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42. §. Ein Poet muß aber die Götter nicht ohne Noth in seine Fabeln mischen, wie Horaz ausdrücklich erinnert hat: Nec Deus interfit, nifi dignus vindice nodus

Inciderit.

Homer könnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben, weil seine Götter überall mit dabey sind. Tafso, Marino, und Milcon haben die Engel und Teufel in ihren Gedich ten, anstatt der alten Götter eingeführt. Hat nun Boileau jenen in seiner Dichtkunst deswegen getadelt: so dorfen wir diesen auch nicht schonen, zumal da er es auf eine so unvernünftige Weise gethan hat. In der That ist es weit besser, allegorische Gottheiten zu dichten: als zum Erempel, die Zwietracht, die Politik, die Gottesfurcht und dergleichen, die Boileau in dem Lutrin eingeführet hat; derer zu geschweigen, die im Voltaire auf eben die Art vorkommen. Am besten aber ist es, solche Wesen zu brauchen, die in dem Volke, wo der Dichter lebet, wirklich geglaubet werden. So find die Seelen der Verstorbenen, mit ihren Erscheinungen, sonderlich in Träumen, eine Art der wahr. scheinlichen Maschinen: weil fast alle Völker die Unsterblichkeit der Seelen geglaubet haben; ja auch dafür halten, daß sie nach dem Tode erscheinen können. Kobolde, Bergmännchen, Wassernire, u. d. gl. gehören ins komische Fach. Im übrigen gilt hier eben das, was oben von den menschlichen Charactern gesagt worden.

43. Endlich und zum VII. femmen wir auf den poeti schen Ausdruck, oder auf die Schreibart eines Heldengedich= tes. Wir wissen, daß die Schreibart überhaupt nur ein Vortrag unserer Gedanken ist; und folglich gehen wir hier auch auf die Art zu denken, die in einem Heldengedichte statt findet. Viele bilden sich ein, die Schönheit der Epopee bestehe in schönen Worten und prächtigen Redensarten, in künstlichen Gedanken, in vielen Gegenfäßen, in largen Beschreibungen, in vielen Gleichnissen und hohen Metaphoren, die nicht ein jeder verstehen kann. Ein Ge=

dicht derowegen, das so aussieht, wie Lucan' oder Claudian, das dúnkt ihnen ein Meisterstück zu seyn: Virgil hergegen kömmt ihnen ganz wässerigt und frostig vor. Und wenn man sie fragt, warum sie jene Poeten so lieben? so verweisen sie uns auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung, scharfsinnige Stellen, die sie bewundern. Schreiben sie nun selber etwas, so suchen sie, auch in einzelnen Zeilen, lauter solche gesammlete Blumen und Edelgesteine anzubringen. Ueberall ist was künstliches, was gleißendes, was blendendes: nur überhaupt taugt das ganze Gedicht nichts. Wir haben auch im Deutschen Dichter, die in diesem Vorurtheile stecken, und wohl gar durch ihre ansteckende Exempel junge Leute verführen.

44. S. Das ist nun die Schreibart, die sich für ein Heldengedicht schickt. Der Poet erzählt eine Fabel, seine Leser zu ergeßen, zu lehren und zu beffern: er muß sich also theils in ihren Verstand, theils in ihren Willen schicken. Jenen zu unterrichten, muß er sich einer ungezwungenen, aber doch reinen, deutlichen und zierlichen Art zu erzählen bedienen: wie wir in dem Hauptstücke von der Schreibart gewiesen haben. Den Willen aber zu gewinnen, und die Affecten zu rühren, muß er die pathetische Schreibart ge= brauchen, wenn er nåmlich Leute, die im Affecte sind, redend einführet. Der Poet muß sich selber vergessen, nicht mit seinem Wige stolziren; sondern nur auf seine Fabel, auf feine Personen und ihre Handlungen, auf ihre Wahrscheinlichkeit und anmuthige Nußbarkeit sehen. Er muß es sich nicht anders merken lassen, daß er viel Wig und Scharffinnigkeit befizet; als dadurch, daß er seine Leser in der Aufmerksamkeit erhält, sie von einer Begebenheit auf die andere, von einem Wunder aufs andre, von einer Gemüthsbewegung auf die andre leitet; sie bald nach Troja, bald nach Africa, bald in den Himmel, bald in die Hölle führet. Wer das kann, der wird für das lob der Scharffinnigkeit nicht sorgen dürfen. Wer aber nur auf die Spißfündigkeit in Worten und Redensarten, auf künstliche Ein

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fälle

fälle und anderes Flittergold sieht; der weichet von der Einfalt der Natur ab, darinn ihm Homer und Virgil in ihrer Schreibart vorgegangen sind. Vielweniger muß er auf hochtrabende und übersteigende Ausdrückungen, ungeheure Vergrößerungen, und schwülstige Anspielungen sinnen. Hierina sind sonderlich Marino, Milton, nebst andern von dem Schlage zu tadeln. Taffo selbst, der doch unter seinen Landesleuten noch am vernünftigsten schreibe, ist von dem Voltaire, wegen seiner italienischen Künsteleyen in der Schreibart, mit Grunde getabelt worden. Auch Ranit hat in seiner Satire von der Poesie sein Misfallen über dergleichen poetischen Schwulst zu verstehen gegeben. Und mit ihm möchte man auch über einige heutige Dichter spottend ausruffen:

Ein Deutscher ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht,

(nämlich des schwülstigen Dichters seins.)

