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wiesen werden. Er berufft sich immer auf die arkadi. fchen Hirten, als auf gute Poeten, die ihre Musik vom Pan gefasset hätten. Es müssen doch also unter den dama ligen Schäfern mancherley Lieder im Schwange gegangen feyn, die zum Theile sehr alt gewesen seyn mögen. Haben fie so schön und so zierlich nicht ausgesehen, als Theokrics Gedichte, so ist es kein Wunder. Die Natur allein war ihre Lehrmeisterinn gewesen, und die Kunst mochte noch keinen Theil daran gehabt haben. Theokritus hat beydes zu vereinigen gesucht, und also feine Vorgänger weit übertroffen.

3. §. Will man nun wissen, worinn das rechte Wesen eines guten Schäfergedichtes besteht; so kann ichs kürzlich fagen in der Nachahmung des unschuldigen, ruhigen und ungekunstelten Schäferlebens, welches vorzeiten in der Welt geführet worden. Poetisch würde ich sagen, es sen eine Abschilderung des güldenen Weltalters; auf christliche Art zu .reden aber eine Vorstellung des Standes der Unschuld, 1oder doch wenigstens der patriarchalischen Zeit, vor und nach der Sündfluth. Aus dieser Beschreibung kann ein jeder leicht wahrnehmen, was für ein herrliches Feld zu schönen Beschreibungen eines tugendhaften und glücklichen Lebens fich hier einem Poeten zeiget. Denn die Wahrheit zu sagen, der heutige Schäferstand, zumal in unserm Vaterlan de, ist derjenige nicht, den man in Schäfergedichten ab schildern muß. Er hat viel zu wenig Annehmlichkeiten, als daß er uns recht gefallen könnte. Unsere Landleute sind mehrentheils armselige, gedrückte und geplagte Leute. Sie find selten die Befiher ihrer Heerden; und wenn sie es gleich find: so werden ihnen doch so viel Steuren nnd Abgaben auferlegt, daß sie bey aller ihrer fauren Arbeit kaum ihr Brod haben. Zudem herrschen unter ihnen schon so viel Laster, daß man sie nicht mehr als Muster der Tugend aufführen kann. Es müssen ganz andere Schäfer seyn, die ein Poet abschildern, und deren Lebensart er in seinen Gedich ten nachahmen soll. Wir wollen dieselben etwas näher be trachten. 4. S.

4. §. Man stelle sich die Welt in ihrer ersten Unschuld vor. Ein freyes Volk, welches von keinen Königen und Fürsten weis, wohnet in einem warmen und fetten Lande, welches an allem einen Ueberfluß hat; und nicht nur Gras, Kräuter und Bäume, sondern auch die schönsten Früchte von sich selbst hervorbringet. Von schwerer Arbeit weis man daselbst eben so wenig, als von Drangsalen und Kries gen. Ein jeder Hausvater ist sein eigener König und Herr'; seine Kinder und Knechte sind seine Unterthanen, seine Nachbaren sind seine Bundesgenossen und Freunde; seine Heerden sind sein Reichthum, und zu Feinden hat er sonst niemanden, als die wilden Thiere, die seinem Viehe zuweilen Schaden thun wollen. Eine hölzerne Hütte, oder wohl gar ein Strohdach, ist ihm ein Pallast, ein grüner Lustwald sein Garten, eine kühle Höhle sein Keller, eine Lauberhütte fein Sommerhaus: Pelz und Wolle und ein Strohhut sind feine Kleidung; Milch und Käse sind seine Nahrung; die Feld und Gartenfrüchte seine Leckerbissen; ein hölzerner Bächer, ein Korb, eine Flasche, ein Schäferstab und seine Hirtentasche sein ganzer Hausrath. Sein Hund ist sein Wächter, eine Blume sein Schmuck und seine Erquickung, die Musik aber sein befter Zeitvertreib.

