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So wenig Licht nun diese Beschreibung einem, der es noch nicht kennet, vom Sonnette geben wird: so wenig ist es auch gegründet, wenn er hinzusehet:

Un Sonnet fans defaut, vaut feul un long Poeme.

7. §. Crescimbeni hat in seiner Iftoria, in ganzen sechs Capiteln bloß vom Sonnette gehandelt, und alle Kleinig= keiten und Veränderungen, die dasselbe betroffen haben, mit Sorgfalt angeführet. Es erhellet aber kürzlich so viel daraus, daß weder die Erfinder desselben in der Provence, noch die ältesten Italiener, als Dantes, anfänglich diese Art Lieder so gar genau in gewisse Regeln eingeschränket. Weder die Zahl noch länge der Zeilen, noch die Abwechselung der Reime war dazumal recht bestimmet, bis Petrarch durch seine verliebten Lieder auf die Laura, die fast lauter Sonnette waren, dem Dinge seine rechte Ordnung gab. Vermuthlich hat er ein paar beliebte Melodien auf die ersten seiner Sonnette gehabt; denen zu Gefallen er hernach alle übrige gemachet. Ihm aber sind hernach alle übrige Dichter mehrentheils gefolget. Es ist also schon der Mühe werth, ein Muster von seiner Arbeit anzuführen; wozu ich gleich das erste nehmen will, das gleichsam eine Vorrede zu allen übrigen ist:

Voi, ch'afcoltate in Rime fparfa il Suono,
Di quei Sofpiri, onde io nudriva il Cuore,
In ful mio primo giovenil Errore,

Quando era in parte altre'huom, da qual ch'io fono.
Del vario Stile in ch'io plango, & ragiono,
Fra le vane fperanze, e'l van dolore,
Ove fia, chi per prova intenda Amore,
Spero trovar Pietà, non che Perdono.
Ma ben veggi'hor, fi come al popol tutto,
Favola fui gran tempo; onde fovente,
Di me medefimo meco mi vergogno:

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Et del mio vaneggiar vergogna e'l frutto,
E'l pentirfi, e'l conoscer chiaramente,

Che quanto piace al Mondo è breve fogno.

8. §. Aus diesem Erempel nun können wir die Regeln eines rechten Sonnettes abnehmen. Es besteht 1) aus vierzehn Zeilen, und darf weder mehr, noch weniger haben. 2) Diese Zeilen müssen alle gleich lang seyn; zumal im Wålschen, wo man lauter weibliche Reime machet. Im Deut schen hergegen, kann es seyn, daß die, mit männlichen Reimen, eine Sylbe weniger bekommen. 3) Müssen sonderlich die langen Verse dazu genommen werden: welches bey den Wälschen die eilffylbigten, bey uns und den Franzosen aber die alexandrinischen sind. 4) Müssen dieselben_vierzehn Zeilen, richtig in vier Abschnitte eingetheilet werden; davon die ersten beyden, jeder vier, die beyden legten aber, jeder drey Zeilen bekommen. 5) Müssen die zwo ersten Abschnitte einander in den Reimen vollkommen ähnlich seyn, ja in acht Zeilen nicht mehr als zwey Reime haben: so daß sich einmal der erste, vierte, fünfte und achte, sodann aber der zweyte, dritte, sechste und siebente mit einander reimen. Endlich 6) müssen die drey und drey im Schlusse sich wieder zusammen reimen; doch so, daß man einige mehrere Freyheit dabey hat. Indessen lehret mich auch hier das Beyspiel des Petrarcha, daß auch diese beyden Dreylinge auf einerley Art ausfallen müssen, damit man sie auf einerley Melodie singen könne. Denn kurz und gut: die zwey ersten Vierlinge müssen nach der ersten Hälfte der Singweise, die, wie gewöhnlich, wiederholet wird; die zwey leßten Dreylinge aber nach der andern Hälfte der Melodie, die gleichfalls wiederholt wird, gesungen werden können. Dieß ist der Schlüssel, zu allen obigen Regeln.

9. §. Nach diesen Regeln nun haben sich unsere deutschen Dichter auch gerichtet; sonderlich die Alten, die eine große Menge von Sonnetten gemachet haben, ohne daß vicleicht ein einziges jemals gesungen worden. Opig,

Flem

Flemming, Mühlpfort, Sieber, Gryph, Riene, u. a. m. haben ganze Bücher voll geschrieben; davon ich ein paar zu Mustern herseßen muß. Denn da wir im Deutschen männliche und weibliche Reime zu vermischen pflegen ; so entstehen auch zweyerley Arten bey uns, die sich bald mit einem weiblichen, bald mit einem månulichen Reime anfangen. Sie brauchen auch alle die sechsfüßigen Jamben, anstatt der eilffylbigten der Italiener. Ich bleibe bey Flemmingen, und dieß erste ist dem petrarchischen vollkommen ähnlich:

Sonnet, an sich selbst:

Sey dennoch unverzagt! gib dennoch nicht verlohren!
Weich keinem Glücke nicht! steh höher als der Neid!
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich, Glück, Zeit und Ort verschworen.
Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren;
Nimm dein Verhängniß an, laß alles unberèut,

Thu, was gethan muß seyn, und eh mans dir gebeut,
Was du noch bessern kannst, das wird noch stets gebohren.

