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und die See zornig. Der Poet macht es wie die Maler, die ihren Figuren dadurch ein großes Leben zu ertheilen wissen. Die Sachen endlich an sich müssen wunderbar und merkwürdig seyn; davon ebenfalls schon im fünften Hauptstücke gehandelt worden. Eine Erzählung, der alle diese Stücke fehlen, ist kalt und verdrüßlich. II. Muß die Erzählung wahrscheinlich seyn. Oft ist die Wahrheit selbst unwahrscheinlich; und oft ist hergegen die Unwahrheit, ja selbst das Unmögliche sehr wahrscheinlich. Der Poet aber will mit feiner Fabel Glauben finden: also muß er lieber wahrscheinliche Dinge erzählen, gesezt, daß sie nicht wahr wären; als die Wahrheit sagen, wenn man sie nicht glauben würde. Doch auch davon habe ich schon im sechsten Hauptstücke gehandelt. III. Muß die poetische Erzählung wunderbar seyn. Die allergemeinsten Sachen sind insgemein die wahrschein lichsten allein diese erwecken keine Bewunderung: das Außerordentliche und Ungewöhnliche thut es weit besser. Das Unmögliche hingegen, oder was wir zum wenigsten allezeit dafür gehalten haben, kann solches gar nicht thun; man mag es uns so schön erzählen, wie man will. Es ist also eine große Kunst, das Wahrscheinliche mit dem Wun derbaren geschickt zu verbinden. IV. Muß die epische Erzählung auch beweglich seyn. Eine schläfrige Historie hat keine Anmuth: die lebhafte Schreibart des Poeten, voller Figuren und Affecten, bezaubert und entzücket den Leser dergestalt; daß Horaz die Poeten, welche diese Kunst verstehen, mit den Herenmeistern vergleicht, die ihn erschrecken, besänftigen, und aufbringen können. Und in der That wollen die menschlichen Affecten ohne Unterlaß gerühret seyn: denn eine angenehme Unruhe ist besser, als eine gar zu ein trächtige Stille, worinnen nichts veränderliches vorkommt. Ferner muß V. vie Erzählung auch dramatisch oder wirksam seyn; das ist, es müssen viel redende Personen eingeführt werden. So oft es dem Poeten möglich ist, muß er einen andern seine Rolle spielen lassen; und sich dadurch der Tra gödie, so viel als ihm möglich ist, zu nähern suchen: wie Crit. Dichtk. Ji

dieses

dieses abermal Plato in der oben angezogenen Stelle sehr schön angemerket hat. VI. Endlich muß die Erzählung des Dichters, durch keine Vernunftschlüsse, und zufällige Betrachtungen unterbrochen werden. Es ist ein großer Fehler im Lucan, Ariost und Milton, daß sie unaufhörlich von sich selbst schwaßen, und ganze Seiten lange Gedanken mit einschalten, die niemand von ihnen zu wissen verlanget. Homer und Virgil thun dieses nicht. Sie erzählen in einem fort, und wenn sie ją einmal eine Betrachtung mit einschalten, so geschieht es gemeiniglich nur in einer Zeile. Zum Erempel:

Tantæne animis cæleftibus iræ!

37.S. Es darf aber der Poet in feinen Erzählungen nicht immer der Zeitordnung folgen; sondern auch zuweilen mitten in einer Begebenheit etwas nachholen, was lange zuvor geschehen ist wie es Homer sehr oft, und Virgil mit der Eroberung der Stadt Troja gemacht hat. Auch in unserm. Hermann erzählt der Held beym Könige Marbod, was er in Rom, und bey dem Heere des Drusus gemachet; auch warum er vom Varus abgetreten. Die Länge der Erzählung in einem Heldengedichte kann nicht größzer seyn, als ein halbes Jahr. Homers Ilias dauret nicht länger als 47 Tage, wie Aristoreles selbst angemerket hat. Seine Odyssee währet nur 58 Tage, wie der Pater le Boffii solches nachgezählet hat: und also bedorfen beyde Gedichte noch nicht einmal zween Monate zu ihrer Dauer. Vom Virgil hat man sonst gemeiniglich dafür gehalten, sein Gesicht dauerte ein Jahr und etliche Monate. Allein eben dieser geschickte Kunstrichter hat es sehr wahrscheinlich erwiesen: daß auch die Aeneis nur einen Sommer und einen Herbst in sich begreift; in welcher Zeit Aeneas aus Sicilien nach Africa, von da wieder zurück nach Sicilien, endlich aber nach Italien geschiffet, und durch den Sieg über den Tur, nus zur Ruhe gekommen. Man muß ihn selbst deswegen nachschlagen, um völlig davon überführet zu werden.

38. S. Zum V. fommen wir auf die Charactere der Personen in einem Heldengedichte, die von den Alten die Sitten genennet werden. Man versteht aber nichts anders dadurch, als die ganze Gemüthsart eines Menschen, seine natürliche Neigungen, seine angenommene Gewohnheit, und alles, was daraus entsteht; das sind seine Art zu denken, seine Unternehmungen und Handlungen. Man theilt diese Charactere in gute und schlimme ein; weil sie theils tugendhaft, theils lasterhaft sind. Zuweilen scheint es auch, als ob es eine gleichgültige oder mittlere Art derselben gåbe, die weder gut noch böse sind. Hier muß nun ein Poet die Sittenlehre verstehen, daß er die Tugend vom Laster, und wiederum die Scheintugend von der wahren zu unterscheiden wisse. Man muß hier auch die bloßen Eigenschaften der Menschen, 3. E. die Wissenschaft, Klugheit, Erfahrung, Beredsamkeit, Stärke, Unerschrockenheit u. s. w. mit wahren Tugenden nicht vermischen. Jene kann sowohl ein lasterhafter als ein Tugendhafter besigen; denn sie åndern eigentlich das Herz nicht. Indessen gehören sie doch mit zum Character. Gewisse Tugenden oder Laster zeigen fich nur in gewissen Gelegenheiten; als z. E. die Gnade, das Mitleiden, die Liebe, die Rachgier: andere aber leuchten überall hervor; wie des Achilles Gewaltthätigkeit, des Ulyffes Verschla= genheit, des Aeneas Frömmigkeit. Und diese lestere Gemüthsarten sind eigentlich dasjenige, was man Cha

ractere nennet..

