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man aber, daß auch die vornehmsten Standespersonen, zwar ihrer Würde gemäß denken und sprechen, so lange sie ruhiges Gemüthes sind: so bald fie aber der Affect übermeistert, vergessen sie ihres hohen Standes fast, und werden wie andere Menschen. Wenn wir nun einen wahrhaftigen Traurigen sehen, dem vergeht die lust wohl, scharfsinnige Klagen auszustudiren. Er wird so kläglich und beweglich spre chen, als es ihm möglich ist: denn wo er selbst wichst weinet, so wird gewiß niemand zum Mitleiden bewogen werden: Ut ridentibus arrident, ita flentibus adfunt Humani vultus. Si vis me flere, dolendum eft Primum ipfe tibi: tunc tua me infortunia lædent, Telephe vel Peleu! Male fi mandata loqueris, Aut dormitabo, aut ridebo.

25. §. Hier fraget sichs unter andern, ob sich in die Schreibart der Tragödien auch viele Gleichnisse schicken? Ich antworte, man darf nur auf die Natur sehen. Nun finde ich nicht, daß man im gemeinen Leben, wenn wir von ernstlichen und wichtigen Dingen reden, lange Vergleichungen zu machen pfleget. Wem das, wovon er zu reden hat, zu Herzen geht; der hålt sich mit solchen Spielen des Wiges nicht auf; sondern er dringt gerade auf die Sache selbst. So unzulänglich einem unsrer Kunstrichter diese Regel geschie. nen, wenn er dieselbe umzustoßen gesucht; so gegründet ist sie doch. Könige, Fürsten und Helden pflegen in ernsthaften Geschäfften nicht lange mit künstlichen Vergleichungen zu spielen, sondern reden mit Ernste und Nachdrucke. Auf diese Natur nun muß man sehen. Ein anders ist es, mit einem Poeten, in einem Heldengedichte. Dieser ist selbst in der Fabel nicht mit verwickelt, die er erzählt; sondern gleichsam nur ein Zuschauer oder Herold derselben. Der kann sich also wohl bey kaltem Blute die Zeit nehmen, Gleichnisse zu machen, und so weitläuftig auszuführen, als er will. Allein in der Tragödie kömmt der Poet gar nicht zum Vorscheine: fondern es reden lauter andere Leute, die mit an den Bege=

benheiten Theil haben, und als ordentliche Menschen eingeführet werden müssen. Die Erempel der Alten sind mir auch nicht zuwider. Ich finde, daß Sophokles nicht über zwey oder drey Gleichnisse in seinem Oedipus angebracht hat; und zwar nur ganz kurz, und gleichsam im Vorbenges hen. Diesen meinen Zusaß hat obgedachter Kunstrichter muthwillig ausgelassen, um meine Meynung desto leichter zu verdrehen Hergegen Lohenstein und Seneca sind fast überall voll davon: wodurch denn abermal ihre Schreibart die unnatürlichste von der Welt wird. Eben das ist von der Gelehrsamkeit und Belesenheit zu merken, welche diese beyden Tragödienschreiber ihren Personen zu leihen pflegen. Sie schicket sich für dieselben durchaus nicht, zumal wenn sie im Affecte reden; und könnte an bequemere Derter versparet werden.

