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folgt ihn, und beraubt ihn aller seiner Gefährten. Indessen ist bey ihm zu Hause alles in Unordnung: sein Vermögen wird verschwendet; seine Gemahlinn und sein Prinz stehen in Gefahr. Endlich aber kömmt er nach vielen Ungewit= tern glücklich an, erkennet etliche von den Seinigen, erlegt durch ihren Beystand seine Feinde, und bringt alles wieder in Ordnung. So ist auch die Fabel vom Oedipus, dem berühmtesten Trauerspiele, das bey den Alten gemacht worden, beschaffen. Oedipus bittet die Götter um die Abwendung der Pest, wodurch Thebe verwüstet wurde. Das Orakel antwortet: Man müsse den Tod des Königes Lajus an dessen Mördern råchen. Er untersuchet derowegen die Sache; findet aber nicht nur, daß er selbst der Thåter sen, sondern gar des Lajus Sohn gewesen, und folglich an dessen Witwe, der Jokasta, seine eigene Mutter geheirathet habe. Darüber bestraft er sich selbst, indem er sich die Augen ausreißt, ins Elend geht, und also seinem Volke die Gesundheit wieder herstellet. Wer sieht hier nicht, daß beyde Fabeln vollkommen moralisch sind, und die wichtigsten Lehren in sich faffen? wenn man sie gleich nur überhaupt ansieht, und der überall eingestreuten Sittensprüche nicht einmal wahrnimmt? In der ersten lehrt der Poet, die Abwesenheit eines Herrn, aus seinem Hause oder Reiche sen sehr schädlich: in der ans dern aber, daß die Vorhersehung der Götter untrüglich sey, und durch keine menschliche List und Vorsicht irre gemacht werden könne. Ein jeder, der nur seinen eigenen Augen trauet, wird also keines fernern Beweises nöthig haben, und die Einwürfe selbst beantworten können, die le Clerc in seinen Parrhasianis dawider gemacht, und die ich ins Deutsche überseßt, den kritischen Beyträgen eingeschaltet habe.

20. §. Wie greift man indessen die Sache an, wenn man gesonnen ist, als ein Poet, ein Gedicht oder eine Fabel zu machen? Dieses ist freylich das Hauptwerk in der ganzen Poesie, und also muß es in diesem Hauptstücke nicht vergessen werden. Vielen, die sonst ein gutes Naturell zur

Poesie gehabt, ist es bloß deswegen nicht gelungen, weil sie es in der Fabel versehen haben. Sie haben die Charaktere, die Sitten, die Gedanken, die Gemüthsbewegungen, und die Ausdrückungen bisweilen sehr wohl eingerichtet; allein die Begebenheiten sind unwahrscheinlich, seltsam, ja widersprechend, den Zeiten und Dertern und sich selbst nicht ge= måß gewesen. So viel schlechte Heldengedichte, Tragödien, Komödien und Romane sind gemeiniglich nur in diesem Stücke mangelhaft: so vieler kleiner Fabeln, in andern Gat tungen der Poesie, verigo nicht zu gedenken. Es ist also der Mühe schon werth, daß wir uns bekümmern, wie man alle Arten der Fabeln erfinden, und regelmäßig ein richten könne?

21.§. Zu allererst wähle man sich einen lehrreichen moralischen Saß, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen, vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worinn eine Handlung vorkömmt, daran dieser erwählte Lehrfaß sehr augenscheinlich in Die Sinne fällt. 3. E. Gefeßt, ich wollte einem jungen Prinzen die Wahrheit benbringen: Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit wären abscheuliche Laster. Diesen Saß auf eine angenehme Art recht sinnlich und fast handgreiflich zu machen, erdenke ich folgende allgemeine Bege= benheit, die sich dazu schicket; indem man daraus die Ab. scheulichkeit des gedachten Lasters sonnenklar sehen kann. Es war jemand, wird es heißen, der schwach und unvermögend war, der Gewalt eines Mächtigern zu widerstehen. „Dieser lebte still und friedlich; that niemanden zu viel, ,, und war mit dem wenigen vergnügt, was er hatte. Ein Gewaltiger, dessen unersättliche Begierden ihn verwegen ,, und grausam machten, ward dieses kaum gewahr, so griff er den Schwächern an, that mit ihm, was er wollte, „ und erfüllete mit dem Schaden und Untergange desselben, ,, seine gottlose Begierden.,, Dieses ist der erste Entwurf einer poetisch- moralischen Fabel. Die Handlung, die Crit. Dichtk. {

