Page images
PDF
EPUB

Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu schelten?
Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.
So wie es alle Jahr belaubten Wåldern geht;
Das welke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet,
Indem sich unvermerkt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan,
Sein Arm greift alles das, was menschlich heißet, an.
Hier läßt ein Julius (19) den neuen Hafen bauen,
Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen:
Ein königliches Werk! Was kann Augustus (20) thun?
Er trocknet Seen aus, und kann nicht eher ruhn,
Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehèn,
Ein fruchtbar Ackerland und fette Wiesen sehen.
Noch mehr, er åndert gar der. Tyber alten Lauf,
Und schränkt die Fluthen ein. Das allzumal hört auf!
Der größten Werke Pracht, muß endlich untergehen:
Wie könnten denn der Zeit die Sprachen widerstehen?
So manch verlegnes Wort, das längst vergessen war,
Kömmt wieder an das Licht, und stellt sich schöner dar:
Und was man iho braucht, das wird man einst vergessen.
Kurz, Sprachen müssen sich nach der Gewohnheit messen. (21)
In was für Versen man der Fürsten Heldenmuth,
Der Feldherrn Tapferkeit, und wilder Krieger Wuth
Geschickt besingen kann, das hat Homer gewiesen ;
Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen. (22)
Die Elegie war sonst ein Werk der Traurigkeit,
Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweiht.

22. Gedicht. Horaz meynt das Heldengedicht Ilias, welches in lan gen sechsfüßigten Versen geschrieben ift. Nun könnte zwar auch in kur zen oder vermischten Versen ein Hels dengedicht gemacht werden: weil das Wesen desselben in der innern Eins richtung, nicht aber in der Länge der Zeilen besteht. Allein Aristote les hat schon erinnert, daß eine solche Art von Versen lange nicht so maje Rätisch klingen würde, als ein Helbengedicht klingen soll. Im Deutschen müssen wir lange jambische Verse, mit ungetrennten Reimen; oder noch besser, lange trochåische dazu nehmen, wie im Lockenraube und Hermann. Crit. Dichtk.

[blocks in formation]
[ocr errors]

Quis tamen exiguos elegos emiferit auctor,
Grammatici certant; & adhuc fub judice lis eft.
Archilochum proprio rabies armavit ïambo.
Hunc focci cepere pedem, grandesque cothurni;
Alternis aptum fermonibus, & populares
Vincentem ftrepitus, & natum rebus agendis.
Mufa dedit fidibus divos, puerosque deoruin,
Et pugilein victorem, & equuin certamine primum,
Et juvenum curas, & libera vina referre.

Defcriptas fervare vices, operumque colores,
Cur ego, fi nequeo, ignoroque, poëta falutor?
Cur nefcire, pudens prave, quam difcere malo?
Verfibus exponi tragicis res comica non vult:
Indignatur idem privatis, ac prope focco
Dignis carminibus narrari, cœna Thyestä.

24. Archilochus erfand. Nicht als wenn vor ihm keine Jamben wåren gemacht worden: denn nach Aristotels Berichte hat schon Homer auf einen gewiffen Margites eine Satire gemacht, die fast aus lauter jambischen Versen bestanden: sondern weil er sich sonderbar damit hervor: gerhan.

25. Sehr geschickt. Weil es nåm lich im Griechischen und Lateinischen, fe wohl als iso im Deutschen, überaus leicht fiel, jambische Verse zu machen; und weil dieses Sylbenmaaß von der

natürlichen prosaischen Rede nicht sehr unterschieden ist.

26. Geräusch. Ohne Zweifel das: jenige, welches in den Schaupläßen entfund, wenn viele Zuschauer vor handen waren. Weil nun die ungereimten jambischen Verse faft wie die ungebundene Rede klungen, und doch eine gewisse Anmuth batten: so hörte das Volk desto aufmerksamer zu. Bey uns, und bey den Franzosen machens die Reime, daß unsre poetische Schauspiele von der Prosa gar zu sehr

Singu

unterschieden sind: denn Italiener und Engländer machen alle ihre Luftspiele und Trauerspiele in ungereime ten Versen, wie die Alten. Von den Opern ist hier die Rede nicht.

27. Der Musen. Im Grundterte Teicht Kalliope seyn; die ihren Sohn keht nur eine Muse, und es soll vieOrpheus, nach der XII. Ode des 1. Buchs Horatii, zuerst singen ges lebret: wiewohl es gewiß ist, daß lange vor dem Orpheus schon Lieder gesungen worden.

