVII. Jahrhunderte erfunden: er weis aber den ersten Erfinder nicht zu nennen. Doch meynt er Chiabrera, und Tronfarella wåren mit unter den ersten gewesen, die sie gemachet; und er rühmer den Stradella, für einen der besten Tonkünftler im Seßen derselben. Ich stelle mir die Sache folgendergestalt vor. Weil in Liedern von einerley Strophen auch dieselbe Melodie beybehalten werden mußte: so ward man gewahr, daß sich dieselbe nicht zu allen Versen gleich gut schickte. Der erste Vers einer Ode war z. E. traurig, und gegen das Ende legte sich dieser Affect, ja veränderte sich wohl gar in eine Freude. Hatte sich nun die Gesangweise zum Anfange gut geschickt: so schickte sie sich zum Ausgange desto schlechter. Denn wie klingt es, wenn ein luftiger Tert nach einer traurigen Melodie gesungen wird? War aber die Musik weder traurig noch lustig; so schickte sie sich weder zum Anfange noch zum Ende recht: weil sie keins von beyden in der gehd. rigen Schönheit vorstellete, und keine Gemüthsbewegung recht lebhaft ausdrückete. Nun hätten die Poeten diesem Fehler zwar abhelfen können, wenn sie in einem Liede nur einen Affect vom Anfange bis zum Ende håtten herrschen lassen, wie es auch billig seyn sollte. Allein, da sie es nicht thaten; so gerieth man auf die Gedanken, die Lieder nicht mehr so gar

einträchtig zu machen, keine solche ähnliche Strophen mehr zu beobachten; sondern Zeilen von ungleicher Länge, auf eine ungebundene Art durch einander laufen zu lassen; und alsdann die Musik durchgehends, nach dem Inhalte des Gedichtes, zu bequemen. Dadurch hoffte man jenen Lebelstand der Oden gewiß zu vermeiden, und jede Zeile eines solchen Ge fanges, dem darinn herrschenden Affecte gemäß, auszudrůcken; jedem Worte nach seinem rechten Sinnøden gehörigen Ton und Nachdruck geben zu können.

2.S. Die Sache war nicht schwer ins Werk zu richten: benn die Poeten bekamen mehr Freyheit, und die Componisten fanden tausendfache Gelegenheit, ihre Künste und musi kalische Einfälle recht hören zu lassen. Sie bemüheten sich auch nunmehr, fast alle Sylben eines solchen Liedes, durch die Verschiedenheit des Klanges auszudrücken, und alle mög liche Abwechselungen dabey zu versuchen. Sie giengen aber allmählich gar zu weit darinnen. Es war ihnen nicht mehr genug, daß fie eine Redensart auf einerley Art in die Musik festen. Sie trauten sich selber so viel nicht zu, daß sie gleich die beste Art der Töne gefunden håtten: darum wiederholten ste manches Wort zwey, fünf, zehn, ja wohl zwanzig male, und zwar immer mit neuen Veränderungen. Sonderlich hielten sie sich ben gewissen Stellen verbunden, solches zu thun, wo sich ihre Kunstgriffe recht anbringen ließen. Wo nur die geringste Spur eines Affectes, oder sonst eine Stelle vorkam, die sich einigermaßen durch das Singen und Spielen nach ahmen ließ: da machten sie sich rechtschaffen lustig, und hielten sich oft bey einer Zeile långer auf, als man vorhin bey ganzen Oden gethan hatte. Es ist aber leicht zu sehen, was folches nach sich gezogen. Jemehr die Musik dabey gewann, desto mehr verlohr die Poesie dabey. Bekam das Ohr da bey viel zu hören, so hatte der Verstand desto weniger dabey zu gedenken. Doch, da nicht alle Zeilen in einem solchen Gedichte bequem fielen, ihre Schnörkel anzubringen: so ließen fie dieselben nur so obenhin wegsingen, ja fast ohn alle Begleitung der Instrumente gleichsam herbethen; damit sich also Sänger

Sånger und Spielleute indessen, zu der nächstfolgenden künstlichern Stelle desto besser vorbereiten könnten. Diesen lehtern gab man den Namen der Arien, oder Melodien ; jene aber, die mehr geredet, als gesungen wurden, nannte man Recitative. Wenn aber eine mittlere Art vorfiel, die man weder so bunt und zierlich, als die Arien singen; noch so kaltsinnig, als die Recitative wollte herlesen lassen, so ward dieselbe gin Arioso genennet.

