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stånden für ihn schicken. Man macht z. E. ein verliebtes, trauriges, lustiges Gedicht, im Namen eines andern; ob man gleich selbst weder verliebt noch traurig, noch luftig ist. Aber man ahmet überall die Art eines in solchen Leidenschaften stehenden Gemüthes so genau nach, und drückt sich mit so natürlichen Redensarten aus, als wenn man wirklich den Affect bey sich empfände. Zu dieser Gattung gehört schon weit mehr Geschicklichkeit, als zu der ersten. Man muß hier die innersten Schlupfwinkel des Herzens ausstudiret, und durch eine genaue Beobachtung der Natur, den Unterscheid des gekunstelten, von dem ungezwungenen angemerket haben. Dieses aber ist sehr schwer zu beobachten, wie die Fehler sattsam zeigen, die von den größten Dichtern in diesem Stücke begangen worden. Daß Virgil in seinen Schäfergedichten nicht immer glücklich damit gewesen, das hat der italienische Kunstrichter, Ludewig Castelvetro, dessen kritische Werfe Argelati vor einigen Jahren herausgegeben hat, sehr gründ lich erwiesen. In Fontenellens Gedanken, von Schäfergedichten, wird man auch den Theokritus oft ganz billig getadelt finden. Herr Fontenelle selbst wird in dem englischen Guardian gleicher Fehler, und zwar nicht ohne Grund beschuldiget, wie an dem gehörigen Orte ausführlicher gedacht werden soll, Daß nicht auch unter unsern Deutschen es viele hierinnen follten versehen haben, daran ist gar kein Zweifel.

4. S. Die Klaggedichte, die Ranitz und Besser, auf ihre Gemahlinnen gemacht, werden sonst als besondere Muster schön ausgedruckter Affecten angesehen. Man kann sie auch gar wohl unter diese Art der Nachahmung rechnen, ob fie gleich ihren eignen Schmerz, und nicht einen fremden vorstellen wollen: denn so viel ist gewiß, daß ein Dichter zum wenigsten dann, wann er die Verse macht, die volle Stärke der Leidenschaft nicht empfinden kann. Diese würde ihm nicht Zeit lassen, eine Zeile aufzusehen, sondern ihn nöthigen, alle seine Gedanken auf die Größe seines Verlusts und Unglücks zu richten. Der Affect muß schon ziemlich gestillet seyn, wenn man die Feder zur Hand nehmen, und alle seine Kla Crit. Dichtk.

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gen in einem ordentlichen Zusammenhange vorstellen will. Und es ist auch ohnedas gewiß, daß alle beyde oberwähnte Gedichte eine gute Zeit nach dem Tode ihrer Gemahlinnen verfertiget worden: da gewiß die Poeten sich nur bemühet haben, ihren vorigen betrübten Zustand aufs natürlichste auszudrücken. Ob ich nun wohl nicht läugne, daß diese treff lichen Stücke des berühmten Amthors Klagen, in gleichem Falle, weit vorzuziehen sind: so könnte doch ein scharfes Auge, auch in diesen zweyen Meisterstücken, noch manchen gar zu gefünftelten Gedanken, und gezwungenen Ausdruck, ents decken; den gewiß ein wahrer Schmerz nimmermehr würde hervorgebracht oder gelitten haben. Was hier von dem Schmerze gilt, das muß von allen Affecten verstanden werden. Hofmannswaldaus Heldenbriefe, sollen verliebt geschrieben seyn; haven aber die Leidenschaft, so der Poet nachahmen wollen, sehr schlecht getroffen, und tausend bunte Einfälle und Zierrathe angebracht, die sich für keinen wahrhaftig verliebten schicken. Man darf nur dargegen halten, was Günther im I. Theile seiner Ged. an feine Geliebte geschrieben, wo alles der Natur viel gemäßer ist; so wird man leicht selbst wahrnehmen, was eine geschickte Nachahmung der Natur ist, und was ein kaltes und frostiges Gewäsch in der Poesie heißt.

