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fie mögen nun von ernsthafter, oder lustiger, oder scherzhafter Art, seyn. Ich sage, es geht an, ich gebiethe es aber nicht, wie mir ein Ungenannter vor etlichen Jahren Schuld geben wollen, siehe des Neuen Büchers. der sch. W. und fr. K. IV. B. a. d. 137. u. f. S. So hat Homer, so wohl in der Ilias, als in der Batrachomyomachie; Virgil Lowohl in der Aeneis, als in f. Culex; so wohl Tasso im Gottfried, als Taffoni, in dem geraubten Eimer; so wohl Milton im verl. Paradiese, als Buttler im Hudibras; so wohl Chapelain in der Jungfer von Orleans, als Scarron in der Gigantomachie eine gewisse Muse angerufen. Allein in dramatischen Gedichten oder Schauspielen, wo der Poet gar nicht zum Vorscheine kömmt, sondern lauter andere Personen die Fabel spielen läßt, da ist es gar wider alle Wahrscheinlichkeit, daß eine von denselben, entweder für sich, oder im Namen der andern, den Beystand der Musen anrufen soll. Denn sie werden ja nicht als Poeten vorgestellet, die etwas dichten wollten; sondern als schlechte Menschen, die aus eignen Kräften nach Veranlassung der Umstände reden und handeln. Diese Regel ist auch von den Alten und Neuern so wohl beobachtet worden, daß man nichts weiter davon hinzusehen darf.

8. §. Die erhabne Schreibart, ist von der gemeinen Art zu reden, durch die edlen, geistreichen und feurigen AusdrücFungen sehr unterschieden, wie man im folgenden zeigen wird. Wenn also ein Poet recht was Hohes schreibt, welches ihm nicht ein jeder vermögend ist nachzuthun: so sieht man wehl; daß er sich des Beystandes der Musen mit guter Wahrschein. lichkeit rühmen, sie auch deswegen mit Recht darum anrufen Fönne. So hat z. E. Neukirch in dem schönen Trauerge= dichte auf die Königinn in Preußen, Charlotte; und Piersch in dem Gesange auf den Prinzen Eugen sich der Anrufung mit gutem Rechte bedienet: weil beyde in der erhabenen Schreibart abgefaßt sind. Auch Günther, in seiner langen Ode auf diesen Helden, würde nicht darum zu tadeln seyn; wenn er nur nicht oft in die allerniedrigste Schreibart gesunken wäre. Schreibt

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Schreibt man aber ein kurzes Gedicht, oder sonst eine Klei= nigkeit, in der gemeinen Sprache des Pöbels, die nichts Edles, nichts Feuriges, nichts Ungemeines hat: so wåre es abermal lächerlich zu sagen, daß er solches mit Hülfe der Musen verfertiget håtte; welche sich gewiß von ihren Hủgeln so tief nicht herunter zu lassen pflegen. Es versteht sich aber, daß hier so wohl die scherzhaften Heldengedichte als größere poetische Werke ausgenommen seyn müssen; zumal fie zuweilen wohl gar eine edle Schreibart haben.

9. §. Ihrem Inhalte nach, sind die Gedichte entweder unter die historischen oder dogmatischen, oder auch unter die prophetischen zu rechnen. Hier fragt sichs nun, ob alle dren Gattungen, oder nur eine davon für die Musen gehöret ? Von den historischen ist wohl kein Zweifel: denn die Musen find Tochter der Mnemosyne; dadurch die Fabel unfehlbar anzeiget, daß die Wissenschaft alter Geschichte ihnen eigen sey. Die Spuren davon findet man überall in den Poeten; zu geschweigen, daß Rlio insbesondere der Historie vorgefeßet worden. Man muß daben bemerken, daß die Musen sich nicht um gemeine und überall bekannte Dinge anrufen lassen, die man auch ohne ihre Hülfe wissen kann. Es würde ungereimt seyn, wenn ich sie ersuchte, mir die Thaten Alexanders oder Casars zu offenbaren, davon alle Bücher voll sind. Es müssen verborgene, und ganz ins Vergessen gerathene Dinge seyn, dabey man sich ihren Beystand ausbittet. So machts Homer am Ende des ersten Buches seiner Jlias. Er bittet die Musen, ihm alle die Heere und ihre Anfüh rer zu entdecken, die sich bey Troja versammlet, welche damals gewiß kein Mensch mehr zu nennen wußte. Freylich hat er sie selbst nach der Wahrscheinlichkeit erdichtet: aber feine Erzählung würde nicht so viel Glauben gefunden haben, wenn er sich nicht gestellet håtte, als ob ihm die Musen sol. ches eingegeben. Denn man håtte gleich gefragt: woher er doch alle die Nachrichten håtte?

10. §. Eben so hats Virgil gemacht. Er will gleich im Anfange seiner Aeneis wissen, warum doch Juno so erzurnt

gewesen,

gewesen, welches gewiß ein bloßer Mensch nicht wissen konn-
te: darum schreibt er, nach Amthors Uebersehung:
Inzwischen gib mir erst, o Muse, zu erkennen,
Warum der Himmel doch so heftig konnt entbrennen ?
Warum Junonens Zorn, durch ihres Eifers Macht,
Auch selbst die Frömmigkeit in solche Noth gebracht?
In so gehäufte Noth! Ist das auch wohl zu loben,
Daß selbst die Götter so vor Wuth und Rache toben?

