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13. §. Die II. Regel sey: man kleide die erwählte Sit tenlehre in eine solche Begebenheit von Pflanzen, Bäumen oder Thieren ein, daß ihre Wahrheit aus dem Erfolge der Begebenheiten selbst erhellet. Man beobachte aber in der Wahl derselben die Natur und Eigenschaft eines jeden sola chen Wesens; daß keines etwas rede und thue, das seiner bekannten Art zuwider läuft. Hieraus nämlich wird die Wahrscheinlichkeit entspringen, ohne welche einer Fabel das Hauptsächlichste fehlet. Ein Thier also, das råuberisch ist, muß als gottlos und ungerecht, ein faules faul, ein frommes fromm, ein geduldiges und schläfriges ebenfalls nach seiner gewohnten Art reden und handeln. So kann man auch von den Pflanzen z. E. eine hohe Tanne, oder Eiche, als stolz über ihren Vorzug vor geringern Bäumen; eine bunte Tulpe, als eitel über ihre Farben; ein Veilchen, als demüthig; eine Lilge, als reinlich und unschuldig; eine Rose," als verliebt u.f.w. vorbilden. Ja alles, was nur den geringsten Anschein der Sitten, oder fittlichen Neigungen ben diesen, und andern leblosen Geschöpfen hat, kann einem Dichter zu einer Fabel Anlaß geben. So hat Stoppe den Stein und den Dornbusch am Wege; imgleichen den Ofen und die Fenster, ferner den Studentendegen und das SolDatenschwert, ihrer Art und Natur nach, sehr gut redend eingeführet. So hat auch la Motte bisweilen die mytho logischen Götter, die Ehre, das Glück, den Tod, die Kunst, und den Reichthum, und andre solche allegorische Wesen sehr glücklich gebrauchet, seine Absichten auszuführen: und viele von unsern Landsleuten sind ihm darinn nicht uneben, oder mit schlechterm Glücke nachgefolget.

14. §. Will man menschliche Erzählungen machen: so haben wir schon eine Menge gesammleter Historien, die sich sehr gut würden lesen lassen, wenn sie von guten Federn in Berse gebracht würden. Vor 200 Jahren ohngefähr hat Kirchhof eine solche Sammlung unter dem Namen Pendunmuch geschrieben, worinn manches Stück wohl werth wäre, poetisch erneuert zu werden. Man müßte nur sowohl

sowohl aus diesem, als aus andern dergleichen Büchern, die besten auslesen, die nicht anstößig, oder schmußig; sondern vielmehr lehrreich wären. Auch in Zinkgråfs apophthegmatischer Sammlung der Deutschen Weisheit, ist manch schönes Stück, das hieher gehöret; ja im gemeinen Leben fallen sehr oft Dinge vor, die einem Dichter schöne Gelegenheit geben, solche in poetische Erzählungen einzukleiden. Ind hier braucht er sich eben nicht gar zu sclavisch an die Wahrheit der Geschichte in allen Umständen zu halten. Er kann damit nach Belieben schalten, und manches åndern, weglassen, oder hinzu dichten, damit es zu seinen sittlichen Absichten bequem werde. Nur hüte man sich vor gar zu deutlichen und persönlichen Satiren: dabéy man diejenigen mit Fingern zeigen kann, die es trifft. Es ist besser, wenn die Lehre allgemein ist, und sich auf viele deuten läßt; als daß sie gar zu genau auf einzelne Personen passet, und also minder nüßlich wird. Ob nicht manche von unsern Fabel= dichtern es darinn versehen, und oft mehr besondern Abfichten, als der gemeinen Befferung zu gut, gedichtet haben, das wollen wir ihnen ins Gewissen schieben.

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15. §. Eine solche Fabel oder Erzählung nun, muß III. kurz seyn. Denn da Fabeln bloß der Erbauung wegen gemachet werden: so muß man sich auch erinnern, daß man fie als Sittenlehren anzusehen, und also nicht gar zu lang auszudehnen habe. Horaz sagt ausdrücklich:

Quidquid præcipies, efto brevis; ut cito dicta
Percipiant animi dociles, teneantque fideles.

Trifft nun dieses gleich hauptsächlich die am Schlusse derselben angehängte Lehre; als welche bey einer Fabel nicht leicht ausbleiben kann; sie müßte denn schon überaus deutlich von sich selbst ins Auge fallen: so gilt es doch auch über. haupt von der ganzen Fabel. Die Alten sind uns hierinn mit den trefflichsten Mustern vorgegangen. Nichts ist wun derwürdiger, als die Einfalt und Kürze Aesops: aber nichts ist auch schwerer nachzuahmen. Alle neuern Fabel.

dichter

dichter vom Fontaine an, bis auf die neuesten, sind oft große Schwäßer dagegen. Sie zerren und dehnen die geringste Sache so lang hinaus, daß dem leser oft Zeit und Weile lang wird, ehe er das Ende findet. Man nehme nur la Mortens und Stoppens Fabeln zur Hand, und sehe, wie weitläuftig ihre Eingänge, wie geschwäßig sie in ihren Erzählungen, und wie postillenhaft sie oft in den an= gehängten Lehren sind. Ganz unnüße Umstände, Kleinig keiten, die nichts zur Absicht beytragen, recken sie so weit auseinander, daß ungeübte Leser endlich das Hauptwerk darüber aus den Augen verlieren. Man sehe z. E. den Wetterhahn und die Glocke in Stoppen nach, wo so viel fremdes mit eingemischet ist, daß man endlich den Zweck fast verkennet. Und klingt mancher Einfall oder Ausdruck gleich possirlich: so möchte man doch einem solchen Dichter mit dem Horaz zurufen:

Dieß alles ist schon gut, nur hier gehörts nicht her!
Und anderwärts:

Omne fupervacuum, pleno de pectore manat.
Was überflüssig ist, vergißt man gar zu leicht.

