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konnte ein Wort sprechen. Nachdem er endlich zu den Göttern gefeufzet, so blies er in solchen wohlklingenden Tönen; daß, ob sie gleich etwas wild und unregelmäßig waren, sie dennoch alle Herzen mit Vergnügen erfüllten. Die Schäfer fingen sogleich an zu tanzen, und die Alten bezeugten, daß sie oftmals bey Nacht dergleichen Musik gehöret hatten, die, wie sie glaubten, von irgend einem Feldgotte gemacht worden. Der ehrliche alte Mann sprang von seinem Sie auf, und übergab ihm, nachdem er ihn umarmet, seine Tochter, bey allgemeinem Freudengeschreye.

Mitten in dieser Freude, wurden sie durch eine wunderbare Erscheinung erschrecket. Ein Mann, in einem blauen Mantel, dessen Haupt mit Binsen und Riedgras gekrönet war, sprang mitten in den Kreis. Er hatte eine Angelruthe in der Hand, und einen Korb auf dem Rücken. Ein magerer armseliger Kerl, in nassen Kleidern, trug einige Austern vor ihm her. Auf die Frage, von wannen er kåme, und wer er wåre? sprach er: er kâme, die Amaryllis, von den Gefilden an das Seeufer einzuladen. Sein Vers mögen bestünde in Meerkälbern, und er våre mit den Nereiden und Najaden bekannt. Bist du mit den Majaden bekannt: so gehe auch wieder hin zu ihnen! sprach Menalkas zu ihm. Die Schäfer rafften ihn sogleich, als einen Feind Arkadiens auf, und schmissen ihn in den Fluß, wo er untergieng, und niemals wieder zum Vorscheine kam.

Amyntas und Amaryllis führten ein langes und glückseliges Leben, und beherrschten die arkadischen Thäler. Ihre Nachkommen find sehr alt geworden; und haben in 2000 Jahren nur viere derselben gehabt. Ihr erster Erbe hieß Theokritus; der seine Herrschaft dem Virgil überließ. Diesem folgte sein Sohn Spencer; und Spencern folgte sein åltester Sohn Philipps.

Ich habe oben im 16 §. vergessen, unter den Verfassern lateinischer Eklogen den Pet.Lorichius,und den Joh.Stige. lius zu nennen: die doch gewiß gelesen zu werden verdienen; ob sie gleich in Elegien noch stärker gewesen sind.

Des

Des I. Abschnitts X. Hauptstück. VonTragödien,oder Trauerspielen.

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1. §.

ierzeiten die ganze Poesie mit der Musik vereinba ret gewesen: also hat auch die Tragödie ihren Ur sprung aus gewiffen Liedern, die dem Bacchus zu Ehren gesungen worden. Es traten an Festtagen etliche Sänger zusammen, die ein ganzes Chor ausmachten, diese fpielten, tanzten und fungen nach Art der heidnischen Reli gion, dem Weingotte dadurch seinen Gottesdienst zu leisten. Wie sie aber gemeiniglich, sowohl als die Zuhörer, ein Rauschchen hatten: also waren auch ihre Lieder so ernsthaft nicht; sondern es liefen allerley Possen mit unter. Jemehr man sich in solchen Gesängen übte, und je weiter mans darinn brachte: desto lieber hörte man auch solchen Sängern zu. Daher kam es nun, daß sich ihre Zahl vermehrte; und daß es eine Rotte der andern zuvor zu thun suchte. Sie giengen wohl gar einen Wettstreit darüber ein, und der Preis war nach der alten Art schon groß genug, wenn man dem besten Sånger einen Bock zum Gewinnste zuerkannte. Ein Bock heißt auf griechisch Teayos, und ein Lied wền; daher kömmt das Wort Tragödie, ein Bocklied: wie solches theils Aristoteles in seiner Poetik, theils Horaz in seiner Dichtkunst bezeuget, wenn er den Thespis so beschreibt:

Carmine qui tragico vilem certavit ob Hircum.

2.§. Man ward aber des beständigen Singens mit der Zeit überbrüßig, und sehnte sich nach einer Veränderung. Thespis, der mit seinen Sängern in Griechenland von einem Orte zum andern herumzog, erdachte etwas neues; als er die Lieber in Theile abfonderte, und zwischen zweyen und zweyen allemal eine Person auftreten ließ, die etwas ungesungen erzäh

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erzählen mußte. Mehrerer Bequemlichkeit halber machte er seinen Wagen zur Schaubühne; indem er Breter darüber legte, und seine Leute droben fingen und spielen ließ: damit sie desto besser zu sehen und zu hören seyn möchten. Damit man aber dieselben nicht erkennen könnte: so salbte er ihnen die Gesichter mit Hefen, welche ihnen anstatt der Larven dienen mußten. Um dieser Veränderung halber wird Thespis für den Erfinder der Tragödie gehalten.

Ignotum tragicæ genus inveniffe Camœnæ

Dicitur, & plauftris vexiffe Poemata Thefpis:
Quæ canerent agerentque peruncti facibus ora.
Allein das war in der That noch ein schlechter Anfang dazu.
Aeschylus, ein neuerer Poet, sah wohl, daß auch die Erzäh-
lungen einzelner Personen, die man zwischen die lieder ein-
schaltete, noch nicht so angenehm wären; als wenn ein paar
Personen mit einander sprächen: darinn sich mehr Mannig
faltigkeit und Veränderung würde anbringen lassen. Und da
ihm solches nach Wunsche ausschlug; so dachte er auch auf
mehrere Zierrathe seiner Tragödien. Er erfand die Larven,
gab seinen Leuten ehrbare Kleidungen, und bauete sich eine
bessere Schaubühne: ja, welches das merkwürdigste war, so
machte Aeschylus, daß die Gespräche seiner auftretenden
Personen mit einander zusammen hingen. Kurz, er erfand
zuerst die Idee der Hauptperson in einem solchen Spiele:
welches vorher nur ein verwirrtes Wesen, ohne Verknüpfung
und Ordnung, gewesen war. Das bezeuget abermal Arifto.
teles im IV. Capitel seiner Poetik, und oraz in folgen.
den Worten:

Poft hunc perfonæ & pallæ repertor honeste
Aeschylus, & modicis inftravit pulpita tignis,
Et docuit magnumque loqui, nitique cothurno.