Darauf fångt er an, Dinge zu erzählen, die unter den Göt
tern im Himmel und auf Erden vorgegangen, und die viel
leicht noch keinem in den Sinn gekommen waren; aber doch
nach der heidnischen Theologie nichts Unmögliches oder Un-
glaubliches in sich hielten. Eben so macht ers an verschiede-
nen Orten mitten im Gedichte, wo er bald eine, bald die andre
Muse, bald alle zugleich um die Offenbarung gewisser Um-
stånde aus alten Geschichten anrufet. 3. E. im VII. B.
Nunc age, qui Reges, Erato, quæ tempora rerum,
Quis Latio antiquo fuerit ftatus; advena claffem
Cum primum aufoniis exercitus adpulit oris,
Expediam; et primæ revocabo exordia pugnæ.
Und bald darauf in eben dem Buche:

Pandite nunc Helicona, Dex, cantusque movete,
Qui bello exciti Reges? que quemque fecuta
Complerint acies? quibus Itala jam tum
Floruerit terra alina viris, quibus arferit armis?
Et meminiftis enin Divæ, et memorare poteftis;
Ad nos vix tenuis famæ perlabitur aura.

Im IXten Buche rufft er Ralliopen insbesondre an; wie vorhin die Frato.

Vos o Calliope precor, adfpirate canenti,

Quas ibi tunc ferro ftrages, quæ funera Turnus
Ediderit; quem quisque virum demiferit orco;
Et mecum ingentes oras evolvite belli:

Et meminiftis enim Divæ, et memorare poteftis.

Crit. Dichtk.

M

Und

Und abermal bey solcher Gelegenheit in demselben Buche:

Quis Deus, o Mufa! tam fæva incendia Teucris
Avertit? tantos ratibus quis depulit ignes?
Dicite! Prifca fides facto, fed fama perennis.

11. §. Was die dogmatischen Sachen anlanget, so wird wohl freylich in ungebundener Schreibart niemand den Ben stand der Musen anruffen: wo er nicht eben so ungereimt handeln will, als Valerius Maximus, der im Anfange seiz ner zusammengestoppelten Histörchen, den Kaiser Tiberius, als eine Gottheit anruft, ihm in seiner Arbeit beyzustehen, die doch so leicht war, daß sie keines Beystandes bedorste; oder als Varro, der ein Buch vom Ackerbaue schreibt, und im Anfange desselben die Feldgötter anruffet, ihm zu helfen; da er doch solches von sich selbst schon ausführen konnte. Allein was in poetischer Schreibart von den dogmatischen Dingen ausgearbeitet worden, als des Aratus Gedicht von der Sternwissenschaft, Lucrezens Bücher von der Naturlehre, Virgils Bücher vom Feldbaue, Opitzens Gedicht vom Berge Vesuv, von Ruhe des Gemüths u. d. gl. da fragt sichs: ob man die Musen, oder sonst eine Gottheit anruffen folle? im Falle nämlich, daß das Werk so groß und so wohl geschrieben ist, daß man Ursache dazu hat. Ueberhaupt sind die Musen nicht Göttinnen der Weisheit, oder der Wissenschaften; sondern der Poesie, der Musik und der Geschichte, mit einem Worte, der freyen Künste. Man muß also billig von ihnen nichts federn, als was ihnen zugehöret. Die Vernunftschlüsse gehören für die weise Pallas; der Feldbau für die Feldgötter, als Sonn und Mond, Bacchus und Ceres, für die Faunen und Nymphen, für den Pan und Neptun, für die Pomona u. s. w. Alle diese ruft Virgil in feinen Georgicis zu Hülfe: ja er sezt endlich noch gar den August dazu, als der vieleicht auch nach seinem Tode ein Feldgott werden könnte. Lucrez, wie ich bereits oben gedacht, hat auch die Göttinn Venus, als die Vorsteherinn der Erzeugung, angeruffen; welches ihm als einem Dichter, nicht übel genommen

werden

werden kann: ungeachtet es ihm, als einem epikurischen Weltweisen, der keine Vorsehung und Hüfle der Götter in menschlichen Dingen glaubte, sehr schlecht anstund, dergestalt wider sein eigen Lehrgebäude zu handeln. Opitz endlich, hat die Natur, oder vielmehr den Urheber aller Dinge, um sei nen Beystand angeruffen: welches einem christlichen Poeten ailerdings wohl ansteht.

12. §. oraz hat in der XI. Ode des III. Buches den Mercur als einen Gott der Beredsamkeit, um seinen Beystand angeruffen, als er ein recht bewegliches und herzrührendes Liebeslied machen wollte. Dieses scheint der Form nach unrecht zu seyn, weil Mercur weder Verse noch Liebeslieder machen kann. Allein, dem Inhalte nach, geht es doch an. Denn zu geschweigen, daß derselbe die Musik versteht und dazu singt; wie oraz anführet: so ist er ja ein Gott der Be redsamkeit, der ihm alle die Vorstellungen und Bewegungsgründe eingeben konnte, die er nöthig hatte, das Gemüth seiner geliebten Lyde zu gewinnen. Denjenigen Fehler aber kann ich nicht entschuldigen, wenn Virgil im IV. Buche seines Gedichtes vom Feldbaue schreibt:

Quis Deus hanc, Mufæ, quis nobis extudit artem; Vnde nova ingreffus hominum experientia cœpit? Was bekümmern sich die Musen um die Bienenzucht? Und wie konnte sich der Poet einbilden, die Göttinnen der freyen Künste, würden die Kunstgriffe des Feldlebens herzuzählen wissen? Pan und Ceres möchten ihm davon Nachricht gege= ben haben: es wäre denn, daß man sagen wollte, die Musen wüßten dieses, nur als eine bloß historische Sache, zu erzählen. Noch vielweniger aber kann folgendes aus der III. Efloge gelten.

Pierides, vitulam lectori pafcite veftro.

Denn wie kann mans immermehr den Musen zumuthen, den Helikon zu verlassen, und Viehhirtinnen zu werden? Große Leute fehlen auch; aber ihr Versehen, muß uns behutsam machen.

M 2

13. §.

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