Namen aller Lieder, und begreift vie28. Oden. Dieß ist der allgemeine lerley Gattungen unter sich; Hymnos, Encomia, Threnos und Bacchica. Die ersten waren geistlich, und den Göttern zu Ehren gemacht; die andern weltlich, und hielten das Lob der Könige, Helden und Sieger ben den griechischen Spielen, in sich; die dritten verliebt, und beklagten die unglücklichen Schicksale der Poeten in der Liebe; die vierten luftig, und wurden beym Trunke gebraucht. Die Hymni hießen auch Pæanes, die En

Wer fle zuerst erdacht, ist nicht so leicht zu sagen,
Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen.
Archilochus erfand das jambische Gedicht, (24)
Darinnen trat das Luft- und Trauerspiel ans Licht:
Es ist auch sehr geschickt Gespräche drinn zu setzen, (25)
Bezwingt des Volks Geräusch (25) und kann das Ohr ergehen.
Der Götter hohes Lob, der Völker Alterthum,

Berühmter Helden Preis, der Kämpfer Kranz und Ruhm,
Und was ein Jüngling thut, den Wein und Liebe zwingen,
Befahl der Musen Mune (27) in Oden (28) abzusingen.
Wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh,
Und mich in jeder Art der Poesie vergeh, (29)

Bin ich denn ein Poet? Ich bins nicht; das sey ferne!

Was stört mich denn die Scham, daß ich die Kunst nicht lerne?

Wo Lust und Armuth herrscht, da schreibt man nicht betrübt: (30) -
Hingegen wo Thyest (31) ein blutig Gastmahl giebt,
Da wird dein Trauerspiel sehr widerfinnisch klingen,
Dafern dein matter Reim es niedrig wird besingen.

comia wurden auch Scolia genennet: die Threnos nannte man auch Melos, und die Bacchica hießen auch wohl Dithyrambi, darinnen oft was satis risches vorkam: wiewohl man diese Namen nicht immer so genau unter: schieden hat. Man sehe Scaligers Poetik nach.

29. In jeder Art. Wer die verschiedenen Charactere, der Heldenge: dichte, Elegien, Satiren, Trauerspiele, Lustspiele und Oden nicht zu beobach ten weis, der darf sich nicht rühmen, daß er ein Poet ist. Horaz ist selbst so =bescheiden, daß er sich solches nicht zu schreibt. Man kann leicht sehen, wie wenige deutsche Poeten diese Charactere beobachtet. Opis hat nicht viel Nachfolger gefunden, die, so wie er, in die Fußtapfen der Alten getreten. Man macht Heldengedichte in elegi schen, und verliebte Klagen in bero ischen Versen. Man macht Lobge: dichte in der gemeinen satirischen Echreibart: und die Satire wird bald fo boch, als ein Heldenlied, bald sar in der Sprache des Põbels abBefaffet.

Nicht'

30. Betrübt. In tragischen Vere sen soll man nicht von komischen Sa chen reden, heißt es eigentlich. Dawi der verstößt 3. E. Schackespear, der auch in seinem Julius Cåsar, gleich im Anfange einen Schuhflicker mit den niedrigsten plautinischen Possen einführet. Die Komödie aber hat die lås cherlichen Thorheiten des Mittelstan= des vor sich, und fodert also eine uns getünkelte, natürliche Art des Ausdruckes. Die Tragödie hergegen stellt die unglücklichen Schicksale hoher Personen vor, und muß also in erhabes ner und prächtiger Schreibart gemacht werden. Wer dieses vermischet, der verråth seine Unwissenheit.

31. Thyest. Ennius hatte davon ein Trauerspiel gemacht. Es hatte ihm Atreus seine eigene Kinder ge= fotten, und zu essen vorgelegt, die er auch unwissend verzehret hatte. Diese grautame Begebenheit vertritt hier die Stelle aller andern tragischen Faz beln, und zeigt, wie ungereimt es seyn würde, von dergleichen schrecklichen Dingen eine niederträchtige Schreibart zu gebrauchen.

32. Nicht

Singula quæque locum teneant fortita decenter.
Interdum tamen & vocem comedia tollit:
Iratusque Chremes tumido delitigat ore.
Et tragicus plerumque dolet fermone pedestri
Telephus, & Peleus: cum pauper, & exful uterque,
Projicit ampullas, & fesquipedalia verba;
Si curat cor fpectantis tetigiffe querela.

Et

Non fatis eft, pulcra effe poëmata; dulcia funto:
quocunque volent animum auditoris agunto!
Ut ridentibus arrident, ita flentibus adfunt
Humani vultus. Si vis me flere, dolendum eft
Primum ipfi tibi: tunc tua me infortunia lædent,
Telephe, vel Peleu; male fi mandata loqueris,
Aut dormitabo, aut ridebo.

Triftia mæftum

Vultum verba decent; iratuin plena minarum;
Ludentem lafciva; feverum feria dictu.

32. Nicht jede Schreibart 2c. Diese Regel Horazens ift von großer Wichtigkeit, und erfodert viel Ber: stand und Beurtheilungskraft ben ei nem Scribenten: daher denn viel fältig dawiber verstoßen wird. Z. E. Günther in seiner Heldenode auf den Prinzen Eugen, der bald sehr erha ben; bald wieder höchst niederträchtig schreibt: oder wie in dem vorgedach ten Trauerspiele Schackespears die Schreibart zu niedrig ist.

33. Des Lustspiels Ton erhöhn. Die Natur gewiffer Affecten bringt bochtrabende Redensarten, und einen verwågenen Ausdruck nach dem an: dern hervor. 3. E. der Zorn, davon Chremes in Terentii Komödien ein Beyspiel giebt. Auch Molierens Misantrop kann zum Benspiele dienen. Goll nun ein Zorniger auch in der Komödie natürlich sprechen, so muß man ihn tragisch, das ist stolz und trokig reden lassen. Dieß ist eine Aus: nahme von der obigen Regel.

