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Es ist um uns geschehen!
Was hab ich doch gehört! Was hab ich doch gesehen!
Kein falscher Schatten hat mich Schlafenden bethört,
Ach! allzuviel gesehn! ach! allzuviel gehört!
Die Unterwelt erstaunt vor jener Donner Knallen,
Von welchen unser Heer und Temeswar gefallen.
Der große Solymann, der Muselmänner Held,
Hat sich und meinen Fall mir lebhaft vorgestellt.
Mich dunkt, ich seh ihn noch! mir zittern alle Glieber,
Er siehet meine Schmach und schlägt die Augen nieder.
Mich dünkt, ich seh ihn noch! 20.

Er treibt, er feurt mich an, dem Feinde vorzubeugen;
Ich soll den Weg zur Flucht ihm durch den Säbel zeigen!
Allein, wer weis, ob nicht der Anblick meiner Pracht
Den Streit noch hißiger, den Sieg noch größer macht?
Ach! gar zu spåter Schluß! was hab ich doch gesehen ?
Was hab ich doch gehört? es ist um uns geschehen.

28. §. Der Sit dieser pathetischen Schreibart ist anfänglich in Oden, wo der Poet selbst im Affecte steht, und sich voller Feuer ausdrückt. Ein Erempel giebt Günthers Doe auf den Eugen, die faft durchgehends diesen Character beobachtet hat. Sein Affect ist daselbst die Freude, Verwanderung, und heftige Begierde, seines Helden große Thaten zu loben. Er sieht ihn gleichsam vor seinen Augen verschwinden, und feuret seine Muse an, ihm nachzueilen:

Eugen ist fort! Ihr Musen, nach!

Er eilt und schlägt und siegt schon wieder.

Diese abgebrochene kurze Art des Ausdruckes, ist in der That eine glückliche Nachahmung des stärkesten Affects. Die ganze Ode ist voll solcher Stellen; und weil sie in aller Hånden ist, so will ich nur von einem widrigen Affecte etwas herseßen. Es ist solcher die Traurigkeit, und davon will ich die Erempel aus Ranigens Ode auf seine Doris nehmen. Diese ist gleichfalls ganz beweglich gesezt, und drücket den zärtlichsten Schmerz sehr natürlich und rührend aus. Er fängt unter andern einmal ganz unvermuthet an:

Hälfte

Hälfte meines matten Lebens!
Doris! ist es denn vergebens,
Daß ich kläglich um dich thu?

Andere schöne Stellen habe ich schon in den vorhergehenden Capiteln daraus angemerket: ich will hier nur noch eine hersehen, die mir einen Tadel zu verdienen scheint. Es ist fol gende:

Alles das hab ich verlohren!
Ach wie werd ich traurensvoll!
Hat mein Unstern sich verschworen,
Daß ich sterbend leben soll?

Sterbend

Die lehte Zeile ist es, was mir nicht gefällt.
leben, ist viel zu künstlich, für einen wahrhaftig Betrübten.
Es ist eine gesuchte Antithesis; ein verwerfliches Spiel der
Gedanken, das sich zum wenigsten in keinen Affect schicket.

29. §. Zum andern schicket sich die pathetische Schreibart in die Elegien, wo man entweder Verstorbene beklagen, oder was verliebtes schreiben will: denn dazu gehört eigentlich die Elegie. Ovidius und Tibullus sind hierinn rechte Meister gewesen. Nichts ist beweglicher zu lesen, als ihre Klagschrei= ben und verliebte Briefe. Alles ist herzrührend, und die Kunst scheint weit davon entfernt zu seyn; herrscher aber um desto mehr darinn. Ich wüßte fast im Deutschen nicht, wer sich in Elegien recht hervorgethan hätte. Hofmannswaldaus Heldenbriefe follten hier zwar zu Mustern dienen; imgleichen haben Ziegler und Lehms, uns von biblischen Historien dergleichen gemacht: allein ich fühle mein Lebenlang keinen Affect, wenn ich sie lese. Und wie wäre es

möglich, da sie mit lauter Spielen der Phantasie, mit laus ter Umbra und Zibeth, Rosen und Nelken, Mosch und Jasmin, und Muscateller ausstaffiret sind, und tausend andere bunte Einfälle haben, die keinem Affecte natürlich sind. Ich will also die Zuflucht zu Neukirchen nehmen, der in seinem Gedichte auf die Nachtigall eine recht bewegliche Elogie mit eingerücket hat. Ich will nur folgende Stelle hers.gen, Wa 3

Die

die mich allezeit gerühret hat, worinn der Poet die Nachtigall um ihren Vorspruch bittet. Es heißt:

O Tochter Pandions, o süße Philomele!

Erbarme, wo du kannst, dich meiner Traurigkeit;
Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhole,

Wenn dein Verhängniß dich mit Rosen überstreut.
Ich årgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen;

Ich gönne dir sehr gern des Hofes Sonnenschein;
Es mag dich Friederich) auf seinen Hånden tragen,

Dein Trinken Nectarsaft, die Speise Zucker seyn;
Denn du haft alles dieß auf Erden wohl verdienet 2c.
Bitt aber, Schönste! nur für mein bedrängtes Leben,

Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfürst an:
Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben,

Was weder Wiß noch Kunst, durch Müh erhalten kann.
Du darfst nicht allererst nach meinem Kummer fragen,

Doch frage, wo du willst, nur Bäume, Gras und Stein:
Die alle werden dir, die alle werden sagen,

Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend seyn;
Und daß ich darum mich in heißen Thränen bade,

Weil meine Poesie mit Schimpfe betteln geht;
Und jede Wissenschaft in deines Friedrichs Gnade,
Sie aber noch allein in keinen Diensten steht.
Mein Flehen ist gerecht! ach! aber auch vergebens:
Denn dein beglückter Stand kennt meine Seufzer nicht.
Und der erinnert sich gar selten fremdes Lebens,

Der täglich so, wie du, bey Hofe Blumen bricht.