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darinn stecket, hat die folgenden vier Eigenschaften. 1) It fie allgemein, 2) nachgeahmt, 3), erdichtet, 4) allegorisch, weil eine moralische Wahrheit darinn verborgen liegt. Und so muß eben der Grund aller guten Fabeln beschaffen seyn, fie mögen Namen haben, wie sie wollen.

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22. §. Nunmehr kömmt es auf mich an, wozu ich diese Erfindung brauchen will; ob ich Lust habe, eine &sopische, komische, tragische, oder epische Fabel daraus zu machen? Alles beruht hierbey auf der Benennung der Perfonen, die darinn vorkommen sollen. Aesopus wird ihnen thierische Namen geben, und ohngefähr sagen: „Ein Schäfchen, ,, welches ganz friedlich am Strome stund, und, seinen Durst ,, zu löschen, trinken wollte, ward von einem Wolfe angefallen, der am obern Theile eben desselben Wassers soff, ,, und seiner von ferne ansichtig ward. Dieses räuberische „Thier beschuldigte das Schaf, es håtte ihm das Wasser trübe gemacht; so, daß er nicht hätte trinken können: ,, und wiewohl sich dasselbe, durch die Unmöglichkeit der Sache, aufs beste entschuldigte; so fragte der Wolf doch nichts darnach, sondern griff es an, und fraß es auf.,, Wollte jemand diese thierische, und folglich unglaubliche Fabel, in eine menschliche und desto glaublichere verwandeln: so dürfte man nur diejenige nachschlagen, die dort Nathan -dem Könige David erzählet: „Ein armer Mann, wird sie lauten, hatte ein einzig Schäfchen, welches er sehr lieb hatte: sein reicher Nachbar hergegen besaß große Heerden. ,, Dieser lettere nun bekam Gäste; und weil er sie zwar wohl aufzunehmen, aber doch von seinen eigenen Schafen feins zuschlachten, willens war: so schickte er zu seinem Nachbar, und ließ ihm sein einzig Schäfchen mit Gewalt nehmen, „es schlachten und seinen Gästen zubereiten.,, Dieses ist noch eben so wohl eine àsopische Fabel, als die obige.

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23. §. Wäre ich willens, eine komische Fabel daraus zu machen, so müßte ich sehen, daß ich das Laster der Ungerechtigkeit als ein lächerliches Laster vorstellen könnte. Denn das Auslachenswürdige gehört eigentlich in die Komödie,