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5. §. Im Absehen auf den Verstand, sind diese glückfeligen Schäfer zwar einfältig, aber nicht dummm. Sie fonnen nach ihrer Art mancherley Künste, sie flechten schöne Körbe und künstliche Hüte, sie schälen bunte Stäbe, fie schnigen Figuren und Bilder auf ihre Flaschen und Bächer, fie winden Blumenkränze, und pflanzen Bäume. Gelehrt find sie zwar nicht: doch wissen sie aus den Erzählungen ihrer Vorfahren, von einigen alten Geschichten; und aus dem Unterrichte der flügsten unter ihnen, von einigen Geheimnissen der Natur, von dem Laufe der Geftirne u. d. m. doch allezeit mit einer gewissen Einfalt, zu reden. Sie haben einen gewissen natürlichen Wiß, aber keine gefünftelte Scharffinnigkeit, Sie machen auch Vernunftschlüsse, aber von metaphysischen Absonderungen wissen sie nichts. Sie halten

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fich allezeit an das, was sie empfinden, und ihre Unterredungen handeln von dem, was geschieht, was sie geschen oder gehöret haben. Daher lieben sie die Erzählungen, und vertiefen sich, nach Urt einfältiger Leute, zuweilen in besondern Umständen, und solchen Kleinigkeiten, die nicht eben so nỏthig zu wissen wären.

6. §. Ihren Willen anlangend, haben sie zwar, als Menschen, Affecten; aber keine unordentliche und ausfchweifende Begierden, dadurch sie einander beleidigen könnten. Der Geiz und Ehrgeiz verleitet sie zu keiner Ungerechtigkeit; und man weis bey ihnen weder von Schimpfworten noch von Schlägereyen zu sagen. Ihre Streitigkeiten bestehen darinn, daß sie im Singen oder Spielen, oder in andern Künsten, einander überlegen seyn wollen: und diese werden allezeit durch einen uppartenischen Schiedsmann, den beyde Parteyen zum Richter erwählen, entschieden. Sie scherzen mit einander, aber ohne Zoten zu reißen: denn die Ehrbarkeit ist bey ihnen zu Hause. Ihr Handel besteht im Tauschen; und ob sie wohl zuweilen durch eine kleine Lift einander hintergehen, so geschieht es doch nur zur Kurzweil: denn der Betrug ist ihnen so abscheulich, als das Stehlen und Rauben. Ihr Umgang ist von aller Grobheit so weit, als von allen Complimenten und von der Falschheit, entfernet. Sie sind offenherzig, aber bescheiden; frengebig, aber nicht verschwenderisch; sparsam, aber nicht karg; ehrliebend, aber nicht stolz. Endlich sind sie auch måßig und nüchtern, und mit einem Worte, ganz tugendhaft und vergnügt.

7. §. Ich habe noch nichts von der Liebe gedacht, weil dieses eine besondere Beschreibung verdienet. Diese Leidenfchaft herrschet am meisten unter ihnen, aber auf eine unfchuldige Weise. Sie ist die einzige Quelle ihres größten Vergnügens, aber auch ihrer größten Unruhe. Ihre Muße auf den Fluren und bey ihren Heerden, läßt ihnen Zeit genug, zu verliebten Gedanken und Unterredungen: aber ihre Einfalt verbeut ihnen alle gar zu künstliche Mittel, zu ihrem Zwecke zu gelangen. Ihre guten Eigenschaften ma

chen

chen sie liebenswürdig, und ihre Liebeserklärungen geschehen mehr durch schamhafte Blicke, als durch viel zärtliche Worte. Ihre Geschenke bestehen aus Blumen und Früchten, jungen Lammern und schönen Hunden, künstlichen Hüten, Bächern und Stäben. Sie pußen sich, aber nach ihrer Einfalt, die von Seide, Gold und Silber nichts weis. Sie sind eiferfüchtig und empfindlich; aber auch leicht zu besänftigen. Sie beklagen fich über die Unempfindlichkeit ihrer Schönen; henken sich aber deswegen nicht auf. Sie sind sehr treu in ih rer Liebe, und man weis bey ihnen von keinem größern Lafter, als von der Unbeständigkeit. Ihre Nebenbuhler suchen sie durch neue Gefälligkeiten, nicht aber durch Rachgier und Gewalt zu überwinden. Kurz, die unschuldige Schäferliebe muß von allen Eastern frey seyn, die sich durch die Bosheit der Menschen allmählich eingeschlichen haben.

