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Verse nicht auf die unrechten Personen deute; welches sonst gemeiniglich geschieht. Zum 2) fürchten sich die Lasterhaf ten desto mehr: denn

Enfe velut ftricto, quoties Lucilius ardens

Infremuit, rubet auditor, cui frigida mens eft
Criminibus; tacita fudant præcordia culpa.
Inde iræ, et lacrime.

Zum 3) aber ist es für den Poeten mehrentheils gar zu gefährlich, sonderlich, wenn es vornehme Leute sind. Nun hat man zwar einen Kunstgriff erfunden, unter erdichteten Namen, die kein Mensch hat, das laster zu beschreiben. Wiewohl, diesem gedachten Uebel vorzubeugen, ist auch dann kein Mittel, wenn man gleich erdichtete Namen braucht. Je größer nämlich die Personen sind, desto bekannter sind auch ihre Fehler, und man erkennet also die Abbildung der seiben, auch ohne Namen schon. Die Engländer bedienen sich der Art, den ersten und leßten Buchstaben, ja wohl gan ze Sylben davon auszudrucken, und den Zwischenraum mit ein paar Strichen auszufüllen. Denn nach ihren Gefeßen find sie nicht eher straffällig, als bis sie den ganzen Namen des sen, den sie durchziehen, hingesehet haben. Man mag es aber machen, wie man will; so ist der Unwillen der Getroffenen nicht zu vermeiden: und wer diesen nicht erdulden kann, der muß sich entweder mit keiner Satire ans Licht wagen; oder doch nur solche Laster beschreiben, die kein Mensch be geht, das heißt, eine vergebliche Arbeit thun.

13. §. Die Art von Verfen, die man zu Satiren brauchet, ist bey uns die lange jambische, mit ungetrennten Reimen. Diese kömmt den griechischen Jamben näher, als die lateinischen alexandrinischen Verse der Lateiner. Wir haben auch nur den einzigen Harpar von Ranigen, und irgend ein Paar von Günthers Satiren, die in verschränkten Reimen, nach Art der Elegien, gemacht sind. Die satirische Schreib. art aber, welche die natürlichste und ungezwungenste von der

Welt

Welt seyn muß, wie Horaz vielmals erinnert hat, erfodert eine gewisse Freyheit, die sich für jene Art am allerbesten, für diese aber gar nicht schicket. Nun haben zwar einige auch satirische Oden gemacht, deren verschiedene in den hormanns waldauischen Gedichten, und in der Poeste der Niedersachsen stehen. Horaz selbst hat die Muster dazu gegeben, und darinnen der Gewohnheit der ältesten Griechen, sonderlich in den Chören der alten Komödie; imgleichen der fescenninis schen Lieder bey den Lateinern nachgeahmet. Auch vom Rönig Laber, berichtet Aventin, daß er gebothen, des Abends, bey angezündeten Lichtern, satirische Lieder auf die Lasterhaften zu singen. Warum sollte es denn einem heuti 'gen Dichter verbothen seyn? Allein, ein Handwerk daraus zu machen, will ich keinem rathen.

14. §. Ich kann nicht umhin, auch hier, wie schon etli chemal geschehen, des Boileau Gedanken von der Satire anzuführen: dem so wohl der Herr von Valincourt, in einer Rede, so er nach dessen Tode in der französischen Akademie gehalten; als der Herr Des Maizeaup in der Lebensbeschreibung desselben das Zeugniß gegeben, daß ihn sein rechtschaffenes, tugendhaftes und ehrliebendes Gemüth zum Satirenschreiber gemachet habe. Er beschreibt uns auch die Satire nicht anders:

L'Ardeur de fe montrer, et non pas de medire,
Arma la Verité du Vers de la Satire.

Lucile le premier ofa la faire voir,

Aux Vices des Romains prefenta le Miroir,
Vangea l' humble Vertu de la Richeffe altiere,
Et l'honnête Homme à pied, du Faquin en Litiere.
Horace à cette Aigreur mêla fon Enjoûment,
On ne fut plus ni Fat ni Sot impunement.

Et Malheur à tout Nom, qui propre à la Cenfure,
Put entrer dans un Vers,

fans rompre la Mesure.

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Perfe en fes Vers obfcurs, mais ferrés et preffans, Affecta d'enfermer moins de Mots, que de Sens.

De ces Maitres favans Difciple ingenieux,
Regnier feul parmi nous formé fur leurs Modelles,
Dans fon vieux Stile encor a des graces
nouvelles.
Heureux! fi fes Difcours craints du chafte Lecteur,
Ne fe fentoient des Lieux où frequentoit l'Auteur;
Et fi du Son hardi de fes Rimes cyniques
Il n'allarmoit fouvent les Oreilles pudiques.