39. §. Alles trågt zur Gemüthsart eines Menschen etwas bey; die Natur und ihr Urheber, das Land, da man gebohren ist, die Weltern und Vorfahren, das Geschlecht und Alter, das Vermögen und der Stand, die Auferziehung, die Zei ten, darinn man lebt, die Glücks- und Unglücksfälle, die Personen, mit denen man umgeht, u. a.m. Dieses alles, sage ich, hilft die Neigungen und Sitten ter Menschen bil den. Wenn also ein Poet die Gemüthsart seiner Helden wahrscheinlich machen will: so muß er aus dergleichen Ursachen dem Leser begreiflich machen, wie und warum dieser

Ji 2

oder

oder jener Held diesen und keinen andern Character gehabt? So hat es Virgil mit dem Aeneas gemacht, wie Boffü nach der Länge erweiset. Wie aber dieses bey den Hauptpersonen nöthig ist; also versteht sichs, daß es nicht bey allen übrigen angeht, die gleichwohl auch ihre Charactere haben müssen wie die Erempel der Dido, des Turnus, des Mezentius, u. d. gl. erweisen. Wenn aber eine Person einmal diesen oder jenen Character bekommen hat, so muß sie dabey bleiben, und niemals dawider handeln.

40. §. Dieses ist nun die große Kunst, die uns Horaz so sorgfältig eingeschärfet hat:

Intererit multum, Davusne loquatur an Heros,
Maturusne fenex, an adhuc florente juventa
Fervidus; an matrona potens, an fedula nutrix;
Mercatorne vagus, cultorne virentis agelli;
Colchus an Affyrius; Thebis nutritus, an Argis.

Und hernach lehrt er ausdrücklich, wie man einen Achilles,
einen Jrion, einen Orestes, eine Medea, eine Ino,
und eine Jo, characterisiren solle. Daher kann man denn,
aus dem einmal bekannten Charactere einer Person, sogleich
wissen, was sie in diesen oder jenen Umständen thun oder
lassen werde. 3. E. Aeneas wird uns in dem ersten Buche
als sehr gottesfürchtig vorgestellt: und hernach reizt ihn Dido,
wider den Befehl Jupiters, in Africa zu.bleiben. Hier
denkt man nun gleich, daß der fromme Held solches nicht
thun werde: und siehe, er thut es auch wirklich nicht; wel-
ches eben die Schönheit wohlbeobachteter Charactere ist.
Ja diefer fromme Character herrschet im ganzen Gedichte,
in allen Umständen, die ihm begegnen. Er selbst bequemet
sich nie der Gemüthsart eines andern; sondern geht unver-
rückt seinen Weg fort: alle andere Personen hergegen müssen
sich oft nach ihm richten. Und dieses ist der Vorzug, den
die Hauptperson einer Fabel vor allen andern Nebenpersonen
haben muß; daß nämlich das ganze Gedicht sich nach seiner

Art

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Art richten, nicht aber hin und her ausschweifen müsse. Claudian in seinem Raptu Proferpinæ, hat diese Regel ganz und gar nicht beobachtet: weil er bald die schrecklichsten, bald die angenehmsten Dinge von der Welt, durcheinander gemischet hat.

41. §. Zum VI. fommen wir auf die Erscheinungen und den Beystand der Götter, welche Dinge man auf der Schaubühne Maschinen zu nennen pflegt. Weit in dem Heldengedichte alles wunderbar klingen soll: so müssen nicht nur gewöhnliche Personen; fondern auch ungewöhnliche darinnen aufgeführt werden. Dieses find nun die Gottheiren und Geister, die der Poet allegorischer Weise dichten, und ihnen eben so wohl, als den Menschen, gewisse Charactere geben muß. So muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die Weisheit, das Verhängniß aber den unveränder tichen Willen Gottes vorstellen, u. f. w. Im zehnten Buche Der Aeneis stellt Virgil in einem Götterrathe auch die Juno, als die Gerechtigkeit, und die Venus, als die liebreiche Barmherzigkeit Gottes vor. Sind diese heidnische GottHeiten bisweilen einander zuwider: so bequemet sich hierinn der Poet unfern schwachen Begriffen, die sich auch die göttlichen Eigenschaften zuweilen als widerwärtig vorstellen. Wollen wir einen Beweis davon, so dörfen wir nur die Furien betrachten, die Jupiter dem Turnus zuschicket. Was glaubten nun die klugen Römer von den Furien? Cicero hat es in einer öffentlichen Rede wider den Piso gesagt: nämlich so viel als nichts. * Kann man nun Homers Götter nicht allezeit auf diese allegorische Art, wegen ihrer Charactere entschuldigen: so kann man doch die Fehler, die er begangen haben möchte, leicht auf die Grobheit seiner Zeiten schieben. Virgil hat schon gefundere Begriffe von der Gottheit haben können, und daher sind auch seine Charactere von den göttlichen Personen viel besser eingerichtet.

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Nolite putare, ut in Scena fuum fcelus, fua audacia de favidetis, homines fceleratos impul- nitate et mente deturbat. Ha fu deorum terreri furiarum redis funt impiorum furie, he flainardentibus. Sua quemque fraus, ma, he faces.

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