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Poesien abhandeln könne. Wer ein Freund einer so frengen Lehrart ist, wo man nichts unerklärt und unerwiesen annimmt; der muß solche poetische Abhandlungen nicht lesen. Die Poeten bescheiden sichs auch gar leicht, daß sie keine geometrische Methode in Ausführung ihrer Materien beobachten. Das würde sehr trockne Verse und einen schläfrizen Vortrag geben. Die tiefsinnigsten philosophischen Geister mögen sich also nur an ihre ordentliche prosaische Schreibart halten. Wenn sich die Poeten in ihre Wissenschaften mengen, so thun sie es bloß, den mittelmäßigen Köpfen zu gefallen, die nur einiger maßen etwas davon wissen wollen; und sich um den höchsten Grad der Gründlichkeit nicht be= fümmern. Diese machen allezeit den größten Theil ves menschlichen Geschlechts aus: und da ist es genug, wenn man ihnen nur nichts Falsches sagt; die Wahrheit in solcher Ordnung vorträgt, daß man sie ziemlich verstehen und ihren Zusammenhang wenigftens klar einsehen könne; dabey aber alles mit Zierrathen einer poetischen Schreibart so lebhaft und sinnreich ausbildet, daß man es mit Luft und Vers gnügen lefen könne. Da nun auch die bittersten Wahrheiten,' sonderlich in moralischen Sachen, auf solche Urt gleich sam verzuckert und übergüldet werden: so sieht man wohl, daß es nicht undienlich sey, dergleichen Schriften zu verfertigen; und also Erkenntniß und Tugend der Welt gleichsam spielend benzubringen.

12. S. Es versteht sich aber von sich selbst, daß ein solch dogmatisches Gedicht entweder den ganzen Inbegriff einer Kunst oder Wissenschaft, oder nur einzelne dahin gehörige Materien abhandeln könne. Jenes haben die meisten obberührten Alten; dieses aber hat unser Opitz gethan. Vida hat die ganze Poesie in III. Büchern; imgleichen den Seidenwurm und das Schachspiel; Ulrich von Hutten aber nur die lateinische Verskunst allein beschrieben. In beyden Fällen sehet man zum Grunde, daß der Poet die Sache wohl verstehe, und sich nicht unterfange, etwas auszuführen, dem er nicht gewachsen ist. Denn hier gilt auch insonderheit, was Horaz von allen Poeten fodert. Crit. Dichtk.

Sumi

Sumite materiam, veftris qui fcribitis aequam.
Viribus, et verfate diu, quid ferre recufent,
Quid valeant humeri.

Denn fich in Dingen, die man nicht versteht, zum Lehrer aufzuwerfen, das würde in der Poesie eben so schädlich seyn, als anderwärts. Die Wahrheit und Tugend muß, wie allezeit, also auch hier, der einzige Augenmerk eines Poeten seyn: und es wäre zu wünschen, daß Ovidius philosophisch genug gesinnet gewesen wäre, so würde er seine Kunst zu lieben nicht geschrieben haben. Diese seine Schrift gehört sonst auch hieher, und er hat sich darinn bemüht, eine ohne dem gar zu liebliche Sache durch seine angenehme Schreib. art noch beliebter zu machen; das ist, ein schädliches Gift zu überzuckern. Er scheint, solches nach der Zeit selbst bereuet zu haben, da er auf eben die Art remedia amoris geschrieben, die gewiß mit so vielem Nugen, als Vergnügen gelesen werden können.

13. §. Viel vernünftiger hat unser Opitz in seinen dogmatischen Poesien gehandelt. Er zeiget überall eine philosophische Stärke der Vernunft, einen großen Eifer für alles Gute, ein gefeßtes männliches Herz, das die Eitelkeit der menschlichen Dinge verachtet, und den hohen Adel der Weisheit und Tugend allein hochschäßet. Sonderlich wären sein Dielgur, Zlatna und die vier Bücher der Trostgedichte werth, daß sie der Jugend beyzeiten in die Hände gegeben, erklåret, und von derselben von Wort zu Wort auswendig gelernet würden. Dieses würde derfelben mehr edle Grundfäße der Tugend und Sittenlehre geben, als die lateinischen Sprüchelchen, die sie mehrentheils ohne Verstand herbethen lernt, Und långer nicht bewahrt,

Als bis der kluge Sohn nach Papageyenart,

Sie zu der Weltern Troft, dem Lehrer nachgesprochen.

Die alten Griechen hieltens mit ihrem Homer fo; und ich weis nicht, warum wir gegen den Vater unsrer Poeten noch so undankbar sind: da doch seine oberwähnten Gedichte

mehr

mehr güldene Lehren in sich faffen, als die ganze Ilias und Odyssee.

14. §. Ob man in dieser Gattung von Gedichten die Mufen, oder sonst eine Gottheit, um ihren Benstand anrufen Fönne, so ist im V. Capitel des I. Theils bereits gewiesen worden. Vom Lucretius ist bekannt, daß er die Venus angetufen, weil sie der Erzeugung der Dinge vorsteht. Virgil, in seinen Büchern vom Feldbaue, ruft ein ganzes Dußend Götter an, die beym Feldbaue was zu thun haben. Opis ruft in seinem Vesuvius die Natur an, weil er von natürlichen Wundern schreiben will:

Natur, von deren Kraft Luft, Welt und Himmel sind,
Des höchsten Meisterrecht, und erstgebohrnes Kind,
Du Schwester aller Zeit, du Mutter aller Dinge,
Göttinn! gönne mir, daß mein Gemüthe dringe
In deiner Werke Reich, und etwas sagen magi
Davon kein deutscher Mund noch bis auf diesen Tag
Poetisch hat geredt.