34. Im Klagen senkt sich 2c. Die Natur der Traurigkeit erfodert

Format

eine niedrige und gemeine Art der Ausdrückungen. Telephus und Ve leus, sind ein paar Helden in einer Tragödie gewesen, die Euripides ge: macht hat, und worinn er diese beyde vertriebenen Prinzen in einem Bettlerbabite ganz kläglich redend einge führet hat. Sie sind beyde nicht mehr vorhanden.

Ampullas

35. Wörterpracht. & fesquipedalia verba. Das erste geht auf die hohen Gedanken, das an: dre auf die langen zusammen geseßten Wörter, dadurch sonderlich im Griechischen die Schreibart erhoben wurde. Beydes würde in dem Munde eines Traurigen sehr seltsam klingen.

36. Bezaubern. Schöne Worte machens noch nicht, daß ein Gedicht schön ist: es muß auch durch den Inhalt einnehmen, bewegen, entzücken, ja fast gar bezaubern. Alle poetische Blümchen, aller Zibeth, Mosch und Ambra, Nectar und Ambrosia sind vergeblich; alle Rosen und Nelken, Lilien und Jasminen sind umsonst;

aller

Nicht jede Schreibart kann auf jeder Stelle stehn, (32)
Zuweilen darf sich auch des Lustspiels Ton (33) erhöhn:
Wenn Chremes zûrnt und dråut, im Herzen Galle kochet,
Und bey geschwollner Bruft mit frechen Worten pochet.
Im Klagen senkt sich auch das Trauerspiel mit recht, (34)
Darum spricht Telephus und Peleus platt und schlecht
Ohn allen Wörterpracht: (35) denn soll man mit ihm weinen,
So muß uns erst sein Schmerz ganz ungekünftelt scheinen.

Laß deine Lieder nicht nur schön und zierlich seyn,
Dein wohlgemachter Vers nehm Herz und Geister ein,
und muß des Lesers Brust bezaubern (36) und gewinnen
Man lacht mit Lachenden, und läßt auch Thränen rinnen,
Wenn andre traurig find. Drum, wenn ich weinen soll;
So zeige du mir erst dein Auge thrånenvoll: (37)
Alsdann, o Telephus! wird mich dein Unglück rühren.
Allein ist an dir selbst kein wahrer Schmerz zu spüren:

So schläft man drüber ein, und du wirst ausgelacht. (38)
Ein weinend Angesicht, das kläglich Worte macht,
Ist der Natur gemäß. Ein Eifriger muß zurnen,

Der Scherz spricht frech und geil, der Ernst mit krauser Stirnen.

aller Purpur und Marmor, alles Gold und Helfenbein, machen nichts: wenn die innerliche Beschaffenheit der Gedanken nicht das Herz rüh ret, die Affecten rege machet, und das Gemüth des Lesers oder Zu schauers, in Schauspielen oder im Lesen, nach Gefallen hin und her treibt.

37. So zeige du mir erst. Die fe Regel geht auch die prosaischen an. Cicero hat in seinem andern Buche vom Redner weitläuftig genug davon gehandelt. Es ist unmöglich, die Af: fecten andrer Beute zu rühren, wenn man nicht selbst dergleichen an sich zeiget. Polus, ein römischer Komo biant, follte die Elektra vorstellen, die ihren Bruder beweinet. Weil ihm nun eben sein einziger Sohn geftor, ben war, so bolte er dessen wahrhaf ten Aschenkrug auf die Schaubühne, und sprach die dazu gehörigen Verse mit einer so kräftigen Zueignung auf fich selbst aus; daß ihm sein eigner Verlust wahrhafte Thränen auspreß te. tnd da war kein Mensch auf dem

Der

lase, der sich der Thränen hätte enthalten können. Man sehe auch das 18 Kapitel von Aristotels Poetik nach.

38. Ausgelacht. So geht es gemeiniglich denen, die kein Geschick haben, eine Sache dem gehörigen Affecte nach auszusprechen, und alles in einem Tone herbetben. Man kann es、 nicht glauben, daß es ihnen ein Ernst sen; und also rühret es auch nicht. Zum Demosthenes kam einer, und verlangte von ihn, jemanden anzuklagen, der ihn geschlagen hätte. Er erzählte aber solches sehr kaltsinnig; so, daß Demosthenes es nicht glauben konnte. Er machte ihm daher viel Einwürfe: es könnte unmöglich seyn, daß er geschlagen worden; denn be leidigte Leute pflegten mit größerer Bewegung zu reden, als er: bis jener sich endlich erzürnete, und mit großer Heftigkeit und kläglichen Worten seine Klage zu wiederholen aufing. Nun mehr glaube ich dir, gab der Redner zur Antwort: denn so pflegt ein Bes leidigter zu sprechen.

B 3

39. Der

« PreviousContinue »