26. §. Wir kommen auf die Musik, die bey den Alten in der Tragödie einer von den besten Zierrathen war. Woher das gekommen, das ist aus dem obigen leicht abzunehmen. Die Lieder, die der Chor sang, wurden mit Instrumenten begleitet und weil diese einen wesentlichen Theil ihrer Schauspiele ausmachten; so rechneten sie die Musik mit zur Tragddie. Daß diese Mufik aber sehr stark gewesen seyn müsse, erhellet aus der Zahl der Personen im Chore, die zuweilen bis funfzig hinan lief. Und diese starken Chöre daureten so Lange, bis Euripides in dem Trauerspiele, Eumenides, einen sehr zahlreichen Chor rasender Furien mit schwarzen Pechfakeln aufführete: denn dadurch entstund ein solches Entfeßen in dem Schauplahe, daß die Kinder vor Schrecken todt blieben, die schwangern Weiber aber auf der Stelle niederkamen. Darauf wurde von der Obrigkeit befohlen, daß der Chor künftig nur aus 15. Personen bestehen sollte. Ben uns sind die Chöre nicht mehr gewöhnlich, obgleich unsere ersten Tragödienschreiber sie, nach der alten Art, bey jedem Aufzuge angehänget haben. Die Musik der Stimmen fällt also gänzlich weg; nur die Instrumente lassen sich zwischen jedem Aufzuge mit allerhand lustigen Stücken hören. Weil

sie aber die Zuschauer ganz aus der Aufmerksamkeit auf die vorigen Vorstellungen bringen: so fraget sichs, ob es nicht möglich wäre, anstatt der alten Oden des Chores, eine nach unserer Art eingerichtete Ariè, oder Cantate, von etlichen Sångern absingen zu lassen; aber eine solche, die sich allezeit zu den kurz zuvor gespielten Begebenheiten schickte, und folglich moralische Betrachtungen darüber anstellete? Ich meinestheils wäre sehr dafür. Dieses würde ne Zweifel die Zuhörer in dem Affecte, darinn sie schon stünden, erhalten, und zum bevorstehenden desto besser zubereiten. Und eine solche Tragödie würde zehnmal schöner seyn, als eine Opera, die den Liebhabern der Musik zu gefallen alles durch. gehends musikalisch vorstellen läßt; aber dabey ganz und gar von der Natur abgeht, und die ganze Wahrscheinlichkeit aufhebt.

27. §. Endlich und zuleßt müssen wir noch von den Maschinen und andern Zierrathen der Schaubühne handeln. Durch Maschinen versteht man die Erscheinungen der Götter, die vom Himmel herunter kommen. Weil die Tragódie menschliche, nicht aber göttliche Handlungen nachahmet: so kann auch ihre Hauptperson niemals eine Gottheit seyn. Weil aber der Held zuweilen in solche Umstände gerathen kann; daß er eines sichtbaren göttlichen Beystandes benöthiget ist: so kann freylich wohl der Poet sich der Maschinen zuweilen bedienen, seiner Fabel dadurch auszuhelfen. Allein er muß auch wohl zusehen, daß dieses wahrscheinlich heraus komme. Die Erscheinungen der Götter in neuern Zeiten kommen uns sehr unglaublich vor. Wir haben selbst dergleichen nie gesehen; und können uns nicht einbildén, daß es vor hundert oder zweyhundert Jahren anders gewesen seyn follte. Aber aus der alten fabelhaften Zeit, sind wir es långst gewohnt, von Erscheinungen zu hören: und also nimmt es uns nicht Wunder, wenn wir davon lesen. Wenn also Pers seus etwa die Andromeda erlösen; oder Diana zum Endymion in die Höle des Berges Latmos kommen; oder die drey Göttinnen dem Paris erscheinen sollten, u. d. gl. se müßten

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müßten wir schon die Götter auf der Schaubühne für nöthig ansehen, und sie nach ihrer Art kleiden und characteristren. Aber wer solches allezeit und ohne die größte Nothwendigkeit thun wollte; der würde wider die Regel des Horaz handeln :

Nec Deus interfit, nifi dignus vindice nodus

Inciderit.

Es ist nämlich keine Kunst, durch einen unmittelbaren Beystand des Himmels, und durch Wunderwerke, eine Fabel glücklich auszuführen; daher sich auch die berühmtesten Tragödienschreiber unter den Ülten, dieses Kunststückes selten bedienet haben.

