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mit einer französischen Ueberseßung, darinn keine einzige Strophe mit der andern einerley Wohlklang hat; und davon ich nur die erste hersehen will:

Mes Voeux font contens, Ifabelle,

Oui les Dieux de leur Grace ont contenté mes Voeux;
Te voilà vieille, & cependant tu veux

Faire encore la belle.

So sehr ich nun hierinn billige, was dieser große Kunstrichter von dieser ungeschaffenen Poesie urtheilt; so sehr muß ich mich beschweren, daß er, da er doch ein Holländer war, und den bessern Wohlklang der niederdeutschen Verse wußte, mit de nen auch unsere hochdeutschen Gedichte übereinkommen, dennoch alle heutige Völker einer solchen barbarischen Dichtkunst beschuldiget hat.

6. §. Bey dem allen wollen die guten Franzosen es nicht begreifen, daß ihre Sprache lange und kurze Sylben habe. Auch Rollin in seinem so berühmten Werke, das er von der Poesie und andern freyen Künsten herausgegeben, gesteht zwar Italienern und Spaniern zu, daß sie Verse ohne Reime machen könnten: weil sie nämlich noch etwas von der alten Art der lateinischen Sprache in ihren Mundarten beybehalten hätten, dadurch sie geschickt wären, einen gewissen harmonischen Klang in ihre Verse zu bringen. Aber seinen Franzosen, meynet er, sey es nicht möglich, Verse ohne Reimen zu dulden; weil sie lauter gleich lange Sylben in ihrer Sprache hätten, und keine Accente im Reden hören ließen. glaube, man kann halb taub seyn, und doch den ehrlichen Rollin aus dem bloßen Gehöre widerlegen. Z. E. Die erste Zeile aus des Boileau Ode auf Namurs Eroberung:

* Nec vero exiftimandun, ex quo barbarus ifte fonus invaluit, uno faltem hoc vitio fœdatam fuiffe poeticam: aliud quippe etiam longe majoris momenti inaluin artem hanc invafit: quod nempe fublato rhythmno et carminum men

Ich

Quelle

fura, fimul quoque fublatus fuerit carminum cantus. Si latinos exceperis verfus, factos ad imitationem veterum, nulla in hoc noftro fæculo in tota Europa fcribuntur Poemata, quæ nervis et cantui commode poffint aptari.

Quelle docte & fainte yvrefle!

wird von allen Franzosen als eine trochäische Zeile von vier Füßen ausgesprochen, eben so, wie die erste Zeile aus Ranigens Ode auf seine Doris:

Soll ich meine Doris missen?

Nurf versuche mans, und verkehre entweder in der Aussprache die Accente, in die jambische Art zu scandiren:

Quelle docte & fainte yvreffe;

Und frage einen Franzosen, ob das recht ausgesprochen sey? oder man spreche alle Sylben gleich lang, das ist, lauter Spondåen aus, folgender gestalt:

Quelle docte & fainte y | vreffe.

so wird er entweder taub seyn, oder den Unterscheid hören müssen. Denn es kann in seinen Ohren unmöglich anders klingen, als wenn ich die kanißische Zeile entweder so lesen wollte:

oder so:

Soll ich meine Doris missen?

Soll ich meine Doris missen?

7. §. Durch diese kleine Ausschweifung will ich nur zeigen, wie nothwendig die alten griechischen Poeten auf die regelmäßige Vermischung langer und kurzer Sylben haben gerathen müssen. Ihr Gehör sagte es ihnen, was lang oder kurz war, und aus dem Klange urtheilten sie, welche Sylbe sich zum Anfange einer Zeile, bey einer gewissen Gesangweise besser schickte. Weiter brauchten sie kein Geheimniß zu Erfindung ihrer mannigfaltigen Arten des Syl. benmaaßes. Die gemeinste Aussprache aller Leute gab es ihnen an die Hand: und wenn sie ihre Verse lasen, so geschah

geschah es nach der prosodischen Scansion; nicht aber nach den ungereimten Accenten, die wir heute zu Tage über die griechischen Verse sehen. Hätten sie zum Erempel Hesiods ersten Vers,

Μέσα πιερίηθεν, ἀοιδῆσι κλείεσαι

nach der Art unserer heutigen Schulmeister ausgesprochen: so hätten sie ihrer natürlichen Sprache Gewalt angethan; und folglich auch im Lesen eines Verses, kein Vergnügenempfinden können. Der Accent in dem andern Worte steht nåmlich auf einer Sylbe, die nach allen Regeln kurz ist, und follte vielmehr auf dem folgenden ʼn stehen. Imgleichen steht im lehten Worte das Strichlein überm es, wo es eben so wenig hingehöret. Das & ist hier lang, und der Doppellaut muß nach Art zwoer kurzen Eylben, e und i, ausgesprochen werden. Und dieses giebt einen unumstößlichen Beweis ab, daß die griechischen Accente, die der Prosodie zuwider laufen, nichts taugen.