16. §. Endlich ist auf die Schreibart noch zu sehen, die man in den Fabeln und Erzählungen brauchen soll. Aesopus und Phädrus haben sich des allerungekünsteltsten und natürlichsten Ausdruckes bedienet, und doch die pöbelhafte Sprache sorgfältigst vermieden. Diese edle Einfalt müssen. sich billig alle Fabeldichter zum Vorbilde nehmen, und sie, so viel möglich, ein jeder in seiner Sprache, zu erreichen suchen. Allein diese Regel ist den meisten Neuern ̊ zu schwer geworden. Viele haben wohl gar in Uebersehung der åsopischen Fabeln eine rechte possenhafte Pöbelsprache gebrauchet; wie ich oben in dem Hauptstücke von der Schreibart dergleichen aus Riederern angeführet habe. Antere haben gar zu sehr ihren Wih zeigen wollen, und sind also auf eine gar zu sinnreiche Schreibart verfallen, wie de la Motte; der mit vielen seiner gar zu spigfindigen Einfälle, Crit. Dichtk.

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zum Gefpötte geworden. 3. E. wenn er den Fuchs, (un Pythagore à longue Queue) den langgeschwänzten. Pythagor; ein Gerücht Kraut: ein Topfphånomes non; oder eine Rüchenerscheinung; (un Phenomene potager) und dergleichen mehr genennet: so ist er im Ditionnaire Neologique damit sehr übel angekommen. Was könnte man nicht aus Stoppens und andern Fabeln für Worrgespenster, (wenn ich diese kauderwälsche Art sinnlich zu machen, so reden darf,) zusammen tragen; die wohl in dem Munde eines Pickelherings, aber nicht auf den Lippen eines moralischen Fabeldichters Entschuldigung verdienen? Was soll ich von denen sagen, die aus åfopischen Fabeln gar asotische, oder sybaritische machen? Ein Sittenlehrer muß seinen Charakter bedenken, und da er andere lehren will, nicht sich selbst verächtlich machen. Man sage nicht, er müsse auch belustigen: das ist wahr, und ehen durch das Belustigen muß er unterrichten. Allein, die Fabel an sich selbst belustiget schon, durch die Aehnlichkeit, die sie mit den Neigungen und Handlungen der Menschen hat: was brauchet er nun noch die zoten hafte Schreibart? Ich überlasse es dem Urtheile der Lefer, ob es nicht auch dahin gehöre, daß Fontaine und la Morte, ihre Thiere einander Gevatter und Gevatterinn nennen lassen; und wenn in Stoppen eine Eiche einmal zu einem andern Baume fagt:

Ich will wohl eine Hure seyn!

Exempel von guten und schlechten Fabeln, wird man in obangezogenen Büchern zur Gnüge finden.

Des

Des I. Abschnitts III. Hauptstück. Von scherzhaften Heldengedichten.

1. S.

n allen menschlichen Dingen und Erfindungen geschieht nichts auf einmal, oder durch einen Sprung; sondern alles wird nach und nach erfunden, verbessert, und allmählich zur Vollkommenheit gebracht. Diejenigen fennen also die Wirkungsart der Natur sehr schlecht, die sich einbilden, Homer habe auf einmal das große Heldengedicht, Ilias, zuerst erfunden, und zugleich den höchsten Gipfel der Dichtkunst dadurch erreichet. Durch ordentliche menschliche Kräfte wäre solches gewiß nicht möglich gewesen: und es ist also nur gar zu wahrscheinlich, theils daß Homer in dieser Art von Heldengedichten Vorgänger gehabt; theils, daß er sich selbst in einigen kleinen Arten von epischen Gedichten geübet haben müsse, ehe er sich an ein so großes Werk gemachet. Was das erste betrifft, so bestätiget die Geschichte unsere Muthmaßungen. Orpheus, Musåus, Linus, Eumolpus, Phemius, Demodokus u. a. m. * hatten sich schon vor ihm im Dichten hervorgethan, und mochten unter andern auch kriegerische Thaten beschrieben haben. Das andere aber lehret uns der Augenschein selbst. Denn wir finden nicht nur, daß Homer verschiedene Lobgefänge auf die Götter, Apollo, Merkur, Venus, Ba.. chus, Mars u. s. w. gemachet, sondern daß er sich auch durch ein scherzhaftes Heldengedicht vorbereitet, und geübet

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zugeben; aber daß es viele andere gegeben, beweiset der Verfasser des engl. Buches The Life of Homer, Lond. 1763. in gr. 8. und Pope in seinem Leben Somers, siehe die deutsche Uebersetzung meiner Freundinn in den

* Voffius in seinem Tractate de Poetis græcis will zwar nicht zugeben, daß es ältere griechische Dichter, als Homer, oder Hesiodus, gearben: indeffen erkläret er sich so, daß er folche menne, deren Schriften noch übrig wären. Dieß kann man ihm ̄auserles. St,

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