Le Latin dans les Mots brave l'Honnetteté,
Mais le Lecteur françois veut étre respecté.
Le moindre Sens inpur la Liberté l'outrage,
Si la pudeur des Mots n'en adoucit l'Image.
Je veux dans la Satire un Efprit de Candeur,
Et fuis un Effronté qui préche la Pudeur.

D.i. Die Begierde, sich sehen zu lassen, und nicht zu lästern, bewaffnete die Wahrheit mit den satirischen Versen. Lucil war der erste, der sich erkühnte, sie zu zeigen. Er hielt den Lastern der Römer einen Spiegel vor, und rachete die demüthige Tugend an dem stolzen Laster; den ehrlichen Mann zu Fuße, an dem Gecken in der Sånfte. Horaz mischte in diese Bitterkeit sein lustiges Wesen. Keiner konnte mehr ungestraft ein Thor oder ein Narr seyn; und wehe jedem Namen, welcher, da er eines Tadels fähig war, sich in den Vers schickte, ohne das Sylbenmaaß zu stören.

Und nachdem er dergestalt noch den Perfius, Juvenal und Regnier beschrieben, bezeigt er seinen Ekel und Abscheu vor den unzüchtigen Ausdrückungen und groben Unflåtereyen derselben:

Wie gut wäre es für ihn (den Regnier) wenn seine Reden, die ein keuscher Leser scheuet, nicht nach den Dertern röchen, die der Urheber besuchte; und wenn er durch seine cynischen Reime, schamhafte Ohren nicht so oft beunruhigen möchte.

Das

Das Latein troket, mit seinen Redensarten, aller Ehrbarkeit: allein heute zu Tage will ein Leser damit geschonet werden. Die allergeringste Unreinigkeit vecleßet ihn mit ihrer Frechheit; wenn nicht die Schamhaftigkeit in Worten, die Vorstellungen mildert. Ich fodre in der Satire einen aufrichtigen Schriftsteller, und fliehe einen Unverschämten, der mir die Schamhaftigkeit prediget.

Diesen Tert kann man bey uns auch Racheln, und sonderlich Günthern lesen, die sich ebenfalls bescheidener håtten verhalten sollen; und denen man also nicht darinn zu folgen, befugt ist. Wer andern ein Sittenlehrer seyn will, der muß selbst nicht durch seine Schreibart zu verstehen geben, daß er lasterhaft ist: sonst wird man von ihm urtheilen, wie Quintilian vom Afranius schreibt: Togatis, excelluit Afranius; utinamque non inquinaffet argumenta, puerorum fœdis amoribus, mores fuos faflus! Lib. X. c. I.

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Des I. Abschnitts VIII. Hauptstück. Von dogmatischen Gedichten.

I. §.

Air haben in dem ersten Hauptstücke des ersten Theils gesehen, daß die Dichter die ältesten Lehrer des

menschlichen Geschlechtes gewesen; und daß also die Dichtkunst die Weltweisheit der rohen Völker abgegeben. Diesen Begriff bestätiget nichts so sehr, als die Betrachtung einer großen Menge von eigentlichen Lehrgedichten, die uns aus dem Alterthumne übrig geblieben; und die uns . Stephas nus, unter dem Titel, Poefis Philofophica, ans Licht ge= stellet. Nun leidet es zwar mein Raum hier nicht, von allen denselben zu reden: allein von den vornehmsten muß ich doch einige Nachricht geben, um die Regeln der dogmatischen Poesie daraus zu ziehen. Dieses wird zugleich deutlich zeigen, daß die Poeten nicht nur das Belustigen, sondern auch ganz eigentlich das Unterrichten ihrer Leser zum Zwecke gehabt:

Aut prodeffe volunt, aut delectare Poeta;

Aut fimul & jucunda, & idonea dicere vitæ.

Aus den fabelhaften Gedichten allein wollen dieses einige Feinde der Dichtkunst, z. E. Le Clerc, noch nicht sattsam einsehen: wie denn dieser in seinen Parrhasianen die Poeten mit geschickten Kegelspielern vergleicht, und nicht begreifen kann, wozu fie einer Republik nüße wären. Siehe in der kritisch. Beytr. VI. B. a. d. 572. u. f. S. meine Ueberseßung, von dieser Abhandlung, nebst den Anmerkungen dazu. Allein aus den eigentlichen Lehrgedichten muß die Sache so deutlich ins Auge fallen, daß die Absicht der Dichter auch das eigentliche Lehren gewesen sey, und seyn könne: wie ich in der lateinischen Abhandlung, die ich vor der leipziger

Aus

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