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ays des sel. Gottfried Thomafius zu Nürnberg, Verlassenschaft, käuflich an mich gebracht, Auszüge machen wollte. Allein da diese Arbeit für Anfänger keinen Nußen haben würde: so verspare ich sie in mein größeres Werk von der Geschichte der deutschen Sprache und Poesie; dahin solche historische Nachrichten mit besserm Rechte gehören.

2. §. Das kürzeste und kleinste Stück, der neuern lyrischen Poesie ist sonder Zweifel das Madrigal; dessen Namen und Art wir Deutschen von den Wälschen, diese aber, ihrem eigenen Geständnisse nach, von den Provenzalpoeten be kommen haben. Die erste Frage ist, was das Wort Madrigal eigentlich bedeute? Und davon sind verschiedene Meynungen. Bembus (Prof. L. 2.) führet zwo an, deren er keine der andern vorzieht. Die erste ist, Madrigal hieße gleichsam Material; weil nåmlich die ersten Lieder dieser Art, von groben, schlechten, niedrigen und verächtlichen Sachen verfertiget worden: und dieser Meynung giebt Joh. Bapt. Doni, (Comp. del Tratt. de Modi della Mus. p. 113.) Beyfall. Die zweyte ist, daß Madrigal von Mandre, d. i. einen Schäfer in der Provenzalsprache herkomme: weil es anfänglich lauter Schäfer- oder Hirtenlieder, von Wäldern und Heerden, und andern verliebten Schäferbegebenheiten gewesen. Und da bemerket Joh. Bapt. Strozzi, in sei= nen Lectionen über das Madrigal, p. 195. daß Petrarcha, Boccaccio, u. a. m. in ihren Madrigalen, von nichts, als Flüssen, Thälern, Pflanzen, und andern båurischen Sachen geredet haben: ja selbst Triffino, Dolce, Mintur, no und Menage, sind dieser Meynung. Crescimbeni pflichtet ihr gleichfalls bey: aber alle diese Herren sagen uns nicht, wo sie die Sylbe gal herbekommen? Sie können es auch, ohne die Kenntniß des Deutschen, nicht thun. Ich habe oben schon erinnert, daß der erste Provenzaldichter, Gottfried Rudel, ein Deutscher gewesen seyn muß, von dem die übrigen die Kunst zu reimen gelernet. Dieser Deutsche hat nun sonderzweifel auch das Wort Gall, oder Hall, Schall aus seiner Muttersprache gewußt, welches

wir noch in Nachtigall, in gållen u. d. gl. haben. Dieses hat er nun mit dem Worte Mandre, ein Schäfer, welches wohl gar aus dem Deutschen, Mann, seinen Ursprung haben mag, zusammengeseßet, so daß es ein Männergall, oder Schäferlied hat heißen sollen. Denn daß andre es

von Madre della gala, Madre galante, oder della gaya, oder, wie Ferrarius (in Orig. Lingu. Ital.) von dem Spanischen Madugar, früh aufstehen, herleiten wollen; das find bloße Anspielungen, die keine Aufmerksamkeit verdienen.

3. §. Die ersten Madrigale sind nicht unter sechs, und niemals über eilf Verse lang gemachet worden; und also die kleinste Art von Liedern gewesen. Doch hat man sie da mals aus lauter gleich langen eilffylbigten Versen gemacht: wie Crescimbeni bezeuget. Allmählich aber ist man so wohl von der Zahl der Zeilen, als von ihrer gleichen Långe abgewichen, und diesen Erempeln der Neuern sind auch unsere Deutschen gefolget. Nur diese Unbequemlichkeit ent= stund daraus, daß bey der unendlichen Abwechselung, die sich nunmehr in den Madrigalen fand, die alten Melodien fich nicht mehr darauf schicketen: daher denn so zu reden jedes neue Madrigal, eine eigene Singweise foderte. Weil nun nicht alle Dichter Tonkünstler waren, sich selbst neue Melodien zu machen: so wurden eine Menge ihrer Madrigale gar nicht in Noten gefeßet, und folglich auch nichts gefungen. Und so ist es sonderlich in Deutschland gegan gen. Italienische Madrigale in Noten gefeßt, habe ich selber im Drucke.* Allein in einer großen Menge deutscher in Noten gefeßter und gedruckter Lieder, die ich besiße, finde ich kein einziges Madrigal. Ja in allen unsern Unweisungen zur Dichtkunst, habe ich es noch nirgends erwähnet gefunden, daß Madrigale eigentlich zum Singen erfunden worden. Indessen ist es nicht anders: und ich glaube gar,

* 3. E. Eins führt den Titel: Libro I. de Madrigali, a cinque voci, col baffo continuo, & fuoi numeri, del Signor Gio. Girolamo

Ex 3

daß

Kapfperger, nobile Allemanno. Raccolti dal Sign. Cavallier Marcantonio Stradella. In Roma, 1608. in El. fol.

daß die kleinen Chansons der Franzosen, die nur Lieder von einer Strophe sind, und aus ungleich langen Zeilen bestehen, nichts anders als Madrigale sind, und billig so heißen . follten. Caspar Ziegler hat bey uns ein ganzes Büchlein von Madrigalen 1653 herausgegeben, welches auch 1685. wieder gedrucket worden. Martin Kempe und Ernst Stockmann haben auch gute Madrigale geschrieben: und auch bey andern unserer Dichter kommer derer eine Menge vor.

