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würde beynahe einen Bogen füllen; und wie groß ist nicht die Menge derer Stücke, deren Verfasser man nicht-weis? Dabey ist es aber nicht geblieben. Es giebt noch neuere Sammlungen griechischer Ueberschriften, oder sogenannte Anthologien, d. i. Blumenlesen, die den Liebhabern des Alterthums bekannt sind, andern aber nichts nüßen. Es ist wahr, daß verschiedene Stücke darunter sind, die uns auch iso noch vergnügen können; weil sie wirklich sinnreich find. Allein es giebt auch eine Menge, die man verachten würde, wenn sie deutsch wären; und die weiter nicht schäßzbar sind, als weil sie alt, und zwar griechisch sind: welches ben gewissen Gelehrten schon genug ist, um sie zu bewundern: vieleicht, weil sie nicht ein jeder versteht, und man fich also sehr breit damit machen kann, daß man sie ver steht; oder doch errathen kann, was sie sagen wollen, ungeachtet man unzählige male fehlschießt. Manches darunter ist auch wohl schmußig, und manches giebt den Auslegern nur schöne Gelegenheit, ihre antiquarische Gelehrsamkeit auszukramen. Doch es ist noch eine Classe, die ich nicht vergessen muß. Die Griechen haben auch die Kunst erfunden, malerische Sinngedichte zu machen; ich meyne aus Versen Bilder zusammen zu sehen, Theokritus hat uns einen Altar, und ein paar Flügel; wie Simmias eine Art, ein En, eine Hirtenpfeife mit sechs ungleichlangen Röhren, Syring genannt, hinterlassen: vermuthlich weit es Ueberschriften auf dergleichen Dinge haben seyn sollen. Allein das ist nun eben nicht das schåßbarste daran; und es hat Deutsche genug gegeben, die sie in solchen Tändeleven nachgeahmet, ja übertroffen haben. S. Schottels deutsche Prosodie a. d. 215. u. f. S.

3. §. Was die lateinischen Dichter betrifft, so haben wir von denenselben lange nicht so viel poetische Aufschriften oder Sinngedichte zu lesen bekommen. Catullus scheint der erste zu seyn, der sich damit hervorgethan, obwohl sich schon Plautus eine poetische Grabschrift gemachet hatte, u. d. m. Virgil machte sich durch eins zuerst bekannt, welches er an

den

den kaiserlichen Pallast anschlug, als auf eine stürmische Nacht ein sehr schöner Tag folgte, welchen Augustus gewissen öffentlichen Schauspielen gewidmet hatte. Es hieß: Nocte pluit tota, redeunt Spectacula mane, Divifum imperium cum Jove Cæfar habet.

Ovid und Horaz haben nichts von dieser Art hinterlassen. Der jungera Plinius ist ein Liebhaber davon gewesen; aber es sind uns kaum ein Paar davon in seinen Briefen übrig geblieben. Martial hergegen hat es so weit gebracht, daß er fast allein in dieser Art für einen Meister bekannt gewor den: und man kann ihm in der That einen feinen Wig nicht absprechen. Wir haben XIV. Bücher Sinngedichte von ihm, deren Mannigfaltigkeit wundernswürdig ist. Sie sind nicht alle gleich kurz, und einige füllen ganze Seiten. Ein artiges zur Probe zu geben, mag das 69fte aus dem VIII. Buche dienen; das er an den Vacerra, einen großen Bewunderer der Alten, gerichtet:

Miraris Veteres, Vacerra, folos,
Nec laudas, nifi mortuos Poetas:
Ignofcas petimus, Vacerra; tanti
Non eft, ut placeam Tibi, perire..

Du lobst, Vacerra, nur die Alten ;
Die todten Dichter bloß sind würdig zu behalten.
Wohlan! verwirf nur mein Gedicht;

Dir zu gefallen, sterb ich nicht!

Imgleichen das 9te aus dem III. B.

Verficulos in me narratur fcribere Cinna:
Non fcribit, cujus carmina nemo legit.

Man spricht, daß wider mich Misander Verse schreibt:
Doch sagt mir: schreibt wohl der, der ungelesen bleibt?

Auch Ausonius und Prudentius haben sich endlich in dieser Art gewiesen: wiewohl des Lestern seine mehrentheils von geistlichem Inhalte sind.

4. §. Unter den neuern Dichtern haben Ulrich von Hutten, Strozza, Johannes Secundus,Sabinus,Taubmann, Elias Corvinus, ja auch Stigelius, sich mit allerley Sinngedichten, oder doch kurzen Grabschriften hervorgethan. Selbst in August Buchnern wird man kurze Gedichte genug finden, die hieher gehören. Doch niemand hat sich mehr mit dergleichen hervor gethan, als Owenus, der so zureden für den neuern Martial gehalten wird. Er kann diesen Namen, theils im Guten, theils im Bösen führen: denn er ist bisweilen eben so wißig und scharf, aber auch vielmals eben so schmußig als jener. Ein Paar Erempel von der guten Art können nicht schaden. Im 1 B. beschreibt er Saturns drey Söhne:

Theologi ambigui; Juriftæ lenti & iniqui,

Immundi Medici: Mundus ab his regitur.

Doch ist er auch zuweilen ein Liebhaber von Wortspielen. 3. E. Cuncta trahunt ad fe magnates aurea: ficut

Ad fe magnetes ferrea cuncta trahunt.

