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und vierten, in der Hälfte des dritten, und der dritten Zeile in der Hälfte des vierten gemacht worden sey. Im Virgil und Ovid findet man eben das, obwohl es nicht zu leugnen ist, daß die mittlere Art viel gemeiner ist, als die andern. Im Horaz aber, wenn er gleich in Herametern schreibt, wird man dieses Stück des Wohlflanges sehr selten finden; so wenig hat er sich daran gekehrt, ob seine Briefe oder Satyren angenehm ins Ohr fielen. Er schrieb nur Sermones; und glaubte, sie müßten der täglichen Unterredung gleich kommen.

36. §. Wie nun dieses für den Poeten überaus bequem ist, und selbst den Verfen eine angenehme Mannigfaltigkeit zuwege bringt: so haben sich auch die Italiener und Engländer an keine andere Regel binden wollen. Aus denen kurz vorhin angeführten Erempeln wird man solches zur Gnuge abnehmen können; ja zuweilen wird man gar keinen geschick. ten Abschnitt in einem Verse finden können. Die Franzosen hergegen, die Holländer und wir Deutschen sind darinn viel genauer gegangen. In den zehn- und eilffylbigen Versen hat man nach der vierten Sylbe, und in alexandrinischen nach der sechsten, oder vielmehr gerade in der Hälfte, den Abschnitt zu machen beliebet, und sich beständig daran gebunden. Denn was einige Stümper unter uns anlanget, die in einigen Gedichten sich einer italienischen Freyheit anmaaßen, und sonderlich in den fünffüßigen Verfen, den Abschnitt bald nach der vierten, bald nach der sechsten Sylbe, bald auch wohl gar nicht gemacht haben: so überläßt man dieselbe ihrem Eigensinne und dem Gespötte der Schüler, die den Uebelflang solcher Zeilen sogleich wahrnehmen. Es klingt noch einmal so gut, wenn man selbst durch die Worte und den Sinn des Dichters, allezeit an einer gewissen Stelle, etwas inne zu halten, genöthiget wird; ohne daß der Ver» stand zerrissen werden, oder der Wortfügung zuviel geschehen darf.

36. §. Es ist daher ein Uebelstand, wenn in der ersten Hälfte des Verses ein Beywort an dem Abschnitte steht; da

indessen

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indessen das Nennwort, welches dazu gehört, allererst in der andern Halfte folget. 3. E. wenn ich schriebe:

Die unvergleichlichen | Poeten unser Zeiten 24.

Hier trennet der Abschnitt ein paar Wörter und Begriffe, die zusammen gehören, welches sehr unangenehm. fällt. Und gleichwohl ist Bessern ein solcher gedehnter Vers entfahren:

*Dunerbittliches Verhängniß meiner Jahre!

der gewiß nicht ein Haar besser ist, als der obige. Aus gleicher Ursache hat mir folgender Vers eben dieses Poeten niemals gefallen wollen:

Die Gott und ihrem Mann | getreueste Kalliste 2c.

Hier ist ebenfalls die erste Hälfte des so langgestreckten Bey-· wortes zur Kalliste durch den Abschnitt getrennet worden; so, daß man mit Widerwillen daselbst stille halten muß, wo man noch nichts rechtes denken kann. Ganz besondere Regeln kann man indessen von allen Fehlern, die hier begangen werden, nicht geben. Ein jeder muß sich nach seinem eige nen Gehöre aus den Schriften der reinesten Poeten, einen guten Geschmack zuwege bringen, um selbst zu entscheiden, was wohl oder übel klingt.

38. §. Ich komme auf die Schlußpuncte ganzer Säße, welche gewiß sehr viel zum Wohlflange eines Gedichtes beytragen, wenn sie auf bequeme Stellen fallen. Fürs erste ist es wohl gewiß, daß ein solcher Stillstand sich am besten an das Ende ganzer Zeilen schicket. 3. E.

Mein Morgen ist vorbey, die Kindheit meiner Tage:

Wie ich den hingebracht, das weis ich selber nicht. Ranitz. Hier sieht man wohl, daß beyde Zeilen einen, völligen Verstand in sich schließen, und also am Ende einen Ruhepunct erfordern. Das klingt nun, sonderlich in dieser Urr von Versen, wo männliche und weibliche Reime wechselsweise stehen, und die wir Elegien nennen, überaus angenehm: woher es denn kömmt, daß auch die Alten, z. E. Ovidius, Tibul lus, Propertius, diese Regel aufs genaueste beobachtet haben. Wenn aber mein Poet fortfährt:

Mein Mittag ist vorbey, der ohngefähr die Wage

Des matten Lebens hielt. Herr! geh nicht in Gericht.

So hört wohl ein jeder, daß dieses schon so anmuthig nicht Flingt, weil ver Stillstand nicht am Ende der Zeile, sondern in der Hälfte der folgenden erst erfolget. Doch da hier mit der vierten Zeile gleichwohl der Verstand sich schließt, so geht dergleichen Kleinigkeit auch in Elegien noch hin. Das aber ist unerträglich, wenn man aus der vierten Zeile, in dieser Art verschränkter Verse, den Sinn noch bis in die fünfte zieht. Mir fällt kein Exempel davon bey, und ich mag nicht Lange mit suchen zubringen: darum mag sich ein jeder selbst dergleichen anmerken, und sein Gehör zu Rathe ziehen. Ich bin versichert, daß nichts schöner klingt, als wenn in Elegien Zeile für Zeile, oder doch höchstens zwey und zwey Zeilen einen vollen Verstand in sich schließen, und entweder einen Punct oder ein Colon am Ende leiden.