28. §. Eben dahin gehören auch die Zaubereyen, welche man die Maschinen der neuern Zeiten nennen könnte. Sie schicken sich für unsre aufgeklärte Zeiten nicht mehr, weil sie fast niemand mehr glaubt: also enthält sich ein Poet mit gutem Grunde solcher Vorstellungen, die nicht mehr wahrscheinlich sind, und nur in der ernsthaftesten Sache ein Gelächter erwecken würden. Wenn also Gryphius in seinem Leo Armenius den Geist des Patriarchen von Constantinopel, und den höllischen Geist selbst, ja ein Gespenst in Gestalt Michaels; in der Katharina von Georgien die Ewigkeit, etliche Geister der Verstorbenen, die Tugenden, den Tod und die Liebe als Personen aufführet: im Cardenio gleichfalls ein Paar Geister; im Carl Stuart abermal drey Geister, und sodann noch Krieg, Keßerey, Pest, Tod, Hunger, Zwietracht, Furcht, Eigenmord, die Geister der ermorde ten Könige in England u. a. m. vorbringt: so sind gewiß der Erscheinungen zuviel eingemengt. Unter Ausländern hat von neuern Poeten der Cardinal Giovanni Delfino gleichfalls in seiner Cleopatra den Geist des Antonius und die Megåra bald in dem 1. Austritte erscheinen lassen. Es find die Tragödien dieses wälschen Dichters 1733, zu Padua herausgekommen. Der ganze Titel heißt: Le Tragedie di Giovanni Delfino Senatore Venetiano, poi Patriarca Crit. Dichtk. d'Aquile.

Kr

d'Aquileja e Cardinale di S. Chiefa, cioé la Cleopatra, la Lucrezia, il Crefo, il Medoro. Wie luftig Schakespear 1 den Geist Casars in feinem Trauerspiele aufgeführet, das sehe man in der deutschen Uebersetzung desselben nach. Wer aber etwas recht lustiges von dieser Art sehen will, der lese den deutschen Polyeuktes von Kormarten, oder den Auszug davon in den Crit. Beyträgen, imgleichen das Trauerspiel Telemach eben daselbst. Die Enginder halten sehr viel auf die Erscheinungen.

29. §. Einen bessern Zierrath geben die Veränderun gen der Schaubühne ab, dadurch dieselbe allemal denjenigen Ort vorstellig macht, wo das ganze Stück vorgegangen seyn foll. Dieser muß nun zwar die ganze Tragödie hindurch einerley bleiben: allein in verschiedenen Trauerspielen muß sich bald eine Straße der Stadt, bald ein königlich Zimmer, ein Feldlager, ein Wald, ein Dorf, ein Garten, u. f. w. vorstellen. Die Griechen und Römer haben auf dergleichen Einrichtungen der Bühne erstaunliche Summen verwandt ; und wie hoch man heute zu Tage auf den Opernbühnen die Sache treibe, liegt, zumal in Deutschland, am Tage. Doch dieses geht den Poeten nicht weiter an, als in so weit er sagt, wo der Schauplah des Stückes gewesen, worauf sich denn der Inhalt allemal bezieht; und darnach sich der Theaternmeister nachmals richten muß. Nun weis ich zwar, daß diese Regel vielen zu hart scheint, und daß andere durch die Veränderungen des Schauplages der Schwäche ihrer Stücke aushelfen wollen. Allein die Nachahmung der Natur läßt gleichwohl nichts anders zu. Siehe des Abts Hedelin von Aubignac Ausübung der theatralischen Schaubühne. Hierwider hat Corneille in seinem Cid sehr verstoßen, welches uns desto behutsamer machen muß.

30. §. Eben das ist von den Kleidungen zu sagen. Hier sollen von Rechtswegen die Personen nach Beschaffenheit der Stücke, bald in römischer, bald in griechischer, bald in persianischer, bald in spanischer, bald in altdeutscher Tracht auf der Schaubühne erscheinen; und dieselbe so natürlich

nach.

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