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das Abscheuliche und Schreckliche hergegen läuft wider ihre Absicht. Ich müßte es also bey einer kleinen Ungerechtigkeit bewenden lassen, deren Unbilligkeit zwar einem jeden in die Augen fiele, die aber doch kein gar zu großes Mitleiden erwecken könnte. Die Personen, müßten hier entweder bürgerlich, oder zum höchsten adelich seyn : denn Helden und Prinzen gehören in die Tragödie. Derjenige aber, der das Unrecht thåte, müßte endlich darüber zum Spotte und Gelächter werden. Die Namen würden nur dazu erdacht, und man dörste sie nicht aus der Historie nehmen. Ich sage also: „Herr Troßkopf, ein reicher, aber wollüstiger und verwegener ,,Jüngling, hat einen halben Tag mit Schmaufen und Spie ,,len zugebracht; geräth aber des Abends in ein übelberüch tigtes Haus: wo man ihm nicht nur alle seine Baarschaft ‚nimmt, sondern auch das Kleid vom Leibe zieht, und ihn so entblößt auf die Gasse hinausstößt. Er fluchet und poltert ,, eine Weile vergebens, geht aber endlich, mit dem bloßen Degen in der Hand, Gasse auf, Gasse nieder; in dem Vor,,haben, dem ersten, dem besten, mit Gewalt das Kleid zu ,, nehmen, und also nicht ohne Rock nach Hause zu kommen. Es begegnet ihm Herr Ruhelieb, ein friedfertiger Mensch, ,, der von einem guten Freunde kömmt, und etwas spät nach Hause geht. Diesen fällt er an, nöthiget ihn nach dem Degen zu greifen, entwaffnet, ja verwundet ihn ein wenig, und zwinget ihn also das Kleid auszuziehen und ihm zu geben. ,,Kaum hat er selbiges angezogen, um damit nach Hause zu gehen, so stehen an der andern Ecke der Straße ein paar tüchtige Kerle, die von Herrn Ruheliebs Feinden erkauft worden, denselben wacker auszuprügeln. Diesen fällt Herr Troßkopf in die Hånde, und ob er gleich leib und Seele schweret, daß er nicht derjenige sey, dafür sie ihn ansehen: ,, so wird er doch wacker abgestraft; so, daß er aus Zorn und Ungeduld, Kleid, Hut und Perrücke wieder von sich wirft, und ganz braun und blau nach Hause läuft.,,

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24. §. Weil diese Fabel zu einer vollständigen Komödie noch zu kurz ist, so müßte man etliche Zwischenfabeln dazu

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dichten.

dichten. Herr Troßkopf müßte irgend eine liebste haben, der er von seiner Herzhaftigkeit vorgesagt hatte. Diese müßte nun durch das nächtliche Lårmen aufgeweckt werden, und irgend zum Fenster hinaus sehen, auch an der Stimme ihren Liebhaber erkennen. Oder es könnte sonst ein Patron desselben solches gewahr werden, der von seiner bösen Lebens, art nichts gewußt hätte. Es müßten noch mehr Personer an der Sache Theil nehmen, um dadurch die Aufzüge zu füllen, und die Begebenheit wahrscheinlich zu machen. Kurz, die Abtheilung und Auszierung müßte nach den Regeln gemacht werden, die im andern Theile, wo von der Komödie insbesondre gehandelt wird, vorkommen sollen. So viel ist indessen gewiß, daß in dieser Fabel noch immer jene erstere allgemeine zum Grunde liegt, und die moralische Wahrheit, von der Gewaltthätigkeit, allegorisch begriffen ist.

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25. §. Die Tragödie ist von der Komödie nur in der be sondern Absicht unterschieden, daß sie an statt des Gelächters, die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken suchet. Daher pflegt sie sich lauter vornehmer Leute zu bedienen, die durch ihren Stand, Namen und Aufzug mehr in die Augen fallen, und durch große Laster und traurige Unglücksfälle solche heftige Gemüthsbewegungen erwecken können. Ich werde also sagen: „Ein mächtiger König sah, ,, daß einer seiner Unterthanen ein schönes Landguth hatte, ,, welches er gern selbst besessen hätte. Er both ihm anfänglich Geld dafür: als jener es aber nicht verkaufen wollte, brauch,,te er Gewalt und ist. Er ließ den Unschuldigen durch ,, erkaufte Klåger, falsche Zeugen und ungerechte Richter ,, vom Leben zum Tode bringen, seine Güter aber unter seine ,,Kammergüter ziehen. Dieses ist der Grundriß zu einer tragischen Fabel, woran nichts mehr fehlt, als daß man noch in der Historie etliche Namen suche, die sich zu dieser Fabel einigermaßen schicken. Mir fällt hier gleich der König Achab ein, der den Naboth auf solche ungerechte Art um seinen Weinberg gebracht hat. Hier könnte man die Jesabel ihre Rolle auch spielen lassen, imgleichen Naboths Ehe

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