39. §. Ganz anders verhält sichs im Deutschen mit unsern heroischen Versen, wo man die Reime nicht trennet. Zwar haben wir die Freyheit der Lateiner und Griechen nicht, welche den Punct überall hinbringen konnten. Erempel darf ich von einer so klaren Sache nicht anführen, denn man wird sie auf allen Blåttern der Poeten, sonderlich aber im Horaz antreffen. Daher verwirft man heute zu Tage, was unsere Alten in diesem Stücke sich herausgenommen. 3. E. Lobenstein in der Kleopatra Vtem Aufzuge Istem Auftritte, läßt die Königinn sagen:

Wascht sieben Tag euch nicht. Umschränkt die Todtenkiste
Mit Eppich. Ziehet Säck, an statt Damasten an.

Und bald hernach in derselben Scene faget Belisar:

Serapens Tempel glänzt

Voll Feuer. Das Altar der Jsis ist bekränzt
Mit Myrten. Und das Volk c.

Das klingt nun wohl freylich nicht schön, und man hat Urfache gehabt, in neuern Gedichten sich vor solchen Freyheiten in acht zu nehmen. Doch haben wir uns auch so genau nicht

binden wolen, als die Franzosen; welche niemals anderswo, als am Ende der Zeilen, einen Schlußpunct leiden. Unsere besten und reinsten Poeten haben sichs niemals verbothen, den Verstand in heroischen Versen, bis an den Abschnitt einer folgenden Zeile, zu ziehen. Ich will nur Amthorn und Günthern zum Beweise anführen, die gewiß in der Reinigkejt ohne Tadel sind. Der erße will in der Uebersehung aus Virgils Aeneis von den Musen wissen:

Warum Junonens Zorn, durch ihres Eifers Macht,
Auch selbst die Frömmigkeit in solche Roth gebracht,
In so gehäufte Noth? Ist das auch wohl zu loben,
Daß selbst die Götter so, vor Wuth und Rache toben?
Und Günther, in dem Lobgedichte auf den König August,
schreibt von der Geschwindigkeit im Dichten:

Dies kann Lucil, ich auch. Allein ich seh und weis,
Wie viel Verstand und Witz,, Geduld und Zeit und Fleiß,
Ein tüchtig Werk begehrt, das Kluge lüstern machen,
Der Lorbern würdig seyn, der Neider Grimm verlachen
Und ewig leben soll.

Wenn man sich nun dieser Freyheit mit Maaßen bedienet, dann kann man es uns für keinen Fehler anrechnen. Wir halten dadurch das Mittel, zwischen dem Zwange der Franzofen, und der gar zu großen Freyheit der Italiener und EngTånder: die aber dadurch eine große Zumuth verlieren.

40. §. Was endlich im Deutschen die Oden anlangt, fo gehöret fürs erste dazu, daß sich mit jeder Strophe der volle Verstand schließe. Die alten Lateiner haben sich daran auch nicht gebunden. In Horazens meisten Oden hängen etliche Strophen so aneinander, daß man an dem Ende der einen, gar nicht stille stehen kann. Da möchte ich nun gern wissen, wie das nach ihrer Musik im Singen geklungen? Bey uns klingt es nicht, wie wir aus etlichen altfränkischen KirchenLiedern sehen. Allein das ist noch nicht genug. Wenn die Strophen mehr, als vier Zeilen haben, so kömmt auch wohl mehr, als ein Punct in denselben vor; und da fraget sichs, ob er überall stehen könne? Am Ende jeder Zeile zwar, kann es niemand gewehrt werden, den Verstand zu schließen: allein

außer

außer dem giebt es in jeder Art der Abwechselung von Zeilen gewisse Stellen, wo die Puncte vornehmlich hingehören, und wer sie daselbst nicht machet, der sündiget wider den Wohlflang. Doch das gehöret eigentlich ins Hauptstücke der Oden.

41. §. Dieß ist nun das allgemeine, so ich vom Wohlklange der poetischen Schreibart überhaupt habe sagen können. Besondere Unmerkungen muß sich ein jeder selbst machen ; oder von geschickten Lehrern der Dichtkunst mündlich machen laffen. Die gemeinen Regeln von der Prosodie und den Reimen habe ich hier nich abhandeln wollen. Sie stehen in so viel hundert Handbüchern, und ich sehe zum voraus, daß man sich dieselben bekannt gemacht hat, ehe man mein Buch lesen will. Man kann sie igo auch ausführlich in meiner deutschen Sprachkunst IV. Theile nachlesen. Ich habe nur den Grund von demjenigen anzeigen müssen, was andere weitläuftiger vorgeschrieben haben. Und also schließe ich mit diesem Hauptstücke den ersten Theil meiner Dichtkunst, darinn ich nach einer historischen Einleitung im I. Hauptstücke, den Poeten selbst im II. und III. Hauptstücke beschrieben; im IV. das Wesen der Poesie, d. i. die Nachahmung, und sonderlich die Fabel erkläret, und im V. und VI. ihre vornehmsten Eigenschaften gewiesen. In allen folgenden Hauptstücken habe ich die Mittel, wodurch die poetische Nachahmung geschieht, nebst ihrem rechten Gebrauche und Misbrauche angezeiget: d. i. Ich habe die poetische Schreibart, nach ihren Fehlern und Schönheiten entdecket. Das waren nun allgemeine Lehren: im folgenden Theile wollen wir die besondern Gattungen der bey uns üblichen Gedichte vor die Hand nehmen. Im ersten Abschnitte werde ich diejenigen poetischen Werke durchgehen, die schon von den Alten erfunden, und zur Vollkommenheit gebracht worden. Im zweyten Abschnitte aber will ich die neuern Erfindungen der Dichter vor die Hand nehmen, und ihre Regeln

fest setzen.

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