3. S. Dieser lehte Vers zeigt noch an, daß man auch um diese Zeit die erhabene Schreibart in die Tragödie eingeführet habe: denn vorher war ihr Vortrag voller Zoten und gemeinen Possen gewesen; so, wie auch ihr Inhalt ganz

fatirisch

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satirisch war. Die Poeten hatten sich hierinn nach den Zuschauern gerichtet, die in ihrer ersten Grobheit an etwas ernsthaftem noch keinen Geschmack finden konnten; sondern nur allezeit lachen wollten. Allmählich aber fanden sich auch verständigere Zuschauer, die an den gewöhnlichen Fraßen ein Misfallen hatten, und lieber etwas kluges sehen wollten. Sophokles brachte die Schaubühne noch zu größerer Vollfommenelt. Er stellte anstatt der vorigen zwo Personen; nach Gelegenheit, auch wohl drey zugleich auf, die mit ein ander sprechen mußten, und erfand noch bessere Verzierun gen für die Bühne; dadurch die Augen der Leute mehr gefüllet wurden. Ja, er richtete auch die Lieder des Chores, die allezeit zwischen jeder Handlung gesungen wurden, so ein, daß sie sich mit zur Tragödie schicken mußten: da sie vorher von ganz andern, mehrentheils lustigen Materien zu handeln pflegten. Euripides erhielt dieses alles in seiner Vollkom menheit, und suchte nur den Inhalt seiner Stücke rührender und philosophischer zu machen; weswegen auch Sokrates sie gern sehen mochte. Vor Alters hatte man die vierfüßigen jam. bischen Verse, die sehr bequem zum Singen waren, und, so zu reden, recht zum Sprunge giengen, gebraucht; nachmals aber wurden die sechsfüßigen jambischen eingeführt: eben so, wie es bey uns Deutschen gegangen, wo man vor Opigen lauter vierfüßige Verse zu Schauspielen gebraucht hat, wie aus Hans Sachsen und andern zu ersehen ist.

4. §. Aus dem allen erhellet nun wohl zur Gnüge: daß die Tragödie in ihrem Ursprunge ganz was anders gewesen ist, als was sie hernach geworden. Aus den abgeschmacktesten Liedern besoffener Bauern, ist das ernsthafteste und beweg lichste Stück entstanden, welches die ganze Poesie aufzu weisen hat. Was vorhin ein Nebenwerk war, und von den Griechen Episodium genennet wurde, nämlich die eingeschal. teten Erzählungen und Gespräche, zwischen den Liedern; das ist hernach das Hauptwerk geworden. Kurz, das vorige satirische Scherzen hat sich in ein recht prächtiges und lehr reiches Wesen verwandelt. Da sich nun die ansehnlichsten

Leute

Leute nicht mehr schämen dorften, Zuschauer solcher Schauspiele abzugeben: so wurden die Athenienser dergestalt darauf erpicht, daß sie sich fast eine Schuldigkeit daraus machten, die Tragödien zu besuchen. Ja, weil sich die Poeten in allen Stücken der Religion bequemeten, und die vortrefflichsten Sittenlehren und Tugendsprüche darinn häufig einstreucten: so ward diese Art von Schauspielen eine Art des Gottesdienstes; die auch in der That für das Volk viel erbaulicher war, als alle Opfer und übrigen Ceremonien des Heidenthumes. Dazu trug nun hauptsächlich der Chor viel bey, der allezeit in seinen Liedern solche moralische Betrachtungen, Gebethe und Lobgefänge anstimmete, die sich zu der unmittel bar vorhergehenden Handlung schicketen. Diese lernte man damals gar auswendig, und pflegte sie im gemeinen Leben bey Gelegenheit, als Lehrfäße und Denksprüche anzubringen; so, wie wir iho die Schrift, und unsere geistliche Lieder anzuziehen pflegen.

5. §. Bey den Griechen war also, selbst nach Aristotels Urtheile, die Tragödie zu ihrer Vollkommenheit gebracht. Sie konnte in diesem ihrem Zustande gar wohl ein Trauerspiel heißen: weil sie zu ihrer Absicht hatte, durch die Unglücksfälle der Großen, Traurigkeit, Schrecken, Mitleiden und Bewunderung bey den Zuschauern zu erwecken. Aristoteles beschreibt sie derowegen, als eine Nachahmung einer Handlung, dadurch sich eine vornehme Person harte und unvermuthete Unglücksfälle zuzieht. Der Poet will also durch die Fabeln Wahrheiten lehren, und die Zuschauer, durch den Anblick solcher schweren Fälle der Großen dieser Welt, zu ihren eigenen Trübsalen vorbereiten. 3. E. Oedipus, eins der berühmtesten Trauerspiele des Sophokles, stellt das klägliche Ende vor, welches dieser thebanische König um seiner abscheulichen Thaten halber, genommen; wiewohl er fast ohne seine Schuld darein gefallen war. Und das will eben Aristoreles haben, wenn er faget: die Helden einer Tragödie müßten weder recht schlimm, noch recht gut seyn: nicht recht schlimm, weil man sonst mit ihrem Unglücke kein Mitleiden haben, sondern

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