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Das XII. Hauptstück.

Von dem Wohlflange der poetischen Schreibart, dem verschiedenen Sylbenmaaße und den Reimen.

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I. §.

ichts ist in diesem allgemeinen Theile der Dichtkunst noch übrig, als die Abhandlung von dem Wohlflange, der in der poetischen Schreibart mehr, als in prosaischen Sachen, beobachtet werden muß. Unter diesem allgemeinen Ausdrucke begreife ich alles, was an den Versen ins Gehör fällt; die Abwechselung langer und kurzer Sylben, den Abschnitt, die Schlußpuncte in den Strophen, die Reime, und wo sonst noch etwas die Ohren küßeln, und dadurch das Gemüth eines Lesers oder Zuhörers belustigen fann. Die Musik allein nehme ich aus, als welche eine eigene Kunst ist, die auch ohne die Poesie bestehen kann: es wäre denn, daß man auch die Harmonie eines wohl ausgesprochenen Verses, nach Art der Alten, einen Gesang nennen wollte. Zwar hat auch die ungebundene Schreibart ihren gewissen Wohlklang: davon Cicero in seinen Gesprå= chen vom Redner, Quintilian, und nach ihnen fast alle Lehrer der Beredsamkeit ausführlich zu handeln pflegen. Wenn man es genau untersuchet, woher derselbe entsteht, so findet man: daß es nichts anders, als die angenehme Ub wechselung gewisser lautenden und stummen Buchstaber; imgleichen die Vermischung langer und kurzen Sylben sey, die, hinter einander ausgesprochen, einen lieblichen Klong verursachen. Wie viel in der Wohlredenheit darauf ankomme, das ist bekannt. Oftmals werden die Zuhörer ei-ner so harmonischen Rede dadurch mehr, als durch die besten Gründe, gerühret und eingenommen; zumal, wenn der

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Redner eine liebliche Stimme hat, und bey einer deutlichen Aussprache aller Sylben und Buchstaben die Töne derselben geschickt, d.'. den Sachen und dem Affecte gemäß, zu veråndern weis. Außer obgedachten Scribenten kann man auch das XVI. Capitel des I. Theils meiner ausführlichen Redekunst nachsehen, wo im 13. u. f. §. davon gehandelt worden.

2. §. Wie nun die gebundene Schreibart eher, als die ungebundene ins Geschick gebracht worden: also können wir auch den Wohlklang der Poesie nicht von dem Wohlklange der Redner herleiten. Es ist bereits oben bey anderer Gelegenheit gedacht worden, daß Cicero das Gegentheil angemerket hat, wenn er erzählet: daß Isokrates den Poeten vieles abgelernet, was zur Lieblichkeit einer Rede etwas bey-. tragen kann. Die Ursache feßet er auch hinzu; nåmlich, weil die ersten Dichter zugleich Sänger und Spielleute ge= wesen, und ihre Verse alfe zur Belustigung der Ohren ge= macht: so hätten sie eher Anlaß gehabt, auf die Harmonie zu sehen. Die Musik hilft uns also den Ursprung des poetischen Wohlflanges erklären. Ich habe schon in dem ersten Hauptstücke erwähnet, daß die ersten Melodeyen eine gewisse Anzahl der Sylben, oder eine abgemessene Länge der Zeilen, in den Liedern erfordert haben; wodurch sie geschickt geworden, darnach abgefungen zu werden. Das war nun der allergeringste Grad des poetischen Wohlklanges, der auch bey den gröbsten Völkern statt gefunden. Es ist aber gleichwohl dem Gehöre angenehm, wenn alle Abschnitte einer Rede, die nach einander folgen, fast einerley Långe haken: so, daß die Zunge nach gewissen bestimmten Pulsschlägen, gleichsam zu einer periodischen Ruhe kommt. So sind die Psalmen der Hebråer, auch so gar in unserer deutschen Ueber

*S. was der Abt Fourmont im VI.B. der Memoires, oder ausführl. Schriften der parisischen Akad. der schönen Wissenschaften davon ge: schrieben hat.

**Quintilian schribt: Poema nemo dubitaverit imperito quodam

initio fufum, et aurium menfura et fimiliter decurrentium fpatio-` rum obfervatione effe generatum; mox in eo repertos pedes: das ist: Ohne Zweifel ist die Poesie aus einem unftudirten Triebe von ohngefähr entfanden, und durch die Aufmerksam

Üeberseßung noch beschaffen: daher es denn kömmt, daß sie auch so prosaisch nach einer gewissen freyen Melodie gefungen werden können. * Die ältesten griechischen Poeten has ben freylich ihre Sylben schon genauer nachgezählt, als die morgenländischen: allein mehr läßt uns doch die Rauhigkeit, der alles in seinem ersten Ursprunge unterworfen ist, von ihren ersten Liedern nicht hoffen.

3. §. Niemand hat den Ursprung und die wahre Be= schaffenheit des poetischen Wohlklanges besser untersucht und ins Licht geseht, als Isaac Voßius, in seinem Tractate de Poematum cantu et viribus Rhythmi, den er zu Offort im Theatro Sheldoniano 1673. in gr. 8. herausgegeben. Er behauptet gleichfalls darinn auf der 2. Seite, daß die ersten griechischen Verse, nach der meisten Schriftsteller Meynung, keine Füße, und keinen Wohlklang gehabt, und folglich ganz rauh gewesen. Er führet den Quintilian zum Zeugen an, dessen Worte man unten ** sehen wird.