4. §. Will man die Natur und Regeln der Madrigale wissen: so merte man kürzlich folgendes. 1) Soll ein Madrigal, nach der ersten Erfindung, mehrentheils von schäfermäßigem, oder doch verliebtem Inhalte seyn. Kame es hoch, so könnte sonst ein galanter, oder doch lustiger und scharfsinniger Einfall darinn ausgedrücket werden. Denn mir kömmt es vor, ein Madrigal sey bey den Neuern das, was die anakreontischen Oden bey den Alten gewesen. 2) Mache man das Madrigal mehrentheils in jambischen Versen; wie alle unsere deutsche Vorgänger gethan haben. 3) Lasse man es nicht unter sechs, und nicht leicht, auch nicht viel über eilf Zeilen lang seyn; höchstens zu 13 bis 15 Zeilen hinauf steigen. Denn da es nur eine Singstrophe vorstellen soll: so möchte sonst die Weise zu lang und beschwerlich fürs Gedächtniß werden. 4) Mache man die Zeilen in der långe nicht gar zu ungleich; das ist, keine unter sechs, und keine über eilf Sylben. Einige unserer Poeten haben dawider verstoßen, und bald viersylbige, bald wieder zwölf und dreyzehusylbige Verse unter einander laufen lassen. Al= lein welch ein Uebelstand ist das nicht? 5) Caffe man die Reime zwar mit einander wechseln,, aber auch nicht zu weit von einander ausschweifen: denn wenn drey, vier, oder mehr andere Zeilen darzwischen kommen, so hat man sie vergessen; und merket es nicht mehr, ob sie sich reimen, oder nicht. 6) Ist es erlaubt, zuweilen, eine, oder zwo Zeilen ungereimt mit unterlaufen zu lassen; als ob es aus Versehen geschehen wäre. Und 7) muß man den zehn und eilffylbig

ten

ten Versen nach der vierten Sylbe einen Abschnitt machen. Ein Exempel aus Zieglern mag die Sache klar machen:

Ich frage nichts, nach allen Låsterkaßen,

Sie speyen auf mich los,

Und dichten was sie wollen:

Ich werde dennoch groß.
Ihr Geifer kann nicht haften,

Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften,
Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn,
Daß ihnen noch die Augen wässern sollen:
Und das soll bald geschehn!

Denn wenn mich erst die Lästerzungen stechen,
Fang ich erst an, mich recht hervorzubrechen.,

5. §. Man wird wohl ohne mein Erinnern wahrnehmen, daß dergestalt in dieser Art von Liedern eine große Freyheit herrschet: und eben diese Freyheit ist einigen Dichtern so reizend vorgekommen, daß sie sich der madrigalischen Verse auch in viel långern Gedichten, und die gar nicht zum Singen bestimmet waren, bedienet haben. So hat im Franzöfischen Herr von, Fontenelle seine Schäfergedichte, und der Abt Genest seine Philosophie in dieser ungebundenen Art geschrieben. Die Engländer haben sich darein gleichfalls verliebet, und theils große Oden oder Singgedichte in ungleichen madrigalischen Strophen, theils andere kleinere Stücke, in dieser wilden Versart abgefasset. Bey uns Hat sich schon im vorigen Jahrhunderte Wagner die Freyheit genommen, fein Ter Tria, aus dem Englischen des Teate fo regellos zu verdeutschen; und endlich hat sich auch der fel. Brockes in dieselbe so sehr verliebet, daß er ganze Bande voll solcher Gedichte drucken lassen; ja wohl gar Werke der Ausländer, die in richtigen gleichlangen Versen waren, als Thomsons vier Jahreszeiten. and Popens Versuch vom Menschen, in diese Poe der Faulen, die lang und kurz durch einander lauf läßt, übersehet hat. Wie indessen nicht leicht ein Neuerung ohne Nachfolger bleibt, sie sen so schlecht, als sie wolle: so hat es auch Brocksen nicht dorun gefehlet. Ich kann es aber nicht leugnen, daß

Ex 4

mir

mir eine so libertinische Dichtungsart im geringsten nicht gefällt; weil sie weder dem Ohre noch dem Gemüthe dasjenige Vergnügen bringt, das ein wohlabgemessener ordentlicher Vers ihm bringt. Und was ist es wohl für eine Kunst, dergleichen Gemenge ungleicher Zeilen durch einander laufen zu lassen, wie ein Hirt großes und kleines Vieh zum Thore hinaus treibt?

Auch diese find

6. §. Ich schreite zu den Sonnetten. eine Erfindung der Provinzialdichter, und von diesen nach Målschland, von da aber zu uns, und nach Frankreich ge= kommen. Auch dieses zähle ich zu den Singgedichten, wozu es eigentlich erfunden worden, ungeachtet unsere poetischen Anweisungen bisher kein Wort davon gewußt. Ich habe aber die Italiener auf meiner Seite; die es einhållig gestehen: und selbst der deutsche Namen eines Klinggedichtes, wie es die Unsrigen zu geben pflegen, hätte sie darauf bringen können; daß es zum Klingen und Singen gemachet worden. Aus diesem Begriffe folgen nun auch die Regeln, des Sonnets, welche sonst so willkührlich ausse= hen, und so schwer zu beobachten sind, daß Boileau, nicht ohne Wahrscheinlichkeit dichtet: Apollo habe dasselbe bloß den Poeten zur Plage ausgedacht:

On dit à ce propos, qu'un Jour ce Dieu bizarre,
Voulant pouffer à bout tous les Rimeurs françois,
Inventa du Sonnet les rigoureuses Loix:

Vonlut, qu'en deux Quatrains, de Mesure pareille,
La Rime avec deux fons frappat huitfois l'oreille;
Et qu'enfuite G
enfuite fix vers artiftement rangez,

Fuffent en deux 1crets par le Sens partagez.
Sur tout de ce Poeme bannit la Licence,

Lui même en mefura le Nome & la Cadence;
Defendit, qu'un Vers foible y put pinais entrer,
Ni qu'un Mot deja mis, ofoit s'y remorer.
Du refte il l'enrichit d'une beauté fupreme.

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