3. S. Wie die gemeinsten Arten der Lieder durchgehends von einem und demselben Sånger abgefungen werden, wenn nämlich nur eine Person darinn redet: so müssen auch billig Cantaten, darinn kein Gespräch vieler Personen vorkommt, nur von einer Stimme gesungen werden; es wäre denn, daß ein Baß, oder alle übrige Stimmen, den Discant desko angenehmer zu machen, sich durch und durch zugleich hören ließen wie in Liedern, die man choralisch singet, zu geschehen pflegt. Allein hier müßte es auch dem Inhalte nach wahr scheinlich seyn, daß der Text als ein Tutti, wie es die Wålschen nennen; von vielen zugleich gesungen werden könnte: widrigenfalls wäre es ungereimt. Wie nun diese Regel von guten Componisten allemal beobachtet worden: also hat man sie auch vielmals aus den Augen gefeßt. Um die Mannigfaltigkeit vieler Stimmen in einer Cantate hören zu lassen, låßt man einen Vers, ein einzig Lied, das eigentlich nur eine Person singen sollte, von drey, vier, fünf Sängern, die einander ablösen, absingen: gerade, als wenn aus einem Halse alle die verschiedenen Stimmen kommen könnten. Ich tadle hiermit die Componisten nicht, die uns gern durch vielerley Annehmlichkeiten, zugleich belustigen wollen. » Sie follten aber nur zu Duetten, das ist, zu Cantaten, von zwoen Personen, die sich mit einander besprechen, zwo Stimmen; zu dreyen, welches denn ein Trio heißt, drey Sanger u. s. w. nehmen, und also die Wahrscheinlichkeit beobachSie sollten auch einer Mannsperson, die singend aufgeführet wird, eine männliche Baß- und Tenorstimme geben, z. E. dem Neide, dem Zorne, dem Stolze, den vier Jahrs

ten.

auf der goosten u. f. S. eins, darinn er das Haar, die Au✩ gen, die Wangen, die Lippen, den Hals und die Brust des Frauenzimmers, um die Ehre des Vorzuges streiten läßt.. Jedes von diesen Mitwerbern redet in sechs Zeilen, die sich alle reimen: und das folgende behält eben dieselben Reimwörter, so daß es von dem legten der vorigen Strophe den Anfang machet; die übrigen aber in derselben Ordnung von oben herunter wiederholet. Ein paar Strophen machen die Sache klar: denn ganz mag ich das Papier damit nicht verderben:

Das Haar.

Wir fangen Geist und Seel und Leben, doch verschränket
Zu steter Dienstbarkeit; der Schmuck, so an uns henket,
Ift vieler Buhler Neß, wenn ist die Locke trånket
Ein füßer Himmelsthau, und uns die Freyheit schenket,
Daß man sich Kerkerlos um beyde Brüste schwenket,
Und das erstarrend' Aug als wie ins Grab versenket.

Die Augen.

Hat jemals unsre Glut ein schwarzes Haar versenket,
Hat unsre Sonnen je der Locken Nacht verschränket,
Nein, wo der helle Stral von Diamanten henket,
Da quillt der Liebe Brunn, der tausend Herzen trånket,
Wir haben Sterbenden das Leben oft geschenket,
Wenn unser reizend Blig die Siegesfahn geschwenket.
Die Wangen.

Hier ist der Rosen. Feld, wo sich Cupido schwenket. 26. Doch ein jeder kann sichs nun schon selbst vorstellen, was das für eine ekelhafte Monotonie, und für ein kindisches GeFlapper, einerley, zumal lauter weiblicher Reime giebt; die der majestätischen Art unfrer Sprache nicht im geringsten gemaß sind. Gleichwohl find alle die Erempel und Regeln, in unsern vollständigsten Anweisungen der Dichtkunst, auf eben den Schlag eingerichtet. Man sehe des Menantes gal. Poes. a. d. 262. u. f. S.

6. S. Anstatt der großen Lobgefänge auf die Götter und Helden bey den Alten, die in heroischen Versen gemachet waren, und in einem fortgiengen; haben die neuers die

langen

langen Gefänge in eilffylbigten, oder alexandrinischen Versen, von acht bis zehnzeiligten Strophen eingeführet. Die eilffylbigten und achtzeiligten, mit wechselnden Reimen sind wohl zuerst von den Wälschen eingeführet, und werden Ottava Rima genennet. Sowohl Ariost hat seinen rasenden Roland, als Tasso seinen Gottfried, in solchen Strophen befungen; und beyde nannten daher, eine größere Abtheilung des ganzen Gedichtes, die bey den Alten ein Buch geheißen haben würde, nur einen Gesang: weil in der That, ein Gedicht von lauter gleichen Strophen, nach einer und derselben Melodie gesungen werden könnte. Aus dem Tasso habe ich schon im ersten Theile einige Strophen angeführet: igo will ich aus dem Ariost eine Probe geben. In der venetianischen Ausgabe von 1577. in 4. der ich mich bediene, lautet die erste Strophe so:

Le donne, i Cavalier, l'arme gli amori,
Le Cortefie, l'audaci imprese io canto;
Che furo al tempo, che paffaro i Mori
D'Africa il mare e in Francia nocquer tanto,
Sequendo l'ire, e i giovenil furori
D'Agramanto lor Re; che fi die vante,
Di vendicar la morte di Trojano,
Sopra Re Carlo Imperator Romano.

Hier sieht man nun, daß diese Ottava rima, im Anfange der Strophe jeden Reim dreymal wiederholet, und also mit zween abwechselnden Tönen sechs Zeilen schließt; hernach aber mit einem Dritten, die beyden lehten paaret. Und eben so Ht auch der ganze Tasso, nicht nur in gewöhnlichen Ausgaben, sondern auch in der neapolitanischen Mundart, in welche man ihn 1689. überseßet, nebst dem Grundterte in fol. zu Napoli herausgegeben. Weil dieß Stück seltsam ist, will ich auch die erste Strophe mittheilen:

Canto la Santa Mprefa e la piatate

C'happe chillo gran Hommo de valore
Che tanto fece ne la libbertate

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