Und folgendes:

Dicta fuit mulier, quafi mollior: eft tamen Eva,
Non de carne fui, fumta fed offe viri.

Jmgleichen hat Andrenus sein Landsmann, eben dergleichen gemachet; aber auch eben so theils gefpielet, theils Zoten ge= rissen. Unter den Franzosen hat Ronsard schon unter seinen sogenannten Mascaraden, Desportes aber theils unter den verliebten Gedichten, theils unter den Epitaphes, oder Grabschriften, viele gemachet. Theophile hat an Schmußigkeit, Benserade an Artigkeit, und Boileau an Scharfsinnigkeit den Alten auch nichts nachgegeben. Rousseau endlich ist in allen dreyen ein ziemlicher Martial zu nennen. Unter den Holländern, find Heinsius und Cats in diesem Stücke reich gewesen. In des ersten Gedichten, die 1618. zu Amst. in 4. ans Licht getreten, findet man nicht nur viel verliebte, sondern

auch

auch viel moralische Sinnbilder mit poetischen Ueberschriften; und in des leßtern Spiegel der alten und neuern Zeit, imgleichen in seinen Sinnsprüchen und Beysprüchen kommen gleich. falls unzählige vor; der Todtenkiste für die Lebendigen voriso zu geschweigen.

5.§. Was die Deutschen anlanget: so könnte ich erstlich aus alten Handschriften eine Menge folcher Sinngedichte bekannt machen, wenn dieses hier der Zweck wåre. Allein von gedruckten haben wir von Öpigen eine Menge, die er nicht allein aus dem Cato und Pibrac, und noch einem Franzosen von der Welt Eitelkeit überseßet; sondern auch noch ein Florilegium verschiedener Sinngedichte. Tscherning hat eines persischen Weisen Sittensprüche in kurze Verse gefeßt: Sieber und Rist habens daran auch nicht fehlen lassen. Hoffmannswaldau aber, so wohl als Lohenstein, sehr viel eigene gemachet. In den sogenannten hofmannswaldauischen Gedichten, die Neukirch theils gesammlet, theils selbst gemachet, steht auch eine Menge solcher Stücke. Wir haben auch den ganzen Owenus 1661. von Val. Löbern zu Jena in 12. deutsch bekommen: und Sal. von Golau, oder vielmehr von Logau, hat uns eine starke Sammlung von solchen kleinen Dichterblumen ans Licht gestellet. Und wer kann sie alle namhaft machen, zumal, wenn man auch Beffers und Ranigens Gedichte bey Wirthschaften und Verkleidungen; over des leßten Gedanken auf die Kaiser hieher rechnen will? Noch in diesem Jahre ist ein Schubsack voll båyerischer Sinn. gedichte in 4. ans Licht getreten, die gewiß für einen bayeri schen Dichter nicht zu verachten sind.

6. §. Soll ich nun kürzlich auch die Natur und das Wesen dieser Sinngedichte erklären, so sieht man wohl, daß sie mit Lobgedichten und Satiren ganz nahe verwandt sind. Kurz zu sagen, eine Ueberschrift, ist der poetische kurzgefaßte Ausbruck eines guten scharfsinnigen Einfalles, der entweder jemanden zum Lobe, oder zum Tadel gereichet. So beschreibt sie Boileau im II. Gefange seiner Art. Poet.

L'Epigramme plus libre, en fon tour plus borné, N'eft fouvent qu'un bon mot de deux rimes orné. Ich nehme das Wort scharfsinnig im ordentlichen Verstande, für die Wahrnehmung eines Umstandes an einer Sache, den nicht ein jeder würde gesehen haben. Zu dieser Scharfsinnig. keit kömmt vielmals auch der Wig, der zwischen einem solchen Umstande und etwas anderm, eine Aehnlichkeit findet, selbiges entweder zu erheben, oder zu verkleinern. Dieser Ge danken aber muß kurz gefasset werden, damit er in dem Ver stande des Lesers eine plögliche und unvermuthete Wirkung thue. Die Weitläuftigkeit des Ausdruckes würde nur machen, daß man durch die Umschweife schon von weitem zu rathen anfinge, was nachkommen würde: wodurch aber das Vergnügen über denselben um ein vieles gemindert werden, ja gar verschwinden würde. Indessen ist es gewiß, daß nicht alle Ueberschriften, oder Sinngedichte der Alten sogar Furz und scharfsinnig sind. Manche bestehen wohl aus zehn, zwölf, funfzehn, ja zwanzig Zeilen. Man nennt sie aber Epigrammata, weil man ihnen keinen andern Namen ge=

ben kann.

7. §. Die besten Erempel scharfsinniger Sinngedichte, werden bestätigen, was ich davon gesagt habe. Virgil hat an den Pallast des Kaisers Augusts, obige Zeilen angeschrieben, wodurch er zuerst bekannt geworden; die man Deutsch so geben kann:

Es stürmt die ganze Nacht; der Morgen bringt uns Luft:
So herrscht zwar Jupiter, doch neben ihm August.

Woher entsteht hier das Sinnreiche? Erstlich daher, daß Virgil an einem Tage etwas wahrgenommen, darauf andere nicht Acht gegeben: daß nämlich auf eine regnichte Nacht, mancherley Lustbarkeiten in Rom angestellet worden. Zweytens darinn, daß er den August mit dem Jupiter vergleicht, und das Regiment der Welt unter sie eintheilet. Dieses war nun für den Kaiser sehr schmäuchelhaft, und

folglich

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