Kein Wort kommt vor den Tag, das nicht auf Stelzen geht. Und was wird man also von den übrigen sagen, die lauter Ampullas und fesquipedalia Verba zufammen geraffer, und ihre Gedichte damit ausstaffiret haben? Wer ausführlichere Regeln von dem allen verlanget, der muß den oft angezogenen Tractat vom le Bossù

nachschlagen.

Des

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Des I. Abschnitts V. Hauptstück. Von milesischen Fabeln, Ritterbüchern und Romanen.

I. §.

omer und Hesiodus waren eine lange Zeit in Grie chenland gelesen worden, als sich endlich ein Pherecydes und Herodot hervorthaten, die auch in ungebundener Rede zu schreiben anfiengen. Kaum wurden ihre Schriften recht bekannt, als sie mehrere Nachfolger fanden, die das, was vorhin nur in Verfen geschehen war, auch in Prosa thaten; ich meyne, die auch Fabeln und Gedichte, in einer freyen Schreibart zu Papiere brachten. Es kann seyn, daß sie darinn die Hebråer zu Vorgängern gehabt, die das Buch Esther, das Buch Judith, und das Buch vom Tobias geschrieben haben: welches theils um die Zeiten des Cyrus, theils noch eher, theils etwas später geschehen feyn mag. Dieses sind solche Gedichte, die mit den milesischen Fabeln oder Romanen sehr genau übereinkommen. Denn es liegt überall eine verliebte Geschichte zum Grunde, Die durch allerley geschickte Nebenfabeln wahrscheinlich ge macht, und erweitert wird. Allein da wir nicht versichern können, daß die ersten Erfinder milesischer Fabeln das Phōnizische, oder Hebråische verstanden: so können wir auch nicht sagen, daß sie sich diese jüdische Bücher zu Mustern genommen: es müßten denn die beyden leßtern seyn, die griechisch geschrieben sind. Doch was bedarf es fremder Muster? Homer selbst, giebt in seiner Odyssee, theils durch die Geschichte der Penelope und ihrer Freyer, theils in den Erzahlungen von der Circe, Ralypso und Nausikaa, nur gar zu guten Anlaß, dergleichen Liebesfabeln zu schreiben. Es hat also in klein Aften, einem blühenden und reichen Lande, wo es seit den ältesten Zeiten an wigigen Köpfen nicht ge-`

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fehlet,

fehlet, gar leicht jemand darauf fallen können, solche ausführliche Liebesgeschichte zu schreiben; die entweder ganz, oder doch größtentheils erdichtet waren, und also unstreitig zur Dichtkunst gehören.

2. §. Die Jonier waren vor andern schon ein Volk, welches, weil es im Ueberflusse lebte, zu den Wollüsten geneigt war; als Cyrus den Krösus schlug, und ganz klein Aften eroberte. Die strengen Sieger sahen es gern, daß sie ben dieser Lebensart blieben, damit sie feinen Aufstand von ihnen zu besorgen hätten. Sie ergaben sich also nur immer mehr dem Wohlleben und Schmausen: sie schmückten sich mit Blumen und wohlriechenden Salben, sie bauten prächtig, und erfanden neue Zeuge zu Kleidungen und Teppichen ; die von ihnen weit und breit verführet wurden. Sie erfanden duch uppige Tänze, wodurch die Jugend weichlich und wollustig gemachet ward. Daher befahl Cyrus auf des Krösus Rath, daß die streitbaren Lydier, ihre Nachbarn, ihre Kinder auf Jonisch sollten erziehen lassen; das ist, sie zu Tänzern, Sängern und Spielleuten machen sollten, wodurch sie unfehlbar zur Wolluft und Heppigkeit gelangen würden. Dieß geschah: und so wurden die Lydier weichlich und weibisch. Man ließ sie als Gaukler und Tänzer nach Griechenland, Hetrurien und Rom kommen, und auf öffentlichen Schaubühnen sich zeigen: ja die Römer nannten von ihnen die Spiele Ludos. Doch die Milesier übertrafen in allen diesen Künsten ihre übrigen Landsleute noch: und sie waren die ersten, die auch solche verliebte Fabeln zu schreiben begunnten. Daher bekamen sie denn von ihnen den Namen der milesischen: obwohl auch die Cyprier und Cilicier, ihre Nachbarn, gewissen Arten derselben ihren Mamen gegeben haben: als welche leßtern wegen ihrer Gabe zum Lügen in Griechenland zum Sprüchworte wurden. Diese milesischen Fabeln nun wurden allgemach sehr frech und geil, ob sie gleich im Anfange ziemlich ehrbar und bescheiden gewesen seyn mochten.

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