Was klagt, was lobt man dich? Sein Unglück und sein Glückk, Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,

Dieß alles ist in dir: laß deinen eiteln Wahn, und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt, und alles unterthan.

Dieses Sonnet hat nur einen Fehler: daß nämlich, ben der dritten Zeile der zweyten Hälfte, der völlige Sinn nicht aus ist, sondern sich erst mit der folgenden endet. Dieses würde im Singen einen großen Uebelstand machen; weit beym Schlusse der Melodie, der Verstand noch nicht befrie diget wåre; welches doch von rechtswegen seyn soll, wie Petrarcha es auch sehr wohl beobachtet hat.

10. §. So gern ich noch eins, das ohne Fehler ist, finden will, so schwer ist mirs. Denn bald schließt der Verstand nicht mit der vierten, bald nicht mit der achten, bald nicht mit der eilften Zeile. Bald sind die lehten zwey

Drey

Dreylinge, an Ordnung der Reime einander nicht gleich, u. s. w. Ich will also noch eins von eilsylbigten Versen aus Flemmingen nehmen, ob es gleich auch von einer weiblichen Zeile anfängt. Es ist das XX. des andern Buches. Auf eine Hochzeit.

Was thun wir denn, daß wir die süßen Jahre,
Der Jugend Lenz, so lassen Fuß für Fuß
Vorüber gehn? Soll uns denn der Verdruß
Der Einsamkeit noch bringen auf die Baare?
Sie fehrt nicht um, die Zeit, die theure Waare!
Bewegt uns nicht, das was man lieben muß,
Die Höflichkeit, der Muth, die Gunst, der Kuß?
Die Brust, der Hals, die goldgeschmiedten Haare?
Nein, wir sind Fels, und ståhlern noch als Stahl,
Bestürzt, verwirrt; wir lieben unsre Quaal,
Sind lebend todt, und wissen nicht was frommet.
Dieß einige steht uns noch gänzlich frey,

Daß wir verstehn, was für ein gut Ding sey, Das uns stets fleucht, und das ihr stets bekommet. Dieses wäre nun wohl so ziemlich zur Musik bequem: außer, daß der Sinn aus der zweyten Zeile, bis in die dritte geschleppet wird; welches im Singen übel klappen würde. Ueberhaupt kömmt es bloß daher, daß unter vielen hundert Sonnetten, kaum ein vollkommenes anzutreffen ist, daß die Poeten es nicht gewußt, daß ein Sonnett zum Singen gemachet werden müsse. Da wir sie aber bey uns niemals singen: so sehe ich gar nicht ab, warum ein Poet sich quả, len soll, einem solchen Zwange ein Gnügen zu thun, da man viel leichtere Versarten hat, die eben so angenehm sind.

11. §. Ehe ich aufs Rondeau, oder das Ringelgedicht komme, muß ich noch anmerken, daß Mühlpfort auch in vierfüßigen Versen ein Sonnet gemachet. Es ist gleich das zweyte unter seinen Sonnetten; und würde selbst durch die Beyspiele der Wälschen, zu rechtfertigen seyn: wenn es nur tur hgehends sich ähnlich, und in den leßten sechs Zei. len nicht fehlerhaft wäre. Die ersten acht Zeilen sind nămlich al en Regeln gemäß und lauten also:

Abend

Abendgebeth.

Das Licht vergeht, die Nacht bricht an,
Verzeihe Gott! die schweren Sünden;
Die mich, als wie mit Stricken binden,`
Daß ich nicht vor dich treten kann.

Ich habe leider deine Bahn
Der Heiligkeit nicht können finden:
Weil ich stets auf den Wollustsgründen,
in hangen blieben mit dem Kahn.

Allein nun kömmt das falsche:

Ein Irrlicht hat mich so verführt,
Das mir die Welt hat aufgestecket,
Ich habe nie die Lust gespürt,
Bis daß ich mich mit Koth beflecket.
Gedenke nicht, o Herr! der Sünden meiner Jugend,
Ich wende mich hinfort zur Frömmigkeit und Tugend.

Hier sieht ein jeder, daß sich drey und drey Zeilen unmöglich nach derselben zweyten Hälfte einer Melodie würden singen lassen. Noch viel fehlerhafter sind die sogenannten Sonnette, die König bey seiner Ausgabe von Ranizens Gedichten hin und wieder eingeflicket: denn er hat weder alle diese Regeln, noch die allergemeinste und leichteste, daß ein Sonnet 14 Zeilen haben muß, beobachtet. Andere wunderliche Veränderungen der Sonnette, entweder durchgehends mit einerley, oder ohne alle Reime, deren Omeis in seiner Dichtkunst gedenket, übergehe ich mit Fleiß; weil fie billig in keine Betrachtung kommen.

12. §. Das Rondeau selbst anlangend, so ist dasselbe nicht von wälscher oder alter provenzalischer, sondern von französischer neuerer Erfindung. Außer dem, daß Vois türe dergleichen eine gute Anzahl gemachet hat, wie man bey seinen Briefen angehenker finden wird: so hat man auch die Verwandlungen Ovids, in französischen und deutschen Rondeaur, oder Ringelgedichten erkläret, die zu Nürnberg 1698. in 8. mit Figuren herausgekommen sind. Auch diese sind eigentlich im Anfange zum Singen bestimmt

gewe

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