30. §. Drittens hat die pathetische Schreibart in Heldengedichten statt: nicht zwar wenn der Poet selbst erzählet, denn da muß die natürliche herrschen; wohl aber, wenn er andere Personen, die im Affecte stehen, redend einführet. Erempel kann man im Virgil nachsehen, wo sie sehr häufig vorkommen: wie denn auch im vorigen Hauptstücke, nach Amthors Uebersehung, eines von den allerbesten, und im 26 §. dieses Hauptstücks eins aus Pierschen befindlich ist, welches man aufschlagen mag. Doch will ich noch eins nach Ams thors Uebersehung aus dem I. Buche der Aeneis anführen. Aeneas im Ungewitter auf der See,

Hebt

Hebt die gefalene Hand zu seinen Göttern auf,
Und spricht: O höchstes Glück! der seinen Lebenslauf
Vor dem gemeinen Feind auf Trojens Mauren schließet,
Und für der Våter Heil das Heldenblut vergießet.
O tapfrer Diomed! Der Griechen höchste Zier,
Ach fiel ich doch, vor dir, auf Trojens Blutrevier!
Wo Hektors Wunderarm Achillen mußte weichen,
Sarpedons Riesenbau des Lebens Segel streichen;
Und wo Simoens Strom, durch seiner Wirbel Zwang,
Blut, Körper, Schild und Helm begierig in sich schlang ze.
Auch die Antwort des Großveziers in Pietschens VI. Carl,
ist vortrefflich:

Nein! Kaiser, nein, es steht dein unbewegter Thron!
So brach der Großvezier mit einem kühnen Ton,
Durch die Verzweifelung, die Achmets Brust bestricket:
Die Pfeiler deines Reichs hat noch kein Feind verrücket!
Wer glaubt, daß sein Gewicht aus Schwachheit sinken kann?
Nein, die beherschte Welt setzt tausend Schultern an.
Die ungeheure Zahl der Arme, die dich schützen,
Sind Seulen deines Stuhls, die deine Herrschaft stüßen.
Versammle deine Macht, verdopple nur den Heer,
Dein Volk vermehre sich, so wie der Sand am Meer.
Es müsse Stal und Glut and Schrecken mit sich tragen.
Wer es nicht zählen kann, der wird es nimmer schlagen.

31. §. Viertens schicket sich diese Schreibart in die Schaufpiele. Da kommen unzählige Gelegenheiten vor, die Perfonen in vollen Affecten aufzuführen; und da können sie nicht nachdrücklicher, beweglicher und durchdringender reden, als in dieser pathetischen Art des Ausdruckes. Hier kann man des Terenz Komödien, imgleichen in meiner deutschen Schaubühne, den Menschenfeind, die Spielerinn, den Verfchwender, u. a. m. nachschlagen, und die Tragödien zu Hülfe nehmen. Sonderlich lese man im Cato den Auftritt, wo Cafar mit dem Cato spricht; in der Iphigenia, den Auftritt Agamemnons, mit dem Achilles und mit der Clytemnestra im II. Aufzuge. In der Alzire und Cornelia, wird man gleichfalls die allervortrefflichsten Proben finden, wenn man in jener die Scene des Zamores mit dem Gusmann, 2a 4

in

in dieser aber, der Cornelia ihre mit dem Gracchus, und mit dem Bürgermeister Opimius, nachlesen will. Schwache Geister, können diese Schreibart auch hier nicht erreichen, und lassen alle ihre Helden gar zu sinnreich reden. Sie können nicht weinen, ohne die spisfindigsten Klagen dabey auszuschütten, und wenn sie verzweifeln, so geschieht es allezeit mit großer Scharfsinnigkeit. Lobenstein hat es in seiner Sophonisbe fast durchgehends so gemacht, weswegen er mit Rechte getadelt worden. Seneca hat ebenfalls tausend Fehler wider diese Regeln begangen: indem er seinen Personen durchgehends mehr Belesenheit und Scharfsinnigkeit beyge= leget hat, als es die Wahrscheinlichkeit erlaubte.

32. §. Das wäre nun kürzlich, was man von der poetischen Schreibart überhaupt, und ihren besondern Gattungen fagen kann. Die angeführten Scribenten werden das übrige hinzusehen, wenn man sie nachschlagen will. Ich follte noch kürzlich von den Gattungen der Schreibart handeln, die in Schäfergedichten, Satiren, Scherzgedichten, u. s. w. herrschet. Allein, das alles spare ich in die Hauptstücke des andern Theils dieser Dichtkunst, wo ins besondere davon gehandelt werden wird. Ueberhaupt schließe ich dieses Hauptstück mit Horazens Worten:

Scribendi recte, fapere eft et principium et fons:
Rem tibi Socraticæ poterunt oftendere charta,
Verbaque prævifam rem non invita fequentur.

Das

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