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Und darauf fährt er fort, die Natur und den Ursprung des Sylbenmaaßes zu erklären. Er vertheidiget dasselbe gegen seine Verächter, die sich einbilden, es sey angenehmer, wenn ein Vers wie ein Fluß in einem geraden Ufer fortschieße; wo er kein Hinderniß antrifft, als wenn er gleichsam schrittweise, über so viele im Wege stehende Felsen sprudeln müßte. Al= lein, er zeiget aus einer Anmerkung Cicerons, daß diejenigen, die Natur des Schönen nicht verstehen, die dafür halten, daß etwas ganz Einträchtiges ohne Abtheilung, Unterschied, und Abwechselung gefallen könnte. *** Doch weil wir un-. ter unsern Deutschen keinen Widerspruch hierinn zu befor gen haben, so halte ich mich hierbey nicht auf. **** sehen wir hier voraus, daß das Gehör und die Aussprache

keit der Ohren auf die gleich fortlau: fenden Zeilen und Worte erzeuget worden; bis bald darauf auch die Füße erfunden worden.

*** Numerus in continuatione nullus eft, diftinétio et æqualium er fæpe variorum intervallorum per

Nur

selbst

cuffio, numerum conficit, quem in cadentibus guttis, quod intervallis distinguuntur, notare poffumus, in anni præcipitante non poffumus.

**** S. meine Sprachlehre IV. Theil, L. und III. Hauptst.

selbst die alten Griechen gelehret, daß nicht alle Sylberf gleichviel Zeit brauchten. Dieses mochte nun von dem Tone der Selbstlauter, oder von der Zahl und Art der Mitlauter herkommen; so merkte man doch, daß die eine Sylbe kur;, und die andere lang ausgesprochen ward: daher sie denn in kurze und lange eingetheilet wurden.

4. §. Der andere Grad des Wohlklangs entstund wohl damals, als man bey dem Singen solcher aufs genaueste obgezählten Zeilen, wahrnahm, daß zu einer jeden Zeile nach Beschaffenheit der dazu gehörigen Melodie, auch eine gewisse Abwechselung. solcher kurzer und langer Sylben gehörete. Dieses bemerkten diejenigen am ersten, die das zärteste Gehör hatten, und es unangenehm fanden, wenn auf eine Sylbe, dahin der Uccent fiel, eine kurze Note; auf eine kurze Sylbe hergegen, die man in der Aussprache fast nicht hörete, im Singen eine lange Note traf. Dieses suchte man nun mit größter Sorgfalt zu vermeiden, und daher mußte man darauf denken, daß ein Vers dem andern, und eine Strophe der andern ganz ähnlich würde: so bald nämlich dieses nicht war, so wollte es diesem zårtlichen Volke nicht klingen; wie es denn wirklich ein gutes Ohr verlehet. Wer da wissen will, wie seltsam dieses klinget, der darf sich nur von einem Franzosen ein paar Liederchen vorsingen lassen. Denn wer sonst ihres Singens nicht gewohnt ist, der wird ihnen fast keine Zeile verstehen können, ob er sie gleich sonst im Reden versteht: und das kömmt daher, weil ihre Poesie von keiner regelmäßigen Abwechselung langer und kurzer Sylben weis, wie ich schon oben im I. Hauptstück dargethan habe. Da muß es nun nothwendig geschehen, daß ein ganz kurzes E zuweilen sehr lang ausgedehnet; eine sehr lange Sylbe hingegen geschwind Aberhüpset oder verschlucket wird. Was das für eine Undeutlichkeit in der Aussprache machet, das ist nicht zu sagen: man muß es aber selbst hören, wenn man es recht völlig begreifen will.

5. §. 3. E. das bekannte Lied aus dem du Freny: Un fou, qui veut faire l'habile,

Dit qu'en lifant il pretend tout favoir &c.

das kann nach der Melodie, die fast allen Franzosen bekannt ist, nicht anders gesungen werden; als daß die lehte Sylbe von faire, die doch nach der richtigen Aussprache so kurz, als möglich ist, lang wird. Das Wort pretend aber, welches natürlich wie ein Jambus ausgesprochen wird, ein Trochäus werden muß; weil die Musik es so mit sich bringt, daß auf ́ die kurzen Sylben lange, und auf die langen Eylben kurze Noten treffen. Hat nun der Poet die Melodie vorher gewußt, ehe er sein Lied gemacht, so hat er ein elendes Gehör gehabt, daß er diesen häßlichen Uebelklang nicht gemerket; oder er ist so faul gewesen, daß er seine Redensarten nicht nach der Musik richten wollen. Hat aber der Tonkünstler, zu einer schon fertigen Ode die Melodie gefeht: so kann ich es ihm zwar zurechnen, daß er sich nicht nach der ersten Strophe gerichtet, und den Sylben ihr Recht wiederfahren lassen. Aber in allen übrigen Strophen hat er keine Schuld: weil die französischen Poeten keine einzige Strophe, im Ubfehen auf diesen Wohlklang, der andern gleich machen. Ob nun dieses der französischen Nation, die sich auf eine gewisse feine Zärtlichkeit ihrer Empfindungen soviel zu gute thut, zu Ehren gereiche? das lasse ich unpartenische Kenner beurtheilen. Wenigstens kann sie sich nicht rühmen, daß sie ein solch empfindliches Ohr habe, als die alten Griechen, oder auch wir Deutschen haben; denen ein solch barbarisches Singen, wider den Ton der Aussprache rauh und unerträglich vorkömmt. Voffius in dem angezogenen Tractate de Poematum Cantu hat dieses auf der 37 und 38 S. in einem Erem. pel aus dem Horaz gewiesen. Er vergleicht die Ode:

Audivere, Lyce, Dii mea vota; Dii
Audivere, Lyce, fis anus, et tamen
Vis formofa videri,

Ludisque et bibis impudens. &c.

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