Håtte er es nun daben bewenden lassen, so wåre es gut ge wesen: aber er fährt fort, und ruft auch den Apollo nebst af. len Musen herben, die doch bey dieser Materie vom Vesu vius nichts zu sagen haben:

Ich will mit Wahrheit schreiben,
Warum Vesuvius fann Steine von sich treiben, ..
Woher sein Brennen rührt, und was es etwa sey,
Davon die Glut sich nährt. Apollo, komm herbey!
Mit deiner Musenschaar; laß ihre Hand mich leiten
Auf dieser neuen Bahn: so will ich sicher schreiten,
Wohin mein Geist mich trägt.

Indessen wenn man ihn entschuldigen will, so darf man nur sagen: daß gleichwohl die Form des ganzen Werkes poetisch fen, und also des Beystandes der Musen nicht entbehren könne. In seinem Dielgur macht er seine Anrufung gerade zu Gott selbst: ****

So komm, höchstes Gut! du Ursprung guter Sachen,
Des Bösen ärgster Feind, erwecke mir Verstand;

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Bers

Verleihe kecken Muth, und schärfe meine Hand,

Zu dringen durch den Neid des Volkes auf der Erden,
Das sonst mit seiner Schaar mein Meister möchte werden,
Und Wahrheit kaum verträgt.

Eben das hat er in den Büchern der Trostgedichte gethan, wo er sich den heiligen Geist, als den höchsten Trost der Welt zum Helfer und Beystande erbittet. Wie nun hieran nichts auszusehen ist: also ist es auch nicht allzeit nöthig, ders gleichen Anrufung zu machen. Horaz und Boileau haben in ihrer Dichtkunst keine gemacht. Opitz in seinem Buche von der Ruhe des Gemüths, thut es auch nicht; ob es gleich eben so groß ist, als eins von den vorhergehenden.

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15. §. Was für Verse man zu solchen dogmatischen Gedichten brauchen solle, das können die Erempel der Alten und Neuern lehren. Jene haben die Herameter für geschickt dazu ́gehalten, und Opitz hat die langen jambi, schen dazu bequem gefunden. Und in der That schicken sich zzu einem langen Lehrbuche keine kurze Verse. Corneille hat dieses wohl gewußt, daher hat er den Thomas von Rem pis durchgehends in einerley zwölf - und dreyzehnfylbigte Verse, nicht aber in andere Arten derselben gebracht. Auch Philander von der Linde hat das lange geistliche Ges dicht Sam. Slaters, welches ein Gespräch der Seele mit dem Glauben vorstellt, in keine andere Art von Versen überseßt. Und es wäre zu wünschen, daß man solches in der deutschen Ueberlegung des Thomas von Rempis auch gethan hätte: da hingegen die eine, die wir davon has ben, bald aus Elegien, bald aus heroischen, bald aus trochäischen Versen besteht; die andere aber, die nicht längst heraus gekommen, gar wie ein Gesangbuch aussieht. Wenn jemand Zeit und Lust hätte, ein solches dogmatisches Werk in unfre Sprache zu übersehen, der dürfte nur den Palingenius dazu wählen, welcher in dieser Classe gewiß eins von ben schönsten und erbaulichsten Büchern ist, die ich je gelefen habe.

Des

Des I. Abschnitts IX. Hauptstück. Von Idyllen oder Schäfergedichten.

I. S.

an kann gewissermaßen sagen, daß diese Gattung von Gedichten die allerålteste sey. Denn ob ich wohl in

M

dem Capitel von Oden, im Absehen auf dieselben eben das behauptet habe: so widerspreche ich mir doch nicht, wenn ich sage, daß die allerersten Lieder, Schäferlieder oder Hirtengedichte gewesen. Die ersten Einwohner der Welt nährten sich bloß von der Viehzucht, Der Ackerbau, die Jagd, der Fischfang und das Weinpflanzen sind viel spåter erfunden und in Schwang gebracht worden. Die Kauf mannschaft und alle andere Künste sind noch viel jůnger. Da nun die Erfindung der Poesie mit den ersten Menschen gleich alt ist, so find die ersten Poeten, oder Liederdichter, Schäfer oder Hirten gewesen. Ohne Zweifel haben sie ihre Gesänge nach ihrem Character, und nach ihrer Lebensart eingerichtet: folglich sind ihre Gedichte Schäfergedichte gewesen.

Die

2. §. Ich will damit nicht behaupten, daß die ålteften Gedichte, die wir noch übrig haben, Schäfergedichte wåren. Nein, was wir vom Theokritus, Bion und Moschus in dieser Art haben, das ist sehr neu. allerersten Poesien sind nicht bis auf unfre Zeiten gekominen : ja sie haben nicht können so lange erhalten werden; weil fie niemals aufgeschrieben worden. Was nur im Gedächtnisse behalten und mündlich fortgepflanzet wird, das kann gar zu leicht verloren gehen. Daß aber vor Theokrits Zeiten wirklich Schäfergedichte müssen gemacht worden seyn, das kann aus seinen eigenen Idyllen ers wiesen

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