8. §. Daß dieses auch in der lateinischen Sprache gelte, kann ganz augenscheinlich erwiesen werden. Unsere prosaische Aussprache tauget nichts, weil wir die Länge und Kürze der Sylben nicht so ausdrücken, wie sie in ihren Pocten behindlich ist. Das gemeine Volk in Rom, das von der Långe und Kürze der Sylben keine Regeln gelernet hatte, konnte es nach Cicerons Zeugnisse hören, wenn ein Poer eine kurze Sylbe lang, oder eine lange kurz gebrauchet hatte. Nun fage mir jemand, wie das möglich gewesen wäre, wenn nicht die lateinischen Sylben ihre Länge und Kürze, bloß nach der gewöhn

Denn nachdem er von dem Wohlflange überhaupt erst gesagt: Illud sutein ne quis admiretur, quonam modo hæc vulgus imperitorum in audiendo notet: cum in omni genere; tum in hoc ipfo, magna quædam eft vis incredibilisque naturæ. So seset er nach einer allgemeinen Anmerkung von den Urtheilen, die nach dem Geschmacke allein gefål:

*

let werden, hinzu: Itaque non folum verbis arte pofitis moventur omines, verum etiam numeris ac vocibus. Quotus enim quisque est, qui teneat artem numerorum ac modorum? At in his, fi paulum modo offenfum eft, ut aut contra&tione brevius fieret, aut produtione longius, theatra tota reclamant.

gewöhnlichen Aussprache der Römer gehabt hätten; davon also der Pöbel sowohl, als der Poet, nach dem Gehöre urtheilen können? Aber unsere lateinische Sprachmeister wollen gern in der Prosodie der Alten besondere Geheimnisse finden, und durch künstliche Regeln die Länge und Kürze der Sylben ausmachen. Bey unserer verderbten Aussprache des Lateins, die lange Sylben kurz, und kurze lang zu machen pflegt, thun sie uns dadurch zwar gute Dienste: wie wollen sie es aber beweisen, daß auch Virgil eine Prosodie habe lernen müssen ? Es war also mit den alten Sprachen nicht anders beschaffen, als mit den heutigen, die ein Sylbenmaaß in ihrer Poesie haben; und fast alle deutscher Abkunft sind. Ihre vornehmste prosodische Regel war eben so, wie bey uns, diese: Lin Poet richte sich in der Scansion, nach der ge-` meinen Aussprache. Dieses könnte noch weitläuftiger erwiesen, und von etlichen kleinen Einwürfen befreyet werden, wenn ich eine lateinische Prosodie zu schreiben im Sinne håtte. Man lese aber was Voffius, am angeführten Orte, auf der 29 und 30 Seite davon geschrieben, und was ich in meiner Sprachkunst IV. Theile im 2 und 3 Hauptstücke davon geschrieben: so wird man völlig überzeuget werden.

9. §. Unter den vielfältigen Gattungen des Sylbenmaaßes, die von Griechen und Lateinern erdacht und gebrauchet worden, ist zwar keine einzige, die sich nicht auch in unsrer, ja in allen andern Sprachen nachmachen ließen. Wir, und alle übrige Völker haben lange und kurze Sylben, die sich in ungebundner Rede auf tausendfältige Art durch einander mischen lassen. Was hindert es denn, daß wir dieselben nicht auch auf eine einträchtige Art, nach einer beliebig angenommenen Regel, sollten abwechseln können? Daß unsre Nachbarn dieses nicht erkennen wollen, oder nicht gewahr werden, das gereichet uns zu keinem Nachtheile. Gleichwohl hat Henrich Stephan französische Herameter versuchet. Siehe l' Hiftoire de la Poefie françoife par Maffuet: und Crescimbeni, in f. Hiftoria della volgar Poefia will behaupten; die wälschen heroischen Verse, waren aus Crit. Dichtk. Bb

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den Hendecafyllabis der Lateiner entspringen. Allein viele von unsern Dichtern und Kunstrichtern haben hier alles mögliche gethan. Sonderlich haben Conr. Gesner, Clajus, von Birken, Heråus und Omeis sichs angele gen seyn lassen, die Möglichkeit vieler Arten des Sylben maaßes in unsrer Muttersprache zu erweisen, und allerley Erempel davon gegeben. Daß sie aber nicht Beyfall und Nachfolger gefunden, das kömmt meines Erachtens daher: weil die Harmonie der gar zu gekünstelten Abwechselungen der Füsse nicht so leicht ins Gehör fällt; da man auch im Lateinischen Mühe hat, eine ungewöhnliche Art von Versen recht zu scandiren.

10. §. Man ist also im Deutschen vor Alters fast bey den jambischen Verfen allein geblieben; weil dieselben unsrer Sprache am natürlichsten sind. Die Artikel vor den Nenn wörtern, und die Fürwörter vor den Zeitwörtern geben lauter steigende Zeilen an die Hand: so vieler tausend zusammengeseßter Wörter, davon unsre Sprache voll ist, nicht zu gedenken; die ordentlich von vorne mit einer kurzen Sylbe verlängert werden, und also Jamben ausmachen. 3. E. Verstand, Gemüth, Vernunft, Geduld, genug, worauf, vorhin, betrübt, verdammt, erheben, gestorben, verlon. gen, besonders, entkräften, unmöglich, ausführlich, u. s. w. Daß nun dergleichen Verse vor Alters in Deutschland, ent weder mit Fleiß, oder von ungefähr, nach dem bloßen Gehöre gemachet worden, das habe ich bereits oben im ersten Capitel aus Luthers Liedern, ja aus Winsbeks Ermah. nung an seinen Sohn erwiesen. Ja, man findet auch wohl in åltern Poeten unfers Vaterlandes, z. E. im Ortfried, die Spuren davon.

11. §. Die trochäischen sind zwar so sehr nicht Mode geworden, doch unfrer Sprache eben so natürlich, als jene Gattung. D. Luther hat schon zu seiner Zeit den Lobge fang Ambrosii: Nun komm der Heiden Heiland, durch gehends in dergleichen Art von Verse überseht: welches zwar aus diesem Anfange nicht erhellet, aber in dem ganzen

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