8. S. Ich zweifle nicht, daß ein jeder, der diesen Character der Schäfer recht erweget, gestehen wird: daß Schäfergedichte, die auf diesen Fuß verfertiget worden, eine besondere Anmuth haben müssen. Denn ich habe ihren Abriß mit Bedacht in der größten Vollkommenheit gemacht, ungeachtet noch kein Poet denselben völlig beobachtet hat. Theokritus hat seine Schäfer zuweilen sehr grob und plump abgeschildert; das ist, wie sie etwa zu seiner Zeit waren, nicht wie sie hätten seyn sollen: zuweilen aber machte er sie gar zu finnreich. Sie zanken sich bisweilen auf eine recht bäurische Art, und kriegen einander fast darüber bey den Köpfen. Sie beschuldigen einander des Diebstahls und noch wohl årgerer Laster, die unter den Griechen und Römern im Schwange waren; sich aber für unsere feinern poetischen Schäfer nicht schicken. Man sehe des Herrn von Fontenelle Discurs von Schäfergedichten, der bey meiner Uebersehung seiner auserlesenen Schriften befindlich ist: wo man auch vom Bion und Moschus eine gründliche Beurtheilung antreffen wird.

9. S. Virgil, der sich den Theokritus in feinen Joyllen zum Muster genommen, hat zwar seine Hirten viel artí 20 5

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gér gemacht, als ́ jener; doch aber nicht allezeit die rechte Art der Schäfer erreichet. Sie sind nicht alle so tugendhaft und unschuldig, als sie seyn sollten; wie davon der Vers

Novimus et qui te, transverfa tuentibus hircis, etc. zeugen kann. Zuweilen giebt sein Haberrohr einen gar zu hohen Ton, wenn er z. E. die sicilianischen Musen des Theo Fricus anrufft, dem Pollio zu Ehren etwas erhabenets anzustimmen. Er foderte, wie schon gedacht worden, etwas Unmögliches von ihnen: denn sie können auf ihrer Flöte keinen Trompetenklang erzwingen. Gleichwohl prophezeiet er nicht anders, als die kumäische Sybille, von künftigen Zeiten. In der sechsten Ekloge läßt ers sich vom Phōbus erst fagen: Es schicke sich für Hirten nicht, von Königen und Helden zu singen:

Cum canerem Reges et prælia, Cynthius aurem
Vellit et admonuit: Paftorem, Tityre, pingues
Pafcere oportet oves.

Gleichwohl läßt er seinen Silenus, da er ein paar Knaben, nebst der schönen Najade, Aegle, vom Schlafe aufgewecket, die ganze epikurische Lehre vom Ursprunge der Welt hersin. gen: welches ihm so wenig anstund, als von Kriegen und Helden Lieder zu machen. Es herrscht auch in der ganzen Ekloge eine solche Verwirrung der Sachen und Zeiten, daß man nicht weis, wo man ist. Nach den philosophischen Meynungen Epikurs, kömmt die Fabel von der Pasiphae und den Schwestern Phaetons, die gar nicht dahin gehörete. Mitten darunter steht Cornelius Gallus, der zu Virgils Zeiten lebte; und darauf kommt wiederum die Fabel von der Scylla und Charybdis, imgleichen von der PhiTomele. Alles das singt Silenus, von welchem der Poet vorhin erzählte, daß er vorigen Tag einen Rausch gehabt. Es könnte, wie Fontenelle scherzet, nach dem iztbeschriebeben Inhalte feines Gefanges; leicht seyn, daß er etwas zu frühe aufgewecket worden. Wir haben eine feine Ueberse

Bung

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