5.S. Auf dieser Kunst nun beruhet fast die ganze theatralische Pocsie: was nåmlich die Charactere einzelner Personen, ihre Reden in einzelnen Scenen, und ihre Handlungen anlanget. Denn hier muß ein Poet alles, was von dem auftretenden Helden, oder wer es sonst ist, wirklich und der Natur gemäß håtte geschehen können, so genau nachahmen, daß man nichts unwahrscheinliches dabey wahrnehmen könne. In Heldengedichten, und allen übrigen Arten, wo man auch zuweilen andre redend einführet, hat eben dieses statt, wie an seinem Orte stückweise soll erwiesen werden. Horaz hat in seiner Dichtkunst zu verschiedenen malen daran gedacht, und nicht nur die Regel gegeben, wie man den Achilles, die Mes dea, den Irion, die Jo u. s. w. abbilden und aufführen solle;

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daß ein Greis und ein Jüngling, ein Argiver und Babylonier, ein Kaufmann und Bauer, eine Matrone und eine Amme nicht auf einerley Art reden und handeln müssen; sondern auch gewiesen, wo man die Kunst gute Charactere zu machen, lerne; nämlich aus der Sittenlehre und der Erfahrung. Diese zeiget uns die herrschenden Neigungen der Kinder, Jünglinge, Männer und Alten: jene hergegen lehret sowohl die Natur der Affecten, als die Pflichten aller Menschen in allen Stånden. Dieß will auch unsre deutsche Dichtkunst des Herrn von Brück, aus der deutschen GeFellschaft I. Theile eigner Schriften und Uebersegungen, auf der 9. Seite.

Du mußt fleißig Acht auf alle Dinge haben,

Auf Tugend, Wissenschaft, auf des Gemüthes Gaben,
Auf Zeit, Geschlecht und Stand, auf Glück und Herzeleid,
Auf Sitten und Gestalt, auf Reden Art und Zeit.
Ein junger freyer Kerl, ein alter karger Knicker,
Ein tugendhafter Mann, ein schelmischer Berücker,
Ein ganz verbuhlter Thor, ein unerzognes Kind

Sehn unterschiedlich aus; drum male wie sie sind.

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Die Aehnlichkeit ergeßt, und nicht der Farben Menge,
Die Schönheit ohne sie heißt nichtiges Gepränge:

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Kurz, wenn dein Abdruck nur dem Vorbild ähnlich ist,
So glaube, daß du dann ein guter Maler bist.

Und auf der 20. und 21. Seite heißt es:

Wirst du die Eigenschaft des Knechts und Edlen wissen:
So wird auch jeglicher ganz anders reden müssen,
Weil jeder anders denkt: und dieses zeigt den Grund
Dieß ists, dieß leget dir die Wörter in den Mund.
Stellst du nun Knechte vor, so mußt du knechtisch denken,
Wie Meister von der List, von Lügen und von Schwänken.
Dann findest du zugleich das eigentliche Wort,

Das sich zur Sache schickt, und kömmst auch leichtlich fort.
Wird aber Sokrates im Schauspiel aufgeführet:

So wird ein strenger Ernst und große Kunst verspüret.

Da giebt sichs von sich selbst, daß der ganz anders spricht;
Denn jenes Ausdruck paßt zu den Gedanken nicht.

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6. S. Wer nun hierinnen wohl geübet ist, und sonst scharfsinnig genug ist, auf die Wahrscheinlichkeit in allen Stücken recht Achtung zu geben; der wird in seiner Nachahmung unfehlbar glücklich fortkommen müssen: da hingegen ein Fremdling in dem allen, alle Augenblicke Fehler begehen, und lauter unähnliche Schildereyen verfertigen wird. Ich schließe bey dem allen den Wig und die Urtheilungskraft nicht aus: denn jener ist diejenige Gemüthskraft, die mit den Aehnlichkeiten der Dinge zu thun hat, und folglich auch die Abrisse ihren Vorbildern ähnlich machen, oder diese in jenen nachahmen muß. Ohne diese hergegen wird man unfehlbar in den Fehler verfallen, den dort Ranig an den meisten unfrer Poeten tadelt; wenn er den Virgil als einen glück. lichen Nachahmer der Natur, im Absehen auf den Charakter der Dido, erhebet. Es heißt:

Man redt und schreibt nicht mehr, was sich zur Sache schicket, Es wird nach der Natur kein Einfall ausgedrücket,

Der Bogen ist gefüllt, eh man an sie gedacht;

Was groß ist, das wird klein, was klein ist, groß gemacht:

Da doch ein jeder weis, daß in den Schildereyen,

Nur bloß die Aehnlichkeit das Auge kann erfreuen;
Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert,

Wenn es wird in Gestalt der Riesen aufgeführt.
Wir lesen ja mit Lust Aeneens Ebentheuer;

Warum? Stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheuer,
So hat es sein Virgil so künstlich vorgestellt;

Daß uns, ich weis nicht wie, ein Schrecken überfällt:

Und hör ich Didons Mund von Schimpf und Undank sprechen,
So möcht ich ihren Hohn, an den Trojanern råchen.

So fünft'ich trifft ißund kein Dichter die Natur!
Sie ist ihm viel zu schlecht: er sucht ihm fremde Spur;
Geußt solche Thrånen aus, die lachenswürdig scheinen,
Und wenn er lachen will, so möchten andre weinen.

7. S. Doch auch diese so schwere Gattung der Nachahmung, machet nicht das Hauptwerk in der Poesie aus. Die Fabel ist hauptsächlich dasjenige, was der Ursprung und die Seele der ganzen Dichtkunst ist. * Selbst unsre Muttersprache

Wie Ariftoteles im VI. Capitel seiner Poetik schreibt: Agxn xaj oïov ψυχὴ μύθος.

fprache lehret uns dieses; wenn wir die Poesie, die Dichte kunst, und ein poetisches Werk, ein Gedicht nennen. Ich weis wohl, daß vor Alters dichten, nur so viel als denken und nachsinnen geheißen: z. E. das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse 2c. Allein in neuern Zeiten heißt es gewiß, etwas ersinnen, oder erfinden, was nicht wirklich geschehen ist. Sachen nämlich, die wirklich geschehen sind, d. i. wahre Begebenheiten, darf man nicht erst dichten: folglich entsteht auch aus der Beschreibung und Erzählung derselben kein Gedicht, sondern eine Historie, oder Geschichte; und ihr Verfasser bekömmt nicht den Namen eines Dichters, sondern eines Geschichtschreibers. Die pharsalische Schlacht also, die Lucian in Versen beschrieben hat, kann nichts anders, als eine Historie in Versen heißen: des Aesopus Fabeln hergegen, obwohl sie nur in ungebundener Schreibart abgefasset worden, sind Gedichte. Und wer die Fähigkeit nicht besißt, gute Fabeln zu erfinden, der verdient den Namen eines Poeten nicht; wenn er gleich die schönsten Verse von der Welt machte. Phädrus wåre derowegen wohl ein Versmacher, aber kein Dichter gewe sen: wenn er nur die åsopischen Fabeln in Verse gebracht, aber selbst keine erfunden hatte.

8. §. Wenn Aristotel sagen will, was die Fabel in einem Gedichte eigentlich sen, so spricht er: Es sey die Zusammensetzung oder Verbindung der Sachen. Der Pater Boffu in seinem Tractate vom Heldengedichte, läßt sich an dieser Erklärung gnügen, und versteht durch die Sachen, so in einer Fabel verbunden werden sollen, das Wahre und das Falsche. In der That muß eine jede Fabel was Wahres und was Falsches in sich haben: nămlich einen moralischen Lehrsaß, der gewiß wahr seyn muß; und eine Einkleidung desselben in eine gewisse Begebenheit, die sich aber niemals zugetragen hat, und also falsch ist. Allein er scheint mir den Verstand des Philosophen nicht recht eingesehen zu haben. Die Sachen müssen auf das Zubehör der Fabel, als da sind, die Thiere, Menschen, Götter, K 3

Hand.

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